Februar 28, 2009

TV: Fernsehtipps vom 28.02. - 06.03.2009

Samstag, 28.02.

20:15 Uhr – Ricky Bobby – König der Rennfahrer (Pro7)

Autosportkomödie, bei der ich mir nicht sicher war, ob sie als Genreparodie verstanden oder auch ernst genommen werden wollte. Der Humor hat sich mir jedenfalls nur partiell erschlossen. Meist nur, wenn Sacha Baron Cohen die Bildfläche betrat.

22:10 Uhr – Anaconda (K1)

Ein verwirrter Jon Voight (ich lese keine Drehbücher mehr), ein endgültig in die B-Movie-Fänge geratener Eric Stoltz (ICH bin Marty McFly) und eine große CGI-Anaconda (Danke fürs Ice Cube-Erwürgen). Neben "Deep Rising" der beste Edel-Trash der 90’s. Und Jennifer Lopez spielt auch mit. Allerdings nicht als Schlange.

23:45 Uhr – Die Akte Jane (ZDF)

Militär-Hommage mit Glatzkopf-Demi. Camp in Reinkultur. Ridley Scott selbst findet den wahrscheinlich dufte.

0:15 Uhr – Oldboy (WDR)

Fortsetzung des unterkühlten Mr. Vengeance und Vorgänger der ausschweifenden Mrs. Vengeance. Bester Film der Quasi-Trilogie und vermutlich auch Chan-wooks einzige wirklich großartige Regiearbeit.


Sonntag, 01.03.

20:15 Uhr – (T)Raumschiff Surprise – Periode 1 (Pro7)

Teutonische Comedy. Grauenhaft schlecht. Unlustiger, peinlicher, fremdschämartiger geht’s nimmer. Bully und Schweiger bitte ausweisen.

20:15 Uhr – Der Teufel trägt Prada (RTL)

Hässliches-Entlein-Märchen mit 08/15-Drehbuch, das keine Genrekonvention auslässt. Aber Meryl Streep ist très fantastique. Oh yes, she is.

20:15 Uhr – Das Mädchen aus dem Wasser (Tele5)

Shyamalans stärkster Spielberg-Referenzfilm, leider trotzdem extrem scheiße. Krankt am Widerspruch, eine magische Gutenachtgeschichte erzählen und die unschuldige Fantasie seines Publikums (das ich gar nicht kennen will) ankitzeln zu wollen, sich dabei gleichzeitig aber permanent selbst zu erklären und jegliche Fantasy im Keim zu ersticken. Und Christopher Doyles Hitchcock-Wannabe-Kamera stresst gewaltig. Ein Riesenhaufen Mist, gefolgt von "The Happening".

22:15 Uhr – Constantine (Pro7)

Steht seit Erscheinen ungesehen in meinem DVD-Regal. Ich glaube der ist übel…

0:00 Uhr – Misery (K1)

Die letzte Sichtung liegt nicht lang zurück. Kindheitserinnerung und Jetzt-Rezeption waren erwartungsgemäß sehr widersprüchlich. Aber abgesehen von der durchsichtigen Inszenierung ein gutes Beispiel für theatralischen Grusel. Kathy Bates… das ist auch so eine von den ganz tollen.


Montag, 02.03.

20:15 Uhr – Was das Herz begehrt (SAT.1)

Nach "What Woman Want" lädt Nancy Myers zur nächsten Misogynie-Sause. Ein unglaublich dümmlicher Film, verpackt in leichter Unterhaltung. Schlimm, ganz schlimm.

20:15 Uhr – Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug (Das Vierte)

Lustig, ganz lustig.

23:00 Uhr – We Feed the World (SWR)

Nee, den werde ich nach wie vor nicht gucken. Nein. Ich will auch weiterhin unwissend rüber zu meinem Plus gehen können. Ich bin Eskapist.


Dienstag, 03.03.

Nüscht. Außer das Uri-Geller-Finale. Aber darauf muss ich ja nicht hinweisen, das gucken wir eh alle.


Mittwoch, 04.03.

20:15 Uhr – Im Auftrag des Teufels (K1)

Fand ich mal gut wegen der Titten von Charlize Theron. Ist als Pluspunkt natürlich nicht mehr von Gültigkeit. Reeves ist sehr, sehr schlecht, Pacino acted mal wieder over. Warum habe ich den überhaupt auf DVD?

23:35 Uhr – Populärmusik aus Vittula (BR)

Der soll ja schön sein. Ist mal vorgemerkt.

0:35 Uhr – Die verrückten Reichen (ARD)

Was, Bruce Dern hat in einem Claude Chabrol-Film gespielt? Den muss ich sehen! Hilft alles (p., F, frz. m.?) nichts.


Donnerstag, 05.03.

20:15 Uhr – Master and Commander (VOX)

Auch so eine unschlüssige Angelegenheit: Irgendwie großartig, komplex und brillant inszeniert, aber auch sehr Historienschinken-mäßig und leider mit Russell Crowe in der Hauptrolle besetzt. Ich enthalte mich.

22:25 Uhr – Der Konformist (3SAT)

Eine Lücke bei mir. Ganz groß angestrichen. Die Chance bekommt Bertolucci noch.


Freitag, 06.03.

20:15 Uhr – Der Schuh des Manitu (Pro7)

Siehe Kommentar zu Traumschiff. Ich hoffe dafür gingen keine Fördergelder drauf.

20:15 Uhr – Kopfgeld (VOX)

Was für eine Woche! Da jagt ein Hassfilm den nächsten. Rechtsideologischer, reaktionärer Drecksfilm von Ron Howard und mit Mel Gibson. Zwei der schlimmsten vereint. Böser Film, falscher Film.

23:00 Uhr – Dawn of the Dead (RTL2)

Alter, die wollen mich ärgern. 1/10-Festtage im TV, oder wie? Gut, mal ernsthaft: Ein a) bis auf die recht eindrückliche Exposition mies, mies, mies inszenierter Film, der sich b) frech Remake eines Meisterwerks schimpft, und c) jenen ekelhaften, menschenverachtenden Zynismus bedient, den Romero 25 Jahre vorher zu entlarven suchte. Zack Snyder hat nichts kapiert. Oder ich bin einfach nur zu unprätentiös. Warum hab ich den auf DVD, die zweite.

23:50 Uhr – Funny Games (Tele5)

Machen wir den Deckel doch damit zu: Michael Hanekes bildungsbürgerlicher Versuch, ein Genre mit seinen eigenen Mitteln zu überführen. Moralisch, belehrend und kurzsichtig. Ein Abgesang auf die Kunst. Widerlich.

Und nein, das darf nicht das letzte Wort sein. Deshalb schließen wir mit:

1:10 Uhr – Shadow of the Vampire (Anixe HD)

…einem intellektuell stimulierenden Ulk über die Nosferatu-Dreharbeiten. Willem Dafoes vielleicht schönste schauspielerische Leistung. Am Besten zur Einstimmung "Ed Wood" und "Gods and Monsters" schauen.

So.


TV-Tipps bitte auch lesem bei Tumi, Christian und Fincher.Copfi fehlt entschuldigt.

Februar 26, 2009

Kino: THE READER

In diesem Film stecken viele Geschichten: Es ist ein Coming-of-Age-Stoff ebenso wie ein Außenseiterdrama, eine ungewöhnliche Lovestory mindestens so sehr wie ein fak- tischer Gerichtsthriller, und im Besonderen ist "Der Vorleser" heikles Geschichtsmaterial, das Fragen nach Verantwortung und Schuld, Opfer- und Täterrollen verhandelt. Zunächst in den 50er Jahren, später in der Gegenwart verortet, untersucht der Film den zeitgemäßen Generationskonflikt – an einem brisanten Beispiel: Es geht um die Aufarbeitung der Naziverbrechen.

Doch erst einmal erzählt "Der Vorleser" eine reine Liebesgeschichte: Der an Gelbsucht erkrankte 15jährige Michael Berg (David Kross) erleidet auf dem Nachhauseweg von der Schule eine Panikattacke und muss sich übergeben. Eine schroffe Frau (Kate Winslet) kommt dem Jungen zu Hilfe und nimmt ihn mit zu sich in die Wohnung. Es ist der Beginn einer intimen Beziehung. Nach anfänglicher Scheu sehen sich der Schüler und die so viel ältere Schaffnerin jeden Tag. Er liest ihr dann aus Büchern vor, und anschließend schlafen sie miteinander.

Plötzlich steht eines Nachmittags die Wohnung der Frau leer, Michaels heimliche Geliebte ist verschwunden, weggezogen, geflüchtet. Acht Jahre und einen – im Vergleich zur Vorlage weniger radikalen – zeitlichen Schnitt später besucht Michael, nunmehr Jurastudent, eine Gerichtsverhandlung. Auf den Anklagebänken sitzen damalige KZ-Aufseherinnen eines ehemaligen Außenlagers von Auschwitz. Es ist das erste Mal, dass der junge Mann jene Frau wieder sieht, in die er sich als 15jähriger verliebte.

Hanna Schmitz, so ihr Name, ist in diesem Prozess die Hauptangeklagte, sie wird für ihre Kriegsverbrechen zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Doch niemand außer Michael kennt ihr unausgesprochenes Geheimnis: Hanna ist Analpha- betin. Über Jahre hinweg liest er auf Tonbändern aus Büchern vor, die er ihr ins Gefängnis schickt. Bis er, nun schon im reiferen Alter und gespielt von Ralph Fiennes, eines Tages eine Briefantwort erhält.

Seit Bernhard Schlinks Schullektürchen "Der Vorleser" 1997 in den USA erschien, wurde immer wieder über eine Hollywood- Verfilmung des Stoffes spekuliert. Die kürzlich verstorbenen Regisseure und Produzenten Anthony Minghella und Sydney Pollack arbeiteten bereits viele Jahre an der Kinoadaption des in 39 Sprachen übersetzten Erfolgsromans, der als erstes deutsches Buch die Beststellerliste der New York Times und hierzulande bald auch die Schullehrpläne anführte.

Mit dem britischen Film- und Theaterregisseur Stephen Daldry ("The Hours") holten sich die Weinstein-Brüder schließlich einen ihrer liebsten Oscargaranten ins Boot, für die Hauptrolle wurde zunächst Nicole Kidman engagiert, die die Arbeit aufgrund ihrer Schwangerschaft jedoch an Kate Winslet übergab. Mit deutschem Akzent – oder eher dem Versuch eines solchen – spielt sie sich mit wehleidiger Miene und später unter Tonnen von Alters-Make-up verdeckt durch den in Berlin und Umland gedrehten Film bis zum unverdienten Oscar.

Daldry lockert die strenge dreigliedrige Struktur der Vorlage auf und findet für den Ich-Erzähler des Buches filmisch Ersatz, indem er Ralph Fiennes, also den erwachsenen Michael, in eine Rahmenhandlung verpflanzt. Das war es dann aber auch schon an Eigenanteil, in der Beschreibung der Liebesbeziehung zwischen Hanna und dem jungen Michael klebt der Film fest an Schlinks Roman: Die schlichten kurzen Umschreibungen des Buches werden mit dramaturgischen Hauruckmethoden in verkürzt anmutende Szenenabfolgen übersetzt, denen jede Hinführung und Sensibilität fehlt.

Besonders in der ersten Hälfte wirkt "Der Vorleser" durch die ungebrochene Bebilderung des Stoffes unfreiwillig komisch, auch in den Sexszenen mit Winslet und Kross. In Unkenntnis der Vorlage müssen einem die Erzählstruktur merkwürdig künstlich und die unterkühlten Figuren leblos und unmotiviert erscheinen. Das Drehbuch ist nicht gewillt, sich der Geschichte eigenständig anzunähern, sie filmisch zu interpretieren und von ihrer festen literarischen Form abzulösen. So erscheint der Film paradoxerweise wie vorgelesen – ob sich dahinter vielleicht ein ausgeklügeltes Konzept verbirgt?

Auf der diesjährigen Berlinale sprach Regisseur Daldry davon, dass "Der Vorleser" ein kontroverser Stoff sei, weil er nicht den Holocaust, sondern die Nachkriegszeit in Deutschland und den Umgang mit den Naziverbrechen thematisiere. Oder anders ausgedrückt: Eine banale Liebesgeschichte erzählt, die er mit Suspense auf Kosten der in die sichere Passivität verdrängen Holocaustthematik unterfüttert. Deshalb ver- wundert es, dass sich das, was schon bei Schlinks zum Aufklärungsroman aufgebauschter Trivialliteratur unerträglich verlogen erschien, in der Kinoadaption sogar noch verstärkt.

Winslet spielt die KZ-Aufseherin als ein Häufchen Elend: So geduckt und so zerbrechlich, so mitleidig und Verständnis erregend, wie man sich die höchst problematische Figur im kühl und distanziert verfassten Roman niemals zu erträumen gewagt hätte. Dass die Scham des Analphabetismus somit stets gegen die Schuld des Tötens zu argumentieren versucht, ist wohl gewiss kein Versehen, sondern die einfache Fahrlässigkeit eines höchst fragwürdigen Stoffes. "Der Vorleser" ist, als Buch wie als Film, kein Appell für einen differenzierten Umgang mit Naziverbrechern, es ist mehr eine unangenehme Reinwaschung, eine Geschichte fürs gute Gewissen.

Dazu kleistert der Score und rascheln die Seiten der Vorlage, wird sich in schicker Ausstattungsästhetik und geschmacklos stilisierten KZ-Bildern erfolglos um eine wirkliche Auseinander- setzung mit der Schuldfrage gedrückt. Und dass sich der Film dabei keineswegs um Subtilität schert, sondern alles unentwegt erklärt, ausformuliert und bis zum Letzten bebildert, macht ihn letztlich auch zu einer großen Enttäuschung für jene, die Daldrys bisherige Regiearbeiten für ihre einfühlsame Filmsprache und emotionale Behutsamkeit schätzten.



25% - erschienen bei: gamona

Kino: KINOSTARTS - 26.02.2009

  • Menschen, Träume, Taten (Doku, D 2007)
  • Underworld: Aufstand der Lykaner (Fantasy, USA 2009)
  • The Wrestler (Drama, USA 2008) [Kritik]
  • Mord ist mein Geschäft, Liebling (Komödie, D 2009)
  • Reiche mir deine Hand (Drama, D/F 2008)
  • Der Vorleser (Drama, USA/D 2009) [Kritik]
  • Vorbilder?! (Komödie, USA 2008)
  • Maria am Wasser (Liebesdrama, D 2006)
  • Folge Kadri, nicht deinem Herzen (Komödie, TK 2009)

Februar 24, 2009

Kino: THE WRESTLER

Was hat der Junge doch für Nerven! Mickey Rourke, der galt als abgeschrieben. Der hatte es sich gründlich vermasselt mit der Filmkarriere. Vom Wunderkind der 80er, vom aufsteigen- den Superstar, der mit Coppola, Cimino und Parker arbeiten durfte, zum prügelnden Hollywood-Rüpel, der mit einem kuriosen Wechsel ins Boxgeschäft und zahlreichen unvorteil- haften Schönheitsoperationen schließlich nur noch zum Promi-Treppenwitz taugte – nichts hat er ausgelassen.

Hinter dicken Make-Up-Schichten verborgen kündigte sich dann ganz plötzlich ein kleines Comeback mit Robert Rodriguez’ "Sin City" an, doch erst Regisseur Darren Aronofsky ermöglicht es dem heruntergewirtschafteten Schauspieler nun zu zeigen, was wirklich in ihm steckt: So physisch präsent, eindringlich und zutiefst bewegend wie in der Rolle eines gefallenen Wrestling-Stars hat man Mickey Rourke noch nie gesehen!

Randy ‚The Ram’ Robinson hustet, schnauft, ringt nach Luft. Wie ein Häufchen Elend sitzt er in der hintersten Ecke seiner Kabine, die Show ist aus, der Kampf vorbei. Jetzt bekommt er noch seine mickrige Gage – und dann geht’s nach Hause, zum Wohn-Trailer, der mal wieder versperrt ist, weil Randy sich nicht einmal ihn mehr leisten kann.
 
Die Wrestling-Koryphäe zerrt nur noch auf mager besuchten Fan-Conventions vom einstigen Ruhm, 20 Jahre nach seinem Karriere-Höhepunkt muss Randy um jeden Job betteln: Mit Steroiden zugepumpt bestreitet er in drittklassigen Hallen drittklassige Kämpfe und arbeitet als Wurstverkäufer hinter der Supermarkt-Theke. Nachdem er einen Herzinfarkt erleidet, muss er das Wrestling sogar ganz aufgeben. Es ist die Chance für ihn, noch einmal von vorn anzufangen – und für seine vernachlässigte Tochter da zu sein. 

Man ist von Beginn an ganz bei diesem großen markigen Kerl. Man will seine Geschichte erfahren, wer dieser gebrochene Kämpfer mit der blonden Mähne ist, woher seine vielen Narben kommen und was diese tiefen verquollenen Augen zu erzählen haben. Mickey Rourke verleiht der Figur schon in der ersten Einstellung so viel spürbare Energie und so viel Zeichnung, dass es nur zu verständlich scheint, wenn die Kamera unentwegt seinen großen Schultern folgt, und sich Aronofskys Inszenierung sonst völlig zurück- und dafür umso öko- nomischer verhält. 

Es überrascht dennoch, dass der Regisseur gänzlich auf die visuellen Sperenzien und pseudo-tiefsinnigen Gedankenirrwege seiner vorherigen Filme – insbesondere der esoterischen Kitschkeule "The Fountain" – verzichtet und mit "The Wrestler" stattdessen eine schmucklose Underdog-Geschichte erzählt, die ganz auf ihren Hauptdarsteller setzt. Und auf Marisa Tomei: Im Film spielt sie eine Nachtclub-Stripperin, ist so etwas wie die gute Seele der Geschichte und der einzige wirkliche Freund in Randys Leben. Ihre sensible, zerbrechliche Darstellung steht der ihres Kollegen Rourke in nichts nach.

"The Wrestler" ist vor allem ein Film über die Natur des Alters und über die Vergänglichkeit von Heldenfiguren. Randy Robin- son war der Wrestling-Star der 80er, eine der schillernden Figuren innerhalb einer doch bemerkenswert bizarren Show-Welt aus imitierten Kämpfen und großen Männerposen, die alberner eigentlich nicht sein könnten. Dennoch fängt der Film die Faszination der Wrestling-Eigenwelt mitsamt ihrer treuen Anhängerschaft liebevoll ein, ohne dass die schaulustige Pseudo-Sportart und deren Showkampf- Mätzchen zu viel Raum einnehmen würden. 

Stattdessen gelingen ihm jenseits des Fight-Ringes großartige Momentaufnahmen einer gealterten Ikone: Wenn ‚The Ram’ sich für seinen Kampf noch einmal staksig die Haare blondiert, oder sich ungelenk unter die Sonnenbank quetscht zum Beispiel. Oder er seiner Tochter unter Tränen die eigenen Fehler eingesteht. Und es gibt – ohne die Erklärungswut eines Drehbuchs – so viele kleine Hinweise auf das Leben dieses Mannes, sei es in Ausstattungsdetails oder der Musikauswahl, dass hier wahrhaft ein genuiner filmischer Charakter erschaffen wird. 

Insofern ist es auch verschmerzbar, dass Aronofsky dramaturgisch weitgehend den Konventionen des Sportfilms folgt, also ein wenig absehbar die Handlung durch Höhen und Tiefen führt, bis die Dämonen der Vergangenheit natürlich doch noch ein letztes Mal heraufbeschwört werden müssen. Doch die Einblicke in das soziale Milieu und natürlich die Eigenheiten des Wrestlings sind so faszinierend, glaubwürdig und vereinnahmend, dass das überhaupt keine Rolle spielt. Nicht zuletzt ist "The Wrestler" eher unpathetisch in seiner Beschwörung einer Subkultur – und damit auch weit entfernt von der "It ain't over 'til it's over"-Mentalität seiner Genreartgenossen. 


70% - erschienen bei: gamona

Februar 23, 2009

OSCARS 2009 - Everybody Loves A Winner

Was für eine Verleihung! Nun, zumindest in der ersten Hälfte war das die beste Oscarshow, die ich bislang gesehen habe (immerhin schon das zehnte Jahr, in dem ich die Awards live verfolge), Tony-Gewinner Hugh Jackman hat das getan, was er am Besten kann: tanzen und singen. Er ist kein sehr lustiger Mann, kein wirklich guter Moderator, aber er hat die Show – ehe er irgendwann verschwunden ist? – überraschend leichtfüßig und charmant vorangetrieben. Die Autoren schienen back on track, besser kann man so eine Show wohl kaum schreiben und planen, die Abläufe haben alle gesessen, und die Änderungen am Konzept der Gala, den Laudationes und Preisvergaben fand ich allesamt großartig. Im Prinzip waren diese 81. Oscars eine einzige große Hommage ans Filmmusical. Und das von Baz Luhrman inszenierte Centerpiece – ein wunderbares Medley, das die Brücke vom klassischen Astaire/Kelly-Handwerk zum neuerlichen Teen-Musical schlug – hat mir fast Freudentränen in die Augen getrieben.


Und all die tollen Schauspieler, die ich nicht zu sehen erwartet hätte, von Anjelica Huston bis Joel Grey, waren da noch die Zuckerglasur für diesen unnachahmlich campigen Abend, der erst mit fortschreitender Dauer an Konvention und Langeweile gewann.

Zu den Auszeichnungen: Am Meisten habe ich mich über den "Milk"-Drehbuchoscar für Dustin Lance Black (is it just me, or is he cute?) gefreut. Ansonsten ganz viel as expected (dafür sind meine 15 von 24 richtigen Tipps schon wieder eher mäßig), aber natürlich auch mindestens zwei Überraschungen. Kein Oscar für "Waltz with Bashir". Und auch keiner für Mickey Rourke. Ich hätte ihm die Auszeichnung wirklich gegönnt, aber die Trennlinie zwischen Rolle und Darsteller ist im Zuge der Kampagne um den Film so derart verwischt, sofern sie überhaupt jemals bestand, dass eine entemotionalisierte Entscheidung für Sean Penn und gegen Rourke vielleicht doch notwendig erschien. Zumal Penn in "Milk" insgesamt die komplexere Leistung lieferte.

Ansonsten erfreute es mich, dass die Show mich so bei Laune hielt (das Livebloggen bei den Filmfreunden freilich ebenso), wo mich die eigentlichen Filme dieses Jahr nicht zum Mitfiebern bewegen konnten. Von den fünf Best Picture Nominees fand ich bis auf "Milk" alle scheiße. Zwar hat mit Danny Boyles "Slumdog Millionaire" unter den scheißigen Filmen noch der am Wenigsten scheißige gewonnen – aber was heißt das schon. Dieser Elendstourismus in Musikclip- Ästhetik hat jedenfalls keine acht Oscars verdient … sei’s drum.

Das war trotzdem eine fette, fette, fette Party.

Jawohl!

ACADEMY AWARDS 2009 - Rückblick

Normalerweise hätte hier jetzt schon längst eine persönliche Oscar-Zusammenfassung gestanden, wenn, ja wenn heute morgen um 8 Uhr, also sprich gut 1 1/2 Stunden nachdem ich zu Bett bin, nicht die Handwerker nebenan mit Pressluft- hammern Wände eingerissen hätten. So musste ich im Halbdelirium noch eine Schlafstätte organisieren ... und bin jetzt noch nicht schreibfähig. ;)

Februar 22, 2009

Thanks to my dog and this Marisa... what was her name again?



Mickey Rourke bei den Independent Spirit Awards. Eine Dankesrede, die so unfassbar strange, witzig und bedenklich ist, wird es dieses Jahr sicher nicht noch einmal geben...

Februar 21, 2009

TV: Fernsehtipps vom 21.02. - 27.02.2009

Samstag, 21.02.

20:15 Uhr – Der Club der toten Dichter (Das Vierte)

Überschätztes Moralstück, in dem Robin Williams sichtlich ambitioniert seinen Prototypen vorstellt – den scheinbar verständnisvollen, aber schrecklich egomanischen Oberlehrer. Doof.

20:15 Uhr – Tim Burton’s Corpse Bride (Tele5)

…ist liebevoll animiert und clever in seinem Zwei-Welten-Konzept, bietet nach dem überragenden "Nightmare Before Christmas" aber nur wenig Neues.

22:25 Uhr – The Gift – Die dunkle Gabe (Pro7)

Völlig lachhafter Mystery-Schwachfug, bei dem Sam Raimis Defizite in der Schauspielführung besonders ausgeprägt sind.

3:50 Uhr – Hexen hexen (RTL)

Sicherlich der ungewöhnlichste, weil konventionellste Nicolas Roeg. Mit viel Gespür fürs Phantastische hat er Roald Dahls absonderliche Geschichte zu einer gruseligen und irrwitzigen Mischung aus Kinder-Fantasy und Society-Satire adaptiert. Großartig.


Sonntag, 22.02.

20:15 Uhr – Van Helsing (RTL)

Ein außer Kontrolle geratenes CGI-Ungestüm. Stephen Sommers ist ein bemerkenswert schlechter Regisseur, aber ich fand den Film dennoch sehr amüsant und kurzweilig. Und ich mag Hugh Jackman, auch wenn der kein richtiger Schauspieler ist.

20:15 Uhr – Brokeback Mountain (Pro7)

"Besser als 'Brokeback Mountain' werden Filme im Allgemeinen nicht mehr. Noch nie hat es einen solchen Film gegeben. Nie hat jemand eine schwule Liebesgeschichte gedreht, die sich nicht nur an eine Minderheit wendet. Darum wird man 'Brokeback Mountain' noch in hundert Jahren sehen. […] Ang Lee ist niemand, der Zäune einreißt, aber er ist ein begnadeter Vermittler. Stets argumentiert er über den Weg der Empfindung. 'Brokeback Mountain' gibt jedem ein Gefühl dafür, wie sich eine solche Liebe anfühlt und weckt schließlich eine so tiefe Wehmut nach etwas Ähnlichem, dass mancher sein eigenes Leben dabei in Frage stellt. Tatsächlich weckt er auch die Sehnsucht nach einem ähnlichen Kinoerlebnis. [...] Es ist ein Film, so klar und unverstellt, als könne man Kino machen wie beim ersten Mal."

(Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau)

23:15 Uhr – L.A. Crash (BR)

Schon irgendwie ironisch, dass am Abend der Oscarverleihung "Brokeback Mountain" und "L.A. Crash" laufen…

23:55 Uhr – Taxi zur Hölle (3SAT)

Der soll ja sehr gut sein, hat sogar den Oscar gewonnen. Und John Waters hatte den in seiner Jahresliste. Wird geschaut.

0:05 Uhr – Caramel (ARD)

Der kam doch eben erst im Kino… ist jedenfalls eine burleske Frauenkomödie aus dem Libanon, die auch politisch vermitteln möchte. Unterhaltsam, aber nicht besonders eindrücklich.

2:00 Uhr – Academy Awards 2009 (Pro7)

Es wird wieder campy. Ich liebes es. Unterhaltsamste Show des Jahres. Schade, dass ich von den nominierten Best-Picture-Beiträgen eigentlich nur einen wirklich gut fand, und der hat sowieso keine Chance.


Montag, 23.02.

20:15 Uhr – 30 über Nacht (SAT.1)

Spröde Mädchenvariante von "Big", Jennifer Garner ist aber eigentlich gar nicht so übel.

3:00 Uhr – Verloren in La Mancha (Arte)

Film-Doku über Terry Gilliams gescheitertes Don-Quichotte-Projekt. Gibt einige interessante Einblicke in den oft ernüchternden Entstehungsprozess eines Films und die verzweifelte Leidenschaft des Autoren – bleibt insgesamt aber hinter den Möglichkeiten zurück.


Dienstag, 24.02.

Nischt.


Mittwoch, 25.02.

20:15 Uhr – The Others (K1)

Nicole Kidman gibt eine hinreißende Grace-Kelly-Hommage in einer typischer Deborah-Kerr-Gruselstory: Bis auf den unnötigen "Sixth Sense"-Twist ein wunderbar inszenierter Horrorfilm.

22:15 Uhr – Dogma (K1)

Von allen Kevin-Smith-Filmen sicher noch der erträglichste. Wirklich lustig oder so was wie gut ist aber trotzdem was anderes. Alan Rickmann richtet es.

0:35 Uhr – Bin ich schön? (ARD)

Episodendrama mit Schaulauf deutscher Fernseh- und Kinoprominenz. War damals der erste Doris Dörrie, den ich gesehen habe. Und ist auch immer noch der einzige von ihr, den ich halbwegs mochte.


Donnerstag, 26.02.

21:00 Uhr – Mars Attacks! (Arte)

Viele haben Tim Burtons irre Hollywood-Groteske nicht verstehen wollen. Vielleicht weil keiner seiner Filme subversiver arbeitet – konsequent bürstet der Regisseur die Konventionen eines Big-Budget-Spektakels gegen den Strich, lässt den Präsidenten und einen illustren Cast an Superstars von Aliens pulverisieren, nur am Ende eine Gruppe überlebender Außenseiter "It’s not unusual" trällern zu lasen. Ein Meisterwerk. Demnächst mehr.

22:45 Uhr – Knallhart (ARD)

Detlev Bucks Sozialdrama über verselbstständigte Gewalt und Perspektivlosigkeit in Neukölln. Der Film ist latent rassistisch, hysterisch und voll gepackt mit übertriebenen Gangsterfilmklischees, die sich mit der Authentizität suggerierenden Inszenierung beißen. Genauso misslungen wie der TV-Film "Wut".


Freitag, 27.02.

20:15 Uhr – Speed 2: Cruise Control (VOX)

Dasselbe wie im ersten Film – nur diesmal in schlecht.

20:15 Uhr – Zurück in die Zukunft (RTL2)

Wunderbar fantasievolle, originelle und kluge Auseinandersetzung mit Zeitreiseparadoxie und den Problemchen der Adoleszenz. Ein Glücksgriff in jeder Hinsicht, mit sehr präsentem Spielberg-Einschlag. Teil zwei mochte ich sogar noch mehr.


TV-Tipps bitte auch lesem bei Tumi, Christian, Copfkiller und beim Fincher.

Februar 19, 2009

Kino: KINOSTARTS - 19.02.2009

  • Ein Leben für ein Leben (Drama, USA 2008)
  • Milk (Biopic, USA 2008) [Kritik folgt nicht mehr]
  • Wer war Harvey Milk? (Doku, USA 1984) [Kritik]
  • Der Ja-Sager (Komödie, USA 2008)
  • 96 Hours (Revenge-Thriller, F 2008)
  • pereSTROIKA - Umbau einer Wohnung (Doku, D 2008)
  • Der Knochenmann (Thriller, A 2009)
  • Nick und Norah (Liebesdrama, USA 2008)
  • Hexe Lilli (Kinder-Fantasy, D 2009)
  • Wild Ocean 3D (3D-Doku, USA 2008)


Es sei natürlich dazu geraten, sich unbedingt Gus Van Sants "Milk" anzuschauen, und zwar in der Originalversion. Die Ausschnitte aus der deutschen Synchro (schlimmstes tuntiges Rumgeschwule) klingen grausig.

Februar 18, 2009

ACADEMY AWARDS 2009 - Trailer



Noch vier Mal schlafen.

(via)

Radio: FILM-BLUE MOON 03/09

Gerade erst zwei Wochen sind vergangen und schon steht ein weiterer Blue Moon ins Haus. Heute ab 22Uhr, zwei Stunden lang, natürlich mit Ronald Bluhm und Tom Ehrhardt, auf Radio Fritz. Jeder kann dabei sein: Anrufen, mitdiskutieren, dann in die Geschenkekiste greifen. Per Livestream oder direkt im Radio.

Die Bären sind verteilt, jetzt geht's stramm auf den Oscar zu! Und anders als letztes Jahr laufen viele der Anwärter schon vor der Preisverleihung in den deutschen Kinos. Nach "Frost/Nixon", "Glaubensfrage" und "Revanche" müsst ihr aber schon gut die Programmkinos absuchen, denn die Multiplexe sind mit leichter Kost wie "Bride Wars", "Das Hundehotel" und "Er steht einfach nicht auf dich" zugepfropft! Wart ihr während der Berlinale fleißig oder habt ihr gesündigt? Beichtet Filmfritz Ronald Bluhm und Tom Ehrhardt im Film Blue Moon!

Februar 16, 2009

BERLINALE 2009 - Einer geht noch...

Zum Vergleich (D, 2009)

Harun Farocki, einer der spannendsten Dokumentarfilmer überhaupt, bietet in seinen neuesten 16mm-Bildern tradi- tionelle Hand- und hochindustrielle Maschinenarbeit "Zum Vergleich" an: Farocki beobachtet die von Gruppenarbeit angetriebene Herstellung von Ziegelsteinen in Afrika und Indien mithilfe getrockneten Lehms, bis hin zur rein computer- gesteuerten Fertigung an den Industriestandorten Europas. Wie üblich, informiert der Regisseur nur in kurzen sachlichen Zwischentiteln über das Notwendigste, verortet stets den kleinsten gemeinsamen Nenner. Kein Off-Kommentar und keine Musik, nur strenge Darstellung und Abbildung, der klare formale Grenzen gesetzt sind.

Der Film ist dabei reich an Zwischentönen, die vom Zuschauer erspürt werden müssen. Er verrät viel über die Idee einer Globalisierung, ohne den eigentlich Titel gebenden Vergleich ziehen zu wollen. Farockis Film ist keine Geschichte des technischen Fortschritts, sondern eine des Kreislaufs: Still vor sich herzeichnende Architekturstudenten aus Westeuropa, die in Afrika von den ökonomischen Arbeitsprozessen lernen wollen, sprechen eine deutliche Sprache. "Zum Vergleich", und zum Austausch.


70%

Februar 15, 2009

BERLINALE 2009 - Die bärigen Gewinner

Die Ausklang der 59. Berlinale war mit der Verleihung der Bären ungleich unterhaltsamer als die dieses Jahr einen neuen Tiefpunkt erreichende Eröffnung. Über die Moderation muss nichts weiter gesagt werden (sie war grässlich), doch die Veranstaltung amüsierte und hatte sogar einen großen Moment für sich, als nämlich Schauspieler Sotigui Kouyate ("London River") seinen Preis entgegen nahm und mit einer großen kleinen Rede ca. eine Viertelstunde den Puls der Organisatoren in die Höhe trieb. Das hatte Stil. Mehr davon.


Goldener Bär für den Besten Film

La teta asustada (The Milk Of Sorrow)
von Claudia Llosa

Silberner Bär - Großer Preis der Jury

Alle Anderen (Everyone else)
von Maren Ade

Gigante
von Adrián Biniez

Silberner Bär - Beste Regie

Asghar Farhadi
für Darbareye Elly (Alles über Elly)

Silberner Bär - Beste Darstellerin

Birgit Minichmayr
in Alle Anderen (Everyone else) von Maren Ade

Silberner Bär - Bester Darsteller

Sotigui Kouyate
in London River
von Rachid Bouchareb

Silberner Bär - Herausragende künstlerische Leistung

Gábor Erdély und Tamás Székely
für das Sound-Design in "Katalin Varga"
von Peter Strickland

Silberner Bär - Bestes Drehbuch

Oren Moverman und Alessandro Camon
für The Messenger
von Oren Moverman

Alfred-Bauer-Preis

Gigante
von Adrián Biniez

Tatarak (Der Kalmus)
von Andrzej Wajda


Die Teddys:

BESTER SPIELFILM

RAGING SUN, RAGING SKY(Rabioso sol, rabioso cielo) von Julián Hernández

BESTE DOKUMENTATION

FIG TREES by John Greyson

BESTER KURZFILM

A HORSE IS NOT A METAPHOR by Barbara Hammer

Februar 12, 2009

BERLINALE 2009 - Old Yellow Bricks

Das Ende des Schweins ist der Anfang der Wurst (D, 2008)

So königlich wie der Titel ist der tatsächliche Film nicht. Doch der Besuch, den Regisseur John Heys der Berliner Schwulen- ikone Napoleon Seyfarth einst in dessen Wohnung abstattete, ist dennoch eine höchst vergnügliche und gleichzeitig nachdenklich stimmende Angelegenheit. Im abgenudelten VHS-Look und durch Zitate u.a. von Wieland Speck unterbrochen, erzählt Seyfarth von seiner Lebensgeschichte und seinen Männern, seiner HIV-Infektion und der Vor- bereitung auf den Tod. Es ist ein kurzer filterloser Einblick in das Leben eines Künstlers, dessen größte Inszenierung das Sterben werden soll. "Mein Todesmotto ist das gleiche wie mein Lebensmotto: Vier Fäuste und kein Hallelujah! Oder: Im Rudel wir oft kamen. Wurst ist mein Ende. Amen." Seyfarth starb im Jahr 2000, zwei Jahre nach Ausbruch seiner Krankheit.


70%

Ein Traum in Erdbeerfolie (D, 2009)

Und noch so ein Titel, der viel besser ist als sein Film. Regisseur Marco Wilms blickt darin vor und zurück: Es ist ein Erinnern an die wilde Jugendzeit im Osten, als er und seine Freunde in Prenzlauer Berg eigene Modenschauen mit Sci-Fi-Kostümen und New-Wave-Musik veranstalteten, und in ihrer eigenen unerwünschten Subkultur immer ein Dorn im Auge der Stasi und ihrer bürgerlichen Umwelt waren. Und es ist eine Reunion all dieser ehemaligen Freunde, darunter Designerin Sabine von Oettingen, Friseur Frank Schäfer und Fotograf Robert Paris, die noch einmal eine CCD-Party veranstalten wollen: Chic Char­mant und Dauerhaft.

Der Film gefällt in seinen Archivaufnahmen, vor allem, wenn es groteske Ausschnitte aus dem DDR-Fernsehen zu sehen gibt, und missfällt in den gestellt wirkenden Doku-Teilen der Gegenwart. So lustig und unbeschwert man dieser irgendwann mal alternativen Truppe auch zuschauen mag, das oft verharmlosende Sinnieren über die an Schranken (und Mauern) gekoppelte Kreativität im Arbeiterstaat erscheint oft mit unangenehmer Altherrenromantik einherzugehen. Nicht zuletzt neigt Wilms auch hinter seiner wiederversammelten queeren Gruppe zur Selbstdarstellung – was sich irgendwann ein wenig nervend auswirkt.


50%

Februar 11, 2009

BERLINALE 2009 - From The Ritz To The Rubble

The Times of Harvey Milk (USA, 1984) / Milk (USA, 2008)

Celebration Presentation: Rob Epsteins Dokumentation der politischen Hochzeit des ersten schwulen Supervisors von San Francisco. Nüchtern und überlegt rekonstruiert der Film die Ereignisse bis zum gewaltsamen Tod Harvey Milks Ende der 70er, befragt Angehörige und Freunde, und untersucht die Entstehung einer Subkultur rund um das heute legendäre Castro-Viertel. Harvey Fiersteins Voice-Over verleiht dem Film dabei eine nicht immer geglückte Sentimentalität, ansonsten ist Epsteins Faktenanalyse jedoch von großem Referenzwert. Nicht zuletzt Gus Van Sant beweist das mit seiner dramatisierten Version der Ereignisse, die sich in vielerlei Hinsicht streng an "The Times of Harvey Milk" orientiert.

Van Sant konzentriert sich auf den privat und beruflich entscheidenden 10jährigen Lebensabschnitt Milks. Gradlinig erzählt, setzt er Dustin Lance Blacks faktenreiches Drehbuch als kraftvolles, enorm versiertes Biopic um. Der visuelle Ideenreichtum in der Rekonstruktion des politischen und gesellschaftlichen Zeitgeists ist atemberaubend. "Milk" im schlicht strukturierten, konventionellen Mainstreamformat zu inszenieren, erscheint die einzig logische Möglichkeit, den von Epstein vorbereiteten Stoff zu dramatisieren. Klug und sensibel, voller Zwischentöne und überlegter Figuren über- rascht die Differenziertheit der Interpretation, insbesondere in der Skizzierung Dan Whites. Der Film lebt letztlich von Sean Penn in der Rolle seines Lebens, dessen Transformation begnügt sich nicht mit imitiertem Sprach- und Bewegungs- gestus, sondern bildet eine lebhafte, glaubwürdige und fein nuancierte Schauspielleistung.

Beide Filme sind im Panorama zu sehen.


80% / 90%

Vingança (Retribution) (BR, 2008)

Das Regiedebüt des Brasilianers Paulo Pons ist die erste von vier einheimischen Low-Budget-Produktionen, die von der nationalen Förderinitiative PAX Films in Auftrag gegeben wurden. Der Film erzählt eine zunächst undurchsichtige Geschichte: Eine Frau wird an einem Fluss aufgefunden, sie wurde dort vergewaltigt und schwer verletzt zurückgelassen. Einige Monate später begibt sich ihr Verlobter Miguel in Rio auf die Suche nach dem Täter, im Auftrag seines vermögenden Schwiegervaters in spe. Widerwillig soll er den Mann aufspüren und töten, der seiner geliebten Camilla das Leben zur Hölle gemacht hat.

Durch seine komplex erscheinende Erzählstruktur wirkt "Vingança" (Rache) zunächst wie ein nicht uninteressantes Erforschen sozialer Milieus, in denen viele Figuren in einem zeitlich und räumlich unklaren Verhältnis zum expositiven Verbrechen stehen. Schnell erschöpft sich das Drehbuch- konzept der Mitteilungsarmut aber schnell, wenn die ewigen Rätselfährten nur noch Ermüdung hervorrufen. Der mitunter unfassbar langweilige Film entpuppt sich dann zunehmend als simpel gestrickter Rachethriller, der auf einige Genrefragen zwar erfreulich unkonventionelle Antworten gibt, mit seiner ideenlosen Inszenierung hingegen alle Sympathie restlos verspielt. Nicht zuletzt die permanent ruhelose und grundlos zittrige Kamera droht einen dabei in den sicheren Wahnsinn zu treiben.


15%

BERLINALE 2009 - Bonjour Tristesse

Berlinale-Parties sind ja immer was total exklusives und wichtiges und tolles, vor allem für junge C-Schauspieler, die sich bei irgendwelchen TV-Produzenten anbiedern. Die Party von Rosebud (Fantasy Filmfest & Verzaubert Festival) zählte nicht dazu, deren Besonderheit beschränkte sich auf den Einlass per Einladung und Freigetränke. Der Rest ist urig, queer und stickig. Genau das richtige für zwei Menschen aus dem Prekariat. Rechts zu sehen übrigens meine Freundin, die mich immer mit Photomaterial und Blog-Bannern versorgt, aber auch mal die Reste von komischen kalten Wraps futtern muss, wenn ich sie nicht aufessen wollte. Die Stimmung war trotzdem voll Disco, ey.

Februar 09, 2009

BERLINALE 2009 - Somebody Told Me

High Life (CDN, 2008)

Vier heruntergekommene Morphium-Junkies schmieden den ältesten aller Pläne, um sich den ältesten aller Wünsche zu erfüllen: Um an viel Geld zu kommen, muss man viel Geld stehlen. Am Besten aus einer Bank. Die Idee dazu ist gar nicht mal schlecht, es geht ein wenig um den Trickreichtum der noch jungen EC-Automaten, weshalb Gary Yates seine Slacker-Komödie wohl auch in den frühen 80ern verortet. Natürlich geht alles schief, sehr zur Freude des Publikums.

Auf einer mit schwermütigem globalen Problemstoff ange- reicherten Berlinale ist "High Life", besonders im Panorama, unentbehrliches Unterhaltungsfutter für zwischendurch. Der Film ist kurzweilig, charmant und frei von jedweder Originalität. Tarantino stand Pate, Guy Ritchie und Edgar Wright auch. Macht hingegen alles nix, die kanadische Indie-Produktion hat vier ziemlich urige Hauptdarsteller auf ihrer Seite – selbst der für gewöhnlich ein wenig beschränkte Timothy Olyphant gefällt als trotteliger Aushilfsgangster.


65%

The Reader (Der Vorleser) (USA/D, 2008)

Auf der Pressekonferenz sprach Regisseur Stephen Daldry davon, dass das ja ein kontroverser Stoff sei, weil er nicht den Holocaust, sondern die Nachkriegszeit in Deutschland und den Umgang mit den Naziverbrechen thematisiere. Doch das ist falsch. Und es erstaunt, dass Daldry den bedenklichen Stoff nicht entspannt, sondern noch problematischer inszeniert: Kate Winslet spielt die KZ-Aufseherin so geduckt und so zerbrechlich, wie man sich die Figur im kühl und distanziert verfassten Roman niemals zu erträumen gewagt hätte. So als Häufchen Elend, unter Schichten von Alters-Make-Up, wird die Scham gewiss über die Schuld siegen. Fein gemacht.

Der mit dramaturgischen Hauruck-Methoden entwickelte Film bebildert Schlinks Vorlage sonst sehr brav und garantiert ohne Subtilität. Da rascheln die Seiten und kleistert der Score, es ist ein Regie-Armutszeugnis und überhaupt eine ganz bittere Angelegenheit: "The Reader" verdrängt in schicker Aus- stattungsästhetik, die sogar vor stilisierten KZ-Bildern nicht halt macht, eine wirkliche Auseinandersetzung mit Schuld – und wäscht stattdessen das Gewissen eines Publikums rein, ganz so wie die grauenhafte Vorlage.


25%

Februar 08, 2009

BERLINALE 2009 - Einmal Teddy, bitte.

City of Borders (USA, 2009)

Die in Korea geborene und in den USA lebende Regisseurin Yun Suh besucht und begleitet in diesem Dokumentarfilm fünf völlig unterschiedliche Menschen, die sich alle regelmäßig in der einzig queeren Bar Jerusalems, dem Shushan, einfinden. An diesem Ort werden all jene gesellschaftlichen, sozialen, religiösen Grenzen aufgehoben, die sonst ihre Leben bestimmen – hier treffen schwule und lesbische Palästinenser auf Israelis. Die heilige "Stadt der Grenzen" nutzt Suh dabei für eine ebenso spannende wie geistreiche Meditation über den Nahostkonflikt, die Rechte von Minderheiten und reli- giösen Fundamentalismus. Sie hat dafür facettenreiche Menschen gefunden, die Unfassbares zu berichten wissen, und die diesen logistisch unheimlich kompliziert inszenierten Film zu einem enorm wertvollen Diskussionsbeitrag machen.

80%


Queer Sarajevo Festival 2008 (BA, 2009)

Die Doku schildert die haarsträubenden Vorbereitungen für das erste schwul-lesbische Festival in Bosnien-Herzegowina, das gegen alle Widerstände mehr schlecht als recht über die Bühne gebracht wurde. Von den Behörden zwar genehmigt, sahen sich die Veranstalter ständigen Drohungen ausgesetzt, die schließlich in Gewaltübergriffe übergingen. Der Film bietet ihnen ein Forum, ihre schwierige Arbeit vorstellen und auf die unzulängliche Arbeit von Regierung und Polizei hinweisen zu können. Die Inszenierung ist äußerst spartanisch, doch der Zweck heiligt die Mittel.

60%


Gevald (IL, 2009)

Netalie Brauns Kurzfilm-Musical ist eine sehr persönliche und ausgefallene Momentaufnahme: Als Ergänzungsstück zu "City of Borders" zu verstehen, blickt der Film einen Abend in das Innere des Shushans, der einzigen queeren Lokalität in Jerusalem. In 16 Minuten fängt der Film alle Sorgen, Zweifel und Ängste der Menschen ein, die für ihre Selbstver- wirklichung mitunter ein lebensgefährliches Risiko auf sich nehmen. Der Film ist eine bezaubernde Liebeserklärung an einen magischen Ort, der 2007 von der Bildfläche verschwand.

70%

End of Love (CN, 2008)

Die spannendsten queeren Filme kommen derzeit aus Korea, Thailand oder China, zumindest war das meine bisherige Beobachtung. "End of Love" von Simon Chung allerdings ist schlimmstes schwules Panorama-Material, das seine amateur- hafte Inszenierung an einer völlig abgestandenen Geschichte ausprobiert. Ein grauenvoller Schmu als nichts sagendes Digicam-Melodram. "My film is more close to Fassbinder than to Ozu", hieß es im Anschluss, als noch ca. zwei Dutzend Zuschauer auf eine Rechtfertigung warteten.

20%


Tanjong Rhu (The Casuarina Cove) (SG, 2008)

Abschlussfilm einer Filmuniversität in Singapur, der sich als erster mit den rechtmäßigen Verhaftungen von Schwulen in Cruising-Areas bis Mitte der 90er-Jahre im eigenen Land beschäftigt. Mit einer platten Verhör-Rückblenden-Struktur ist der Kurzfilm um sinnliche Bilder bemüht, die allesamt ambitioniert sein mögen, aber eigentlich nichts zu vermitteln wissen. Ein Wikipedia-Eintrag über die Vorfälle besitzt vermutlich einen höheren Mehrwert.

40%


Februar 07, 2009

BERLINALE 2009 - First Things First

Der erste Tag: Lange Schlangen, volle Treppen, keine Karten. Touris, Flyer-Verteiler, gestresste Menschen. "Ben Hur" ausverkauft, bitte nicht auch noch Arabien-Lawrence. Viele Bekannte, noch mehr Unbekannte, einige "Kaaaate!!! Raaalphhhhh!!!" schreiende Autogrammjäger. Dazwischen hoffentlich gute Filme. "The Reader" zählte schon mal nicht zu ihnen. Ausbeute des Tages: Eine Kaffeetasse von McDonald's.