Februar 13, 2019
Zuletzt gesehen: SENSE AND SENSIBILITY (1995)
Dezember 30, 2017
Jahresrückblick – Die besten Filme 2017
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März 01, 2017
3D-Kino ist gescheitert (schon wieder)
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Juli 01, 2015
Queeres Hollywood; sexuelle Vielfalt wagen
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September 04, 2009
Kino: TAKING WOODSTOCK
Ang Lee nähert sich dem Mythos mit "Taking Woodstock" nun aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Er hat den Stoff unerwartet zu einem nostalgisch-seichten, amüsanten und lakonischen Feel-Good-Movie verarbeitet, mit einem nahezu unüberschaubaren Ensemble, viel Witz und noch mehr Musik. Der taiwanesische Regisseur erwies sich in seinen jegliche Genres durchkreuzenden Arbeiten bislang immer wieder als stiller Beobachter, als präziser Student menschlicher Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Zwischenräume – und wird spätestens seit seiner melodramatischen Western- dekonstruktion "Brokeback Mountain" als einer der besten Autorenfilmer der Gegenwart gehandelt.
Das eigentliche Festival mit seiner Fülle an Musikern streift Lee jedoch nur am Rande. Er erzählt getreu die weitgehend unbekannte, aber wahre Geschichte des schüchternen Elliot Teichberg. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderereltern hilft seiner Familie während der Sommermonate dabei, deren leicht marode Pension in Bethel, einem abgelegenen Örtchen im Bundesstaat New York, in Stand zu halten. Frustriert ob der ausbleibenden Kundschaft und aussichtlosen Überschuldung der Familie stößt Elliot auf eine Zeitungsmeldung über ein groß angekündigtes Musikevent, das kurzfristig abgesagt wurde und nun auf einen neuen Veranstaltungsort hofft.
Diese Chance begreift der Junge natürlich als Wink des Schicksals und beordert seinen alten Schulfreund und Organisator des Festivals Michael Lang in das beschauliche Kaff, um das Konzert schließlich dort veranstalten zu lassen. Familie Teichberg hat jedoch keinen Schimmer, welch logistische und nervliche Belastung sie auf sich nehmen müssen: Bald strömen Hunderttausende Hippie-Pilger in das Provinznest, besetzen Betten, Wiesen und Seen, um die größte Friedensparty aller Zeiten einzustimmen. Inmitten der Love-and-Peace-Atmosphäre lernt Elliot dabei neue Freunde, seine eigene Sexualität und schließlich auch die rigiden Eltern von einer ganz anderen Seite kennen.
Dass Lee eine Geschichte erzählt, die zwar eng mit dem Woodstock-Festival verknüpft ist, sich jedoch weitab vom eigentlichen Zentrum abspielt, gibt ihm die Möglichkeit, den Mythos mit einem anderen Blick einzufangen. Der auf die Organisation statt Durchführung gesetzte Handlungsfokus ermöglicht dem Regisseur zunächst abermals das behutsame Herantasten an ein fremdartiges Phänomen, das er sich gemeinsam mit dem Publikum durch unterschiedlichste liebevolle Figuren und irrwitzige Momentaufnahmen erschließt. Nicht einen einzigen Live-Auftritt rekonstruiert er, nur wenige Minuten spielen gar auf dem eigentlichen Festivalgelände – und doch meint man, dem gigantischen Friedenshappening ganz nah zu sein.
Dadurch betont der Film ebenso clever wie einfühlsam, dass Woodstock nicht nur ein ausgedehntes Musikereignis voller bekiffter Hippies war, sondern mehr als das, eine große Zusammenkunft verschiedener, gegensätzlicher, ulkiger Persönlichkeiten voller bizarrer Situationen, denkwürdiger Momente und ungewöhnlicher Erfahrungen. "Taking Woodstock" ist Coming-of-Age- ebenso wie Coming-Out-Geschichte, Emanzipationskomödie und Initiationsfilm, Familienmelodram und Musikhommage zugleich. Und dennoch inszeniert Lee diese Zeitgeistepisode mit unbeschwerter Hand und von beachtlichem Unterhaltungswert.
Formal orientiert sich der Film dabei mit zahlreichen Bildformatswechseln und Split-Screens an der oscarprämierten Dokumentation von Michael Wadleigh, die Ang Lee mit seiner dramatisierten Version bestens ergänzt. "Taking Woodstock" wird sich bei alledem unterm Strich gewiss den Vorwurf gefallen lassen müssen, der romantischen Faszination des Flower-Power-Spektakels durch seinen leichten Wohlfühlton eher zu erliegen, statt dem Mythos genauer auf den Grund gehen und hinterfragen zu wollen. Lee jedoch hat sich an der Post-Hippie-Generation und ihrer hilflosen Starre bereits abgearbeitet: Sein "Eissturm" thematisierte 1997 eindrucksvoll den Morgen danach.
70% - erschienen bei: gamona

März 27, 2009
News: TAKING WOODSTOCK - Trailer
Oktober 06, 2007
Kino: SE JIE (LUST, CAUTION)

Hongkong 1938: Die junge Studentin Wong Chia Chi (Tang Wei) schließt sich einer Theatergruppe an, die mit propagandistischen Stücken den chinesischen Patriotismus aufrechtzuerhalten sucht. Bald formiert sich aus der Gruppe Studenten eine geheime Widerstandsbewegung, die mithilfe falscher Identitäten Informationen über die japanische Besatzungsregierung erspitzeln will. Im Zentrum der Spionageaktion steht dabei der chinesische Beamte Mr. Yee (Tony Leung), der mit den japanischen Invasoren zusam- menarbeitet. Wong operiert fortan unter dem Namen Mak Tai Tai und mischt sich langsam unter eine Gruppe von Gesellschaftsdamen rund um Mr. Yees Ehefrau (Joan Chen). Bald hat sie dadurch direkten Kontakt zu ihrer Zielperson und beginnt eine Affäre mit dem mysteriösen Mann. Die Operation wird jedoch durch einen Zwischenfall vorzeitig abgebrochen. Erst einige Jahre später, 1941 und dieses Mal in Shanghai, soll Wong ihren Auftrag zu Ende führen.
Es wäre eine Erklärung, dass dieser Film als erste Arbeit des taiwanesischen Regisseurs, des Filmemachers im Widerspruch aus östlicher und westlicher Wahrnehmung, zwischen Yin und Yang und Christentum, alter und neuer Welt, inneren Drachen und äußeren Tigern, emotional nicht greift, weil er zu persönlich motiviert scheint. Dass "Lust, Caution" so distanziert wirkt – und nicht nur deshalb, da er eine entfremdete Zeit widerspiegelt, sondern ihr und seinen Helden auch mit ungewohnt seltsamer Entfremdung gegenüber tritt –, weil sein Schöpfer sich mit ihm gemeinsam eigenen kulturgeschichtlichen, heimatlichen Dämonen gestellt haben könnte. Und so ambitioniert der Film auch sein mag, er erreicht nicht die tiefen Dimensionen all der anderen Arbeiten Lees; er ist ein erster Schritt, längst aber keine Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, er zeigt zutiefst faszinierende Figuren, erzählt aber kaum etwas über sie, und er spinnt komplexe Handlungsfäden, ohne ihnen Motivationen zu geben. Auch wenn Meister Lee all das mit unfassbarer Eleganz vorführt – und der Film allein seiner betörenden Musik wegen wahrgenommen werden muss.
Zweifellos enthält "Lust, Caution" viele Elemente, die ihn einreihen neben "The Wedding Banquet" und "Sense and Sensibility", neben "The Ice Storm" und "Ride with the Devil". Er berichtet von Umwälzungen, Neuausrichtungen, kulturellen Veränderungen. Davon, wie alte Muster schwinden und neue entwickelt werden (müssen), und wie die einzelnen Subjekte in diesem Stadium zu sich selbst finden, sich ihre Identität bewahren und all den Verlust von Harmonie, Familie und einen Teil der Heimat und damit immer auch von sich selbst bewältigen können. Wong Chia Chi ist so eine Figur, die als Heldin eines Ang Lee-Films vieles von sich aufgeben muss, um die Veränderungen ihrer Welt überstehen zu können. Doch es gelingt dem Film nicht, eine Beziehung zwischen ihr und dem Zuschauer zu entwickeln. Es bleibt unklar, welche Motivation die Figur antreibt, es gibt kaum Momente, in denen wir etwas über sie erfahren. Der zweieinhalbstündige Film ist oft kaum nachvollziehbar in seiner Aktion, setzt falsche Schwerpunkte und bleibt meist kühl, fremd, unnahbar. Was bleibt sind Mutmaßungen: Vielleicht weil Wong Chia Chi aus Vaterlandsstolz handelt, aus Liebe zu einem ihrer Mitstreiter oder vielleicht sogar zur Zielperson, dem brillanten Tony Leung. Aber ersteres wird kaum angeschnitten, und über letztgenanntem schweben große Fragezeichen noch weit über den Abspann hinaus.
Den richtigen Ansatz hat Lee dabei ganz sicher gewählt. Es sind die unverhüllten Sexszenen, die etwas über das Seelenleben, über die inneren Zustände und Triebe der Hauptfiguren – und die stillen Figuren sind in Lees Filmen der Schlüssel zu allem – offenbaren. Sie sind so direkt, wie es nötig ist, und so wenig voyeuristisch, wie man es von ihrem Regisseur erwarten darf. Nie ergötzt sich der Film an ihnen, nie bedienen sie simple Erotik, sondern sind als wesentlicher und vorantreibender Bestandteil der Handlung essentiell. Die Nacktheit der beiden Figuren, ihr akrobatischer Sex, ihr Masochismus und der Hang zur Selbsterniedrigung sagen mehr über sie als all der konfuse, lediglich grob skizzierte Rest des Films. Diese Szenen geben eine Idee davon, was aus "Lust, Caution" hätte werden können – und auch werden müssen. "Wenn ich einen Film in englischer Sprache drehe, finde ich den Faden viel schneller, als wenn ich einen Film auf Chinesisch drehe.", hat Ang Lee 2005 in einem Interview gesagt. So bedauerlich es auch ist: Hier findet er ihn leider gar nicht.
55% - erschienen bei DAS MANIFEST
September 09, 2007
News: PREISTRÄGER IN VENEDIG 2007
August 27, 2007
News: LUST, CAUTION - Dt. Starttermin!

Da Lee nicht gewillt war, an den expliziten Sexszenen zu schneiden, kommt der Film tatsächlich mit einem NC-17 ins Kino!
Januar 14, 2007
Retro: HSI YEN (1993)

Den Film durchzieht eine innere Spannung, die sich aus dem Widerspruch zwischen fernöstlicher Mentalität und westlichen US-Sitten ableiten lässt. Vom Leben des jungen Wei-Tung und seinem Freund Simon im modernen, aufgeklärten New York wissen die Eltern nichts, sie erhoffen sich daheim, dass ihr Sprössling eine wohl gesonnene Frau finden und alsbald für Nachwuchs sorgen wird. Der angekündigte Besuch kompliziert einiges, sodass sich das Paar gezwungen sieht, ein umfangreiches Lügenkonstrukt zu entwerfen: Eine Freundin Wei-Tungs soll als Ehefrau in spe fungieren, so lange bis die Eltern wieder ihre Heimreise antreten werden. Das sorgt für einige Probleme und droht im totalen Familienchaos zu kulminieren, doch Ang Lee ist nicht der Mann für turbulente, überdrehte Geschichten, sondern porträtiert leise und überaus sorgfältig, mit sanftem Humor und feinfühliger Tragik die Eigenheiten des chinesischen Kulturverständnisses.
Es ist der persönlichste Film des Regisseurs, der sich selbst zwischen zwei Welten zurechtfinden musste und stets mit der Aufgabe zu kämpfen hatte, Traditionen mit Neuerschaffungen zu vereinbaren. Dieser ständige Dialog des Lebens als Hintergrund verhilft "The Wedding Banquet" zu seiner warmherzigen Lebendigkeit. Die westlichen Klischees, die in Zusammenhang mit der chinesischen Kultur geäußert werden, sind zumeist Essen und Familie – als Element und Thema bestimmen sie auch diesen Film, doch nicht ohne gründlich untersucht zu werden. Denn das Kochen erscheint bei Lee als Motiv für eine Art Ersatz-Kommunikation zwischen den Figuren. Entweder verständigen sie sich über die Zubereitung des Essens wie im Falle von Simon und Wei-Tungs Mutter, reden zu Tisch über Nahrung und Nichtigkeiten, oder ziehen sich einfach stillschweigend zurück – und kochen, in sich gekehrt.
Dadurch wird, ganz nebenbei, mit kleinen Nuancen in alltäglichen Situationen das Bild dieser Familie gezeichnet. In dem chinesischen Emigranten Wei-Tung mag sich Ang Lee gewiss wieder finden: Das Leben in den USA wird durch die eigene Identität eingeholt, und das entnervte Auftreten des Mannes ist Ausdruck einer schweren Erkenntnis – dem schleichenden Verlust kultureller und familiärer Wurzeln, dem unauflösbaren Widerspruch zwischen individuellem und familiärem Glück. Der innere und äußere Druck, dass alles der chinesischen Ordnung und Harmonie entsprechen muss, droht den jungen Mann zu zerreißen. Als jemand, der seine Sexualität frei ausleben und dennoch nicht mit den kulturellen konfuzianischen Traditionen brechen möchte, ist Wei-Tung die typische Lee-Figur, die den Kampf des Individuums gegen normative Regeln und Strukturen und auferlegte Kodexe ausfechten muss.
Dabei ergibt der Blick unter die harmonische Oberfläche ein ernüchterndes Bild. Zuletzt ist es der Vater, das patriarchalische Oberhaupt, das seinen Führungsverlust längst eingestanden hat, der das Geheimnis seines Sohnes bereits kannte, und die Ehefrau (die ihn vor der Wahrheit wiederum „schützen“ will) in dem Glauben lässt, er wüsste es nicht. Das erwünschte Enkelkind wird Wei-Tung seinen Eltern durch einen unverhofften Zwischenfall – die vorgetäuschte Liebesnacht mit der Scheingattin hat einen unerwarteten, versehentlichen Ausgang – schenken können, das ist alles, was für sie zählt. Sie wissen, ihr Sohn lebt nach einem anderen Modell als dem ihrigen, doch sie sprechen nicht darüber – sie kochen. Am Ende von "The Wedding Banquet" steht die bittere Erkenntnis über die Beschaffenheit der Ideologie von Familie: Sie kann intakt und harmonisch sein, doch ausschließlich deshalb, weil sie auf Lebenslügen basiert.
80%