Dezember 31, 2011

Zuletzt gesehen: I SAW THE DEVIL [aka. AKMAREUL BOATDA aka. HASCH MICH, ICH BIN DER OLDBOY]

Sagenhafter Quatsch zum Quadrat, der sich in einer selbstherrlichen Mischung aus Gorebauer-Pleaser mit Torture-Porn-Zielsetzung und scheinorigineller Drehbuchhyper- konstruktion als kunstvolle Variante des ja besonders im südkoreanischen Kino offenbar nimmer abgenudelten Rachethrillers vorkommt, sich aber samt jeder einzelnen seiner aufgeblasenen 140 Minuten in komplettem Schwachsinn besäuft. Von zwei, drei guten Einfällen abgesehen, inszeniert Kim Jee-woon mit schier unglaublicher Beharrlichkeit eine Blödsinnsidee nach der anderen in ständigen Nah- und Halbnahaufnahmen (grandios-doofer Höhepunkt: das formal von Emmanuel Lubezkis Kamerachoreographie geräuberte und innerhalb der Handlung vollkommen irrelevante Blutgesuppe im fahrenden Auto), während sich Choi Min-sik flagrant an einer Parodie seiner "Kultrolle" vom Hammer schwingenden "Oldboy" abarbeitet (mit Erfolg). Ein Film, der offenbar im kompletten Vollrausch entstanden ist und dank seiner hanebüchenen "Wendungen" auf Backebackekuchenniveau sowie der herrlich doofen Anbiederungsstrategie, dumpfesten Splatter mit Schau-mal-einer-da-Logik zu veredeln, gebührend vertrasht werden muss. Zumindest, so lange man sich an der Kunstfeindlichkeit dieser Mumpitzapotheose nicht die Zähne ausschlägt – was keinem zu verübeln wäre. (Extrapunkte für die super tighten Klamotten des Hauptdarstellers!)


30%

Dezember 27, 2011

Zuletzt gesehen: AUSCHWITZ

Von der Konzeption ("zeigen, wie es wirklich war") bis zur Ausführung eine bodenlose Unverschämtheit, die ihre geradezu prätentiöse Schwachsinnigkeit auch noch erzieherisch verstanden wissen will. Ungeniert und gedankenlos gebärdet sich der Film zwischen allerschlimmster Exploitation – Kindererschießungen im Close-Up mit CGI-Blut, Selbstinszenierung Uwe Bolls als SS-Mann vor Gaskammer- türen, das alles bei gleichzeitiger "Akkuratesse" in der Darstellung des Alltags systematischer Tötung – und schamloser Pseudo-Dokumentation, bei der zum Thema befragte Schüler gnadenlos dem tendenziös-idiotischen Geplapper des Regisseurs ausgesetzt und damit aufs Schlimmste düpiert werden. Als Sättigung des schon barbarisch gehaltlosen Abfalls scheut Boll in einer wohl als Conclusio gedachten Geste totaler Geistesabwesenheit schlussendlich auch nicht davor zurück, den Holocaust als quasi "gängiges" Beispiel eines Massenmords in die Geschichte einzugliedern, so wie etwa der Genozid in Darfur oder die Unterjochung der Indianer durch die "Amerikaner" (sic), und diese "Erkenntnis" fortlaufend zu kolportieren ("also gab’s das schon öfter"). Solchem Irrsinn kann man nur noch ohnmächtig ein Zitat gegenüber stellen: "Viele Menschen sind gut erzogen, um nicht mit vollem Mund zu sprechen, aber sie haben keine Bedenken, es mit leerem Kopf zu tun." (Orson Welles). 


0%

Zuletzt gesehen: THE IDES OF MARCH

Ein das eigene Sujet trivialisierendes Drama vor behaupteter Politkulisse, mit dem sich Regisseur, Hauptdarsteller und Co-Autor George Clooney erneut als großer Denker unter Hollywoods Schauspielequipe in Szene setzt. Im Zusammen- hang mit dem historische Wendungen versprechenden US-Wahlkampf Obama/McCain im Jahre 2008 hätte "The Ides of March" möglicherweise noch so etwas wie einen tagesaktuellen Reiz versprüht, hier und jetzt hingegen hängt er nur wie das schwere Pappende eines klebrigen Fliegenfängers im luftleeren Raum. Dass sich der Film hinter vordergründiger Scheinkomplexität zudem als bloßes Lobbyprodukt von und für Demokraten erweist, geeignet fürs kollektive Abnicken unter Gesinnungsgenossen, macht ihn selbstverständlich auch nicht relevanter. Denn um Politik, also Entscheidungsprozesse und deren Inhalte, geht es in "The Ides of March" keine Minute, das Drehbuch kreist einzig um eine melodramatische Sexaffäre, die dem Präsident- schaftskandidaten zum Verhängnis werden könnte, sowie die hiermit verknüpfte Gewissensprobe eines Wahlkampfhelfers. Damit legt Clooney eben nicht, wie man ihm so bequem andichten könnte, den politischen Machtapparat als moralischen Zirkus frei, sondern bestätigt unter Zuhilfenahme von Seifenopernklischees bestenfalls dessen Fragilität – und wie sehr man doch nach den Regeln der Korruption spielen müsse, um die eigenen Ideen sicher ins Ziel bringen zu können. Was für eine tiefsinnige politische Erkenntnis. 


35%

Dezember 26, 2011

Kino: BLUTZBRÜDAZ

Irgendwann wollen sie alle mal Kino machen, die Popstars, auch wenn die Filmgeschichte mit ihren Konvertierungs- versuchen selten gnädig ist. Zu den wenigen Ausnahmen von der Regel zählte 2002 Eminems Sozialdrama "8 Mile", das nicht nur Hip-Hop im Musikfilm-Mainstream verankerte, sondern auch eine ganze Serie ähnlich ausgerichteter Filme nach sich zog. Mit etwas Verspätung erreicht der Trend jetzt allmählich auch die deutsche Kinoproduktion.

Den Anfang machte im letzten Jahr der hierzulande erfolgreichste und zwischenzeitlich gar mit dem Integrations-Bambi ausgezeichnete Rapper Bushido, der seine autobiographische Notdurft mithilfe von Bernd Eichinger verrichtete. Die Erkenntnis aus vermöbelten Frauen, bedingungsloser Mutterliebe und schließlich medienwirksamer Imagetüftelei lautete feingeistig "Zeiten ändern Dich" und legte die Messlatte für deutsche Hip-Hop-Spielfilme in beeindruckender Weise bei Null an.

Bushidos ehemaliger Label-Buddy, dann Erzfeind und jetzt wieder verbrüderter Duett-Digga Paul Würdig aka. Sido musste als zweiterfolgreichster Deutsch-Rapper bislang noch auf eine Filmhauptrolle warten. Unter der Regie von Özgür Yildirim ("Chiko") und mit Vorzeige-Produzenten-Credit im Rücken (Fatih Akin) darf nun auch Sido Kino machen. Trotz gleicher Produktionsgesellschaft (Constantin) könnte sich dessen erster Film von Bushidos hochnotpeinlicher Marketingchose kaum krasser unterscheiden.

"Blutzbrüdaz" ist keine Adaption, kein Biopic und kein Musikstarvehikel. Sido spielt nicht sich selbst und er muss auch nicht Eckpunkte seines Lebens oder seiner Karriere unbeholfen nachstellen. Er verkörpert eine Figur, genau wie seine langjährigen Weggefährten B-Tight oder Apla Gun, die in weiteren Hauptrollen zu sehen sind. Der Film erzählt eine frei entwickelte und recht konventionell strukturierte Geschichte über den steinigen Weg zum Erfolg im Berliner Rapmusikgeschäft. That’s it. Und glücklicherweise.

Denn das von Özgür Yildirim mit leichter Hand inszenierte Sido-Kinodebüt als ulkige Komödie aufzuziehen, ist wahrscheinlich die einzig logische Konsequenz, die man aus Fremdscham-Debakeln wie dem Bushido-Film oder ähnlich missglückten US-Pendants ("Get Rich or Die Tryin") ziehen konnte. Statt Imagepflege gibt’s Selbstironie, statt Pseudo-Gangster-Getue augenzwinkernden Humor mit großen Jungs. Und es geht auch nicht um die irrelevanten Tagebuchweisheiten eines Rappers, sondern tatsächlich um Musik und einen spezifischen Teil der Berliner Hip-Hop-Kultur.
Mit einer am Ende der 90er angesiedelten Geschichte um zwei Rapper, deren Freundschaft auf dem Weg zum kommerziellen Musikgeschäft durch Missgunst und unterschiedliche Haltungen zum Hip-Hop auf eine Bewährungsprobe gestellt wird (Beef), reflektiert "Blutzbrüdaz" die neueren Entwicklungen in der Szene (leichte Parallelen zu Aggro Berlin inbegriffen) mit erfrischendem Unernst, naivem Charme und geradezu niedlich-quirligen Figuren. Selbst die Klischees des Genres, den Chauvinismus etwa oder das unsägliche Mackergetue, bricht der Film auf erheiternde Art.

Damit ist "Blutzbrüdaz" ein wohltuender Gegenentwurf zur proletenhaften Attitüdenrevue von "Zeiten ändern Dich", der sich mit anbiedernden Korrekturen am Medienimage seines Hauptdarstellers auch noch selbst demontierte. Wie sehr sich die beiden Filme der aktuell erfolgreichsten deutschen Rapper unterscheiden, zeigen nicht zuletzt ihre jeweiligen Schlussszenen: Bushido trällerte sich mit Karel Gott und seiner Biene Maja zum unglaubwürdigen Saubermann-Jungchen, während Sido in "Endstation" den Persönlichkeits- verlust im kommerziellen Hip-Hop beklagt.


60% - erschienen bei: gamona

Dezember 20, 2011

Zuletzt gesehen: THE HELP

Nach allen Regeln der Kitschkunst gefertigtes Rührstück über schwarze Hausmädchen im Mississippi der 60er, die nicht mehr nur länger bei Wohnungsputz und Kindererziehung weißer Mittelstandsfamilien helfen, sondern auch eine junge angehende Journalistin zu einem Buch über ihren diskriminierenden Arbeitsalltag inspirieren. Mit einem üppigen Ensemble, das der sorgfältig aufgezogenen Süßlichkeit die volle Breitseite verleiht, und einer beispiellos schwarzweiß gedachten Konfliktdramaturgie erfüllt "The Help" nicht nur jegliche Oscarkriterien mit Auszeichnung, sondern setzt die Tradition eindimensional gestrickter Hollywoodfilme ähnlicher Ausrichtung gnadenlos fort. Schwarze versteht der Film unterm Strich als Menschen ohne Eigenschaften, die sich mit Opfergaben in die Selbstlosigkeit demütigen (lassen), wenn sie nicht gerade mit klischeehafter Güte und Weisheit stillschweigend die ganz große Wahrheit hinter allem erkennen – bis im Finale die Ansprachen fallen, was sonst. Dass "The Help" deren weiße Unterdrücker zu aufgetakelten, geradezu karikaturesken Antagonisten stilisiert, um aus rassistischer Aggression auch noch fiebrige Spannungsmomente zu kreieren, versichert ihn aber immerhin gegen jede Form von Ernsthaftigkeit. Eine doppelt und dreifach gezuckerte Schmalzstulle von einem Film, bei der man wohl selbst noch den Erstickungstod in Kauf nehmen muss, um wenigstens eine Träne der Rührung vergießen zu können. Help!


30% (siehe auch: "The Blind Side")

Dezember 19, 2011

Zuletzt gesehen: RABBIT HOLE

Fast schon penetrant gut gemeintes Familienmelodram, in dem ein Mittelklasseehepaar darum bemüht ist, den Tod seines vierjährigen Sohnes bewältigen und wieder auf die Alltagsbahnen des gewohnheitsmäßigen Suburbia-Lebens zusteuern zu können. Obwohl John Cameron Mitchells Inszenierung Subtilitäten mal wieder ganz hinten anstellt (vgl. auch "Shortbus") und das vom Autor der Theatervorlage, David Lindsay-Abaire, selbst adaptierte Drehbuch scheinbar keine konstruierte Offensichtlichkeit auslassen möchte, gelingen "Rabbit Hole" einige mehr als passable Momente, in denen der eindringliche Stoff konzentriert problematisiert wird. Dem Film hätte dabei weniger Üppigkeit in seinen evidenten Details gut getan, tieferes Kratzen am Oberflächenlack ebenso. Kidman und Eckhart spielen sich mit bemerkenswerter Zuversicht an allen Schwächen vorbei, wobei er noch viel besser ist als sie und trotzdem nicht für den Oscar nominiert wurde. In einer (nicht unfreiwillig komischen) Szene überraschte mich übrigens ein herzlicher Lachanfall, für den ich dem Film zusätzlich sehr dankbar bin.


50%

Dezember 18, 2011

Zuletzt gesehen: COPIE CONFORME [aka. CERTIFIED COPY aka. DIE LIEBESFÄLSCHER]

Intellektuelle Vergnügungssucht über einen englischen Buchautor und eine französische Kunsthändlerin, die in wohlgestalten Plansequenzen durch die Toskana flanieren, anregende Gespräche führen und schlechten Wein trinken. Ihr arbiträres Diskursgeschwafel über Kunst- und darüber abgeleitete Lebensfragen gerinnt bald zur trügerischen Demonstration von Schein und Sein, während sich im eitlen Vortragsgestus der beiden Protagonisten vor allem immer erst einmal dickwanstig aufgeplustert wird, um dann deklamatorisch auf den eigenen einfältigen Hirnsport zu verweisen. Irgendwann grinst die Binoche dann mal in die Kamera und winkt den Fetischisten der Vierten Wand zu, ob dass sich das Gedankengeflecht noch weiter verdichten mag. Was in diesem scheinbar kopfsportlich gedehnten Debattier- clubverhalten herumkommt, ist so geistreich wie der Burger mit Pommes und Cola, den Binoches Filmsohn zu Beginn bestellen lässt – eine Figur apropos, die den urgrundbanalen Sublimierungszirkus schon durchschaut, bevor er überhaupt begonnen hat. Nur mag das Regisseur Abbas Kiarostami leider trotzdem nicht davon abhalten, diesem noch den ganz langen roten Teppich auszurollen und seine beiden "Liebesfälscher" darauf schamlos um die Wette palavern zu lassen. "It's not very simple being simple", wie wahr, wie wahr.


20%

Zuletzt gesehen: ESSENTIAL KILLING

Solider Prätentionsmainstream von der Festivalstange, dem das betont Unkonkrete wohl mal wieder als Schutz- mechanismus vor Deutungshoheit und Positionierung dienlich sein soll. "Essential Killing", der zweite Film des polnischen Neue-Welle-Urgesteins Jerzy Skolimowski nach dessen fast jahrzehntelanger Regiepause, fährt einige besonders ulkige Momente auf, während sich Vincent Gallo als Taliban-Irgendwas auf seinem Surivialtrip respektabel abmüht. In der kitschigen Visualisierung von Rückblenden und Träumen und Wahnvorstellungen und Christentrash tendiert der Film aber ins Kopfschüttelige. Was das forcierte Einleben in eine solche Figur eigentlich soll, bleibt natürlich auch unbeantwortet. 


40%

Dezember 15, 2011

Kino: LET ME IN

Vor drei Jahren begeisterte das schwedische Horrordrama "Let the Right One in" hierzulande die Besucher des Fantasy Filmfests und kurz darauf auch ein vergleichsweise breites Kinopublikum. Besonders international erregte die Roman- verfilmung Aufmerksamkeit, ihr seither gefragter Regisseur Tomas Alfredson stellte mit dem umjubelten "Tinker, Tailor, Soldier, Spy" jüngst seinen ersten englischsprachigen Film in Venedig vor. Keine Frage also, dass das skandinavische Vampirmärchen vorher noch für untertitelfaule US-Zuschauer neu aufbereitet werden musste.

Die Geschichte blieb erhalten, ihr Kern nicht. Angesiedelt nun im New Mexico der Früh-80er (diesmal extra mit Zeiteinblendung), erzählt das Remake noch einmal von der Annäherung des schüchternen Jungen (Kodi Smit-McPhee) und dem ewig 12jährigen Mädchen (Chloë Grace Moretz aka. Hit-Girl). Zwischen Schulhänseleien und adoleszenten Gewaltfantasien, triebhaftem Blutdurst und stiller Sehnsucht nach Liebe entwickeln die ungleichen Kinder eine tiefe Beziehung zueinander. Und im Fernsehen läuft Ronald Reagan.

Glücklicherweise verschwendete Alfredson weder Zeit noch Talent, das Remake seines Erfolgsfilms selbst zu inszenieren. Mit ähnlichen Versuchen, ein Bein in die Hollywoodtür zu setzen, scheiterten schließlich kommerziell und künstlerisch zuvor schon nordeuropäische Kollegen wie Ole Bornedal ("Nightwatch"). Vielleicht wäre "Let Me In" ein interessanterer und sinnfälligerer Film, hätten tatsächlich Alfredson und sein Autor John Ajvide Lindqvist ihren Stoff spezifisch amerikanisch neu interpretiert, aber das muss Spekulation bleiben.

Natürlich darf erst einmal jeder Film noch mal gemacht werden, kann jede Geschichte wieder und wieder erzählt werden. Grundsätzlich spricht gewiss nichts dagegen, ein Meisterwerk wie "Let the Right One in" neu zu verfilmen. Selbst oder vielleicht gerade in den makellosesten Höhepunkten des Kinos verbergen sich immer noch neue Blickwinkel, durch die sie gesehen werden können, und im besten Falle ja eben auch eine Mehrdeutigkeit, die andere Perspektiven geradezu herausfordert.

Alfredsons erschütternd profunde Coming-of-Age-Horrorstudie hätte durch einen ergänzenden (kulturell anders verorteten) Ansatz theoretisch gar noch gewinnen können. Im Idealfall. Matt Reeves jedoch scheint vom Film so angetan gewesen zu sein, dass er ihn einfach noch mal selbst drehen wollte, die eigene Unzulänglichkeit mit fremdem Können gedeckelt. Sogar das könnte ja, in einem ideellen Sinne, noch von gewissem Reiz sein, als präzises Shot-by-Shot-Remake beispielsweise, um schlicht hervorzuheben, was besser eben nicht mehr möglich sei.

Dem Regisseur der ulkigen Wackelkamerainvasion "Cloverfield" aber will einfach nicht viel einfallen, von den beschriebenen Konzepten ist Reeves weit entfernt. Manches stellt er eins zu eins nach, anderes verschlimmbessert er, und die Wesentlichkeiten der Vorlage hat er sogar überhaupt nicht verstanden. Seine Adaption des Drehbuchs (nicht des Romans) tilgt fleißig die Subtilitäten der Vorlage und bügelt sie in einer Mischung aus Nachstellungsgestus und Weichspülung des Materials glatt und geschmeidig. Die sonderbare Abgründigkeit des Originals weicht den irritierenden Überbleibseln einer US-Konvertierung.

Fast alles an diesem Film ist unecht, die zurechtgestutzte Freundschaft der Kinder ebenso wie der Schnee, in dem sie spielen. Das Vampirmädchen hüpft nun wie eine Computerspielfigur über Bäume und Dächer, und die Geschlechterfrage spielt sowieso keine Rolle mehr – die Großaufnahme eines jugendlichen Schambereichs mag man prüden US-Zuschauern schon gar nicht zumuten. Zur Eindeutigkeit verdammt letztlich auch die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern: Des Mädchens greiser Freund ist eben ganz klar nur ein solcher, der Vater des Jungen wiederum spielt sogar fast gar keine Rolle.

Und weil die amerikanische Angleichung/-passung auch bildästhetisch "funktionieren" muss, wurde das kühle Blau des Originals durch ein saftiges Braun-Orange ersetzt, das die Geschichte mit vertrautem Colorgrading an den Rand der sehgewöhnlichen Banalität visualisiert. Klar auch, dass künstliche Linsenreflexionen da dann nicht fehlen dürfen, Reeves hat die J.J.-Abrams-Schule schließlich nicht grundlos als Jahrgangsbester absolviert. Dem offenbar einzig auf eine Konventionalisierung der Vorlage abzielenden Simplifizierungs- konzept des Films wird somit immerhin optisch entsprochen – auch (k)eine Leistung.


30% - erschienen bei: gamona

Dezember 13, 2011

Zuletzt gesehen: THE SKIN I LIVE IN [aka. LA PIEL QUE HABITO aka. DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE]

Wem die melodramatische Perversion eines "Talk to Her" (Hable con ella), in der sich ja nichts anderes als die Radikalität menschlicher Begierden spiegelte, noch nicht weit genug ging, darf sich von Pedro Almodóvars neuem Film in psychologische Abgründe entführen lassen, die sonst nur noch ein David Cronenberg zu ergründen wagt. Zwischen totaler Frauen- UND Männerverstehung*, Genreaneignung und maximal trügerischer Arthauskultiviertheit setzt "The Skin I Live In" von der ersten Minute an einen disparaten Gedankenstrom in Gang, der seine exploitativen Elemente allerhöchstens bildästhetisch verschleiert, inhaltlich jedoch genüsslich auskostet und bedachtvoll <-> eruptiv in extreme Fragestellungen überführt. Voller Schön- wie gleichermaßen Hässlichkeit und entscheidendem Blick fürs Bizarre, ein wunderbares Vergnügen. Mit solchen Filmen kommt wohl nur noch ein vermeintlicher Kunstgewerbler wie Almodóvar durch.


80%

Dezember 07, 2011

Kino: PERFECT SENSE

Nicht mehr hören, nicht mehr sprechen, nicht mehr sehen können. Nach und nach verlieren alle Menschen auf der Welt ihre Sinne, eine unerklärliche Epidemie stellt ihr Sein in Frage. Was bleibt dem Menschen, wenn seine visuellen und auditiven Fähigkeiten verschwinden. Wenn er sich nicht mehr mitteilen oder auf Mitteilungen reagieren, nicht mehr in Kontakt zu anderen stehen und seine Umwelt wahrnehmen kann. Dies meint David Mackenzies neuer Film sicher beantworten zu können: ein "Perfect Sense".

Der Apokalypse gehen, so gehört es sich in den Bedrohungs- szenarios des Science-Fiction-Kinos, deutliche Warnsignale voraus. Der kollektive Verlust von Sinneswahrnehmungen ist ein sukzessiver, seine Anzeichen rasch deutbar. Vom nicht mehr riechen können bis zur totalen Blindheit vergehen nur Monate, mit quälender Gewissheit steuert die Menschheit auf ihr Verderben zu. Am endzeitlichen Vorabend, inmitten von Fatalismus und letzten Hoffnungsschimmern, lernen sich Susan (Eva Green) und Michael (Ewan Mcgregor) kennen. Nicht vom Ende der Welt erzählt dieser Film, sondern vom Beginn einer Liebe.

In den Vorzeichen der anbahnenden Katastrophe ist die Annäherung der Forscherin und des Chefkochs schon am Anfang von besonderer Intimität und Leidenschaft geprägt. Nach jedem weiteren verschwundenen Sinn richten sie sich auf die jeweils neue Situation ein; bangend, lediglich von einem besiegbaren Virus befallen zu sein, ahnend, dass sie bald nichts mehr haben außer sich selbst. "Perfect Sense" ist nicht an den Konventionen des Weltuntergangsfilms interessiert, an Wissenschaftlern in Schutzanzügen ebenso wenig wie an der Darstellung von Panik oder Überlebenskämpfen.

Bis zuletzt bleibt der Film bei seinen Protagonisten, teilt ihren Blick und ihre Empfindungen. Jeder Verluststufe geht eine kurze Phase potenzierter Emotionen voraus, die Beziehung von Susan und Michael ist gekennzeichnet von Gefühlswallungen und Wutausbrüchen. Umso intensiver und einfühlsamer skizziert der Schotte Mackenzie zwischen- menschliche Extremsituationen. Was seinen Figuren schließlich bleibt, sind Nähe, Berührung und Sex, die Kommunikation des Körpers. Liebe erweist sich als stärkster aller Sinne: "Besides love, there is nothing.".

Die eigentlichen Spuren der Epidemie, wie gesagt, streift "Perfect Sense" nur am Rande. Interessant ist hingegen, wie er die Sinnesverluste seiner Figuren filmisch verarbeitet, um nicht die Perspektive wechseln und das nahende Unheil von ober- oder außerhalb inszenieren zu müssen. Da Film auf Bilder und Töne angewiesen ist, ergeben sich in der Vermittlung einige Probleme, die Mackenzie – leider – zugunsten des Kinokomforts löst. Nur vorübergehend verzichtet er auf Ton, nur kurz schwärzt er das Bild zum Ende hin. Beeindruckend zwar, nicht aber konsequent, radikal genug.

Würde der Film sein eindringliches Intimitätskonzept nicht außerdem mit einem befremdlichen Voice-over abschwächen, in dem Eva Green philosophische Plattitüden zu recht profan montierten Bildern der (Dritten) Welt predigt, hätte er sich als einer der interessantesten Science-Fiction-Beiträge der letzten Jahre mühelos gegen seine ideellen Quasi-Vorgänger "Children of Men" (2006) und "Blindness" (2008) behaupten können. Sehenswert ist "Perfect Sense" aber dennoch – wann inszeniert schon mal jemand das Ende der Menschheit als gedankenvolle Liebesgeschichte?


60% - erschienen bei: gamona

Dezember 04, 2011

Zuletzt gesehen: FILME IM NOVEMBER 2011


The Thing from Another World
(USA 1951, Christian Nyby, Howard Hawks) (4/10)

The Thing
(USA/CDN 2011, Matthijs van Heijningen Jr.) (3/10)

The Thing: The Terror Takes Shape
(USA 1998, Michael Matessino) (5/10)

Boy with Cat
(J 1966, Donald Richie) (7/10)

Five Filosophical Fables
(J 1970, Donald Richie) (8/10)

The Craft
(USA 1996, Andrew Fleming) (3/10)

Halloween II
(USA 2009, Rob Zombie) (8/10)

Elementarteilchen
(D 2006, Oskar Roehler) (1/10)

Death Proof
(USA 2007, Quentin Tarantino) (8/10)

Blutzbrüdaz
(D 2011, Özgür Yildirim) (6/10)

Drive
(USA 2011, Nicolas Winding Refn) (4/10)

Napola - Elite für den Führer
(D 2004, Dennis Gansel) (2/10)

The Twilight Saga: Breaking Dawn - Part 1
(USA 2011, Bill Condon) (7/10)

Anacondas: The Hunt for the Blood Orchid
(USA 2004, Dwight H. Little) (1/10)

Låt den rätte komma in [Let the Right One in]
(S 2008, Tomas Alfredson) (9/10)

Let Me In
(USA/GB 2010, Matt Reeves) (3/10)

Gremlins
(USA 1984, Joe Dante) (7/10)

Gremlins 2: The New Batch
(USA 1990, Joe Dante) (9/10)

Halloween
(USA 1978, John Carpenter) (8/10)

The Fog
(USA 1980, John Carpenter) (8/10)

Escape from New York
(USA/GB 1981, John Carpenter) (9/10)

The Thing
(USA 1982, John Carpenter) (8/10)

Christine
(USA 1983, John Carpenter) (5/10)

Starman
(USA 1984, John Carpenter) (6/10)

Big Trouble in Little China
(USA 1986, John Carpenter) (5/10)

Prince of Darkness
(USA 1987, John Carpenter) (3/10)

Memoirs of an Invisible Man
(USA 1992, John Carpenter) (4/10)

In the Mouth of Madness
(USA 1994, John Carpenter) (4/10)

Escape from L.A.
(USA 1996, John Carpenter) (3/10)

November 30, 2011

Kino: IN TIME

Zeit ist Geld, diese Redewendung erfährt im neuen Film von Andrew Niccol eine ganz neue Bedeutung. Der Sci-Fi-Thriller "In Time – Deine Zeit läuft ab" beschreibt, wie Menschen aufgrund einer genetischen Veränderung im Alter von 25 aufhören zu altern. Ein rückwärts laufender Timecode aktiviert sich auf ihrem Unterarm und erinnert fortlaufend daran, dass das letzte Lebensjahr begonnen hat. Ist die neongrüne Uhr auf der Haut erst einmal heruntergezählt, schaltet sich der Körper von einem Moment zum nächsten einfach ab. Keine Zeit, kein Leben.

Einzig den Wohlhabenden der Gesellschaft jenseits der Ghetto-Timezones ist Unsterblichkeit vergönnt. Sie handeln mit Zeit, erkaufen und verwalten sie. Ihre Lebensuhren laufen zwar ebenfalls rückwärts, werden jedoch regelmäßig um Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte erweitert – wie Geld, das sich auf Konten anhäuft. Zeit also ist kein selbstverständlich verfügbares, allgemeines Gut mehr, sondern eine lebensverlängernde und –sichernde Ware, die Macht und Stärke symbolisiert. Und wer nicht Acht gibt auf seinen Timecode, der kann auch einfach seiner Lebenszeit beraubt werden, durch Auf- bzw. Entladung per Armberührung.

Diese phantastische Prämisse, die in ihrem technisch-biologischen und sozialen Prinzip an die futuristischen Ideen eines Philip K. Dick erinnert, ist zweifellos interessant genug, um aus ihr einen mitreißenden und klugen Science-Fiction-Film zu entwickeln. Mitreißend ist "In Time" dann auch über weite Strecken, nur an der Ableitung tiefer gehender Gedanken, vielschichtiger Überlegungen oder profunder Schlüsse aus seiner Idee ist der Film wenig interessiert. Das ist sicherlich verschmerzbar, aber auch insofern eine Enttäuschung, als Niccol ebendies mit seinem Regiedebüt, dem Biopunk-Sci-Fi-Drama "Gattaca", vor einigen Jahren noch wunderbar gelang.

Im Zentrum der Handlung steht Will (Justin Timberlake), ein einfacher Arbeiter aus dem Armenviertel, der stets am Limit seiner Zeit lebt: Sein tägliches Gehalt entscheidet, ob er auch den nächsten Morgen noch erleben wird. Als Will bei einem Feierabendbier (kostet etwa eine Stunde, bezahlt wird wie überall über einen Arm-Scanner) einem von kriminellen Zeiträubern bedrohten Fremden hilft, überlässt dieser ihm im Schlaf dessen gesamte Kapazität. Plötzlich verfügt Will nicht nur über 100 Jahre mehr Lebenszeit auf seinem Timecode, sondern muss auch erklären, warum der von ihm gerettete Mann nun tot unter einer Brücke liegt.

Während der Wohlhabende wider Willen sein Vermögen erst einmal dazu nutzt, das durch hohe Grenzgebühren abgeriegelte Ghetto zu verlassen und Lebensjahre im Casino zu verschleudern, sind ihm die so genannten Timekeeper (angeführt vom wie immer unfassbar charismatischen Cillian Murphy) auf den Fersen – eine Quasipolizei, die die bestehenden Ungleichheiten aufrecht erhält. Als man Will des Mordes am unbekannten Zeitspender bezichtigt, kidnappt er die vermögende Despotentochter Sylvia (Amanda Seyfried) und startet eine halsbrecherische Vergeltungstour gegen das Zweiklassensystem.

Die Idee ist stark und sie trägt den Film. Dass Niccol sie bestenfalls für eine recht platte und abgehangene Kapitalismuskritik bemüht, dem aktuellen Gesinnungstrend aus weltweiten Bürgerprotesten gegen die "Diktatur der Finanzmärkte" nur allzu dienlich, schadet "In Time" als Unterhaltungsfilm nicht. Der Verzicht auf eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema (ein derartiges System wie das im Film dargestellte kann eigentlich keine zivilisierte Gesellschaftsordnung mehr zulassen) ermöglicht natürlich die Fokussierung auf einen genretypischen Road-Movie-Plot und dessen unverzichtbarer Liebesgeschichte.

Timberlake und Seyfried bilden ein charmantes Paar (wie sie einmal, ganz uneitel, auch selbst im Film feststellen), werden allerdings beide von Niccols Drehbuch in entscheidenden Momenten im Stich gelassen: Ihre schlussendliche Auflehnung gegen die herrschenden Zustände erscheint schlicht vollkommen unmotiviert. Timberlakes Figur entwickelt sich im Laufe der Handlung aus unerklärlichen Gründen zum Robin Hood, während Seyfrieds plötzlicher Ausbruch aus dem Establishment (nach ihrer Entführung!) mit keiner Silbe oder Geste begründet wird.

Freunde so genannter Logik werden da im Kohärenzabgleichen noch über ganz andere Ungereimtheiten stoßen (nicht einmal die Hälfte der Besetzung geht äußerlich noch als 25jährig durch), und Probleme im Timing des stets auf die Tube drückenden und etwas zu sehr auf vordergründige Plotentwicklung abzielenden "In Time" fallen zusätzlich ins Gewicht. Unterm Strich ist das alles andere als ein schlechter Film, aber seine Zeit-Metapher gedanklich weiterzuspinnen ist letztlich irgendwie reizvoller, als deren eigentlicher Umsetzung zuzuschauen.


50% - erschienen bei: gamona

November 27, 2011

Kino: TWILIGHT - BREAKING DAWN - PART I

Hier an dieser Stelle bezeichnete ich die erste Twilight-Adaption zu ihrem Kinostart noch als "einschläfernde und ideologisch bizarre Biedermeier-Schnulze", nichts ahnend, dass mir deren rühriger Vortragsgestus aus episch ausformulierten Teenienöten und konservierten Prüderieidealen drei Jahre und Filme später einmal zu Herzen gehen würde! Allmählicher Konditionierungseffekt, Kapitulation vor dem Grotesken oder doch schlichte Altersmilde? Vielleicht aber auch sind die Twilight-Filme nach Stephenie Meyer seit ihrem unentschlossenen Debüt tatsächlich besser geworden.

Das Loblied aufs große Warten trällerte Chris Weitz in "New Moon" jedenfalls schon deutlich zurückhaltender als Catherine Hardwicke, Regisseurin des ersten Films. Und in Teenie-Schmonzette Numero 3 verdichteten sich die zuvor lediglich behaupteten Konflikte passend zum Titel ("Eclipse") dann sogar wirklich einmal zum mehr oder weniger komplexen Wechselbad der Gefühle, in dem die schöne Bella allen Ideologiefesseln trotzte und sowohl den sanftmütigen Vampir als auch dessen wilden Werwolfrivalen an die kurze Leine nahm. Der weitgehend handlungsfreie Schmachtzirkus gerann im dritten Twilight-Film tatsächlich zur interessanten Emotionsschraube für Pubertierende, deren Befindlichkeits- radar auch ahnungs- und teilnahmslosen Zuschauern eine Projektionsfläche bot, und sei es nur für lehrreiche Beobachtungen zum Zustand der heutigen Jugend.

Dieser Aufwärtstrend, so es denn einer sein mag, setzt sich im kommerziell zweigeteilten Finale der Serie fort. "Breaking Dawn - Part 1" beantwortet die über drei Filme geduldig zugespitzte Heiratsfrage gleich zu Beginn und lässt der großzügigen Gefühlsrhetorik endlich Taten folgen. Die rund ein Drittel der Handlung veranschlagende und nach allen Regeln der Pompkunst ausinszenierte Hochzeitszeremonie ist stark geeignet, die überwiegend minderjährigen Twihards (so nennt man die besonders inbrünstigen Fans der Bücher und Filme) ins selige Gefühlsnirwana zu duseln, würde Regisseur Bill Condon ("Gods and Monsters") das blümerante Prozedere nicht mit visuell prägnanten Bildern blutiger Vorahnung kontrastieren. Nach der Hochzeitsnacht nämlich, in der Bella und Edward endlich ihren verdienten Kuschelsex bekommen, kündigt sich gar schlimmes Unheil an: Ein Mensch-Vampir-Baby!

Dem (vor)letzten Film kommt klar zugute, dass er viele der zuvor aufgeladenen Konflikte zu einem Abschluss führt, einige angekündigte Versprechen einlöst und tatsächlich mit Tempo und Schmackes das herkömmliche Gefühlschaos an eine action- und spannungsbetonte Dramaturgie koppelt. Bellas Schwangerschaft und Vampirwerdung, Edwards und Jacobs hitziger Monsterzwist, der Kampf zwischen Vampir- und Werwolfsclan - dafür, dass wieder einmal kaum etwas passiert, passiert dann doch so einiges. Bisher gelang es keinem der Twilight-Filme so sehr wie "Breaking Dawn", die endlos verbalisierte Hochdramatik der drei Protagonisten an konkrete Probleme zu knüpfen. Und in ihrer Abschied einläutenden Finalstimmung aus potenziertem Sentiment und kitschig-schöner Romantik ist dieses Fast-Schlusskapitel irgendwie doch erstaunlich einnehmend. Schrittweise Gewöhnung oder Sehnsucht nach idealisiertem Schmalz, eigentlich egal.


70% - erschienen bei: Das Manifest

November 22, 2011

Kino: (GOD OF) CARNAGE

Ein Junge schlägt einem anderen Jungen zwei Zähne aus. Gutes Eingangsbild, so kann ein Film anständig beginnen. Unheilvolle Musik, ein eleganter Zoom, dicke Namen: Roman Polanski, Dean Tavoularis, Alexandre Desplat, das muss was werden. Dann: Koproduzent Oliver Berben, und die Musik ist nicht länger das einzig Unheilvolle im Raum. So filmisch wie in den ersten Minuten geht es im "Gott des Gemetzels" erst einmal knapp anderthalb Stunden lang nicht mehr zu. Schnitt zu Jodie Foster, die gerade ein Papier zum Vorfall aufsetzt. Ihr Kind sei "absichtlich entstellt" worden, sagt sie. "Unser Sohn ist eben verrückt.", entgegnet Christoph Waltz. Die Eltern des Täters zu Gast bei den Eltern des Opfers, ein Versöhnungsgespräch soll es werden. Und dann geht's auch schon los, das Theater im Kino.

Polanski inszeniert eines seiner Lieblingsmotive, die Klaustrophobie, als Beziehungsstück unter Bildungsbürgern in einem einzigen Wohnzimmer. So wurde der Gott des Gemetzels bereits auf der Bühne beschworen, im preisgekrönten Stück von Yasmina Reza. Die theatralische Vorlage ist wahrscheinlich sehr stark, aus ihr stammen die ulkigen Figurenkonstellationen, manch amüsanter Dialog und ein in diesem Kontext beispielloser Gross-Out-Moment. Sie ist sogar offenbar so stark, dass der Film die Bühne einfach ins Kino verlegt. Polanski filmt ein Theaterstück, mit Schnitten zwar und in vielen verschiedenen Einstellungen, aber erzählt in Echtzeit, auf einem Raum, mit Gesten, die bis zur letzten Reihe reichen.

Wie auf einer Bühne also bewegen und reden und gebärden sich die einzigen vier Schauspieler des Films. Paar 1 gegen Paar 2, Jodie Foster (Autorin, Weltverbesserin) und John C. Reilly (Eisenwarenverkäufer, Tierhasser) gegen Kate Winslet (Investmentbankerin, Sittenhüterin) und Christoph Waltz (Anwalt, Advokat, Arschloch). Sie diskutieren, streiten und giften sich an, und um die Sache ihrer Kinder geht es dabei natürlich längst nicht mehr. Der nachmittägliche Mittelschichts-Crash offenbart vielmehr die Zwänge der Heteronormativität, persönliches Unglück im Familienleben genauso wie im Streben nach sozialer Anerkennung. Polanski sieht darin scheinbar Potenzial für ein Kammerspiel, wie er es von "Ekel" bis hin zu "Der Tod und das Mädchen" immer wieder neu variierte.

Doch der Film ist überwiegend anstrengend und zu alledem noch erschreckend ergebnislos. Der spärliche Einsatz filmischer Mittel geht einher mit einem Verzicht auf Abstraktion, während die vier Hauptdarsteller im Mittelpunkt um die Wette künsteln. Schauspiel, das noch einstudierter, noch manierierter ist als hier findet man vielleicht allerhöchstens im, nun ja, Theater. Das eigentlich Schlimmste jedoch: Der Film spielt nicht mit seinen Paaren, er verändert lediglich partiell ihre Blickwinkel und stellt sie letztendlich sowieso gleich. Probleme gäbe es ja schließlich überall, bei schnöseligen Yuppies ebenso wie bei liberalen Gutmenschen. Das ist richtig, das ist banal, das ist langweilig. Der Einladung des Films zu kollektiver Gesinnungsschulterklopferei kommt man da wohl am Besten mit einem guten Wein nach, dann lässt es sich gleich noch mal beherzter kichern. Alles andere wäre ja auch viel zu mühevoll.


30% - erschienen bei: Das Manifest

November 15, 2011

Kino: THE THING

Gesichter, die sich auf bizarre Weise verformen. Arme, die zu riesigen um sich her schlagenden Tentakeln mutieren. Bäuche, die unvermittelt aufreißen und platzen. Schleimige Metamorphosen, groteske Auswucherungen, das Innere nach außen gezwängt – wenn menschliche Körper bis zur Unkenntlichkeit entstellt und biologische Wahrscheinlichkeiten außer Kraft gesetzt scheinen, dann hat die Leinwand eines ihrer grauenhaftesten Monster zurück: Das Ding aus einer anderen Welt.

1951, 1982, 2011 – geradezu zyklisch wird es stets aufs Neue kinotauglich adaptiert, das von John W. Campbell Jr. in der Kurzgeschichte "Who goes there?" beschriebene Wesen. Die erste, von Howard Hawks produzierte und teilgedrehte, Filmfassung interpretierte den Formwandler noch als radioaktives Zwei-Meter-Ungestüm, das wie die meisten Science-Fiction-Filme der 50er Jahre zeitgenössische Ängste kanalisierte, mit der Vorlage jedoch kaum mehr etwas gemein hatte.

Hawks-Schüler John Carpenter entfernte sich 30 Jahre später in seiner Neuverfilmung des Stoffes von den ulkigen Figuren der ersten Kinoadaption und ersetzte das tapsige Gemüsemonster vorlagentreu durch eine höchst bedrohliche Gestalt, die Menschen wie Tiere assimilieren und sich beliebig verwandeln konnte. Die hiermit entfachten Spannungen zwischen den Arbeitern einer antarktischen Eisstation führten zu Misstrauen und Paranoia, ein jeder konnte bereits vom Alien vereinnahmt worden sein.

Durch seine Schwerpunktverlagerung und der sowohl den effektiven Horror der Kurzgeschichte, als auch eine ausweglose Atmosphäre heraufbeschwörenden Inszenierung adaptierte Carpenter den Stoff zu einem verstörenden Genremeisterwerk, das heute zu den besten Horrorfilmen der 80er zählt. Kaum verwunderlich also, dass die neue und mittlerweile dritte Fassung von "The Thing" sich weniger an der Vorlage und deren erster Interpretation orientieren, als vielmehr eine Vorgeschichte zum Carpenter erzählen möchte – inklusiver konkreter Anknüpfungspunkte.

Wir erinnern uns: Zu Beginn des vorherigen Films werden Kurt Russell und Co. von den Überlebenden einer nahe gelegenen norwegischen Station überrascht, bevor sich das Monstrum in Form eines Schlittenhundes bei ihnen einnistet. Jetzt erzählt Debütregisseur Matthijs van Heijningen Jr., wie jene Norweger kurz zuvor auf das Ufo und dessen Piloten stießen, um schließlich sukzessive infiziert und dezimiert zu werden. Lediglich eine US-Wissenschaftlerin (Mary Elizabeth Winstead) nimmt es mit der Bedrohung auf, doch dass ihr das letztlich nicht gelingen kann, weiß man natürlich schon von vornherein.

Mit ihr erweitert der Film den Stoff um eine weibliche Perspektive, wie sie in der 51er-Version nur ganz am Rande und bei Carpenter überhaupt nicht vorkam. Dass hier allerdings eine Frau den Testosteronladen vor seinem Untergang zu bewahren versucht, bleibt erzählerisch vollkommen ungenutzt. Stattdessen muss sich die Winstead-Figur damit begnügen, als Ellen-Ripley-Zitat auf zwei Beinen an Sigourney Weaver zu gemahnen, während Marco Beltrami auf der Tonspur fleißig die berühmten "Alien(s)"-Motive über seinen Score klatscht.

Das aber ist gar nicht das Problem mit diesem neuen "The Thing"-Ding. Dass Problem ist vielmehr, dass kein Mensch diesen überflüssigen Ergänzungsversuch eines bereits makellosen Films gebraucht hat. Wer möchte ausbuchstabiert wissen, was man sich im Carpenter noch auf schaurige Weise zusammenreimen musste. Was dort beklemmend angedeutet wurde, wenn wir die verschneiten Reste der norwegischen Eisstation zu Gesicht bekommen, oder in das Antlitz zweier auf unerklärliche Weise verschmolzener Gesichter blicken müssen. In Carpenters Film begannen die Schrecken einst unvermittelt, nun werden sie akkurat ausgewalzt.

Und weil die Neuauflage auch keine Gelegenheit auslassen kann, konkrete Verbindungen zur 82er-Version zu schaffen (ja, schließlich sogar deren erste Einstellungen in den Abspann übernimmt), stellt sie sich gezielt dem Vergleich mit Carpenters Version. Dass es ihr dabei zu keiner Zeit gelingt, an die atmosphärische Dichte, erlesene Kameraarbeit oder konzentrierte Handlung des Vorbildes anzuknüpfen, ebenso wie die austauschbaren CGI-Splattereinlagen nicht annähernd den Eindruck der überragenden Make-Up-Effekte Rob Bottins hinterlassen, dürfte da eigentlich kaum jemanden wirklich überraschen.

In ihrem Versuch, sich als aufgehübschtes Ergänzungsstück zur vorherigen Adaption der Kurzgeschichte zu behaupten, versagt die jetzige Neufassung von "The Thing" bereits konzeptionell. Statt eine wirkliche Vorgeschichte zu erzählen, ungeachtet des Bedarfs einer solchen, begnügt sich der Film im Wesentlichen mit ausgeschmückten Plot-Details, die rudimentär allesamt schon in Carpenters Version angelegt sind. Wenn dann sogar noch ganze Momente der "Fortsetzung" nachgespielt und somit vorweggenommen werden (der Bluttest, hier zum Zahnersatztest ummodelliert), verabschiedet sich der Film grandios von seiner eigenen Sinnhaftigkeit und mutiert unweigerlich zum schnöden Premake (Prequel + Remake).


30% - erschienen bei: gamona

November 05, 2011

Zuletzt gesehen: FILME IM OKTOBER 2011


Der Zinker
(D 1931, Carl Lamac & Martin Fric) (6/10)

Dreileben - Etwas Besseres als den Tod
(D 2011, Christian Petzold) (4/10)

Dreileben - Komm mir nicht nach
(D 2011, Dominik Graf) (7/10)

Dreileben - Eine Minute Dunkel
(D 2011, Christoph Hochhäusler) (3/10)

Homevideo
(D 2011, Kilian Riedhof) (4/10)

The Lie Chair [Peepshow]
(CDN 1975, David Cronenberg) (2/10)

The Italian Machine [Teleplay]
(CDN 1976, David Cronenberg) (6/10)

Faith Healer [Friday the 13th]
(USA/CDN 1987, David Cronenberg) (3/10)

A Dangerous Method
(CDN/D/CH/GB 2011, David Cronenberg) (3/10)

The Bad Lieutenant: Port of Call – New Orleans
(USA 2009, Werner Herzog) (8/10)

Luau
(USA 1982, Tim Burton & Jerry Rees) (6/10)

Aladdin and His Wonderful Lamp
(USA 1986, Tim Burton) (4/10)

The Jar [Alfred Hitchcock Presents]
(USA 1986, Tim Burton) (5/10)

Scream 4
(USA 2011, Wes Craven) (4/10)

Sky High
(USA 2005, Mike Mitchell) (3/10)

The Adventures of Tintin
(USA/NZ 2011, Steven Spielberg) (6/10)

Carnage
(D/F/PL/E 2011, Roman Polanski) (3/10)

Perfect Sense
(GB/D 2010, David Mackenzie) (6/10)

In Time
(USA 2011, Andrew Niccol) (5/10)

Hanna
(GB/D/USA 2011, Joe Wright) (8/10) 

Sedmikrásky [Daisies]
(CZ 1966, Vera Chytilová) (8/10)

Homme au bain [Man at Bath]
(F 2010, Christophe Honoré) (6/10)

Waisetsu sutêji: Nando mo tsukkonde [Blind Love]
(J 2005, Daisuke Gotô) (5/10)

An Afternoon Siesta
(GR 2011, Panayotis Evangelidis) (1/10)

Blackmail Boys
(USA 2010, Bernard & Richard Shumanski) (3/10)

Madame X
(RI 2010, Lucky Kuswandi) (7/10)

Die Jungs vom Bahnhof Zoo
(D 2011, Rosa von Praunheim) (7/10)

Poo kor karn rai [The Terrorists]
(T/D 2011, Thunska Pansittivorakul) (8/10)

Fucking Different XXX
(D 2011, Maria Beatty, Bruce LaBruce u.a.) (4/10)

Oktober 31, 2011

PornFilmFestival 2011: THE TERRORISTS

Rothemden, Gelbhemden, Fische im Wasser – ein Filmessay von Thunska Pansittivorakul. "One man's terrorist is another man's freedom fighter.", und dann wird quer geschnitten durch das Antlitz des Terrors nach dem Massaker in Bangkok. Als Bestandsaufnahme kollektiven Leids, als unsichere Suche nach Zusammenhängen, als schlichter Ausdruck von Machtlosigkeit und Trauer ist "Poo kor karn rai" (The Terrorists) nichts außer be- und erdrückend, im steten Aphorismus seiner Bilder aber auch unendlich beeindruckend. Vom Politischen ins Private und vom Begrifflichen ins Anschauliche schillert Pansittivorakul zwischen dokumen- tarischer Abbildung und experimenteller Inszenierung im Strom gegensätzlicher Szenen, Orte und Eindrücke. Fragmentarisch bleiben die Bilder, lose die Verbindungen. Wenn Pansittivorakul in Off-Texten die Wunden einer traumatisierten Gesellschaft an die Hinwendung zum Körper bindet und Verbrechen der Obrigkeit mit erigierten Schwänzen verknüpft, übermitteln seine Anblicke radikal wie nachhaltig jenes Gefühl von Zwiespalt, das den Verlust von Einflussnahme und Übersicht mit dem einfachen Bedürfnis nach Empfindsamkeit beantwortet. Schwierig, diskutabel und alles, was Film nur ausdrücken kann. Fische im Wasser, der Letzte macht das Licht aus.


80%

PornFilmFestival 2011: FUCKING DIFFERENT XXX

Weiterführung des bisher streng auf einzelne Metropolen beschränkten "Fucking Different"-Projekts, das erotische Kurzfilmepisoden von Regisseuren aus einer jeweils gleichen Stadt kombinierte (Berlin, New York und Tel Aviv). "Fucking Different XXX" nun versammelt erstmals acht international bekannte Szene-FilmemacherInnen, die ganz persönliche Beiträge von einem Ort ihrer Wahl beisteuern. Die Konzepterweiterung sieht außerdem – der Titel kündigt es an – ausgedehnten Hardcore vor, gefilmt aus der Perspektive des anderen Geschlechts. So begleitet zum Beispiel Todd Verow ("Frisk") Lesben-Cruising in Paris, während Maria Beatty ("Post Apocalyptic Cowgirls") ihre Camp-Version von Abel und Kain in einem New Yorker Schwulenclub inszeniert. Die insgesamt acht Beiträge schwanken von amüsant bis unansehnlich, von einfallsreich bis erschreckend lustlos – und in der Summe ermüden die überwiegend schnell herunter gekurbelten Episoden in ihrer leider handelsüblichen Pornoeintönigkeit mehr, als dass sie halbwegs unterhalten. Interessantes Konzept, enttäuschende Ausführung.


40%

Oktober 29, 2011

PornFilmFestival 2011: DIE JUNGS VOM BAHNHOF ZOO [aka. STRICHER aka. RENT BOYS]

Rosa von Praunheim, einst Regisseur zahlreichen schwulen Ulks, Mediendiva über Gebühr und öffentlicher Outing-Nötiger, gehört ja nun schon seit einiger Zeit zu den interessantesten Dokumentarfilmern Deutschlands. Seine Milieustudien und teils auch hochpersönlichen Arbeiten laufen längst nicht mehr nur pflichtschuldig, sondern wegen ihrer großen Sorgfalt in der Erstellung von Einblicken in Subkulturen, Szenenischen und Zwischenräume des Alltags auf sämtlichen hiesigen Festivals. "Die Jungs vom Bahnhof Zoo", co-produziert vom NDR und rbb, schildert die Entwicklung von Strichern und Callboys in Berlin seit dem Fall der Mauer. Fünf von ihnen begleitet Praunheim, lauscht ihren unterschiedlichen Geschichten und lässt außerdem Freier, Barkeeper und Sozialarbeiter zu Wort kommen. Mit größter Zurückhaltung und fast teilnahmslos dokumentiert der Film Schicksale – selten fragt Praunheim in den Gesprächen nach, nie bohrt er in der Vergangenheit seiner Protagonisten. Gewohnt souverän gelingt es ihm damit, durch Zusammenführung und Montage mehr über die von ihm interviewten Menschen zu zeigen, als diese in den Gesprächen artikulieren wollen und vielleicht auch können. Dank der besonderen Unterschiedlichkeit aller Protagonisten in ihren Lebenswegen, Motivationen und Schlussfolgerungen entwirft der Film ein vielfältiges und komplexes Bild über ein Thema, das anderswo nach wie vor von viel zu vielen Klischees bestimmt wird.


70%

PornFilmFestival 2011: MADAME X

Ein indonesischer Transvestiten-Superheldenfilm über einen Drag-Friseur, der im Lady-Gaga-Outfit, mit gezielten Dance Moves und magischen Wurfmessern bewaffnet, einer homophoben militanten Untergrundorganisation den Garaus macht. Was nach handelsüblichem Indonesia-Trash vergangener Tage klingt, ist der wohl spielerischste und amüsanteste Film des diesjährigen Pornfilmfestivals – eine bis ins Mark queere, anarchistische und obendrein entzückend liebenswürdige Komödie voller Camp und Pomp. Mit "Madame X" erweitert Regisseur Lucky Kuswandi die Reihe der unbeholfenen Normalo-Superhelden der Neuzeit um eine durchgeknallte Drag-Queen. Als Quasi-Ergänzung des momentan angesagten Trends superkräfteloser Superhelden erweitert der Film die jüngeren Blickrichtungen innerhalb der "neuen" Comicästhetik nicht nur um eine queere Perspektive, sondern setzt natürlich auch stechende Duftmarken mit seinen Verweisen auf ganz reale gesellschaftspolitische Entwicklungen in Indonesien. Und wie Kuswandi auf sympathischste Art im Interview erzählte, habe man den Film nur deshalb durch die strenge Zensur bekommen (und einen landesweiten Kinostart erzielen können), weil die zahlreichen der schwulen Szene entsprungenen Insiderwitze und englischen Dialogfetzen dort gar nicht verstanden worden seien. "Madame X" ist also nicht nur irrsinnig komisch, sondern sogar ein bisschen subversiv. Geheimtipp!


70%

Oktober 28, 2011

PornFilmFestival 2011: BLIND LOVE

Sympathische Pink-Eiga-Komödie von Daisuke Gotô ("A Lonely Cow Weeps at Dawn") mit freilich recht zweckdienlichen Sexeinlagen und einem wunderbar skurrilen Plot, der reich ist an aberwitzigen Situationen und ulkigen Figuren. Im Mittelpunkt von "Blind Love" (OT: Waisetsu sutêji: Nando mo tsukkonde), der in Japan bereits 2005 veröffentlicht wurde, steht eine widerwillige Dreiecksbeziehung zwischen zwei Männern und einer blinden Frau, die keinen Schimmer davon hat, dass die Stimme ihres Geliebten gar nicht zu dessen Körper gehört. Diese Konstellation generiert einigen amüsanten Slapstick, für den man natürlich am offensichtlichen Quatsch eher vorbeischmunzeln muss. Gewöhnungsbedürftig und mit Sicherheit nicht jedermanns Geschmack dürfte da schon vielmehr die teils arg schräge Kombination aus melancholischen Anklängen und hemmungs- losem Klamauk sein, die innerhalb einer einzigen Szene zu heftigen Brüchen in der Tonlage führt. Unterm Strich ein vergnüglicher und Pink-typisch knapper Spaß mit ebenso kurzer Lauf- wie Halbwertszeit.


50%

PornFilmFestival 2011: BLACKMAIL BOYS

Knapp zwei Jahre nach ihrem Debütfilm "Wrecked" melden sich die Shumanski-Brüder mit einem weiteren Coming-of-Age-Drama zurück. Die Mischung aus queerer Romanze und Thriller trifft zunächst ein paar hübsche Töne, ehe sich balladeske Stimmung und reinster Schwachsinn die Klinke in die Hand geben. "Blackmail Boys" versteht es geradezu verblüffend, eine an und für sich interessante Geschichte – Boyfriend A stiftet seinen als Stricher arbeitenden Boyfriend B an, dessen prominenten Freier mit einem Sexvideo zu erpressen – auf die konsequent uninteressanteste Art zu erzählen. Am Umstand, dass ebenjener Freier ein fundamentalistischer Christ ist, der in Büchern und Radioshows gegen Schwule wettert, zeigt der Film nur in Hinblick auf seine Titelprämisse Interesse. Am Ende verheizen die Shumanskis ihre Figuren auf beispiellose Art, während sich der in ganz nettem DV-Ambiente präsentierte Schmu mit gleich dreifachem Voice-Over auf der Bild- und Tonebene direkt ins eigene Aus kleistert. Einziger Lichtblick: Das blankziehende Mumblecore-Aushängeschild Joe Swanberg in der Rolle einer unangenehmen Schrankschwuchtel, die sich als Autor von Büchern wie "Accept Jesus’ Friend Request" selbst verleugnet. Zu schade, dass der Film nichts mit ihm anzufangen weiß.


30%

Oktober 27, 2011

PornFilmFestival 2011: MAN AT BATH

Eröffnungsfilm des sechsten Pornfilmfestivals Berlin von Autor und Regisseur Christophe Honoré, der einem größeren Publikum spätestens seit seiner umwerfenden Jacques-Demy-Hommage "Les chansons d'amour" (Love Songs) bekannt sein dürfte. Honoré inszeniert in "Homme au bain" (Man at Bath) das Ende einer schwulen Liebesbeziehung als parallele Bewältigungsphase, in der zwei Männer den Verlust des jeweils anderen zu verarbeiten suchen. Ohne konkrete Anhaltspunkte zu geben, konzentriert sich der Film fragmentarisch auf bestimmte Situationen aus Gegenwart und Vergangenheit, die Raum für Spekulationen sowohl über seine Figuren, als auch die Spuren einer vergangenen Liebe schaffen. Diese ganz spezifische Beschreibung eines Zustands der Trennung ist teils entzückend wirklich, und manchmal auch arg profan. Am Interessantesten wird Honorés Film dann, wenn Hauptdarsteller und Porno-Superstar François Sagat augenzwinkernd, aber auch bitterernst sein nahezu unnatürlich maskulines Image reflektiert. In einer der eindrucksvollsten Szenen heißt es, sein Körper sei wie Kunst, "schlechte Kunst" jedoch. So nackt wie in diesem Moment hat man François Sagat noch nie gesehen.


60%

Oktober 25, 2011

Kino: THE ADVENTURES OF TINTIN

Hunderttausend heulende Höllenhunde! Bereits 1983 sicherte sich Steven Spielberg die Filmrechte an "Tim und Struppi", doch erst jetzt schickt das ewige Hollywood-Wunderkind den wissbegierigen Reporter und dessen cleveren Foxterrier auf ihre erste große Kinoreise. Produziert von Peter Jackson und geschrieben unter anderem von "Scott Pilgrim"-Regisseur Edgar Wright, versammelt "Die Abenteuer von Tim und Struppi" ein internationales Team, das die berühmte Comicserie des Belgiers Hergé vorlagengetreu und mit beispiellosem Aufwand für die Kinoleinwand adaptiert.

"Das Geheimnis der Einhorn" ist der erste von vorerst zwei animierten Tintin-Kinofilmen, den noch unbetitelten zweiten Teil wird dann nicht mehr Spielberg, sondern Peter Jackson – voraussichtlich während seiner Arbeit an "The Hobbit" – drehen und fertig stellen (lassen). Zwar wurden Hergés weltweit gelesene und bereits 1929 erstmals veröffentlichte Abenteuergeschichten schon mehrfach in bewegte Bilder umgesetzt, aber sowohl die wenig bekannten Realfilme als auch die unterschiedlichen Zeichentrickversionen des Stoffes konnte man trotz ihres Charmes oder ihrer Beliebtheit bei Fans kaum als adäquate Verfilmungen der Vorlage bezeichnen.

Erst als Spielberg vor mittlerweile 30 Jahren von europäischen Filmkritikern auf die Verwandtschaft seines ersten Indiana-Jones-Films mit den rätselhaften Schatzsuchen der "Tim und Struppi"-Bände hingewiesen wurde, soll er die Comics kennen und lieben gelernt haben. Auf angeblich ausdrücklichen Wunsch Hergés übertrug man ihm nach dessen Tod die Filmrechte, doch eine anspruchsvolle Kinoadaption sollte auf sich warten lassen. Gerüchten zufolge plante Spielberg zwischenzeitlich eine Realfilmversion mit der androgynen Gwyneth Paltrow als Tim (?!), die jüngere (und nach wie vor zwiespältige) Motion-Capture-Technik jedoch inspirierte ihn nun zur Umsetzung des Stoffes als 3D-CGI-Animations- abenteuer.

Die Bände "Das Geheimnis der Einhorn" und "Der Schatz Rackhams des Roten" bilden die Grundlage des ersten Films, aber auch Elemente aus "Die Krabbe mit den goldenen Scheren" wurden vom Autorenteam in die Handlung eingeflochten. Tim (Jamie Bell) stößt darin auf ein altes Schiffsmodell, in dem sich Hinweise auf einen geheimnisvollen Schatz verbergen. Hinter diesem ist allerdings auch der skrupellose Sakharin (Daniel Craig) her, gegen den sich Tim, sein loyaler Hund Struppi und der stets volltrunkene Kapitän Haddock (Andy Serkis, der bisher womöglich einzige Performance-Capture-Star) auf alle erdenklichen Arten zur Wehr setzen müssen.

Der gelegentlich ein wenig höhepunktlose Einhorn-Zweiteiler erweist sich nicht unbedingt als idealer Einstieg für eine neue Tintin-Kinofilmserie. Zweifellos gehört Haddock (wie später auch Professor Bienlein) zu den beliebtesten Figuren und eigentlichen Stars der Comicserie, für einen ersten Film hätten sich Spielberg und Jackson jedoch vielleicht besser auf die ersten Bände konzentrieren sollen, um Tim und Struppi zunächst allein auf Abenteuerreise schicken und sie damit einem neuen Publikum vorstellen zu können. Gerade das umwerfend schöne erste Drittel des Films zeigt, dass man sich die Einführung weiterer fester Hauptfiguren und ein besonders großes Abenteuer auch bis zum zweiten Teil hätte aufsparen können.

Denn die ersten Minuten warten nicht nur mit einer sensationellen Titelsequenz, zahlreichen Anspielungen und Hinweisen auf die Vorlage und einem Quasi-Cameo von Hergé auf, sondern führen mit heimeligen Schauplätzen und ulkigen Sidekicks wie Schulze und Schultze (Simon Pegg und Nick Frost) geradezu wundersam in die Welt von Tim und Struppi ein. Die Detailverliebtheit in der Animation ist beeindruckend, und bei der Darstellung des Helden bleibt Spielberg den Comics erstaunlich treu: Tim ist ein Junge ohne Eigenschaften und Hintergrund, er wird erst durch sein Umfeld und bestimmte Handlungen annähernd charakterisiert.

Zur gewohnten Höchstform läuft Spielberg wieder einmal dann auf, wenn er Actionszenen geradezu kunstvoll arrangiert und durchspielt. In seinen Verfolgungsjagden und Duellen stecken mehr Ideen und Kniffe, als in jedem anderen computeranimierten Film, die teils sogar in digitale Plansequenzen gehüllten Actionstücke sind nichts außer beeindruckend – und dabei stets übersichtlich, nachvollziehbar und mitreißend choreographiert (in zudem sehr plastischem 3D). Das ist nicht selbstverständlich für einen klassischen Handwerker wie Spielberg, der bisher nicht nur völlig ungeübt war im digitalen Schnitt, sondern mit "Die Abenteuer von Tim und Struppi" schließlich überhaupt das allererste Mal einen vollständigen Trickfilm inszeniert.


60% - (vollständige Version) erschienen bei: gamona

Oktober 13, 2011

Kino: ABDUCTION

Längst überfällig war sie, die erste Hauptrolle des "Twilight"- Schnuckelchens Taylor Lautner (Team Jacob). Immerhin haben sich seine dortigen Co-Stars außerhalb des Mormonen-Franchises schon mehrfach angestellt, auch im allgemeinen Kinogeschehen mitmischen zu können – Robert Pattinsons Liebesdrama mit den Elefanten lief allerdings unter Erwartung, Kristen Stewarts Nicht-Bella-Filme wollte dann sogar gleich niemand schauen. Fraglich gewiss, ob es Lautner mit seinem maßgeschneiderten Leading-Man-Debüt anders ergehen wird.

"Atemlos – Gefährliche Wahrheit" (so übersetzt man also "Abduction", zu Deutsch: Menschenraub) ist komplett auf den 19-jährigen "Hottie" (O-Ton Presseheft) zugeschnittene Teenie-Action als Lightversion der Bourne-Abenteuer, für schmachtende Fangirls gleichermaßen konzipiert wie für Genre-Softies. Ein hauchdünner Ein-Satz-Plot aus belanglosem McGuffin und banaler Identitätssuche sowie willkürliche Actionszenchen klammern eine im Wesentlichen um Lautners Gesichtsbabyspeck und fleißig antrainierten Sixpack heruminszenierte Körpershow für Pubertierende.

Das ist immerhin aufrichtig, aber noch lange nicht gut. Man kann ein Zielpublikum auch bedienen, ohne gleich auf dessen Schößchen springen und kräftig rumrattern zu müssen. Schon in den ersten Minuten gerät der Film über sich selbst ins Sabbern. Lautner soll offenbar geradewegs seinen Mann stehen (sind die Schwulengerüchte etwa auch zu den Produzenten vorgedrungen?), und deshalb müssen zunächst einmal seine Fähigkeiten exponiert werden. Er setzt sich auf die Motorhaube eines mit Vollgas über die Landstraße düsenden Autos, suhlt sich mit Klassenrivalen im Schlamm oder brummt mit dem Motorbike über den Schulhof. Hot!

Daheim gibt’s noch Nachhilfe im Kickboxen vom Papa (Jason Isaacs, auch bekannt als Lucius Malfoy), und auch Mama Hottie (Maria Bello, die Ärmste) kann ihrem permanent oberkörperfrei oder wahlweise auch lediglich in Unterbüchsen herumlaufenden Sohnemann da nur noch zärtlich über den Kopf wuscheln: Hach, "My boys!". In der ersten halben Stunde von "Abduction" ist die Kamera praktisch festgeklebt an Lautners sexy Akrobatik, es kann gar nicht genug Close-ups geben vom Unterlippen kauenden Sonnyboy und seinen athletischen Geschicken (die natürlich nichtsdestotrotz recht beschränkt bleiben).

Nach der großzügig einfältigen Leistungsdemo beginnt der Film dann kurzzeitig Spaß zu machen. Lautner entdeckt auf einer Website für vermisste Kinder ein Foto von sich, im nächsten Moment bereits sind ihm sowohl CIA (in Form von Alfred Molina) als auch dubiose Profikiller (allen voran Michael Nyqvist, bekannt aus der Millennium-Trilogie) auf den Fersen. Mama und Papa Hottie entpuppen sich als Pflegeeltern und werden sogleich eliminiert, einzig seine Schulflamme (kennt man nicht) und eine zuvor in seinem Leben als Therapeutin getarnte CIA-Mitarbeiterin (Sigourney Weaver!) stehen dem plötzlich identitätslosen Teenie bei.

Kurzzeitig Spaß also deshalb, weil hier gleich eine ganze Garde gern gesehener Filmlieblinge zusammenkommt, die den vorhersehbaren Brei zumindest zeitweilig anschaubar macht. Selbst noch in die zweite oder sogar dritte Reihe verdrängt, muss man für Molina oder Weaver dankbar sein, die ja nicht zuletzt eben wegen weitgehend talentfreier Jungsternchen wie Lautner und dem allgemeinen Jugendwahn Hollywoods im US-Mainstream kaum mehr eine (Haupt-)Rolle spielen dürfen. Dass die Größen hier konsequent verheizt werden, ist natürlich klar, ihre Anwesenheit möchte man dennoch nicht missen.

Hinter dieser Besetzung steckt ja auch selbstredend konzeptionelles Geschick: Durch Lautners Muckis und Teenie-Face dringt zu keiner Sekunde auch nur ein Hauch von schauspielerischer Fähigkeit, und nicht einmal für halbwegs originelle Actionszenen hat es im 35-Millionen-Dollar-Budget gereicht. Da kann auch ein mehr oder weniger routinierter Auftragsfilmer wie John Singleton ("2 Fast 2 Furious") nichts ausrichten, außer sich den Gesetzmäßigkeiten des One-Star-Vehikels zu beugen: möglichst viel Gutes daneben stellen, damit das Schlechte im Mittelpunkt vielleicht auch irgendwie ein bisschen gut sein möge.


30% - (komplette Version) erschienen bei: gamona

Oktober 09, 2011

David Hess

  † 69

Oktober 03, 2011

Zuletzt gesehen: MELANCHOLIA

Majestätisch setzt Lars von Trier ("I'm a Nazi.") in den ersten Minuten des Films gemäldehafte Bilder zu musikalischem Pomp (Wagner) in Szene, die wie formschöne Photoshop-Stills daherkommen, und nicht halb so eindrucksvoll wirken, wie sie es vermutlich gern würden. Was folgt, ist eine an der eigenen "Dogma"-Ästhetik geschulte, mit blümeranten Stilisierungen verfeinerte und an Thomas Vinterbergs "Festen" erinnernde Familienkrisengeschichte in wirrem Kameragezuppel und reduzierten Lichtquellen, gebrochenen Blickachsen und ständig wechselnden Brennweiten. Während der zweiten Hälfte dann trüben subtile Spezialeffekte und beeindruckende, dem Titel gerecht werdende, Bilder opulenter Melancholie den (ohnehin mit Vorsicht zu genießenden) Eindruck formaler Strenge, derweilen sich die Figuren immer mehr in einen abgründigen Strudel aus Lethargie, Tristesse und Lebensmüdigkeit bewegen – "Melancholia" ist, ähnlich wie "Antichrist", ein weiterer Schritt von Triers hin zu noch mehr Stil des Stils wegen. Diesmal habe ihn keine Depression inspiriert und angetrieben, ließ der Filmemacher mehrfach verkünden, und deshalb sei dies auch ein weniger schwermütiger, sondern eher ein schöner Film. Man soll ja keinem Menschen etwas Schlechtes wünschen, aber je besser es Herrn von Trier zu gehen scheint, desto profaner sehen seine Filme aus. "Melancholia" hat mich jedenfalls weitgehend unberührt zurückgelassen.


40%

Zuletzt gesehen: FILME IM SEPTEMBER 2011


Blue Valentine
(USA 2010, Derek Cianfrance) (4/10)

Sick Girl
(USA 2005, Lucky McGee) (5/10)

Film socialisme
(F/CH 2010, Jean-Luc Godard) (6/10)

Road to Nowhere
(USA 2010, Monte Hellman) (2/10)

The Hole
(USA 2010, Joe Dante) (3/10)

The Texas Chain Saw Massacre
(USA 1974, Tobe Hooper) (9/10)

The Ward
(USA 2010, John Carpenter) (4/10)

Fright Night
(USA/GB 2011, Craig Gillespie) (3/10)

Hwanghae [The Yellow Sea]
(ROK 2010, Na Hong-jin) (6/10)

Restless
(USA 2011, Gus Van Sant) (7/10)

Heimatlos
(D 1958, Herbert B. Fredersdorf) (2/10)

Bridesmaids
(USA 2011, Paul Feig) (6/10)

Urban Explorer
(D 2011, Andy Fetscher) (2/10)

Abduction
(USA 2011, John Singleton) (3/10)

Melancholia
(DK, F, I, D, S 2011, Lars von Trier) (4/10)

September 28, 2011

Zuletzt gesehen: BRIDESMAIDS

Strukturell den derzeitigen Trends der US-Comedy verpflichtete Hochzeitskomödie, in der statt bierseliger Männer nun eine bunt zusammen gewürfelte Truppe mehr oder weniger hysterischer Frauen ihren Teil zur mehr denn je verspießten Befindlichkeitslage des Genres beitragen darf. Der geschlechtliche Vorzeichenwechsel hindert "Bridesmaids" überraschenderweise nicht daran, sämtliche Klischees der jüngeren US-Komödie akkurat nachzuempfinden, was man sowohl schrecklich unoriginell, als auch ausgleichend gerecht finden kann. Nun also sind es übergewichtige Frauen, die als rülpsende und furzende Sidekicks zum komödiantischen Abschuss freigegeben werden, während sich die Leading Ladies mit einer verhinderten Bachelorette Party herumschlagen müssen. Und auch ein jeder Bissigkeit zuwiderlaufendes Ende aus Sentiment, Läuterung und Harmonie kann und möchte "Bridesmaids" nicht missen. Interessant aber, dass Regisseur Paul Feig das hierdurch evozierte Gegen- oder vielleicht eher Ergänzungsstück, Todd Phillips’ "The Hangover", und dessen miefige Männerbündel-Meriten in ein quasi-feminines Gegenteil verkehrt – mit dem erstaunlichen Resultat, dass "Bridesmaids" zu großen Teilen tatsächlich umwerfend lustig ist, und mit Kristen Wiig zudem eine der talentiertesten Komödiantinnen des jüngeren Kinos entdeckt.


60%

September 22, 2011

Zuletzt gesehen: HWANGHAE [THE YELLOW SEA]

Überaus einnehmendes Actiondrama, das auf verschiedenen Ebenen Grenzsituationen verhandelt, sowohl geographisch-räumlich (Nordkorea – China – Russland) als auch in Hinblick auf vor dem Abgrund stehende, sich an emotionalen Klippen entlang hangelnde Figuren, für die das Leben zwischen Grenzen zur eigenen psychischen und körperlichen Grenz- erfahrung wird. Mit einer recht vordergründig gestalteten Geschichte über soziale Milieus und zwischenstaatlich organisiertem Verbrechen thematisiert "The Yellow Sea" einerseits Existenzialismus im Allgemeinen und Heimatlosigkeit im Besonderen, bewegt sich jedoch mit deutlich ausgespielten Motiven des Actionthrillers (Vergeltung, Verschwörung, Verfolgung) auch stets in einem weitgehend konventionellen Genrekontext. Der in der ersten Hälfte ganz dem Blick seines zentralen Antihelden verpflichtete Film bedient damit beides, ein auf die Authentizität der Milieus gebürstetes Drama ebenso wie spannendes, vom Plot vorangetriebenes Actionkino. Wenn sich im zweiten Teil der Fokus vom individuellen "Erlebnisbericht" zur überladenen Ensemble-Geschichte verlegt, büßt "The Yellow Sea" leider einiges an Intensität ein und enttäuscht nach seinen nahezu grandiosen ersten beiden Kapiteln mit einer gerade auf den letzten Metern unnötig verschachtelten Handlung und doch recht übermäßig zelebrierter Brutalität. Ein sehr guter, aber kein herausragender Film.


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