Dezember 31, 2009

FROHES NEUES UND SO BLA BLA BLA

Allen Lesern und Nicht-Lesern einen guten Rutsch! Ich habe die Feiertage genutzt, um nicht produktiv zu sein. Dennoch gibt es am Wochenende den obligatorischen Jahresrückblick mit der Top 10.

Auf 2010, das Jahr, in dem wir uns wieder sehen.

Dezember 17, 2009

Kino: AVATAR

Der größte, der teuerste, der aufregendste Film nach dem Mega-Spektakel, das selbst schon als der größte, teuerste und aufregendste Film aller Zeiten galt. Zum König der Welt hat sich James Cameron auf seinem Oscarsiegeszug vor 12 Jahren selbst gekürt und dann von der großen Leinwand verabschiedet, um nicht am finanziellen und zu Teilen auch künstlerischen Maßstab seines Riesenhits vom sinkenden Schiff gemessen werden zu können. Die 3D-Technik nun lockte den Regisseur mit attraktiven Fluchtmöglichkeiten in neue Räume aus dem Schaffensexil: in der Tiefe des Bildes findet Cameron offenbar den Mut, sich endlich wieder einem Publikum zu stellen. Das neue alte Gimmick des Kinos wirkt Distanz zersetzender denn je, und "Avatar" ist schwer, zumindest aber anders zu beurteilen in seiner digitalen Ästhetik und Dreidimensionalität – er läuft nicht Gefahr, in Konkurrenz mit "Titanic" treten zu müssen. Gewiss nicht.

Cameron entwirft, mit aller Sensibilität, Melancholie und Beherztheit, eine filmische Natur, in der man feinste Blüten, wunderbar fluoreszierende Blätter und schönste Flugtiere bestaunen kann! Dass der Mann, der einst noch für ein Kino aus Schwermetall ("Terminator"), aus kybernetischen Kräften ("Terminator II") und wuchtigem Militärgeschütz ("Aliens") stand, mit geradezu sinnlicher Akribie digitale Naturbilder erschafft, die nicht selten die Grenzen zum Kitsch überschreiten, das verwundert nach dem Gefühlsklopper "Titanic" erst einmal nicht. Eher schon irritiert, dass Cameron in "Avatar" gänzlich vom Kampf der friedlichen Ökologie gegen gewaltsame Maschinen erzählt, und dabei gar noch Umweltbotschaften auf den Weg gibt: Das harmonische Waldvölkchen der Na'vi nämlich muss sich gegen böswillige Militärs mit imposanten Waffen zur Wehr setzen, um ihre Flora und Fauna zu schützen. Cameron erweist sich dabei als geradezu grüner Ideologe, der mit den Na’vi tanzt. Die blauen Wesen haben gelbe Zähne und schicke Flesh Tunnels, erweisen sich trotz ihrer bedrohlichen Erscheinung jedoch als esoterische Sensibelchen, die in sektengleichen Massenzeremonien einer gigantischen, wurzelartigen Lichtquelle zu Fuße liegen – mein Freund, der Baum. Klanglich verhält sich der Film zu diesem in violetten und rosafarbenen Tönen getünchten Bilderreigen ("The Abyss") mit einer hübsch gejaulten Ethno-Beschallung durch James Horner, der immer wieder den gleichen schönen simplen Soundtrack recyceln darf. Selten war seine Musik von einer so banalen, wenig tragfähigen und verkennbaren Qualität – für die Ohren zumindest hat "Avatar" nicht viel Neues zu bieten.

Was aber eigentlich hat dieser Film überhaupt (Neues) zu bieten, wo er doch irgendwie als so etwas wie die sinnästhetische Revolution des Kinos angekündigt und vermarktet wurde? Diese Frage mag Grund sein, warum man nach knapp drei Stunden aus dem Kinosaal torkelt und mehr über die 3D-Brillenabdrücke auf der Nase, als das eben Gesehene nachdenken möchte. Denn "Avatar" ist letztlich ein Film der Widersprüche: Die visuellen Effekte suchen ihresgleichen, die Motion-Capture-Animation war noch nie so überzeugend, die künstlichen digitalen Naturbilder noch nie so real. Das hat man so tatsächlich noch nie gesehen, und doch überrascht Cameron an keiner Stelle seines Films. Die Gut-Gegen-Böse-Geschichte ist mindestens so alt wie die Technik neu sein mag, die Dramaturgie so dünnflächig wie die visuellen Attraktionen im Überfluss. Das alles Innovative dieses Films letztlich dem Computer entstammt oder zumindest auf ihn zurückzuführen ist, während Handlung und Figuren archetypischer und langweiliger nicht sein könnten, macht "Avatar" bestenfalls zu einer CGI-Öko-Fabel im Ethno-Takt. Oder auch ganz schlicht zum bisher dürftigsten Film von James Cameron – so beeindruckend und so egal.

Dezember 16, 2009

News: ALICE IN WONDERLAND - Trailer #3


Der dritte Trailer. Sieht alles schon viel deutlicher, runder, besser aus. Hier in groß.

Dezember 15, 2009

News: GOLDEN GLOBES 2010 - Nominees


Das extrem dürftige Kinojahr spiegelt sich auch in den Nominierungen wieder. Teilweise völliger Quark. Aber die kuriose Foreign Press nimmt eh kaum jemand ernst - eigentlich weiß sogar niemand wirklich, wer die überhaupt ist. Am 17.01.10 werden die Globes verliehen.

Dezember 12, 2009

Kino: THE PRINCESS AND THE FROG

Nachdem die Disney-Animationsschmiede Ende der 90er Jahre in eine finanzielle und vor allem kreative Schaffenskrise rutschte, die viele billige Sequels zu hauseigenen Meisterwerken für den Videomarkt und nur noch einige wenige Kinofilme von durchwachsenem Erfolg mit sich brachte, sah man sich auch angesichts der immer populäreren Animation aus dem Computer gezwungen, den klassischen Zeichentrickfilm aufzugeben. Gegen die CG-Tricksereien von DreamWorks und Co. wollte sich Disney jedoch nie so wirklich durchsetzen, und so überrascht es nicht, dass sich das Studio nach dem Einkauf des Quasi-Konkurrenten Pixar nun wieder auf jenes Handwerk berufen wissen möchte, mit dem es jahrzehntelang Filmgeschichte schrieb. John Lasseters erster Amtshandlung, alle Direct-to-Video-Fortsetzungen einzustellen, folgte sogleich die zweite: Die Produktion eines neuen klassischen Zeichentrickfilms, eines Musicals.

In der Geschichte von "Küss den Frosch" verschlägt es die erste afroamerikanische Prinzessin des Disney-Universums in die Sümpfe Louisianas, wo sie gemeinsam mit Prinz Naveen alles unternimmt, um wieder ein Mensch zu werden – die hübsche Kellnerin, noch eine Prinzessin in spe, ist nach einem Kuss des verwandelten Traumprinzen genau wie er zum Frosch mutiert. Als quakendes Pärchen wider Willen lernen sie tapfere Wegbegleiter kennen, entkommen dem bösen Fluch des Voodoo-Magiers Dr. Facilier und landen nach einigen Hindernissen natürlich doch noch in ihren richtigen Armen. Die Handlung derlei Märchen ist so unbedingt vorhersehbar wie zweitrangig, denn natürlich wissen Ron Clemens und John Musker, ihrerseits etablierte Disney-Hasen, dass die altmodische Animation, quirlige Sidekicks und eingängige Musicalnummern die Trümpfe ihres Zeichentrickfilms bilden.

"Küss den Frosch" ideologisch durch die Mangel zu nehmen, erscheint bei einem Traditionsunternehmen überholter Wertvorstellungen wie Disney gewiss müßig. So gewinnt der Film weder durch seine erstmalige Besetzung einer schwarzen Prinzessin in der Hauptrolle, wie er durch den hinreichenden Gebrauch entsprechender Südstaatenklischees verlieren mag. Er ist schlicht als vergnügliche Einladung zu nostalgischen Erinnerungen zu verstehen: Ganz offensiv knüpft der Film an die Magic Moments der Disney-Geschichte an, mit einer wundervollen Jazz-Musik von Randy Newman. Die Animation überrascht dabei mehr als einmal, besonders in der herausragenden Dinner-Sequenz im Art-Deco-Stil. Nicht so fein und detailliert wie in den frühen Produktionen des Studios zwar, aber auch weitaus weniger klobig und grob als die Arbeiten der späten 80er und frühen 90er Jahre. Dass die Zeichner dabei nicht gänzlich auf die Unterstützung des Computers verzichten konnten, verrät indes jedoch auch einiges über die allzu betonte Rückbesinnung auf den klassischen Trickfilm.


70% - erschienen bei den: 5 FILMFREUNDEN

Dezember 10, 2009

Kino: ZOMBIELAND

"In einer Welt, in der die Toten ins Leben zurückkehren, hat das Wort Probleme nicht mehr die Bedeutung wie früher.", grummelt Dennis Hopper in George Romeros vierter Zombieepisode "Land of the Dead" – nach Farmer- und Kaufhaus und stickigem Militärbunker zogen die Untoten hier schließlich gleich durch ganz Amerika, um die Welt mit ihrem Hunger nach Menschenfleisch zu erobern. Romero, der geistige Urvater aller lebenden Toten, hat mit seinen Dead-Filmen nicht nur ästhetisch die Prinzipien des Genres festgelegt. Selbst in betont unernsten Slapstickverneigungen halten sich blutjunge Filmemacher über 40 Jahre nach der "Night of the Living Dead" noch an dessen Regeln.

So auch im neuesten Lebende-Tote-Abenteuer, in dem die Zombieseuche, analog zur Schweinegrippe durch BSE hervorgerufen, die Erde gänzlich erfasst hat: "United States of Zombieland" ist der von Chaos und Zerstörung dominierte Schauplatz der Apokalypse. Nur wenige Überlebende streifen durch das Land, auf sich gestellt oder in kleinen Gruppen führen sie einen Kampf ums Überleben. Und das bedeutet nicht nur die Beseitigung dutzender gieriger Zombies, sondern auch die Suche nach allmählich verfallenden Lebensmitteln. Logisch.

In "Zombieland" gelten demnach strenge Regeln. 33 an der Zahl hat der Computer-Nerd Columbus (Jesse Eisenberg) aufgestellt, um sich im Paradies der Untoten zurechtfinden zu können. Angefangen hat es beim World-of-Warcraft-Zocken, als ihn das hübsche Nachbarsmädchen ganz plötzlich auf den Leib rücken wollte – seit dieser ersten Erfahrung mit dem anderen Geschlecht kämpft sich Columbus durch ein von Zombiehorden überwandertes Heimatland, um seine hoffentlich noch nicht infizierten Eltern zu finden. Getreu Regel Nummer 17: Don’t be a hero.

Auf seiner, man beachte den Namen, Entdeckerreise trifft der junge Angsthase Columbus auf den mürrischen Cowboy Tallahassee (Woody Harrelson in einer sanftmütigen Parodie seiner "Natural Born Killers"-Rolle) und ein cleveres Schwesterpärchen, das die beiden Kerle ordentlich in Schach hält. Gemeinsam mit der attraktiven Wichita (Emma Stone) und der kleinen Little Rock (Abigail Breslin, die sich erfolgreich von ihrem nervigen "Little Miss Sunshine"-Image gelöst hat) machen sich die vier schließlich auf in einen Vergnügungspark – warum bei aller landesweiten Totengräberstimmung nicht ein wenig Achterbahnfahren?

"Zombieland" ist so etwas wie die US-amerikanische Antwort auf Edgar Wrights "Shaun of the Dead". Wie dieser versteht er es, die Regeln des Genres zu hinterfragen und nichtsdestotrotz einzuhalten, zwischen augenzwinkernder Hommage und eigenständigem Horrorspaß zu balancieren, und bei allen Referenzen und Bezügen nicht zum bloßen Zitat zu verkommen: Regisseur Ruben Fleischer versteht es vorbildlich, eigenständige und nicht völlig überzeichnete Figuren in ikonische Bilder einzubetten, die nicht bei jeder Gelegenheit banaler Ironie erliegen.

Bereits zu Beginn legt der Film ein enorm hohes Tempo vor, das er durch seine stimmige Mischung aus treffsicheren Gags, skurrilen Typen und überraschenderweise sogar ein wenig Tiefgang bis zuletzt hält. Die Titelsequenz ist für sich genommen schon das Eintrittsgeld wert, zu Metallicas "For whom the bell tolls" (woah!) wird der Zuschauer ins Zombieland geworfen, wo es nicht immer nur komisch, sondern durchaus auch eklig zugeht – Freunde von beinhartem Zombie-Splatter werden mit dieser eher sympathisch-harmlosen Komödie allerdings nicht unbedingt glücklich werden.

Diese dürften sich womöglich allein schon vom unerwartet melancholischen Tonfall des Films abgeschreckt fühlen. "Zombieland" erzählt über weite Strecken eher die Initiationsgeschichte eines schüchternen Losers, der sich mit Mädchen schwer tut und von Panikattacken geplagt wird. Der Coming-of-Age-Einschlag befördert die bluttriefenden Zombies dabei nicht selten auf die Ersatzbank, wenn sich Fleischer immer wieder die Zeit nimmt, seinen Figuren kleine charakterliche Momente einzuräumen.

Gerade die in diesem Genre sonst stark ausgeprägte Tendenz, alles zu stilisieren und mit einer ausgestellten Coolness zu unterstreichen, lässt "Zombieland" glücklicherweise vermissen – er schöpft sein Unterhaltungspotential vor allem aus den Stärken seiner liebenswürdigen Viererbande und charmanten, nicht zwanghaft pointierten Dialogen. Als das Gespann auf seinem Weg in den Vergnügungspark schließlich Zwischenhalt in einer Villa bei Los Angeles macht, wartet der Film zudem mit einem ebenso unerwarteten wie köstlichen Cameo auf, der hier des Spaßes wegen nicht verraten werden soll.


65% - erschienen bei: gamona

Dezember 07, 2009

Zuletzt gesehen: WATCHMEN

Thematisch und visuell ebenso stark überfrachtete wie zunehmend uninteressante Adaption der tiefsinnigen Superheldenreflexion Alan Moores, bei der Zack Snyder mitunter eindrucksvoll die Bilder der Vorlage verknüpft, ohne jedoch jemals eine gedankliche, erzählerische oder einheitliche Ordnung herzustellen. Sichtlich überfordert von der Komplexität des Comics weicht der Film den mitunter kritischen und offensiven Referenzen an die Comicgeschichte aus und verfällt in protzige Popkulturverweise, die stets falsche Verbindungen knüpfen: Die Haltung der Vorlage zum Superhelden als fragwürdiges Popphänomen gerinnt bei Snyder durch schmucke Ohrwürmer und infantile Filmzitate zum Gegenteil – seine Watchmen sollen als konventionelle Identifikationsfiguren taugen. Dem fügen sich ansehnliche, den Mainstream-Gewohnheiten zuspielende Action- und Härteeinlagen, die den philosophischen Fragen des Comics nur noch einen banalen Verhandlungsraum lassen, den Snyder in Dialogen zu finden glaubt, die so redundant wie ungelenk wirken. Ein an der filmischen und konventionellen Form gescheitertes Projekt, dem es gehörig an intellektuellem Willen fehlt.


40%

Dezember 02, 2009

Kino: SAW VI

Es ist das derzeit einzige wirkliche Horror-Franchise: Auf einen neuen "Saw"-Film ist jedes Jahr Verlass, und gewiss, die beständigen Folter-Sequels um den Jigsaw-Killer stehen damit in einer nostalgischen Genretradition, die von Slasher-Vorgängern wie der einst endlos erscheinenden "Freitag, der 13."-Reihe ambitioniert begründet wurden. Die schwankende Qualität der jeweiligen Episoden liegt dabei in der Natur der Sache – nach einem gar nicht so uncleveren fünften ist der sechste "Saw" -Teil nun wieder Business as usual: Vertrackt erzähltes, sich selbst wiederholendes, ausgestelltes Metzel- kino.

Interessant an den schnell heruntergekurbelten und unverschämt erfolgreichen Filmen der Serie ist der Umstand, dass sie sich ihres meuchelnden Helden bereits im dritten Teil entledigt hatte. Das Markenzeichen der "Saw"-Fortsetzungen also, der greise Jigsaw-Mörder, spielt faktisch nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Autoren hat das im vierten der stets schlicht ohne Zusatz nummerierten Filme zu einem neuen Konzept angeregt, nach dem der Killer seine Aufträge quasi aus dem Jenseits weit über seinen Tod hinaus erteilt.

So stellte uns "Saw IV" einen Jigsaw-Nachfolger vor, der mit Ton- und Videobändern des längst verstorbenen Serienmörders operiert und dessen Gräueltaten nun munter fortsetzt – eine logistische Meisterleistung! Tobin Bell, der Star der "Saw"-Filme, tauchte seither jedoch immer wieder in Rückblenden (und hier auch Visionen) auf, die schließlich bis zum ersten Film der Serie reichten und alles noch einmal in einem anderen Licht erscheinen ließen.

"Saw V" stellte dann innerhalb der Vorgänger gänzlich neue Bezüge her und schaffte in eindrucksvoll verwobenen Parallelplots weitere konfuse Zusammenhänge, die sich angesichts zahlreicher neuer Figuren und Gesichter wohl nur Hardcore-Fans der Serie gänzlich erschlossen haben dürften. Mit der Logik durfte man es dabei nie so genau nehmen, immerhin erscheinen die sorgfältig durchgeplanten Rätsel und Fallen des vor seinem Tod schwer krebskranken Jigsaws geradezu absurd.

Regisseur Kevin Greutert, bisher als Cutter in der "Saw"-Familie tätig, knüpft nun erwartungsgemäß genau dort an, wo der fünfte Film endete: Detective Hoffman setzt die Arbeit des Jigsaw-Killers im Geheimen weiter fort, während ihm seine Kollegen allmählich auf die Spur kommen. Ein weiterer Erzählstrang widmet sich abermals diversen Flashbacks, die die Vergangenheit seines toten Auftraggebers beleuchten, auch wenn es da nunmehr nicht allzu viel zu beleuchten gibt – die Geschichte des Jigsaws ist längst zu Ende erzählt, erstmals wirkt er hier vollkommen deplatziert und handlungsirrelevant.

Da natürlich auch saftige Foltereinlagen nicht fehlen dürfen, verschreibt sich der dritte Plotteil des Films einem egoistischen Direktor einer Krankenversicherung, der sich mühsam durch (allmählich wenig originelle) Fallen und Todesapparate kämpfen muss, die ihm diverse Entscheidungen über Leben und Tod abverlangen. Und weil auch die "Saw"-Serie die Wirtschaftskrise offenbar nicht unkommentiert lassen möchte, dürfen in der obligatorischen Exposition dieses Mal zwei Kredithaie um ihr Leben kämpfen: Wer sich das meiste Fleisch selbst abschneidet und in eine Waagschale wirft, erhält des Mörders Gnade. Prost.

Glücklicherweise ging mit dem Ableben des Jigsaw-Killers im dritten Film der Reihe auch der fragwürdige moralische Tonfall zurück: Die permanenten Ethik-Weisheiten über Leben und Tod oder Schuld und Unschuld verhüllten nicht nur scheinheilig die exploitative Absicht der auf sadistisch-fröhliche Splatter-Unterhaltung abzielenden Serie, sondern sorgten insbesondere in "Saw III" für einen unangenehm menschenverachtenden Beigeschmack. Genau genommen also haben die Filme durch den Verlust ihres Helden nur gewonnen.

"Saw VI" schließlich hat den Jigsaw-Nachfolger erfolgreich etabliert, der charismatische Hoffman ist kein Mann vieler Worte und tatsächlich auch bedrohlicher und undurchsichtiger als sein Vorgänger. Doch wie man schon in der letzten Fortsetzung vermuten durfte, ist auch er vielleicht nur ein Teil des großen ausgetüftelten Jigsaw-Plans. Und was dieser seiner Frau in der fünften "Saw"-Schlachtpalette in einer Box vermachte, wird jetzt ebenso enthüllt wie diverse Geheimnisse der eigentlich ebenfalls längst abgetretenen Amanda – sozusagen der weiblichen Konstante in der Serie.

Ansonsten bleibt alles beim Alten: Große Veränderungen sind bekanntlich Franchise-Killer, und die Variation des ewig Gleichen ist ein Grundprinzip postmoderner Horrorserien. Insofern wechseln sich auch in "Saw VI" bluttriefende Goreeinlagen, die in der deutschen Kinofassung zumindest noch unberührt blieben, wirr konstruierte Rückblenden und sinnfrei erklärte Handlungsmotive beliebig ab. Das ist trotz des Erfolges noch immer erstaunlich minderwertig produziert und inszeniert, aber nach wie vor leidlich unterhaltsam.


45% - erschienen bei: gamona

November 26, 2009

Kino: THE TWILIGHT SAGA - NEW MOON

Die pubertären Tage der wunderhübschen Bella sind gezählt: Sie ist 18 Jahre alt und damit eigentlich erwachsen geworden. Trotzdem muss sie sich nach wie vor mit schwersten Teenienöten herumschlagen, die so leidvoll wie scheinbar unüberwindbar und bestimmt so notwendig wie natürlich ihr quälendes Mittelklasseleben bestimmen: Da sitzt die Hübsche monatelang an ihrem Fenster, während die Jahreszeiten vorüberziehen und die Popsongs in der Endlosschleife fest hängen. Und alles nur, weil der ewig 17jährige Edward das kleine Städtchen Forks verlassen hat, um keine Gefahr mehr für seine geliebte Sterbliche und die durstige Familie darzustellen. Der anmutige Blutsauger hat damit indes das Feld für eine ganz andere übernatürliche Genrespezies geräumt – Bella wird nun vom Indianer Jacob umgarnt, der sich jetzt außerdem regelmäßig in einen pelzigen Werwolf verwandelt und daher anders als im Vorgänger jede Szene halbnackt bestreitet. Geil!

Das Gefühlswirrwarr ist der rote Faden in "New Moon", ganz so wie in "Twilight". Es ist eine Schmonzette für junge Mädchen und alle, die es gern sein wollen. Es ist ein Film, der emotional funktionieren und der viel über unerfüllte Liebe, Sehnsucht, Hingabe, unstillbares Verlangen, Herzschmerz und besonders das erste Mal erzählen möchte. Letzteres spielt natürlich keine Rolle, im ersten Teil nach Stephenie Meyers unverschämt erfolgreicher Buchserie musste ein harmloser Kuss ohne Zunge als Höhepunkt genügen. Und auch hier ist an Sex eigentlich gar nicht zu denken, würden Bellas lustvolle Blicke und ihr sehnlichster Wunsch nach einem kräftigen Vampirbiss nicht ein simples Chiffre für diesen doch nur allzu ordinären Gedanken bilden: Warum also kann der schmierige Edward nicht einfach mal seine Beißerchen rausholen und es der Bella gepflegt besorgen, damit der ja doch irgendwie grundlos wehleidige Tonfall auch dieses zweiten "Twilight"-Filmes hinfällig wird? Vermutlich, weil "New Moon" wie sein Vorgänger als romantisches Kintopp für die Generation Enthaltsamkeit fungieren und deshalb auf jedwede Form von körperlicher Nähe verzichten muss.

Der leicht reaktionäre Einschlag von "Twilight" hat sich allerdings nicht allzu bemerkenswert in die Fortsetzung geschummelt, die endlosen Dialoge über schmerzhafte Nähe und unmögliche Berührungen sind mehr oder weniger verschwunden: Das Loblied aufs große Warten trällert Regisseur Chris Weitz zurückhaltender als Catherine Hardwicke, Regisseurin des ersten Films. Dennoch bleiben Zielgruppenabweichlern die ganzen Probleme dieser Geschichte merklich fremd – man will einfach nicht so recht verstehen, wo in all dem Emo-Quark aus Wortschwall und Gefühlschaos eigentlich der Grund für die zweistündige Unzufriedenheit liegt, die ausnahmslos alle Figuren befallen hat. So mag sich "New Moon" sorgfältig in die Erlebniswelt seiner jugendlichen Heldin einfühlen und mit Kristen Stewart auch eine enorm begabte und vielseitige Hauptdarstellerin gewonnen haben, erscheint nichtsdestotrotz als ebenso inhalts- wie ideenloses Replikat einstiger Jugendfilme, dem er ungleich weniger feinfühlig Genreelemente beimengt, die frei von Tiefsinnigkeit offensichtlichste Werwolfs- und Vampirmythen bemühen.

Und bestimmt, es ist ein Leichtes, dieses kurios erfolgreiche Phänomen (die Einspielergebnisse sprechen für sich) mit Sarkasmus und böswilliger Ironie nicht ernst zu nehmen. Doch die beiden "Twilight"-Filme, so banal sie vermitteln, so ideologisch sie gestrickt sein mögen, so überraschend schlecht sie inszeniert, getrickst und bebildert sind, treffen ganz offensichtlich einen Publikumsnerv. Es ist nicht die schlechteste Unterhaltung des Kinojahres, und gewiss ist es auch kein so dummdreister Film wie, sagen wir, zum Beispiel einer über kämpfende Riesenroboter aus dem Weltall. Trinken wir das Glas also doch einmal halbvoll und freuen uns über die Wertschätzung von Literatur, überforderte Jungdarsteller, ständig nackte Oberkörper. Und – immerhin – bei aller Verdammung des männlichen Körpers zum absoluten Sexobjekt über die Re-Emanzipation der jungen Frau im Kino. Bis zum dritten Blutsauger-Werwolfs-Gemisch, bis zum Sommer 2010 dann.


50% - erschienen bei den: 5 FILMFREUNDEN

November 05, 2009

Kino: A CHRISTMAS CAROL

Unzählige Male wurde sie in Film und Fernsehen durch die Mangel gedreht, die Weihnachtsgeschichte um den mürrischen Misanthropen Ebenezer Scrooge, der am heiligen Abend Besuch von drei Geistern erhält und schließlich zu einem geläuterten Gutmenschen reift. Nur wenige der vielen Adaptionen und Variationen des Stoffes hielten sich jedoch so treu an die Vorlage wie die allerneuste Version des festlichen Belehrungsstückes aus dem Hause Disney.

"Eine Weihnachtsgeschichte" beruft sich also wieder auf die klassische Erzählung – sie wurde nicht wie so oft zu einem Musical oder einer Komödie variiert. Im Zentrum steht, natürlich, der grantige Geizhals Scrooge, der vom Geist der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Weihnacht heimgesucht wird. Die wohl gesonnenen Gespenster reisen mit ihm zu Stationen seiner Kindheit und Jugend und eröffnen ihm schließlich den Blick auf sich und sein Umfeld, ehe sich Scrooge vom Menschenfeind zum gutherzigen Großväterchen besinnt.

Der durch die "Zurück in die Zukunft"-Trilogie mit Zeitreisen vertraute Regisseur Robert Zemeckis verarbeitet die Charles-Dickens-Geschichte zu einem weihnachtlichen Motion-Capture-Blockbuster, in dem er wie bereits bei seinem "Polarexpress" und "Beowulf" die Bewegungen der Darsteller in computergenerierte Animationen überträgt. Dieses Abbild der Realität soll paradoxerweise wiederum realistisch wirken, was erneut zu der Frage führt, warum Zemeckis so sehr auf diesen Umweg schwört, statt die Geschichte nicht gleich herkömmlich zu inszenieren und das Geld in entsprechende Spezialeffekte zu investieren.

Denn das Ergebnis der digitalen Bilder ist genauso ernüchternd wie in den beiden formalen Vorläufern: Die Bewegungen sind staksig und ungelenk, die Augen der Figuren wirken unnatürlich und befremdlich, und die Gesichter erinnern in ihrer Plastizität an Wachsfiguren. Statt zu stilisieren, zu verfremden und damit auf das eigentliche Animationshandwerk – die Erschaffung von Bilderwelten aus dem Nichts – zurückzugreifen, imitiert die Technik eine Realität, die sie doch nie erreichen kann.

Schade also, dass auch "Disneys Eine Weihnachtsgeschichte" in der Motion-Capture-Sackgasse landet, denn Zemeckis bringt den Stoff ansonsten überraschend sorgfältig und sogar dialoggetreu auf die große Leinwand. Erstaunlich dabei vor allem, dass er sich viel Zeit lässt für die über- und in ihrer moralischen Schlichtheit auch durchschaubare Geschichte, dass er die Geisterbesuche nur wenig effekthascherisch in Szene setzt und sich stattdessen mehr auf die vielseitige Leistung seines Hauptdarstellers konzentriert.

Nachdem schon so unterschiedliche Schauspieler wie Michael Caine, Patrick Stewart oder Bill Murray in die Rolle des miesepetrigen Scrooge geschlüpft sind, übernimmt nun Blödelgesicht Jim Carrey den Part – und den der drei Weihnachtsgeister gleich noch mit. Carrey erweist sich als Idealbesetzung: Dass sein Scrooge eine enorme Präsenz hat, ist dabei mehr seinem mimischen und gestischen Können, denn der eigentlich schauspielfeindlichen Motion-Capture-Technik zuzuschreiben. Carrey schafft es zumeist gegen die bizarr-befremdliche Animation anzuspielen.

Die digitalen Gesichtsakrobatiken des Komikers bleiben dann auch der einzige Schauwert des Films, der die Geschichte eher spröde visualisiert. Zemeckis hält sich mit allzu überdrehten Actioneinlagen zwar zurück, was durch den verhaltenen Einsatz schneller Bewegungen vor allem dem 3D-Erlebnis zugute kommt (für das der Film konzipiert wurde), setzt aber auch keine optischen Schwerpunkte. Lediglich die Titelsequenz spielt auf eindrückliche Art mit räumlichen Verhältnissen.

Freunde der Dickensschen Originalgeschichte dürften hingegen nicht nur von der inhaltlichen und sprachlichen Vorlagentreue begeistert sein, sondern auch mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass Zemeckis sich für das Design des Films an den ursprünglichen Kupferstichen orientiert hat. Die drei Weihnachtsgeister schließlich wurden selten so exakt nach den Beschreibungen der Erzählung in Szene gesetzt. Umso enttäuschender, dass auch sie dank der sperrig-unschönen Motion-Capture-Bilder nie wirklich zum Leben erweckt werden – sondern so lieb- und seelenlos bleiben müssen wie alle Figuren.


40% - erschienen bei: gamona

November 01, 2009

Zuletzt gesehen: BLADE TRILOGY

Blade

Noch vor dem jüngsten Adaptionsboom populärer Comichelden packte Stephen Norrington den mittlerweile chronisch unterbeschäftigten Wesley Snapes in Lack und Leder, um ihn als Daywalker Blade gegen hungrige Großstadtvampire ins Feld ziehen zu lassen. Diese versteht der Film als nimmermüdes Partyvolk, das sich im Drogen- und Sexrausch seinen ständigen Lustfantasien hingibt. "Blade" ist physisches Actionkino, das vor allem daran interessiert ist, den männlichen Körper als alle (erotischen) Bedrohungen bewältigendes Machtinstrument zu inszenieren. Tiefschür- fendes über das Leben als Vampir oder die in Ansätzen verhandelte rassistische Kultur der Blutsauger vernachlässigt der überlange Film großzügig zugunsten schlecht gealterter CG-Einlagen und einer weitestgehend unterhaltsamen, wenn auch bemerkenswert dümmlichen Handlung.

50%



Blade II

Erst die Fortsetzung schöpft das zugegeben überschaubare Potential des Comichelden aus: In Guillermo del Toros "Blade"-Interpretation liegt der Schwerpunkt weniger bei den männlichen Fähigkeiten seiner Titelfigur, als auf einer komplexen Beziehungsstruktur seiner Gegner. Wie auch später in "Hellboy II" inszeniert del Toro die Bösewichte als durch familiäre Dysfunktionen gebrandmarkte, ambivalente Krea- turen, die er mit seiner leidenschaftlichen Vorliebe für phantastische Bildentwürfe ideen- und liebevoll in Szene setzt. Die Entscheidung, Blade eine Reihe von Kriegern zur Seite zu stellen, die eigentlich im Lager seiner ärgsten Feinde zu verorten sind, bietet dem Film dramaturgisch zudem ausreichend Entfaltungsraum und macht das Sequel zum spannenden Höhepunkt der Trilogie – trotz diverser Zugeständnisse an die Vorgaben des Vorgängers, darunter ausgedehnte Martial-Art-Kämpfe mit hippen Electrobeats zu unterlegen.
70%


Blade: Trinity

Für den dritten und mit relativer Sicherheit auch letzten Film der Serie nahm der Drehbuchautor der Vorgänger, David S. Goyer, das Zepter selbst in die Hand. Leider verschenkt der Film seinen Antagonisten, immerhin Dracula himself, grandios blöd und verlässt sich gänzlich auf die kaum vorhandene Coolness der sexy Blutsauger, die er mit einer abgestandenen, Filter durchtränkten Videoclipästhetik ins Bild setzt. Das berechenbare Casting von Ryan Renolds und Jessica Biel als Blickfang fürs Zielpublikum generiert dabei ebenso wenig Mehrwert für die dünnschichtige Handlung wie der Verzicht auf ideenreiche Actionchoreographien. "Blade: Trinity" ist dabei endgültig solide stupide Unterhaltung, die in ihrem grenzenlosen Sexismus die üblichen Strategien des Genres bemüht.

40%



Oktober 21, 2009

Kino: ORPHAN

Wenn sich Kinder im Horrorfilm plötzlich aus ihrer Unschuld lösen und zu unberechenbaren mörderischen Individuen verselbständigen, zählt das noch immer zu den unheimlichsten Tabus eines Genres, das eigentlich keine Tabus zu kennen vorgibt. Seit jeher war die Wendung der Engelsgesichter gegen ihre elterlichen Beschützer eine schöne Entfremdungs- metapher für gewaltsames Erwachsenwerden und den Bruch familiärer Konventionen.

Die sichere und schützende Selbstverständlichkeit unschuldiger Kinder wurde deshalb insbesondere im Kontext des sonst instabile Verhältnisse produzierenden Horrorgenres mehr bemüht als gebrochen – Kinder wurden zumeist als Instanz der Hoffnung, nicht Quelle des Bösen begriffen. Umso nachhaltiger wirkten die berüchtigtsten unter ihnen, die das Klischee braver Kinder gegen sich selbst wendeten: "Böse Saat" (1955), "Das Dorf der Verdammten" (1960) oder "Das Schloss des Schreckens" (1961) demonstrierten eindrücklich den Verlust heimeliger Sicherheit und erklärten Kinder zu Vorboten des Schreckens oder seinen unheimlichen Vermittlern.

Interessant dabei ist, dass sie in dieser Umkehrung, und sei sie noch so radikal, selten bis gar nicht auch zum Auslöser jenes Schreckens erklärt wurden – George Romero legitimierte die Mordlust der kleinen Monster in "Die Nacht der lebenden Toten" (1968) und "Dawn of the Dead" (1978) durch den Befall eines Zombievirus, und in den modernen Klassikern des Subgenres, "Der Exorzist" (1973) oder "Das Omen" (1976), fungieren Kinder mehr als Veräußerlichung eines Horrors, der teuflischen Ursprungs ist: Der Satan höchstpersönlich hat sich lediglich ihrer Körper bemächtigt.

"Orphan – Das Waisenkind" folgt dieser Tradition, wenn auch mit anderen Vorzeichen, hinter verdeckter Hand oder mithilfe eines überraschenden Schlusstwists. Es ist jedoch zunächst ein Film, der seine Verwandtschaft zum Phantastischen negiert und stattdessen eher die Nähe zum Psychothriller sucht. Dramaturgisch orientiert sich Jaume Collet-Serras zweiter Genrefilm nach seinem jüngsten "House of Wax"-Remake nämlich stark an den herkömmlichen Strukturen des Familienthrillers der späten 80er und frühen 90er Jahre, an Filmen wie "Eine verhängnisvolle Affäre" oder "Die Hand an der Wiege".

Auf entsprechend leisen Sohlen schleicht sich demnach das Grauen in die Familie der zweifachen Mutter Kate Coleman (Vera Farmiga). Nachdem sie eine Fehlgeburt während der Schwangerschaft mit ihrem dritten Kind erlitten hat, entscheiden sie und ihr Mann John (Peter Sarsgaard) sich zur Adoption der kleinen Esther (Isabelle Fuhrman), eines schüchternen, intelligenten Mädchens aus Russland. Das neue Familienglück währt jedoch nur kurz: Seltsame Vorfälle ereignen sich im Umfeld des Kindes, während Kates allmähliche Zweifel in ihrer Familie kein Gehör finden. Stück für Stück spielt der Film die blutigen Rachegelüste Esthers gegen die vermeintliche Paranoia ihrer Stiefmutter aus – bis zum schockierenden Ende.

Genüsslich tritt "Orphan" die Klischees des Genres breit, verteilt eindeutige Identifikationsangebote und manipuliert seine Handlung für durchsichtige Spannungsmomente: Hysterische Mutter vs. ungläubigem Ehemann, ein braves Adoptivkind, das selbst noch den offensichtlichsten Mord makellos zu vertuschen versteht und eine dramaturgische Schraube, die sich erst dann löst, wenn das Grauen nicht mehr aufzuhalten ist. Es sind die unverzichtbaren Zutaten aus der Mottenkiste: Doch lange hat sie kein Film mehr so clever bemüht, lange nicht mehr so effektiv für sich zu nutzen gewusst. Die Erzähllethargie und der Einsatz altmodischer Regieeinfälle wirken nun geradezu erfrischend in Zeiten ständiger Neuauflagen oder Remakes vom Fließband.

Nicht zuletzt, weil "Orphan" durch den Rückzug ins Private seinen Horror an einem Ort ansetzt, den viele Genrefilme schon längst wieder verlassen haben, den heimischen Bereich also, generiert er geerdeten, nachvollziehbaren Grusel – umso beklemmender die behutsame, stetig steigende Spannung, und umso schockierender die Kompromisslosigkeit seiner Attacken gegen die familiäre Keimzelle, die er drastisch und originell zu visualisieren versteht.

Dass er sich damit auch wieder auf die ideologischen Grundfeste des Genres stützt und die Familie als jeden Schrecken bewältigende Kraft ausweist, ist da nur selbstverständlich: Es ist ein im Kern reaktionäres Genre, das entsprechend gefüttert werden will. "Orphan" ist immerhin sehr ambitioniert darin, die Schwachstellen einer solchen Familie – eine furchtbare Fehlgeburt, die Alkoholsucht der Frau, das Fremdgehen des liebevollen Ehemannes – besonders auszuschmücken, damit es intrigante kleine Biester wie Esther auch umso einfacher haben, in sie einzudringen: Ja, ein wunderbarer Film.


70% - erschienen bei: gamona

Oktober 19, 2009

News: Upcoming Reviews

Demnächst Filmbesprechungen zu: "Orphan - Das Waisenkind" (Jaume Collet-Serra), "Whatever Works" (Woody Allen) und "Soul Kitchen" (Fatih Akin).

Oktober 18, 2009

News: SCHMELING - Teaser


Der Teaser zu King Uwe Bolls Max-Schmeling-Film mit Henry Maske. Worte sind überflüssig...

Oktober 11, 2009

Zuletzt gesehen: X-MEN ORIGINS - WOLVERINE

Nachdem Brett Ratner bereits den dritten "X-Men"-Film erfolgreich in den Sand setzte, stellt sich nun Gavin Hood beim Ausbau des Comic-Universums um die Prequel-Storys der Mutanten ambitioniert an, es ihm nachzumachen: Der im Titel verlautete Ursprung des Helden wird mit kurzen Animationen schon im Vorspann abgehandelt, um den Rest des Films mit permanenten Actioneinlagen auszuschmücken, die ihre Grundlage in einem rätselhaften Disput zwischen Wolverine und seinem Bruder Victor haben. Bemerkenswert, dass man am Ende dieser Franchise-Auskoppelung noch weniger über Wolverine zu wissen meint als vorher, dass der die Geschichte bildende Bruderkampf bis ins Detail unklar und unlogisch erscheint, und dass die Nebenfiguren allesamt noch ärgerlicher aus der Handlung kippen als im Vorgänger. Ein selten blöder Platzhalter übertriebener CGI, der in etwa so viel Seele besitzt wie eine glatt gespannte Green-Screen-Wand – nicht auszudenken, was Bryan Singer wohl daraus gemacht hätte.


25%

Oktober 07, 2009

Zuletzt gesehen: THREESOME

Eine weitere flott inszenierte Tragikomödie über die so genannte Generation X, in der drei Studenten ihre sexuellen (Zu)Neigungen in einem College erforschen. Das Gefühls- wirrwarr produziert dabei verschiedene Konstellationen, bis Lara Flynn Boyle, Stephen Baldwin und Josh Charles es schließlich zu dritt treiben. Da ist der Film dann auch schon wieder vorbei und hat in 90 fürchterlich belanglosen Minuten eine Handvoll dümmlicher Witze und ein, zwei oberflächliche Fragen nach Identität und sexueller Zugehörigkeit in den Raum geworfen – jeden Anflug von Ernsthaftigkeit kommentiert Regisseur Andrew Fleming indes mit albernem Zynismus, während er in Schlüsselmomenten nicht den Mut zu einer gelösten Darstellung aufzubringen bereit ist. Ein schrecklich pubertärer Teenfilm, der sich offenbar sehr erwachsen vorkommt.


30%

Oktober 05, 2009

Zuletzt gesehen: THE PIANO

"The voice you hear is not my speaking voice, but my mind's voice." – Es sind die ersten und bis kurz vor Schluss auch letzten Worte, die wir die Protagonistin in "The Piano" sprechen hören. Denken hören. Verstehen lernen. Jane Campion findet für ihren Film einen anderen Ausdruck, eine andere Sprache: Über die Klänge eines Pianos, Berührungen, Blicke, über eine bis ins Detail feine Bildsprache vermittelt sie Emotionen in diesem stillen Melodram, das in seiner einzigartigen Bild- und Klangkonzeption die simple Handlung weit übersteigt. Ein gefühlvoller, bewegender und intensiver Film, der seine Themen mindestens so feinfühlig wie akkurat verhandelt und dabei auch von den großartigen Leistungen seiner Schauspieler, allen voran Harvey Keitel, lebt.

80%

Zuletzt gesehen: PULP FICTION

Quentin Tarantinos zweite Regiearbeit nach "Reservoir Dogs", die mit ihrer Vorliebe für Gangster- und Heist-Motive sowie einer zeitlich zerstückelten Handlung erneut sichtlich von Kubricks "The Killing" beeinflusst scheint. Wesentlich präziser als im Vorgänger konzentriert sich Tarantino jedoch auf bizarre Figurentypen und absurde Nonsensdialoge, die in ihrer profanen Detailliertheit ebenso faszinieren wie amüsieren. In seinem bereits im Titel aufrichtig verdeutlichten Selbst- verständnis ist "Pulp Fiction" nicht zuletzt wegen seiner ausgestellten Banalität und Bedeutungslosigkeit ein Schlüsselwerk postmodernen Filmemachens, wenn nicht sogar der qualitative Höhepunkt eines Kino der Verweise, die sich permanent gegenseitig auf die Schulter klopfen. Tarantino selbst hat in keinem anderen Film originelle Musikauswahl, gegen den Strich besetzte Schauspieler und irrwitzige Situationskomik so harmonisch und geradezu erfrischend vereinen können – entgegen der Logik eines kenntnisreichen, medial determinierten und von Popkulturcodes durchsetzten Systems, das ständig auf seine Cleverness hinweisen muss.

80%

Oktober 02, 2009

News: THE CRAZIES - Trailer


Trailer zum Remake von George Romeros Virus-Parabel. Mit einem Wort: ätzend.

September 30, 2009

Zuletzt gesehen: FINDING NEVERLAND

Ein hübsche kleinteilige Rekonstruktion der Entstehungs- geschichte Peter Pans, die mehr mutmaßt als hinterfragt und Johnny Depp als zurückhaltenden, sensiblen, schnulzigen Autoren zum Helden eines magischen und unkonventionellen Liebesmärchens erklärt. Inszenatorisch die dichteste, rundeste und schlüssigste Regiearbeit Marc Forsters, formuliert der Film sein Verständnis von der Macht der Fantasie als in den Alltag und die allgemeine Vorstellungskraft eingreifendes Gut jedoch derart naiv, offensichtlich und mitunter platt gefühlsduselig, dass er nie standhalten kann beispielsweise mit den originellen und Erzählstrategien reflektierenden Imaginationsentwürfen Tim Burtons im vergleichbaren "Big Fish".


50%

September 28, 2009

News: A NIGHTMARE ON ELM STREET - Trailer


Prequel, Sequel, Remake - da finden sich nachgestellte Momente aus diversen Fortsetzungen und ganz viel 1:1-Material aus Cravens großem, großem Original. Schlimm mit ansehen zu müssen, wie ein weiterer Lieblingsfilm verschnitten, überstylt und herzlos imitiert wird. Mir graut schlimmes, und ohne Englund habe ich auch gar keine Lust auf Michael Bays Platinum-Dunes-Dünnschiss. Übel.

September 18, 2009

Kino: THE TIME TRAVELER'S WIFE

Manche Filme entziehen sich ihrer Erzähllogik sehr klug, indem sie etwas per se Unlogisches als so selbstverständlich voraus- und ins Bild setzen, dass man sich nur zu gern von den heilsam eskapistischen Fäden einer großen Geschichte einspinnen lässt – für den Genrefilm ist das schließlich auch ein apodiktisches Prinzip. Die Rezeption findet dann bestmöglich irgendwo auf einer irrationalen Gefühlsebene statt, allerhöchstens stolpert man aufmerksam über die Unlogik innerhalb der eigenen Unlogik und stellt doch das große Behauptungskonstrukt nicht in Frage. "The Time Traveler’s Wife" bricht diese Erwartungshaltung noch stärker herunter, er möchte schlicht ein Film sein, den man spüren und ertasten muss. Es ist eine wattebauschig-gediegene Kitschanhäufung voller definierter Emotionen und zielgruppenorientierter Appelle: Ein Film für Frauen, die Monogamie und ewige Liebe nicht für eine Erfindung der Kirche halten.

Henry DeTamble steht im Mittelpunkt einer Handlung, die ebenso unvermittelt wie unmotiviert ihren Anfang nimmt: Er ist das Opfer eines genetischen Defekts (in jeder Hinsicht allzu adäquat: Eric Bana), der ihn willkürlich und unkontrolliert durch die Zeit reisen lässt. Meist führt ihn der plötzliche Raumentzug in die Vergangenheit, an Orte, die wahrscheinlich von seinem Unterbewusststein gesteuert werden. Diese unkonventionelle Eigenschaft könnte ein großer Spaß sein, würde Henry sein Schicksal nicht als quälende Stigmatisation begreifen, die die Beziehung zu seiner stets im Hier und Jetzt zurückgelassenen Frau Clare (Rachel McAdams) auf eine repetitive Probe stellt. Immerhin ist Henry seiner treudoofen Liebsten auf Zeitreisen nicht untreu, im Gegenteil – er landet sogar einmal im Gebüsch neben einer Wiese, auf der Clare gerade ein Picknick veranstaltet. Da ist sie zwar noch ein kleines Kind und er dank Zeitkontinuumsregel splitterfaser- nackt, aber der Grundstein für ihre immerwährende Liebe ist mit diesem Pädo-Sinnbild zweifelsfrei gelegt.

Und so durchzieht diesen Film ein ständiger Hauch von Wehmut, Sehnsucht, unerfüllter Liebe. Das ist formal in einer beachtlich lethargischen Schönbilder-Ästhetik gehalten, die faltenfrei und farbenbunt chronologisch Jahre und Zeiten durchläuft bis zum unaufhaltbaren dramaturgischen Brücken- schlag. Wie ein Geist stolpern Eric Bana und seine von Drehbuch und Regie zur totalen Konturenlosigkeit verdammte Figur durch diesen penetrant schwermütigen Taschentuch- heuler, der seinem Titel noch nicht einmal gerecht wird: Die in die völlige Passivität verdrängte "Frau des Zeitreisenden" bleibt eine Schattengestalt, deren Probleme vom hilflosen Zurückbleiben und ständigen Alleinsein der Film keine einzige Minute thematisiert. Stets folgt er vielmehr Henrys irrelevanten, uninteressanten, einschläfernden und letztlich keinerlei schlüssigen Logik folgenden Quickies in der Zeit, ohne bedeutende Teile der Handlung seiner Frau zu widmen. Man möchte nicht glauben, dass Oscargewinner Joel Rubin mit diesem Wohlfühlpamphlet nach Audrey Niffenegger sein eigenes großartiges "Ghost"-Drehbuch plündert.

Das alles erinnert nicht selten an den seltsamen Fall des "Benjamin Button", und witzigerweise hat Brad Pitt diese Adaption des Bestsellerschmachtfetzens auch noch produziert. Hier wie dort wird über Vergänglichkeit und eine alle Zeiten und Hindernisse überdauernde Romanze sinniert, hier wie dort geschieht das ebenso schleppend wie fremdartig. Der Exil-Schwabe Robert Schwentke verliert sich dabei in seinem zweiten Hollywoodfilm nach "Flightplan" in präzis gelackten Bildern, die keinen Raum für Emotionen und wirkliche Konflikte lassen. Das hätte ein spannender Film über die Unmöglichkeit von Liebe oder auch eine schöne Vanitas-Metapher werden können, stattdessen lässt uns "The Time Traveler’s Wife" zwei gepflegt langweilige Stunden in die gequält leidigen Gesichter seiner Hauptdarsteller blicken: Unendliche Leere.


20% - erschienen bei den: 5 Filmfreunden

September 11, 2009

Kino: DISTRICT 9

Ein bemerkenswert frisch erscheinender Science-Fiction-Film im schicken Politkorsett, dessen sozialkritische Töne sich zunehmend einer sehr konventionellen Actiondramaturgie angleichen. Atmosphärisch offensichtlich stark von Paul Verhoevens "RoboCop" inspiriert, ist der verhältnismäßig günstig produzierte Dritte-Welt-Alien-Film vor allem großzügiges Zitatkino, das seine Vorbilder mal mehr, mal weniger klug und subtil für einen eigenständigen Ansatz – eine Invasion durch Außerirdische als Apartheidmetapher – bemüht.

Leider vernachlässigt Neill Blomkamp die semi-dokumen- tarische Inszenierung ab der Hälfte und bricht das formale Konzept unmotiviert auf, um sich in herkömmlichen ästhetischen Bahnen zu bewegen. Irritierend dabei vor allem, dass der Film auch dann noch an seinem Wackel- kamerakonzept festhält, als der Reportagestil sich längst nicht mehr mit der eigentlichen Handlung deckt – die anfängliche Form eines hautnahen Fernsehberichts wird für eine schließlich recht vorhersehbare Geschichte aufgegeben. "District 9" empfand ich deshalb als überaus ambitionierten, aber schlicht zu indifferenten Versuch eines zeitgemäßen Science-Fiction-Films, der sich seines originären Ansatzes zum Trotz letztlich nur in konventionelle Genremuster und nervigen Ethno-Kitsch flüchtet.


50% - ergänzend für: DIE 5 FILMFREUNDE

September 04, 2009

Kino: TAKING WOODSTOCK

Im Sommer 1969 verhalf die Mutter aller Popmusikfestivals einem amerikanischen Mythos zu seiner Form. Es war der Höhepunkt der Hippiebewegung und zugleich ihr triumph- ierender Schlussakkord: Das Woodstock-Festival sollte historisches Zeugnis eines friedvollen Kollektivs werden, und es ist bis heute das Symbol einer Bewegung des Aufbruchs, die ihren subversiven Geist mit einfachen Botschaften vermittelte. 32 Bands und Künstler, mehr als 400 000 Zuschauer – "drei Tage Liebe, Frieden und Musik".

Ang Lee nähert sich dem Mythos mit "Taking Woodstock" nun aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Er hat den Stoff unerwartet zu einem nostalgisch-seichten, amüsanten und lakonischen Feel-Good-Movie verarbeitet, mit einem nahezu unüberschaubaren Ensemble, viel Witz und noch mehr Musik. Der taiwanesische Regisseur erwies sich in seinen jegliche Genres durchkreuzenden Arbeiten bislang immer wieder als stiller Beobachter, als präziser Student menschlicher Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Zwischenräume – und wird spätestens seit seiner melodramatischen Western- dekonstruktion "Brokeback Mountain" als einer der besten Autorenfilmer der Gegenwart gehandelt.

Das eigentliche Festival mit seiner Fülle an Musikern streift Lee jedoch nur am Rande. Er erzählt getreu die weitgehend unbekannte, aber wahre Geschichte des schüchternen Elliot Teichberg. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderereltern hilft seiner Familie während der Sommermonate dabei, deren leicht marode Pension in Bethel, einem abgelegenen Örtchen im Bundesstaat New York, in Stand zu halten. Frustriert ob der ausbleibenden Kundschaft und aussichtlosen Überschuldung der Familie stößt Elliot auf eine Zeitungsmeldung über ein groß angekündigtes Musikevent, das kurzfristig abgesagt wurde und nun auf einen neuen Veranstaltungsort hofft.

Diese Chance begreift der Junge natürlich als Wink des Schicksals und beordert seinen alten Schulfreund und Organisator des Festivals Michael Lang in das beschauliche Kaff, um das Konzert schließlich dort veranstalten zu lassen. Familie Teichberg hat jedoch keinen Schimmer, welch logistische und nervliche Belastung sie auf sich nehmen müssen: Bald strömen Hunderttausende Hippie-Pilger in das Provinznest, besetzen Betten, Wiesen und Seen, um die größte Friedensparty aller Zeiten einzustimmen. Inmitten der Love-and-Peace-Atmosphäre lernt Elliot dabei neue Freunde, seine eigene Sexualität und schließlich auch die rigiden Eltern von einer ganz anderen Seite kennen.

Dass Lee eine Geschichte erzählt, die zwar eng mit dem Woodstock-Festival verknüpft ist, sich jedoch weitab vom eigentlichen Zentrum abspielt, gibt ihm die Möglichkeit, den Mythos mit einem anderen Blick einzufangen. Der auf die Organisation statt Durchführung gesetzte Handlungsfokus ermöglicht dem Regisseur zunächst abermals das behutsame Herantasten an ein fremdartiges Phänomen, das er sich gemeinsam mit dem Publikum durch unterschiedlichste liebevolle Figuren und irrwitzige Momentaufnahmen erschließt. Nicht einen einzigen Live-Auftritt rekonstruiert er, nur wenige Minuten spielen gar auf dem eigentlichen Festivalgelände – und doch meint man, dem gigantischen Friedenshappening ganz nah zu sein.

Dadurch betont der Film ebenso clever wie einfühlsam, dass Woodstock nicht nur ein ausgedehntes Musikereignis voller bekiffter Hippies war, sondern mehr als das, eine große Zusammenkunft verschiedener, gegensätzlicher, ulkiger Persönlichkeiten voller bizarrer Situationen, denkwürdiger Momente und ungewöhnlicher Erfahrungen. "Taking Woodstock" ist Coming-of-Age- ebenso wie Coming-Out-Geschichte, Emanzipationskomödie und Initiationsfilm, Familienmelodram und Musikhommage zugleich. Und dennoch inszeniert Lee diese Zeitgeistepisode mit unbeschwerter Hand und von beachtlichem Unterhaltungswert.

Formal orientiert sich der Film dabei mit zahlreichen Bildformatswechseln und Split-Screens an der oscarprämierten Dokumentation von Michael Wadleigh, die Ang Lee mit seiner dramatisierten Version bestens ergänzt. "Taking Woodstock" wird sich bei alledem unterm Strich gewiss den Vorwurf gefallen lassen müssen, der romantischen Faszination des Flower-Power-Spektakels durch seinen leichten Wohlfühlton eher zu erliegen, statt dem Mythos genauer auf den Grund gehen und hinterfragen zu wollen. Lee jedoch hat sich an der Post-Hippie-Generation und ihrer hilflosen Starre bereits abgearbeitet: Sein "Eissturm" thematisierte 1997 eindrucksvoll den Morgen danach.


70% - erschienen bei: gamona

September 02, 2009

Kino: THE FINAL DESTINATION

Nach Flugzeugabsturz, spektakulärem Highway-Crash und perfidem Achterbahnmassaker eröffnet die neueste der obligatorischen "Final Destination"-Eingangsvisionen mit einem NASCAR-Rennen, das in einem munteren Happening aus herumfliegenden Motorhauben und die Köpfe der Zuschauer absäbelnden Autoreifen einen hübsch-matschigen Höhepunkt findet. Als besonders unbesonderes Gimmick donnern die Karosserie- und Körperteile dabei direkt vor die Augen des Kinopublikums – "Final Destination 4" nämlich ist, natürlich, ein 3D-Film.

Und weil dieser alte Hut ja neuerdings als Rettung des Kinos verhandelt – oder vielmehr: nicht verhandelt – wird, darf man sich allmählich (wieder) an die um ihre dreidimensionalen Effekte herum konzipierte Genreware gewöhnen. Nach "My Bloody Valentine 3D", bei dem der inflationäre Einsatz ausgestellter 3D-Kills selbst noch als reiner Gag ein wenig unbegründet schien, kann das Format der "Final Destination"-Serie hingegen nur dienlich sein.

Immerhin reifte die Reihe seit dem ersten, noch recht ernsthaften und Mystery-betonten Film von "Akte X"-Autor James Wong kontinuierlich zu einem Gemisch aus Teen-Slasher und Fun-Splatter, das sich zunehmend als jahrmarktsähnliche Nummernrevue von möglichst hohem Attraktionswert verstand. Die RollerCoaster-Exposition der zweiten Fortsetzung – bezeichnenderweise vom Regisseur des Originals inszeniert – war da nur ein konsequenter Ausdruck des eigenen Selbstverständnisses: Am Effektivsten ist ein "Final Destination"-Film schließlich, wenn er als rasantes Achterbahnkino funktioniert.

Da sich die Serie also in eine Richtung bewegt hat, die ihre ursprüngliche und freilich etwas abstruse Idee – den Tod überlisten, seinen "Plan" durchkreuzen, ihm ein Schnippchen schlagen zu können – nicht weiter ausbaut (indem sie beispielsweise einmal erklärt, warum denn die anfänglichen Schreckensvisionen nun stets irgendeinen Teenie ereilen), sondern ambitioniert auf die Inszenierung von Todessequenzen herunter bricht, ist der Einsatz von 3D-Effekten nur allzu konsequent: Wenn schon kreatives Dahinsiechen am laufenden Band, dann zumindest entsprechend räumlich, fühlbar, mitreißend.

Folglich betont der vierte Film der Serie noch stärker die verspielten und originell konstruierten Kettenreaktionen und Dominoeffekte, die seine Knallchargenfiguren in den sicheren Tod befördern. Als Variation des klassischen Slasherfilms werden die hier nervtötender und konturenloser denn je entworfenen Teenies mit großer Sorgfalt ins Jenseits geschickt und sprichwörtlich an das große Spektakel verfüttert: "Final Destination 4" ist nunmehr ein einziger langer Bodycount, der sich kaum mehr mit einer Handlungsstruktur aufhält, die die kreativen Tötungsmomente einigermaßen schlüssig verbindet.

Der Regisseur des zweiten Teils, Ex-Stuntman David R. Ellis, konzentriert sich in knappen 80 Minuten demnach ausschließlich auf sein Teasing-Konzept: Wo läuft der nächste Benzinkanister aus, welche Schraube dreht sich nun aus der Fassung, wer ist als nächstes einen Kopf kürzer. Entsprechend dürftig fällt bei all dem Storyverzicht das notwendige Aufspüren des so genannten Todesplans aus: Es wirkt, als hätten die Teenies die vorherigen Filme der Serie genauestens studiert, so klar und logisch wie es ihnen hier erscheint, dass sie den Sensenmann irgendwie austricksen müssen. Die Dialoge sind dabei nicht selten grotesk komisch, wenn nicht schon fast aufrichtig blödsinnig.

Wenn man den möglichst einfallsreichen Einsatz illustrer Goreeinlagen als die Essenz der Reihe begreifen möchte, ist "Final Destination 4" zweifellos veritables Genrehandwerk: Man bekommt, was man will. Und was man erwartet. Da sich der Film mehr Freiheiten als die Vorgänger erlaubt, was die Konsistenz oder Nachvollziehbarkeit seiner Handlung angeht, darf er in ausgedehnten Visionen und gar Film-im-Film-Momenten noch spielfreudiger Mordszenarien spinnen. Dass das Budget bei all der Inszenierungslust des Regisseurs – und letztlich auch des kostspieligen 3D-Verfahrens – nicht ganz mitspielen mag, verbucht man wohl besser unter Kollateralschaden: CG-Images müssen ja nicht zwangsläufig überzeugend sein, so lange sie einem nur dauerhaft ins Gesicht fliegen. Irgendwie.


50% - erschienen bei: gamona

August 27, 2009

News: Upcoming Reviews

Demnächst Filmbesprechungen zu: "Taking Woodstock" (Ang Lee), "Disctrict 9" (Neill Blomkamp) und "Die Frau des Zeitreisenden" (Robert Schwentke).

August 24, 2009

Zuletzt gesehen: MRS. DOUBTFIRE

Nach allen Regeln der Berechnungskunst (minus ständiger Close-Ups der hysterischen Sally Field) gefertigte Familien-komödie, die aus Robin Williams in Fummeln und Blödelmontagen nahe liegende Gags und einer quälend rührigen Geschichte um dysfunktionale Eltern-Kind- Beziehungen reaktionärste Rollenideen generiert. Ein mit permanenten moralinsauren Ansprachen und Belehrungen angereichertes Drehbuch bietet der schlichten, konventionell erzählten und vorhersehbaren Platzhalter-Story dabei ausreichend Raum, um ihre klebrig-biederen Entwürfe von Geschlechtern und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie genüsslich breittreten zu können – das fertige Gefühlsdiktat hat dem selten so weichspüligen Chris Columbus folgerichtig unverschämte Einspielergebnisse beschert.


20%

August 23, 2009

Zuletzt gesehen: DEATH BECOMES HER

Durch ihre kombinierten Spezialeffekte einst bahnbrechende Fantasy-Komödie mit Anleihen beim klassischen Universal-Horror, die Robert Zemeckis ganz auf den Zickenkrieg seiner beiden Diven Meryl Streep und Goldie Hawn zugeschnitten hat. Das sich rasch verselbstständigende Over Acting des aufgedrehten Ensembles gibt dem lasch erzählten und in vielerlei Hinsicht angestaubten Film jedoch einen kräftigen Energieschub: Wo Drehbuch und Regie spätestens ab der Hälfte versagen und die Geschichte völlig aus dem Ruder laufen lassen (während Bruce Willis selten so hilflos und schlecht geführt durch einen Film purzelte), unterhält die Spielfreude der beiden Hauptdarstellerinnen bis zum nachgedrehten und umgeschnittenen Schluss, der die Geschichte als reine Gagrevue ohne wirkliches Konzept enttarnt, statt sie zu einem originellen Ende zu führen. Als Kommentar zum Schönheits- und Konkurrenzwahn Hollywoods ist der Film aber zweifellos vergnüglich.


60%

August 20, 2009

News: AVATAR - Teaser Trailer

Noch drei Stunden bis zum ersten Teaser, bis zu den ersten überfälligen Bewegtbildern zu James Camerons 3D-Endzeit-Spektakel "Avatar", seinem ersten Film seit 12 Jahren.

edit:

Sehr viel Computer, offenbar auch sehr viel Kitsch... etwas entzaubernd, aber ich enthalte mich noch. Urteil dann im Dezember.


August 15, 2009

Kino: THE HURT LOCKER

Nie hat sich Hollywood so zügig und zahlreich der Traumata im eigenen Land angenommen. Nie haben so schnell so viele Filme den gesellschaftlichen Wandel zu erfassen, nie die Auswirkungen eines US-Krieges so sehr ins kollektive (Kino-)Bewusstsein zu rücken versucht wie in den vergangenen Jahren. Zahlreiche Autorenfilmer meldeten sich zu Wort, mit Filmen wie "United 93", "World Trade Center", "Rendition", "In the Valley of Elah" oder "Redacted", noch bevor überhaupt ein Ende der Intervention im Irak absehbar sein konnte. All diese Arbeiten waren kommerzielle Misserfolge, ob starbesetzt oder nicht, und all diese Filme hatten trotz unterschiedlichster formaler Ansätze wenig bis gar nichts mitzuteilen über den so genannten Krieg gegen den Terror, den internationalen Konflikt, „das zweite Vietnam“. So sinnfällig ihre Zwischenmeldungen erscheinen mochten, der fehlende zeitliche und räumliche Abstand hat keine allzu tiefsinnigen Reflexionen hervorgebracht – und so verstanden sich diese Filme offenbar als politisches Sprachrohr, gleich wenn sie angesichts ihrer von banal ("Lions for Lambs") bis reaktionär ("The Kingdom") changierenden Erkenntnisse besser hätten schweigen sollen.

In der Post-Bush-Ära, eingeleitet sogleich mit einem verkündeten Rückzug amerikanischer Truppen aus dem Irak, werden die Geschichten im Konfliktherd munter weitererzählt, selbst wenn man dazu in der Zeit um einige Jährchen zurückgehen muss, wie in Kathryn Bigelows erster Langfilmregiearbeit seit sieben Jahren. Mit unmittelbarer Handkamera rückt sie einem auf Bombenentschärfung spezialisierten Sondereinsatzteam im irakischen Kriegsgebiet auf die Pelle: Gemeinsam mit ihnen lässt sie den Zuschauer durchs Zielfernrohr blicken, sich hinter Mauern verstecken oder minutenlang Zünder deaktivieren, während ihr Objektiv hautnah jedes Hitzeflimmern, jede Schweißperle und jedes Staubkorn ins Visier nimmt. Die Geschichte ist eine Abfolge von Aufträgen: Deeskalation und Detonation im Alltag einer Soldatentruppe, die die Tage rückwärts zählt – bis zum ersehnten Nullpunkt, an dem sie wieder nach Hause dürfen.
So vermittelt "The Hurt Locker" in erster Linie Stimmungsbilder, während die Erzählstruktur einem episodischen Erfahrungsbericht gleicht, der nüchtern und fast dokumentarisch den lebensgefährlichen Alltag der Soldaten wiedergibt. Aus dieser nervenaufreibenden Lebensgefahr leiten einige von ihnen, insbesondere die zentrale Figur im Mittelpunkt des Geschehens, Bombenspezialist Sergeant William James, hingegen einen Nervenkitzel ab, der sie mit offensichtlich überlebenswichtigem Adrenalin versorgt. Der Krieg sei eine Droge, heißt es ganz zu Beginn des Films – William James ist ihr verfallen. In einem gigantischen, an alte Science-Fiction-Märchen erinnernden Schutzanzug nähert er sich seinen "Babys": In einer Szene nimmt er wider Befehlslage ein ganzes Auto auseinander, zerrupft und verbiegt und demoliert alles, um den Zünder der Bombe ausfindig zu machen – das Erfolgserlebnis als Selbstbefriedigung, deren Kontext oder politischer Bezug, eigentlicher Auftrag oder Sicherheitsmaßnahmen in weite Ferne gerückt sind.

Folgerichtig konzentriert sich Bigelow auf die Erlebnis- und Wahrnehmungsebene ihrer Figuren, ohne zu konkretisieren, Stellung zu beziehen oder ideologische Sichtweisen in ihren Blick zu mischen. Gerade durch diesen inszenatorischen Verzicht ist ihr mit "The Hurt Locker" natürlich dennoch ein enorm politischer Film geglückt: So widersprüchlich und irrational die Aktionen ihrer Soldaten dem Zuschauer erscheinen müssen, so eindrucksvoll verortet der Film sie in einem komplexen Gewebe aus körperlichen Grenzerfahrungen und seelischen Narben. Wenn Sergeant James zurück in der Heimat gelähmt vor einem riesigen Regal Cornflakes im Supermarkt steht, dann ist zwar alles im Überfluss vorhanden – gegen die quälenden Wunden jedoch hilft nur die Droge, die Rückkehr ins Kriegsgebiet. 365 Tage bis zum Abzug, die Zeit läuft wieder rückwärts.

80% - erschienen bei den: 5 Filmfreunden

August 14, 2009

Kino: CORALINE

Mehr skurrile Einfälle, liebevolle Noten und fantasievolle Entwürfe als in "Coraline" wird ein Animationsfilm kaum aufbringen können: Regisseur Henry Selick knüpft mit diesem Stop-Motion-Märchen in 3D an die Ideenreichtümer und Detailverliebtheit seiner beiden vorherigen Trickarbeiten "The Nightmare Before Christmas" und "James und der Riesen-pfirsich" an. Der Film setzt sich, trotz der stilistischen und inhaltlichen Nähe zu den Vorgängern, eigenständig und durchdacht mit kindlichen und erwachsenen Bilderwelten auseinander und ist auch als Emanzipation Selicks von seinem Wegbegleiter und einstigen Produzenten Tim Burton zu verstehen.

Basierend auf Neil Gaimans 2002 erschienener Kindergrusel-novelle "Gefangen hinter dem Spiegel" entwirft der Film eine verschrobene Welt durch die Augen eines kleinen Mädchens: Die eigensinnige Einzelgängerin Coraline ist gerade mit ihren Eltern in ein altes Haus auf dem Land gezogen, beginnt sich aber rasch zu langweilen in der tristen neuen Umgebung. Ihr Vater stürzt sich in die Arbeit, ehe überhaupt die Umzugskisten ausgepackt sind, während ihre Mutter sich ganz dem Haushalt verschreibt.

Da trifft es sich natürlich gut, dass Coraline in ihrem neuen Haus eine kleine Tür entdeckt, hinter der ein langer Tunnel zu einer Parallelwelt führt – einer exakten Abbildung der Wirklichkeit: Mit dem Unterschied, dass sich ihre Eltern hier besonders liebevoll um sie kümmern, der ständig quasselnde Nachbarsjunge dort verstummt ist oder der vertrocknete Vorgarten sich plötzlich in eine bunte Blumenwelt verwandelt hat, die dem Gesicht des kleinen Mädchen nachempfunden ist.

Schade nur, dass Coraline jeden Morgen nach ihrem Ausflug in die verlockende Alternativrealität wieder in ihrem gewöhnlichen Bett erwacht. Doch was zunächst wie eine Flucht in lebhafte Wunschvorstellungen erscheint, wird rasch Wirklichkeit: Ihre sorgsame "andere" Mutter bittet sie, sich jene Knopfaugen anzunähen, die alle Gesichter in der Welt hinter der Tür zieren. Zu spät erst merkt Coraline, dass sie in die Fänge einer Hexe geraten ist, die das Mädchen für immer in ihr Reich sperren möchte – so wie schon zahlreiche andere Kinder vor ihr.

Die spielerischen Träume, die sich allmählich in verzerrte Alpträume umdichten, bedienen ein typisches Selick-Motiv: In "Nightmare Before Christmas", der ebenfalls zwei gegensätzliche Ästhetikentwürfe vereinbarte und schließlich vermischte (statt sie gegeneinander auszuspielen), spielten er und sein Co-Regisseur Tim Burton lustvoll mit der Widersprüchlichkeit einer morbiden Halloween-Welt und der zuckersüßen Ikonographie weihnachtlichen Kitsches.

In "Coraline" befinden sich die beiden Spielwelten jedoch in unauflösbarer Konkurrenz. Das Erschaffen einer imaginären oder auch realen Parallelvorstellung ist als Kinder-geschichtenmotiv freilich bewährt: Entsprechend spielt die Bildgestaltung des Films in vielerlei Hinsicht mit metaphorischen Konstrukten auf kindliche Urängste, Sehnsüchte und Ausdrucksformen an und erinnert dabei an klassische Stoffe wie "Alice im Wunderland" und ganz besonders den "Zauberer von Oz".

Es geht in "Coraline" also abermals um die Bedrohung des trauten Heims und der beschützten Kindheit durch eine gefahrenvolle Quelle, die hier bezeichnenderweise als intrigante Mutterfigur hinter einem geburtsgangähnlichen Tunnel erscheint und sich innerhalb des eigenen Hauses herausbildet – möglicherweise auch als Projektion eines Kindes, das an der Unzufriedenheit ihrer alltäglichen Wirklichkeit zu zerbrechen droht. Eines der offensichtlichsten Symbole für die Umkehrstrategie der Geschichte liefert dabei bereits der um die Vokale vertauschte Name der Titelheldin.

So konventionell und simpel "Coraline" inhaltlich auch strukturiert sein mag, so reizvoll bebildert der Film seine eskapistische Märchenhandlung. Es ist womöglich der erste aller neuerlichen Animationsfilme, dessen 3D-Konzept sich nicht in umher fliegenden Gegenständen erschöpft, sondern der seine dreidimensionalen Effekte ebenso spar- wie behutsam nutzt, um die Tiefe von Räumen und damit letztlich die Tiefe von Bildern zu erforschen: Insbesondere der die beiden Welten verknüpfende Tunnel wird in der 3D-Version zum visuellen Erlebnis, das den Zuschauer tief in die Geschichte lockt.

In Verbindung mit einer stets den richtigen Ton treffenden, erstaunlich komplexen Musikuntermalung nutzt der Film durch die Kombination von mühevoller Puppen-Stop-Motion, klassischem Zeichentrick und fein abgestimmter CGI-Arbeit schließlich alle Bereiche der Animation für seine ideenreiche, detailverliebte und vor allem beseelte Gute-Nacht-Geschichte, die mal schaurig, mal melancholisch die bisher rundeste Regiearbeit Selicks bildet.


70% - erschienen bei: gamona

August 12, 2009

Kino: G.I. JOE - RISE OF THE COBRA

Es ist die nächste vom Actionspielzeug ins donnernde Effektspektakel konvertierte, die neueste Hasbro-goes-Kino-Schlachtpalette und weitere Militärmär im adaptions-dominierten sommerlichen Blockbuster-Geschehen: Nach Michael Bays zweiter Autoroboternahkampflyrik "Transformers II", die genauso megalomanisch wie selbstbewusst alles verdächtig Tiefsinnige und Grundsätzliche eines irgendwie vernünftigen Filmes gegen überlange Ton- und Effektorgien eintauschte und damit sogar den seinerseits schon merklich gefährlich bekloppten ersten Teil erfolgreich zu überbieten verstand, darf nun der offenbar irgendwie als Sommerhit-Garant gehandelte Stephen Sommers die US-Spielzeug-Helden der "G.I. Joe"-Elite zu einem mehr oder weniger plausiblem Marketing-Event auf der Leinwand vereinen. Das Ergebnis ist in etwa so feingeistig wie ein Stück Brot und damit selbstredend mehr als adäquat: Eine anständig blöd-schöne Auftragsarbeit ist dem Regisseur von "The Mummy" und "Van Helsing" da gelungen.

Es geht in "G.I. Joe", der im Originaltitelzusatz auch noch etwas vom Aufstieg einer Cobra verspricht, uns das allerdings vor- und sich damit offenbar lieber für die ganz dezent angekündigte Fortsetzung aufbehält, um gute Soldaten gegen böse Weltzerstörer, die mithilfe so genannter Nanomilben ganze Städte vernichten wollen. Sic! Glücklicherweise bleibt amerikanisches Terrain im Film allerdings unbeschadet und kann jedwedes Unglück abgewendet werden – abgesehen von einer vernachlässigenswerten Zerstörung des Eiffelturmes in Paris, die mindestens so schlecht getrickst und amüsant wie überhaupt der ganze Rest dieses zweistündigen Riesen-schwachsinns ausfällt. Sommers ist sich offensichtlich, ganz anders als Michael Bay, des recht absurden Unternehmens bewusst, hier fleischgewordene Spielzeugpuppen in seriöse Kinohelden umdichten zu müssen – und haut entsprechend unverhältnismäßig, selbstverständlich und ironisch untersetzt auf die Pauke.
"G.I. Joe" ist eine wahr gewordene Kleine-Jungen-Fantasie, die völlig eigenen Erzählgesetzen (nämlich irgendwie keinen) gehorcht, die eindrückliche Gut-Gegen-Böse-Bilder durch Kinderaugen entwirft und sich mit einer Fülle gewollt (?) künstlicher, an die Ästhetik von Computerspielen angelehnter Spezialeffekte stets als ganz großes Krawall-Happening versteht. Damit trifft Sommers jenen Ton, den so ein Vorhaben innerhalb seiner beschränkten Möglichkeiten auch nur bestenfalls anzustimmen in der Lage ist, und nimmt die Abenteuer seiner Knallchargen mitsamt der geradezu unverschämt langbärtig-infantilen Geschichte so wenig ernst wie möglich. Insbesondere die zwar flüssige, aber stets unperfekt erscheinende Inszenierung, die in vollstem Bewusstsein zu Schaustellern degradierten Typecasting-Darsteller und das stets durch- und überschaubare Computergetrickse verleihen dem Film die notwendige Distanz sich und seinem Sujet gegenüber.

Dass hier Kinderunterhaltung mit neuestem Militärgeschütz und Army-Helden-Pathos generiert wird, mag und muss man zu Recht genauso bedenklich finden wie bei der hausinternen Konkurrenz um die transformierenden Riesenroboter. Doch während das Baysche Actionkino einem technischen Perfektionismus hinterklotzt und dabei verbissen und überambitioniert fetischisierte Werbebilder zusammenträgt, bedient Sommers seine Zielgruppe ebenso solide wie er allen anderen, also einem Publikum jenseits der 12, erkennbar zuzwinkert: Das hier mag zwar ein bemerkenswert blöder Ulk sein, aber es ist zumindest veritabler Ulk. Verdächtig und angemessen dämlich.


60% - erschienen bei den: 5 FILMFREUNDEN

August 06, 2009

News: THE LOVELY BONES - Trailer

Der Trailer zum neuen Film von Peter Jackson, einer Spielberg-Produktion. Erinnert an "Heavenly Creatures", dürfte aber den ersten Bildern nach zu urteilen ziemlich fantastisch werden. Tolle Besetzung auch (bis auf Mark Wahlberg).

August 02, 2009

News. Upcoming Reviews

Demnächst Filmbesprechungen zu: "Tödliches Kommando - The Hurt Locker" (Kathryn Bigelow), "Coraline" (Henry Selick) und "Inglourious Basterds" (Quentin Tarantino).

Juli 30, 2009

Kino: FANBOYS

Sie sind leidenschaftliche Film- und Comicfreaks, Fulltime-Nerds, Star-Wars-Jünger, "Fanboys": Es ist egal, ob sie einen vernünftigen Job haben, Kontakte zu Mädchen auch mal außerhalb eines Chatrooms hergestellt bekommen oder aussehen wie bleiche Couch-Potatoes, die nur notgedrungen das Tageslicht erblicken – so lange Hutch, Windows, Eric und Linus stundenlang über Chewbaccas Heimatplaneten oder das Paarungsverhalten der pelzigen Ewoks fachsimpeln können, ist die Welt für sie in Ordnung.

Das heißt: fast in Ordnung. Denn seit 1983 der letzte Star-Wars-Film, "Die Rückkehr der Jedi-Ritter", die Kinos eroberte, sind 15 lange Jahre vergangen. Jahre, in denen die Fangemeinde ein weiteres Weltraumabenteuer herbeiträumen musste und auf eine harte Geduldsprobe gestellt wurde, als George Lucas, der geistige und kommerzielle Vater des Sternenkrieger-Imperiums, eine neue Prequel- zur bekannten Ur-Trilogie ankündigte.

Kurz bevor "Episode I – Die dunkle Bedrohung" also seine geplante Erstaufführung erleben sollte, steigert sich die Vorfreude der Fanboys zu einem besonders bekloppten Plan, den Internetlegende und Berufsnerd Harry Knowles ihnen gegenüber dann auch schlicht als "the stupidest thing I've heard since Schumacher put nipples on Batman" bezeichnet.

Denn weil sie nicht mehr warten können auf jenes Großereignis, das die Kindheit des dunklen Darth Vader beleuchten würde, reisen die vier Jungs quer durch die USA, um schließlich auf der Skywalker-Ranch einbrechen und in den heiligen Hallen des Regisseurs einen Rohschnitt des lang ersehnten neuen Star-Wars-Films sehen zu können. Dass sie dort auf Sicherheitsleute im "THX 1138"-Outfit treffen werden, ahnen die übermütigen Draufgänger da natürlich noch nicht.

Und so erleben die Titelhelden auf ihrer Reise im entsprechend mit Fan-Accessoires beschmückten Kleinbus erst einmal allerlei unerwartete Abenteuer: Sie verirren sich in eine schwule Bären-Bar, geraten mit einer Horde wilder Star-Trek-Fans aneinander und treffen schließlich gar auf William Shatner, James T. Kirk höchstpersönlich, der ihnen obendrein nützliche Infos über die Inneneinrichtung der Skywalker-Ranch mit auf den Weg gibt.

Der gemeinsame Traum, das große unmögliche Ziel, dient Kyle Newmans Slacker-Komödie allerdings nur als Aufhänger für ein Road-Movie, das sich wenig bis gar nicht von konventionellen Retorten-Teen-Comedies unterscheidet. Dramaturgisch erinnert der Film an "Road Trip", das Witzniveau bewegt sich selten über der Gürtellinie, und allzu liebevoll oder detailreich bemüht die Geschichte das Wesen von Fandoms leider auch nicht. Es ist ein merklich austauschbarer Film zu einem ganz und gar nicht austauschbaren kommerziellem Phänomen.

"Fanboys" gefällt jedoch in jenen Momenten, die selbst- ironisch und distanziert den Realitätsverlust hartnäckiger Produktanhänger thematisieren, oder allzu vergnügt mit dem Insiderwissen der Star-Wars-Fans spielen. So verfehlen überraschende Cameo-Auftritte von Carrie Fisher (Prinzessin Leia), Ray Park (Darth Maul) oder Billy Dee Williams (Lando Calrissian) selbstredend nicht ihren Zweck, während sich die Anspielungen und Referenzen auch auf allerlei andere Film-Franchises erstrecken. Schließlich dürfen sogar die Ur-Film-Nerds, Kevin Smith und Jason Mewes, kurz vor die Kamera huschen.

Dass Newmans Hommage an eine an und für sich enorm interessante und faszinierende Subkultur – vor allem mit dem Bewusstsein, dass Fans mittlerweile erheblichen Einfluss auf die Produktionsverhältnisse "ihrer" Serien, Fortsetzungen oder Adaptionen haben – ihrerseits eine bewegte Geschichte hinter sich hat, ist dem Ergebnis leider oft auch negativ anzumerken. So wurde der bereits für 2007 angekündigte Film von seinen Produzenten, den Weinstein-Brüdern, trotz erfolgreicher Testvorführungen vielfach umgeschnitten und schließlich ein neuer Regisseur damit beauftragt, Szenen nachzudrehen.

In seiner jetzigen Form ist "Fanboys" bezeichnenderweise ein Fan-Kompromiss aus der ursprünglichen Version und den Änderungen seiner Produzenten. Tatsächlich aber hätte beispielsweise der von den Weinsteins beanstandete Sub-Plot, der die Krebskrankheit eines der vier Jugendlichen thematisiert, guten Gewissens gestrichen werden können – er wirkt deplatziert in einem an schlüpfrigen Gags nicht gerade armen Films, der auch sonst wenig Tiefsinniges für seine karikaturhaften Figuren übrig hat.

Natürlich fragt man sich indes die gesamte Zeit über vor allem, wie die vier Fans auf den so sehnlich erwarteten Film schließlich reagieren werden, wenn sie ihn dann endlich zu Gesicht bekommen. Hier weicht "Fanboys" der bekanntlich enormen Enttäuschung, als die "Episode I" überwiegend aufgenommen wurde, immerhin sehr clever aus. Erics Schlusssatzfrage, bevor die ersten Star-Wars-Bilder auf der Leinwand erscheinen, lautet wohl nicht ganz grundlos: "What if the movie sucks?".


50% - erschienen bei: gamona