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Februar 13, 2019

Zuletzt gesehen: SENSE AND SENSIBILITY (1995)

Jane Austen als konfuzianisches Sittenbild. Im englischen Landadel des 19. Jahrhunderts spielt dieser Film, er zeigt eine Welt der falschen Gefühle, der absurden Knickse, tristen Entschuldungsgesten, und hinter jeder zwischenmenschlichen Regung haust irgendein pragmatischer Gedanke, der Figuren zwischen Aufbruch und Selbstverleugnung, Begehren und Pflichtbewusstsein beschwert. Daraus hat Ang Lee, was keine leichte Aufgabe ist, einen ungekünstelten Film gedreht, evokativ und doch zurückhaltend, im Verzicht auf Ausagierungszwänge, denen so viele andere Filmemacher verfallen. Es ist seine respektvolle Distanz, die überhaupt erst Nähe zu den Figuren ermöglicht, mit räumlichen Anordnungen, die jenen "Sicherheitsabstand zwischen den Menschen" betonen, "den die gute Erziehung einzuhalten gebietet" (Fabienne Liptay). Für besonders herzzerreißende Momente sorgt Alan Rickman. Niemand hat den früh verstorbenen Schauspieler und dessen sonore Stimme zärtlicher in Szene gesetzt als Ang Lee.

Dezember 30, 2017

Jahresrückblick – Die besten Filme 2017

Spärlich gesät waren die Kinohöhepunkte 2017. Umso mehr Liebe verdienen die Musicals und Melodramen, die schönen Belastungsproben und sogar schönen Blockbuster der zurückliegenden Monate. Eine Top 10.

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März 01, 2017

3D-Kino ist gescheitert (schon wieder)

Abgeflautes Zuschauerinteresse, verschenkte Möglichkeiten und eine nur noch geringe Anzahl tatsächlich in 3D gedrehter Filme haben die einstige Zukunft des Kinos zur tristen Gegenwart werden lassen. 3D ist gescheitert – und das leider zu Recht.

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Juli 01, 2015

Queeres Hollywood; sexuelle Vielfalt wagen

Überall darf in den USA bald gleichgeschlechtlich geheiratet werden. Es liegt an Hollywood, der Benachteiligung von Lesben, Schwulen und Trans*Personen nun auch im Filmgeschäft einen Riegel vorzuschieben – und vielleicht ganz einfach mal queeres Begehren zuzulassen. 

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September 04, 2009

Kino: TAKING WOODSTOCK

Im Sommer 1969 verhalf die Mutter aller Popmusikfestivals einem amerikanischen Mythos zu seiner Form. Es war der Höhepunkt der Hippiebewegung und zugleich ihr triumph- ierender Schlussakkord: Das Woodstock-Festival sollte historisches Zeugnis eines friedvollen Kollektivs werden, und es ist bis heute das Symbol einer Bewegung des Aufbruchs, die ihren subversiven Geist mit einfachen Botschaften vermittelte. 32 Bands und Künstler, mehr als 400 000 Zuschauer – "drei Tage Liebe, Frieden und Musik".

Ang Lee nähert sich dem Mythos mit "Taking Woodstock" nun aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Er hat den Stoff unerwartet zu einem nostalgisch-seichten, amüsanten und lakonischen Feel-Good-Movie verarbeitet, mit einem nahezu unüberschaubaren Ensemble, viel Witz und noch mehr Musik. Der taiwanesische Regisseur erwies sich in seinen jegliche Genres durchkreuzenden Arbeiten bislang immer wieder als stiller Beobachter, als präziser Student menschlicher Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Zwischenräume – und wird spätestens seit seiner melodramatischen Western- dekonstruktion "Brokeback Mountain" als einer der besten Autorenfilmer der Gegenwart gehandelt.

Das eigentliche Festival mit seiner Fülle an Musikern streift Lee jedoch nur am Rande. Er erzählt getreu die weitgehend unbekannte, aber wahre Geschichte des schüchternen Elliot Teichberg. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderereltern hilft seiner Familie während der Sommermonate dabei, deren leicht marode Pension in Bethel, einem abgelegenen Örtchen im Bundesstaat New York, in Stand zu halten. Frustriert ob der ausbleibenden Kundschaft und aussichtlosen Überschuldung der Familie stößt Elliot auf eine Zeitungsmeldung über ein groß angekündigtes Musikevent, das kurzfristig abgesagt wurde und nun auf einen neuen Veranstaltungsort hofft.

Diese Chance begreift der Junge natürlich als Wink des Schicksals und beordert seinen alten Schulfreund und Organisator des Festivals Michael Lang in das beschauliche Kaff, um das Konzert schließlich dort veranstalten zu lassen. Familie Teichberg hat jedoch keinen Schimmer, welch logistische und nervliche Belastung sie auf sich nehmen müssen: Bald strömen Hunderttausende Hippie-Pilger in das Provinznest, besetzen Betten, Wiesen und Seen, um die größte Friedensparty aller Zeiten einzustimmen. Inmitten der Love-and-Peace-Atmosphäre lernt Elliot dabei neue Freunde, seine eigene Sexualität und schließlich auch die rigiden Eltern von einer ganz anderen Seite kennen.

Dass Lee eine Geschichte erzählt, die zwar eng mit dem Woodstock-Festival verknüpft ist, sich jedoch weitab vom eigentlichen Zentrum abspielt, gibt ihm die Möglichkeit, den Mythos mit einem anderen Blick einzufangen. Der auf die Organisation statt Durchführung gesetzte Handlungsfokus ermöglicht dem Regisseur zunächst abermals das behutsame Herantasten an ein fremdartiges Phänomen, das er sich gemeinsam mit dem Publikum durch unterschiedlichste liebevolle Figuren und irrwitzige Momentaufnahmen erschließt. Nicht einen einzigen Live-Auftritt rekonstruiert er, nur wenige Minuten spielen gar auf dem eigentlichen Festivalgelände – und doch meint man, dem gigantischen Friedenshappening ganz nah zu sein.

Dadurch betont der Film ebenso clever wie einfühlsam, dass Woodstock nicht nur ein ausgedehntes Musikereignis voller bekiffter Hippies war, sondern mehr als das, eine große Zusammenkunft verschiedener, gegensätzlicher, ulkiger Persönlichkeiten voller bizarrer Situationen, denkwürdiger Momente und ungewöhnlicher Erfahrungen. "Taking Woodstock" ist Coming-of-Age- ebenso wie Coming-Out-Geschichte, Emanzipationskomödie und Initiationsfilm, Familienmelodram und Musikhommage zugleich. Und dennoch inszeniert Lee diese Zeitgeistepisode mit unbeschwerter Hand und von beachtlichem Unterhaltungswert.

Formal orientiert sich der Film dabei mit zahlreichen Bildformatswechseln und Split-Screens an der oscarprämierten Dokumentation von Michael Wadleigh, die Ang Lee mit seiner dramatisierten Version bestens ergänzt. "Taking Woodstock" wird sich bei alledem unterm Strich gewiss den Vorwurf gefallen lassen müssen, der romantischen Faszination des Flower-Power-Spektakels durch seinen leichten Wohlfühlton eher zu erliegen, statt dem Mythos genauer auf den Grund gehen und hinterfragen zu wollen. Lee jedoch hat sich an der Post-Hippie-Generation und ihrer hilflosen Starre bereits abgearbeitet: Sein "Eissturm" thematisierte 1997 eindrucksvoll den Morgen danach.


70% - erschienen bei: gamona

März 27, 2009

News: TAKING WOODSTOCK - Trailer


Der neue Film von Ang Lee. Mit Emile Hirsch! Sieht nach seiner ersten wirklichen Komödie aus. Und es ist ein absoluter Lee-Stoff. Niemand dreht momentan bessere Filme über Amerika und seine Vergangenheit als der taiwanesische Regisseur, dem wir Meisterwerke wie "The Ice Storm" und "Brokeback Mountain" verdanken dürfen. Ich freue mich. Und hoffe nach "Lust, Caution" auf erfolgreiche Genesung.

Oktober 06, 2007

Kino: SE JIE (LUST, CAUTION)

Es sei Ang Lees persönlichster Film, heißt es. Nerven- zusammenbrüche hätten die Dreharbeiten begleitet, und trotz einer heftigen Grippe soll der Regisseur Sonderschichten eingelegt haben, um jeden der 118 Drehtage mit voller Kraft bewältigen zu können. "Lust, Caution" wurde bei den Filmfestspielen von Venedig zwiespältig besprochen, gemessen selbstredend an seinem Meisterwerk "Brokeback Mountain", und erhielt dennoch erneut den Goldenen Löwen als bester Film. Man kann diese Mischung aus Spionagethriller und Erotikdrama, aus Politkrimi und Kostüm-Melodram, versehen überdies mit Film Noir-Anstrichen und angesiedelt vor düsteren Kriegsschauplätzen, ganz sicher nicht mit Lees Genre transzendierendem Vorgänger vergleichen: Wo kein Detail zu viel, keine Nuance zu wenig und kein Bild nicht mindestens zweideutig war, wo mit begnadeter Hand eine der intensivsten, erschütternden und zutiefst empfindsamen Liebesgeschichten aller Zeiten erzählt wurde – da also, wo Ang Lee einen ganzen Kinomythos überwunden hat, kann dieser Film ganz einfach nicht anknüpfen.

Hongkong 1938: Die junge Studentin Wong Chia Chi (Tang Wei) schließt sich einer Theatergruppe an, die mit propagandistischen Stücken den chinesischen Patriotismus aufrechtzuerhalten sucht. Bald formiert sich aus der Gruppe Studenten eine geheime Widerstandsbewegung, die mithilfe falscher Identitäten Informationen über die japanische Besatzungsregierung erspitzeln will. Im Zentrum der Spionageaktion steht dabei der chinesische Beamte Mr. Yee (Tony Leung), der mit den japanischen Invasoren zusam- menarbeitet. Wong operiert fortan unter dem Namen Mak Tai Tai und mischt sich langsam unter eine Gruppe von Gesellschaftsdamen rund um Mr. Yees Ehefrau (Joan Chen). Bald hat sie dadurch direkten Kontakt zu ihrer Zielperson und beginnt eine Affäre mit dem mysteriösen Mann. Die Operation wird jedoch durch einen Zwischenfall vorzeitig abgebrochen. Erst einige Jahre später, 1941 und dieses Mal in Shanghai, soll Wong ihren Auftrag zu Ende führen.

Es wäre eine Erklärung, dass dieser Film als erste Arbeit des taiwanesischen Regisseurs, des Filmemachers im Widerspruch aus östlicher und westlicher Wahrnehmung, zwischen Yin und Yang und Christentum, alter und neuer Welt, inneren Drachen und äußeren Tigern, emotional nicht greift, weil er zu persönlich motiviert scheint. Dass "Lust, Caution" so distanziert wirkt – und nicht nur deshalb, da er eine entfremdete Zeit widerspiegelt, sondern ihr und seinen Helden auch mit ungewohnt seltsamer Entfremdung gegenüber tritt –, weil sein Schöpfer sich mit ihm gemeinsam eigenen kulturgeschichtlichen, heimatlichen Dämonen gestellt haben könnte. Und so ambitioniert der Film auch sein mag, er erreicht nicht die tiefen Dimensionen all der anderen Arbeiten Lees; er ist ein erster Schritt, längst aber keine Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, er zeigt zutiefst faszinierende Figuren, erzählt aber kaum etwas über sie, und er spinnt komplexe Handlungsfäden, ohne ihnen Motivationen zu geben. Auch wenn Meister Lee all das mit unfassbarer Eleganz vorführt – und der Film allein seiner betörenden Musik wegen wahrgenommen werden muss.

Zweifellos enthält "Lust, Caution" viele Elemente, die ihn einreihen neben "The Wedding Banquet" und "Sense and Sensibility", neben "The Ice Storm" und "Ride with the Devil". Er berichtet von Umwälzungen, Neuausrichtungen, kulturellen Veränderungen. Davon, wie alte Muster schwinden und neue entwickelt werden (müssen), und wie die einzelnen Subjekte in diesem Stadium zu sich selbst finden, sich ihre Identität bewahren und all den Verlust von Harmonie, Familie und einen Teil der Heimat und damit immer auch von sich selbst bewältigen können. Wong Chia Chi ist so eine Figur, die als Heldin eines Ang Lee-Films vieles von sich aufgeben muss, um die Veränderungen ihrer Welt überstehen zu können. Doch es gelingt dem Film nicht, eine Beziehung zwischen ihr und dem Zuschauer zu entwickeln. Es bleibt unklar, welche Motivation die Figur antreibt, es gibt kaum Momente, in denen wir etwas über sie erfahren. Der zweieinhalbstündige Film ist oft kaum nachvollziehbar in seiner Aktion, setzt falsche Schwerpunkte und bleibt meist kühl, fremd, unnahbar. Was bleibt sind Mutmaßungen: Vielleicht weil Wong Chia Chi aus Vaterlandsstolz handelt, aus Liebe zu einem ihrer Mitstreiter oder vielleicht sogar zur Zielperson, dem brillanten Tony Leung. Aber ersteres wird kaum angeschnitten, und über letztgenanntem schweben große Fragezeichen noch weit über den Abspann hinaus.

Den richtigen Ansatz hat Lee dabei ganz sicher gewählt. Es sind die unverhüllten Sexszenen, die etwas über das Seelenleben, über die inneren Zustände und Triebe der Hauptfiguren – und die stillen Figuren sind in Lees Filmen der Schlüssel zu allem – offenbaren. Sie sind so direkt, wie es nötig ist, und so wenig voyeuristisch, wie man es von ihrem Regisseur erwarten darf. Nie ergötzt sich der Film an ihnen, nie bedienen sie simple Erotik, sondern sind als wesentlicher und vorantreibender Bestandteil der Handlung essentiell. Die Nacktheit der beiden Figuren, ihr akrobatischer Sex, ihr Masochismus und der Hang zur Selbsterniedrigung sagen mehr über sie als all der konfuse, lediglich grob skizzierte Rest des Films. Diese Szenen geben eine Idee davon, was aus "Lust, Caution" hätte werden können – und auch werden müssen. "Wenn ich einen Film in englischer Sprache drehe, finde ich den Faden viel schneller, als wenn ich einen Film auf Chinesisch drehe.", hat Ang Lee 2005 in einem Interview gesagt. So bedauerlich es auch ist: Hier findet er ihn leider gar nicht.


55% - erschienen bei DAS MANIFEST

September 09, 2007

News: PREISTRÄGER IN VENEDIG 2007

Das Filmfestival von Venedig ist zu Ende gegangen - mit überraschenden Preisen. Trotz ernüchternder Kritiken nahe Verrissen (Anke Westphal in der Berliner Zeitung: "elegante Kälte - Enttäuschung") wurde Ang Lees neuer Film "Lust, Caution" wie schon zuvor "Brokeback Mountain" als bester Film mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Der Regisseur wird ihn trotz Proteste seitens des Verleihs mit einem NC-17-Rating in die Kinos bringen und widmete den Preis dem verstorbenen Ingmar Bergman. Brian De Palma soll mit "Redacted" für die beste Regie unter den Festivalfilmen verantwortlich sein - das wird sich zeigen, wann steht aber noch nicht fest.

Einen Ehrenlöwen für das bisherige Gesamtwerk bekam Tim Burton überreicht, der "eine verführerische, exzentrische Form des Kinos" liefere und "eines der wenigen Genies in der Fabrik der Bilder, Emotionen und visuellen Impulse" sei. Gezeigt wurden deshalb auch sieben Minuten aus Burtons neuem Musical "Sweeney Todd", die gigantisches Lob ernteten. Weiterhin wurden auch Brad Pitt, Cate Blanchett, Todd Haynes, Nikita Mikhalkvo und Bernardo Bertolucci ausgezeichnet.

August 27, 2007

News: LUST, CAUTION - Dt. Starttermin!

Der neue Film von Ang Lee, "Lust, Caution" (Se jie), wird hierzulande unter "Gefahr und Begierde" am 18.10.07 in die Kinos kommen. Nach "Brokeback Mountain" sind meine Erwartungen nahezu bodenständig - an dieses Meisterwerk kann und wird er kaum anknüpfen - aber neben "Sweeney Todd" ist dies mein zweiter heißerwarteter Film dieses Jahr.

---> Trailer <---

edit:

Da Lee nicht gewillt war, an den expliziten Sexszenen zu schneiden, kommt der Film tatsächlich mit einem NC-17 ins Kino!

Januar 14, 2007

Retro: HSI YEN (1993)

"Hsi yen" oder "The Wedding Banquet" ist nach "Pushing Hands" die zweite Arbeit des taiwanesischen Regisseurs Ang Lee, der auch das Drehbuch für die Geschichte eines schwulen Chinesen aus traditioneller Familie im New York der 90er-Jahre schrieb, und bildet den Mittelteil der „Fathers knows best“-Trilogie, die mit "Eat Drink Man Woman" ihren Abschluss erfährt. Der bilingual gedrehte Film leitete die internationale Karriere Lees ein, wurde in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, sowie als „Bester nicht englischsprachiger Film“ für den Golden Globe und Academy Award nominiert. Er vereint mit bemerkenswerter Leichtigkeit zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und zeichnet sich bereits durch jenen feinen, sensiblen Ton aus, der auch die folgenden Werke des Kinopoeten bestimmen sollte, für die dieser schließlich den Grundstein legte.

Den Film durchzieht eine innere Spannung, die sich aus dem Widerspruch zwischen fernöstlicher Mentalität und westlichen US-Sitten ableiten lässt. Vom Leben des jungen Wei-Tung und seinem Freund Simon im modernen, aufgeklärten New York wissen die Eltern nichts, sie erhoffen sich daheim, dass ihr Sprössling eine wohl gesonnene Frau finden und alsbald für Nachwuchs sorgen wird. Der angekündigte Besuch kompliziert einiges, sodass sich das Paar gezwungen sieht, ein umfangreiches Lügenkonstrukt zu entwerfen: Eine Freundin Wei-Tungs soll als Ehefrau in spe fungieren, so lange bis die Eltern wieder ihre Heimreise antreten werden. Das sorgt für einige Probleme und droht im totalen Familienchaos zu kulminieren, doch Ang Lee ist nicht der Mann für turbulente, überdrehte Geschichten, sondern porträtiert leise und überaus sorgfältig, mit sanftem Humor und feinfühliger Tragik die Eigenheiten des chinesischen Kulturverständnisses.

Es ist der persönlichste Film des Regisseurs, der sich selbst zwischen zwei Welten zurechtfinden musste und stets mit der Aufgabe zu kämpfen hatte, Traditionen mit Neuerschaffungen zu vereinbaren. Dieser ständige Dialog des Lebens als Hintergrund verhilft "The Wedding Banquet" zu seiner warmherzigen Lebendigkeit. Die westlichen Klischees, die in Zusammenhang mit der chinesischen Kultur geäußert werden, sind zumeist Essen und Familie – als Element und Thema bestimmen sie auch diesen Film, doch nicht ohne gründlich untersucht zu werden. Denn das Kochen erscheint bei Lee als Motiv für eine Art Ersatz-Kommunikation zwischen den Figuren. Entweder verständigen sie sich über die Zubereitung des Essens wie im Falle von Simon und Wei-Tungs Mutter, reden zu Tisch über Nahrung und Nichtigkeiten, oder ziehen sich einfach stillschweigend zurück – und kochen, in sich gekehrt.

Dadurch wird, ganz nebenbei, mit kleinen Nuancen in alltäglichen Situationen das Bild dieser Familie gezeichnet. In dem chinesischen Emigranten Wei-Tung mag sich Ang Lee gewiss wieder finden: Das Leben in den USA wird durch die eigene Identität eingeholt, und das entnervte Auftreten des Mannes ist Ausdruck einer schweren Erkenntnis – dem schleichenden Verlust kultureller und familiärer Wurzeln, dem unauflösbaren Widerspruch zwischen individuellem und familiärem Glück. Der innere und äußere Druck, dass alles der chinesischen Ordnung und Harmonie entsprechen muss, droht den jungen Mann zu zerreißen. Als jemand, der seine Sexualität frei ausleben und dennoch nicht mit den kulturellen konfuzianischen Traditionen brechen möchte, ist Wei-Tung die typische Lee-Figur, die den Kampf des Individuums gegen normative Regeln und Strukturen und auferlegte Kodexe ausfechten muss.

Dabei ergibt der Blick unter die harmonische Oberfläche ein ernüchterndes Bild. Zuletzt ist es der Vater, das patriarchalische Oberhaupt, das seinen Führungsverlust längst eingestanden hat, der das Geheimnis seines Sohnes bereits kannte, und die Ehefrau (die ihn vor der Wahrheit wiederum „schützen“ will) in dem Glauben lässt, er wüsste es nicht. Das erwünschte Enkelkind wird Wei-Tung seinen Eltern durch einen unverhofften Zwischenfall – die vorgetäuschte Liebesnacht mit der Scheingattin hat einen unerwarteten, versehentlichen Ausgang – schenken können, das ist alles, was für sie zählt. Sie wissen, ihr Sohn lebt nach einem anderen Modell als dem ihrigen, doch sie sprechen nicht darüber – sie kochen. Am Ende von "The Wedding Banquet" steht die bittere Erkenntnis über die Beschaffenheit der Ideologie von Familie: Sie kann intakt und harmonisch sein, doch ausschließlich deshalb, weil sie auf Lebenslügen basiert.


80%

August 26, 2006