November 12, 2012
Kino: CLOUD ATLAS

Oktober 22, 2012
Kino: ROBOT & FRANK

September 27, 2012
Kino: THAT'S MY BOY
August 06, 2012
Kino: JEFF, WHO LIVES AT HOME
Dezember 26, 2010
Zuletzt gesehen: SOLITARY MAN
50%
Februar 17, 2010
Kino: THE LOVELY BONES
An welchem Punkt nun hat es der selbsternannte Erzähler Jackson eigentlich verlernt, seine ganze Energie nicht nur ans große teure Spektakel zu verschwenden, sondern auch starke Charaktere in kraftvollen Geschichten zum Leben zu erwecken? Sollte dem neuseeländischen Regisseur tatsächlich durch seine einrucksvoll auf die große Leinwand adaptierte "Herr der Ringe"-Trilogie der Blick fürs Wesentliche verloren gegangen sein? Oder ist "In meinem Himmel" schlicht nur zufällig als böser Ausrutscher und vorläufiger Tiefpunkt in Jacksons Karriere zu begreifen?
Es ist, ganz zunächst einmal, ein Film über ein ermordetes Mädchen. Das wandelt kurz vor ihrer Erlösung schon nach wenigen Filmminuten leidvoll durch ein farbenprächtiges Zwischenreich, von dem aus es verzweifelt Kontakt zu ihren (leider) noch lebendigen Liebsten aufzunehmen versucht. Obwohl das freilich nie gelingen mag, lässt Jackson die verschiedene Susie dennoch die gesamte Handlung per Voice-over moderieren: Mal sehen wir sie gackernd mit anderen toten Mädchen herumalbern, mal wehleidig in ständigen Close-Ups grundlos erstarren. In jedem Fall trägt ihre großzügige Screentime zum eigentlichen Plot schon einmal sage und schreibe nichts bei.
Dieser dümpelt nicht in träumerischen LSD-Gefilden vor sich hin, sondern ist bemüht darum, das elterliche Drama des Kindverlusts in einem 70er-Jahre-Setup mit einer kriminalistischen Thriller-Dramaturgie zu vereinbaren. Die Handlung von "In meinem Himmel" also lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ein um die verschwundene Tochter trauerndes Ehepaar (Mark Wahlberg & Rachel Weisz) versucht den zwei Türen weiter wohnenden Kindermörder (Stanley Tucci) ausfindig zu machen, während das tote Mädchen (Saoirse Ronan) im Jenseits – mal lachend, mal weinend – einen Vollrausch nach dem anderen durchlebt.
Das ist, in wahrlich jeder Hinsicht, eine große Belastungsprobe für den Zuschauer. Jackson sind subtile Töne, feine Nuancen und dezente Regieeinfälle – sofern er sie jemals beherrscht haben sollte – unwiederbringlich abhanden gekommen. Seine Interpretation eines schrecklichen Sexualmordes und dessen tragischer Verarbeitung gerinnt zur grotesk überinszenierten CGI-Seifenoper. In permanenten Schwenks, Zooms, Zeitlupen- und Freeze-Effekten gibt er dem Zuschauer einen aufdringlichen emotionalen Leitfaden durch seine Geschichte, Groschenheft-taugliche Kitschbilder wechseln sich mit geschmacklosen, absurd überzeichneten Klischeevorstellungen ab.
So ist der von Stanley Tucci (kurioserweise oscarnominiert) bemüht gespielte Kindermörder nicht weniger als die groteske Kinoreinkarnation eines Serienkillerstereotyps auf zwei Beinen, das "Psychopath" auf die Stirn geschrieben und dennoch ganz der unauffällige Nachbar von nebenan. Als Mark Wahlberg – selten so unglaubwürdig und verkrampft wie in der Rolle eines verzweifelten Familienvaters – ihm dann schließlich aus heiterem Himmel (sprichwörtlich) auf die Schliche kommt, fällt dem Film dafür bezeichnenderweise kein triftigerer Grund als eine quasi jenseitige Intervention seiner verstorbenen Tochter ein.
Der Titel gebende Himmel (bzw. das Zwischenreich, in dem sich Susie aufhält) fungiert dabei als roter Faden durch eine alle Genres abgrasende Handlungsstruktur, die nur über ihren Hang zum Süßlichen eine konsistente Form zu finden glaubt. Die Bilder von bunten Schmetterlingen und anderer pastellfarbener Infantilität spiegeln allerdings weniger das Seelenleben eines 14jährigen Mädchens, als sie die banale Vorstellungskraft eines Kleinkindes abbilden. Richtig bekloppt wird es aber erst, wenn Susie sich im Nimmerland von anderen Opfern des Mörders erklären lässt, dass man nicht zurück-, sondern nach vorn blicken müsse: "Of course it’s beautiful, it’s heeeeeeaven!".
Alles in diesem Film klotzt und kleckert. Es ist ein Manifest an plakativen erzählerischen und visuellen Effekten. Was in der Vorlage vermutlich als stilles meditatives Drama über die beklemmende Verarbeitung eines Todes oder den schmerzhaften Abschiedsprozess funktioniert, wird bei Jackson zur lautstarken Pixel-Melange aus schwelgerischer Fantasy und reißerischem Thriller aufgeblasen. Akzente setzt der Film keine, er schwankt unentschlossen zwischen Erzählabsichten und verfängt sich doch nur wieder in der Green-Screen-Endlosschleife. Über die Message, dass es sich tot womöglich besser lebt, mag man angesichts dieses gigantischen formalen Kauderwelschs gar nicht erst nachdenken.
"In meinem Himmel" ist schlicht das komplett missglückte Gegenstück zu Jacksons eigenem "Heavenly Creatures". Die Erschaffung einer eskapistischen Traumwelt zweier Mädchen entwarf er da noch schlüssig und weitgehend zurückhaltend als Fluchtpunkt innerhalb eines ebenso tragischen wie grausamen Kriminalfalls. Nunmehr scheint seine Filmsprache indes von megalomanischem Kitsch regiert, dem Erzählung und Figuren hoffnungslos aufgeliefert sind. Der brutale Tod eines 14jährigen Mädchens auf der Leinwand geht nicht automatisch unter die Haut, an die Nieren oder aufs Gemüt, nur weil der Film das Bild unentwegt mit Gefühlsduseleien zukleistert. Irgendwann sieht man hier nichts mehr und will es auch gar nicht mehr sehen – Peter Jacksons Himmel ist die reine Hölle!
20% - erschienen bei: gamona
August 06, 2009
News: THE LOVELY BONES - Trailer
Mai 06, 2008
Kino: SPEED RACER

"Speed Racer" ist, was es zu beweisen galt: Eine schnelle, quietschbunte, überladene Gut-Gegen-Böse-Geschichte für die ganze Familie. Eine simpel gestrickte, üppig inszenierte Comic-Achterbahnfahrt für groß und klein. Und natürlich ein Retro-Film mit Sixties-Flair, der so unverhohlen naiv, so aufmüpfig kindlich daherkommt, als würde er alles, was er sagt und tut, nicht nur unbedingt für wahr halten, sondern auch überhaupt der erste sein, der so eine Geschichte auf genau so eine Art erzählt. Der Film ist also alles, was man erwarten durfte (siehe Setbericht), und alles, was Andy und Larry Wachowski zuvor versprachen: Eine Hommage an ihre Lieblingsserie aus Kindheitstagen, die auf dem japanischen Vorbild "Mach Go Go" basiert. Man kann gegen "Speed Racer" also zumindest nicht den Vorwurf erheben, er würde nicht veritabel jenes Bonbon-Szenario bedienen und ausschöpfen, das all die merkwürdigen Bilder und Trailer im Vorfeld so vermuten ließen.
Doch auch wenn der Film seinen eigenen Ambitionen gerecht wird, so ist diese überfrachtete Kaugummi-Mischung aus der "Familie Feuerstein", den "Jetsons" und "Cars" jenseits von Nostalgie und Comicstrip auch fürchterlich anstrengend. Visuell zweifellos aufwändig in Szene gesetzt, erschöpft sich das bunte Farbenmeer nach einer gelungenen Einführung rasch. "Speed Racer" kreiert zwar immerhin einen eigenen Stil, dem er auch durchweg treu bleibt, doch man sieht sich schnell satt an all der Künstlichkeit und Animation, fühlt sich zunehmend überfordert und außen vor. Die erdrückenden Farbwechsel und rasanten Rennszenen wirken regelrecht zumutend, vor allem bei rund 135 Minuten Laufzeit. Der Film hätte insbesondere stark gestrafft werden müssen, um zu verhindern, dass sich irgendwann eine regelrechte Passivität beim Zuschauen einstellt. Man lässt das Treiben eigentlich nur noch auf sich einprasseln, ohne ihm wirklich aufmerksam zu folgen, zumal "Speed Racer" auch hinreichend dialoglastige Momente hat, die neben der visuellen Opulenz für zusätzliche Langeweile sorgen.
Die an Computerspiele erinnernde Ästhetik dürfte kleineren Zuschauern zweifellos zusagen, doch man vermisst Detail- liertheit und Sorgfalt bei den Animationen (die Autocrashs sind unübersichtlich; die als Überleitung eingesetzten, sich durchs Bild bewegenden Köpfe meist unscharf und durch Doppelkonturen entstellt). Überaus klug hingegen die Verpflichtung Michael Giacchinos, der den Film geschickt zusammenhält mit einer gewohnt rasanten, sehr jazzigen Musik, die ihm abermals Gelegenheit für Anleihen beim John Barry-Sound der 60er bietet. Ansonsten fällt es schwer, "Speed Racer" an herkömmlichen Mustern abzugleichen, zu eigen ist seine Filmsprache, seine digitale Inszenierung, sein gewolltes Over-Acting, seine Zugeständnisse ans Kinder- publikum (einen nervtötenden kleinen Jungen samt Hausschimpansen inklusive). Er ist, was er ist und er ist, was er sein wollte. Aber das macht ihn eben noch lange nicht zu einem guten Film. Oder überhaupt zu einem Film.
40% - erschienen bei: DAS MANIFEST
April 06, 2008
Kino: SPEED RACER - Preview
Sein Gesicht wirkt verspannt, die Augenbrauen ziehen sich zusammen, die Schweißperlen rinnen ihm über die Stirn: Gleich geht es los, 3, 2, 1 – Go! Speed Racer rast davon, er düst durch Wüstenlandschaften und über Eisberge, schmettert an tropischen Stränden vorbei und knallt über die illustren Rennbahnen der Endlos-Rallye. Seine Kontrahenten: Racer X und Taejo Togokhan. Seine Freundin: Trixie, ihm zur Hilfe aus der Luft, mit einem roten Hubschrauber, gegen die Pistenrivalen. Und die Eltern natürlich: Pops Racer und Mom Racer, in Sorge um ihren Sohn und das Familienunternehmen. Das Leben als bunter Rennstall sozusagen: Die ersten vier Minuten, die man der Presse aus diesem Farbenrausch vorführt, erzählen schon die ganze Geschichte des Films. Es sind kurze Ausschnitte zu einem langen Trailer montiert, von Produzent Joel Silver begeistert angekündigt. "Speed Racer" basiert auf der japanischen Zeichentrickserie "Mach Go Go Go", die wiederum die 60er-Jahre Mangas von Tatsuo Yoshida adaptierte, und gehört mit einigen Veränderungen gegenüber der Originalserie zu den bekanntesten TV-Evergreens der USA. Obwohl Warner schon lange die Rechte für einen Kinofilm besaß, ging das Projekt nach zahlreichen gescheiterten Entwicklungsversuchen schließlich letztes Jahr in Produktion und wird hierzulande am 8. Mai starten.
Dass sich hinter der Kinoversion des Stoffes nur die Brüder Andy und Larry Wachowski verbergen können, zeigt schon der innerhalb von nur vier Minuten überaus inflationäre Einsatz ihrer einst populären Bullet Time-Technik. Die gab es zwar schon vor der "Matrix"-Trilogie, so richtig stilbildend aber ließen erst die Wachowskis das Blei aus allen Einstellungen einfrieren. Folgerichtig rammen hier unentwegt Autos in Slow Motion über- und aufeinander, auch wenn das Stilmittel selbst ebenso zum eigenen Klischee verkam, wie es irgendwie auch noch immer in den Spät-90ern feststeckt. Dass der Film bei diesen ersten Eindrücken wie eine familienfreundliche Mischung aus "Cars" und "Familie Feuerstein" daherkommen musste, ließ schon die Führung für Pressevertreter durch die Babelsberg-Studios im Sommer 2007 vermuten: Kurz bevor die erste Drehklappe am vierten Juni fallen sollte, galt es erste quietschbunte Setbauten und Automodelle zu bestaunen, um sich anschließend in einer Pressekonferenz erzählen zu lassen, dass Susan Sarandon auf Blutwurst stünde, Emile Hirsch das Zeug aber nie wieder anfassen wolle. Die Regisseure suchte man dabei allerdings vergebens, sie meiden öffentliche Auftritte und geben so gut wie keine Interviews. Photos waren zudem streng verboten, die Geheimhaltung des vom Deutschen Filmförderfonds mit neun Millionen Euro unterstützten Projektes oberstes Prinzip.
Um also etwas tiefer in die Produktion des schätzungsweise 100 Mio. US-Dollar teuren Films blicken zu können, musste man andere Wege und Mittel finden. Zum Beispiel als Komparse anheuern. Das ging ganz einfach, immerhin suchte die entsprechende Agentur in Berlin flächendeckend nach Statisten, die eigentlich nur zwei Kriterien erfüllen sollten: Zum einen in eine der zahlreichen seltsamen Gruppierungen, die die Fangruppen in den Zuschauerblöcken im Film bilden würden, passen, und ferner nicht unbedingt auch noch im zweiten, quasi eine Ecke weiter zeitgleich produzierten Stauffenbergfilm "Valkyrie" eine Rolle im Hintergrund bekleiden (im Übrigen galt letzteres aber als vernachlässigenswert). Eine Handvoll Photos und einen kurzen Anruf später konnte man sich also schon inmitten zahlreicher anderer Hinzuverdienender einfinden: An einem heißen Sommertag, in einem noch heißeren Zelt, zu einer schweißtreibenden Kostümprobe. Viele asiatischstämmige Komparsen sind zu beobachten, später aber sehen sie neben ihren vielerlei Sprachen sprechenden Kollegen relativ gleich aus: In schwarze Klamotten verpackt (die Hitze, die Hitze!), mit Lederjacken, Ketten und Schmuck behangen, und in Chucks und Vans gestülpt – insgesamt roch das irgendwie nach einer Mischung aus Emo-Look und Altrockerattitüde, von dem ganzen schwarzen Kajal um die Augen, dem triefenden Gel in den Haaren und weißen Puder im Gesicht gar nicht zu sprechen. Jetzt konnte einem klar werden, warum insbesondere tätowierte Menschen gesucht (und teilweise auch gefunden) wurden. Es blieb einzig die Frage, was so viel möchtegern-gothic-chic wohl in einem kunterbunten Knallbon- bonfilm wie "Speed Racer" verloren habe.
Eine Woche später, 6 Uhr morgens. Glücklicherweise waren die Komparsenbetreuerinnen nun um Aufklärung bemüht. Auf großen Produktionsentwürfen (pre)visualisierten sie die kommenden Szenen, es wurde also ernst: Drehbeginn. Auf dem Plan: Eine Szene vorm Racer X-Fanpulk. Das ist der Typ, der unserem Helden zunächst Böses will, ehe sich das Blatt schließlich wendet. Niemand scheint zu wissen, dass Matthew Fox diesen Racer X gibt, und dass das der Typ ist, den alle eigentlich als sexy Drei-Tage-Bart-Doktor aus "Lost" kennen. Um die nur teilweise euphorisierten und meist abgeklärten, mitunter auch desinteressierten Statisten nicht unnötig in Aufregung zu versetzen, wird diese Information unausge- sprochen bleiben. Was auch für Rain, den koreanischen Sänger und Superstar gilt, der hierzulande durch "I’m a Cyborg, But That’s Ok" höhere Bekanntheit erlangte, nur offenbar nicht unter den "Speed Racer"-Komparsen (aber das ist Ok). Die sind ohnehin mit Schwerstarbeit beschäftigt, haben also gar keine Zeit für Starrätsel. Nachdem sie nämlich die Green Screen-Halle betreten und akribisch darauf geachtet haben, nicht auf eines der Kabel am Boden zu treten oder die vielen Markierungen zu übersehen, müssen sie zwei Stunden lang schreien. Und zwar so laut, dass kostenlose Hustenbonbons zeitweise lukrativer als jede Gage erscheinen. "Racer X", "Racer X", "Racer X", und "yeah", "yippee", "here, here, here". Zu sehen gab es dabei nur eine kleine, einen Meter entfernte Siegertribüne, auf der Racer X und Taejo Togokhan sich grimmig anschauten, während hübsche Damen einen Siegerpokal in den Händen hielten. Der Rest erstrahlte in hellem grün.
Schauspielerisches Talent schien unter den Komparsen also durchaus vonnöten, vor allem, weil die Herren Fox und Rain sich bei den Aufnahmen der Gegenschnitte offenbar Witze erzählten, oder – was wahrscheinlicher ist – angesichts der tumb kreischenden Meute vor ihnen nicht das Lachen verkneifen konnten. Weil die ekstatischen Begeisterungs- stürme unter den Statisten aber noch nicht ausreichten, spornten die Wachowskis das muntre Treiben mit vollem Körpereinsatz persönlich an. Eigentlich vermutete man die beiden auf ihren Regiestühlen hinter einer großen schwarzen Wand vor Monitoren, doch sie wuselten die ganze Zeit auf der Tribüne herum und prüften Einstellungen, Winkel und was man wohl sonst so als Regisseur macht. Von der immer wieder publizierten Annahme, dass der Larry nun eine Lana sei, konnte man sich indes auch ein eigenes Bild machen, was aber von geringer Priorität war, als einigen klar wurde, dass diese Szene eine Siegerehrung vor Journalisten zeigen sollte (deshalb auch die Kameras, mit denen die Komparsen herumknipsen sollten). Nur: Warum sehen die Presseleute in diesem Film aus, als würden sie gerade von einem Cradle of Filth-Konzert kommen? Doch man wusste es ohnehin nicht, das hier würde vermutlich nur ein kleiner, verschwindend geringer Teil eines großen bunten Ganzen sein. Die Szene ist im Kasten, draußen darf getrunken, gegessen und weiter geschwitzt werden. Emile Hirsch gesellt sich zu den Komparsen, um mit Kollege Fox ein Zigarettchen zu rauchen. Speed Racer und Racer X mal ganz privat.
Dass es im gesamten Film keine einzige Live-Action-Szene geben, bis auf wenige Set-Interieurs und die Schauspieler also alles animiert sein würde, schien dann spätestens mit dem nächsten Drehtag besiegelt. Von den rund 70 Komparsen blieben noch ca. 15 übrig, die einige besondere Aufgaben übernehmen sollten. Das hieß dann wohl im Klartext: Second-Unit-Kleinarbeit. Es war schließlich noch heißer als zuvor an diesem Freitag Ende August, und die Wartepausen besonders zahlreich (Herumsitzen ist überdies die Aufgabe, die ein Komparse in der Regel am vehementesten bewältigen muss). Mit Kaffee und Kuchen, Zigaretten und dusseligem Gequatsche, penetranten Belästigungen gegenüber vorbei- laufenden Technikern, Lichtleuten, Aufnahmeleitern, Kostümfrauen oder Studio-Babelsberg-Mitarbeitern, vergeht so ein 10-14 Stunden-Drehtag dann schließlich doch. Es gab für die Statisten immerhin noch zwei letzte Hürden, bevor die Dreharbeiten zu "Speed Racer" in der Woche darauf abgeschlossen werden sollten (die Postproduktion würde ungefähr noch einmal das Doppelte an Zeit veranschlagen). In einem gigantisch hohen Green-Screen-Studio mussten noch Reaktionen des Publikums gefilmt werden, wie sie die vorbeischnellenden Flitzer bejubeln und beklatschen. In Zweiergruppen nahm man dazu auf einem erhöhten Quadrat platz (alles grün, so grün, dass man farbenblind hätte werden können) und orientierte sich an markierten Kreuzen links, in der Mitte und rechts. Auf Kommando sollte man schreien, aufspringen, in seinem Programmheft lesen oder Popcorn essen – und sich mit imaginären Sitznachbarn austauschen, die – so hieß es – auch Monster sein könnten, die später eingefügt würden. Manche dachten dabei an Jar Jar Binks und das Podrennen. Dass man sich dabei ziemlich bescheuert vorkommen konnte, und hier dann tatsächlich gewisse Darstellerfähigkeiten gefragt waren, interessierte am Set indes niemanden. Die Crew sah das ganz pragmatisch. Recht hatte sie ja. Mehr Gage gab es trotzdem nicht.
Schlussendlich wurden die verbliebenen Kleindarsteller, zu denen die einstigen Komparsen nun selbsterklärend gereift waren, in eine benachbarte Halle gefahren, um nacheinander einzeln photographiert zu werden. Dafür war es notwendig, sich auf eine drehbare Plattform zu stellen und die Arme auszustrecken, um von allen Seiten dreidimensional erfasst zu werden. Es wurde erklärt, dass die Massen abseits der Rallye vervielfältigt würden, aus 10 Personen mache man mit dem Computer einfach 1000 – das spare Zeit, Geld und Komparsen. Zu Recht war allen etwas mulmig dabei, und man erinnerte daran, zuvor ausgiebige Abtretungsrechte unter- zeichnet zu haben. Doch es ließ sich nicht leugnen, dass sich jeder dabei irgendwie ein wenig wichtig fühlte, so als Teil eines großen Hollywoodfilms. Auch wenn sie rasch wieder vorbei waren, die fünf Minuten Ruhm.
erschienen bei: DAS MANIFEST
Photos ©2007 Warner Bros. Entertainment/Norbert Kesten