November 05, 2009

Kino: A CHRISTMAS CAROL

Unzählige Male wurde sie in Film und Fernsehen durch die Mangel gedreht, die Weihnachtsgeschichte um den mürrischen Misanthropen Ebenezer Scrooge, der am heiligen Abend Besuch von drei Geistern erhält und schließlich zu einem geläuterten Gutmenschen reift. Nur wenige der vielen Adaptionen und Variationen des Stoffes hielten sich jedoch so treu an die Vorlage wie die allerneuste Version des festlichen Belehrungsstückes aus dem Hause Disney.

"Eine Weihnachtsgeschichte" beruft sich also wieder auf die klassische Erzählung – sie wurde nicht wie so oft zu einem Musical oder einer Komödie variiert. Im Zentrum steht, natürlich, der grantige Geizhals Scrooge, der vom Geist der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Weihnacht heimgesucht wird. Die wohl gesonnenen Gespenster reisen mit ihm zu Stationen seiner Kindheit und Jugend und eröffnen ihm schließlich den Blick auf sich und sein Umfeld, ehe sich Scrooge vom Menschenfeind zum gutherzigen Großväterchen besinnt.

Der durch die "Zurück in die Zukunft"-Trilogie mit Zeitreisen vertraute Regisseur Robert Zemeckis verarbeitet die Charles-Dickens-Geschichte zu einem weihnachtlichen Motion-Capture-Blockbuster, in dem er wie bereits bei seinem "Polarexpress" und "Beowulf" die Bewegungen der Darsteller in computergenerierte Animationen überträgt. Dieses Abbild der Realität soll paradoxerweise wiederum realistisch wirken, was erneut zu der Frage führt, warum Zemeckis so sehr auf diesen Umweg schwört, statt die Geschichte nicht gleich herkömmlich zu inszenieren und das Geld in entsprechende Spezialeffekte zu investieren.

Denn das Ergebnis der digitalen Bilder ist genauso ernüchternd wie in den beiden formalen Vorläufern: Die Bewegungen sind staksig und ungelenk, die Augen der Figuren wirken unnatürlich und befremdlich, und die Gesichter erinnern in ihrer Plastizität an Wachsfiguren. Statt zu stilisieren, zu verfremden und damit auf das eigentliche Animationshandwerk – die Erschaffung von Bilderwelten aus dem Nichts – zurückzugreifen, imitiert die Technik eine Realität, die sie doch nie erreichen kann.

Schade also, dass auch "Disneys Eine Weihnachtsgeschichte" in der Motion-Capture-Sackgasse landet, denn Zemeckis bringt den Stoff ansonsten überraschend sorgfältig und sogar dialoggetreu auf die große Leinwand. Erstaunlich dabei vor allem, dass er sich viel Zeit lässt für die über- und in ihrer moralischen Schlichtheit auch durchschaubare Geschichte, dass er die Geisterbesuche nur wenig effekthascherisch in Szene setzt und sich stattdessen mehr auf die vielseitige Leistung seines Hauptdarstellers konzentriert.

Nachdem schon so unterschiedliche Schauspieler wie Michael Caine, Patrick Stewart oder Bill Murray in die Rolle des miesepetrigen Scrooge geschlüpft sind, übernimmt nun Blödelgesicht Jim Carrey den Part – und den der drei Weihnachtsgeister gleich noch mit. Carrey erweist sich als Idealbesetzung: Dass sein Scrooge eine enorme Präsenz hat, ist dabei mehr seinem mimischen und gestischen Können, denn der eigentlich schauspielfeindlichen Motion-Capture-Technik zuzuschreiben. Carrey schafft es zumeist gegen die bizarr-befremdliche Animation anzuspielen.

Die digitalen Gesichtsakrobatiken des Komikers bleiben dann auch der einzige Schauwert des Films, der die Geschichte eher spröde visualisiert. Zemeckis hält sich mit allzu überdrehten Actioneinlagen zwar zurück, was durch den verhaltenen Einsatz schneller Bewegungen vor allem dem 3D-Erlebnis zugute kommt (für das der Film konzipiert wurde), setzt aber auch keine optischen Schwerpunkte. Lediglich die Titelsequenz spielt auf eindrückliche Art mit räumlichen Verhältnissen.

Freunde der Dickensschen Originalgeschichte dürften hingegen nicht nur von der inhaltlichen und sprachlichen Vorlagentreue begeistert sein, sondern auch mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass Zemeckis sich für das Design des Films an den ursprünglichen Kupferstichen orientiert hat. Die drei Weihnachtsgeister schließlich wurden selten so exakt nach den Beschreibungen der Erzählung in Szene gesetzt. Umso enttäuschender, dass auch sie dank der sperrig-unschönen Motion-Capture-Bilder nie wirklich zum Leben erweckt werden – sondern so lieb- und seelenlos bleiben müssen wie alle Figuren.


40% - erschienen bei: gamona