Juli 29, 2007

News: SWEENEY TODD - Poster

Wie ich schon einmal berichtet hatte (hier), ist Tim Burtons "Sweeney Todd" und die damit verbundene Vorfreude derzeit einer der wenigen Gründe, warum ich mich überhaupt noch jede Woche durch den unsäglichen Käse, der die hiesigen Kinos ausfüllt, kämpfe. Das neue und erste Poster zum Film heizt diesen Zustand selbstredend zusätzlich an (draufklicken, um zu vergößern).

Juli 28, 2007

Retro: TO HAVE AND HAVE NOT (1944)

Zwei Jahre nachdem ihm "Casablanca" zu internationalem Ruhm verhalf, schlüpfte Humphrey Bogart noch einmal in die Rolle des ständigen Skeptikers und Eigenbrödlers, der in Zeiten einschneidender politischer Veränderungen weder mit den Machtapparaten um Partei und Regierung, noch dem gesellschaftlichen Wandel als solchem etwas zu tun haben möchte ("You save France. I want to save my boat."). Er lebt ein Leben in der Nische, ist vor allem um das eigene Wohl bemüht und kommentiert das nicht selten dramatische Geschehen um ihn herum meist mit zynischen One Linern, die einer grundsätzlich lakonischen Einstellung Ausdruck verleihen. Harry Morgan ist genauso ein ausgeklügeltes Schlitzohr wie Rick Blaine, und ebenso bemüht er mit dieser Fassade eine verborgene Verletzlichkeit zu kaschieren, die womöglich nur eine Frau zum Vorschein bringen kann.

Im Michael-Curtiz-Klassiker war dies Ingrid Bergman, die Bogart vom selbstsüchtigen Berufszyniker zum melancho- lischen Lebensretter umerzog. Es knistert gewaltig auf der Leinwand, wenn der berühmten letzten Umarmung ein sehnsuchtsvoller Abschied folgt – doch es blieb eine Liebe auf reinem Zelluloid. Und obwohl Howard Hawks’ "To Have and Have Not" ein sehenswerter, ja auch ein bemerkenswerter Film mit brillanten Dialogen ist, so denkt man heute nicht mehr an sein stimmungsvolles Drehbuch oder die bis in die letzte Nebenrolle fantastisch besetzten Schauspieler, sondern in erster Linie ist es schließlich jenes Werk, in dem sich Lauren Bacall ihren Bogey angelte – im Film wie auch im wahren Leben. Die bis dato völlig unbekannte Schauspielschülerin stiehlt ihrem Ehemann in Spe nicht nur zweifellos die Show, sie interpretiert die Figur auch mit einer Würde und Souveränität, ja vor allem einer unheimlichen Erotik, dass selbst Hawks gleichermaßen überrascht wie beeindruckt war: Gerüchten zufolge soll es ihm übel aufgestoßen sein, dass Bacall sich nicht in ihn, sondern ihren Co-Star verliebt hat.

Der Film selbst ist nicht nur hinsichtlich seines extravagant vermarkteten Traumpaares kommerzielles Kalkül, er orientiert sich mitunter so stark am ebenfalls im Hause Warner produzierten "Casablanca", dass seine Versuche, jenen Erfolg mit ähnlichen Zutaten zu wiederholen, die eigentlichen Stärken zu überschatten drohen. Hawks ließ die Vorlage seines Freundes Ernest Hemingway überaus frei neu interpretieren, der Handlungsort Kuba wich Martinique, im Zentrum steht nun die Vorhalle eines Hotels samt Bar und Musikband. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges muss Bogart als vermeintlicher Held wider Willen Stellung beziehen und Regimegegnern zur Flucht verhelfen. Der Film modelt die Vorlage als Quasi-Remake von "Casablanca" nach Belieben um: Nicht nur die exotischen Settings, auch der Klavierspieler und die Gestapo-Bösewichte erinnern daran. Und schließlich folgt den politisch riskanten Einsätzen eine Flucht – zwar nicht mit dem Flugzeug, dafür aber einem kleinen Boot.

Darüber, welcher der bessere Film ist, lässt sich freilich nicht streiten, an die unnachahmliche Mischung aus Kriegs- und Liebesfilm, Spionage-Thriller und Film Noir, an die runde Erzählung, die in jeder Hinsicht meisterliche Geschlossenheit der Inszenierung seines Vorbildes reicht
"To Have and Have Not" nicht heran. Er ist sehr überschaubar, nicht immer rhythmisch (nach der Überführung geriet die das Finale einläutende Aufenthaltsszene der Flüchtlinge etwas zu lang) und auch weniger brisant, was seinen zeitgeschichtlichen Kontext betrifft. Auch scheint sein figuraler Entwurf des grundsätzlichen Zwiespalts zwischen individuellem Glück (in der Liebe) und humanistischen Anspruch, als Teil einer aktiven Gegenbewegung der Gleichschaltung entgegenzuwirken, dürftiger ausgearbeitet als in "Casablanca", wo Bogart und Bergman sich in einer zeitweilig ausweglos erscheinenden Krise befinden, die kein glückliches Ende wird bereithalten können. Da schenkt Hawks seinem Publikum viel lieber das, was Curtiz ihm noch verwehrte: Erfolg im Widerstand – und in der Liebe.

Und dennoch scheint der Klassikerstatus, den "To Have and Have Not" heute genießt, nicht ungerechtfertigt. In seinen Zwischentönen ist der Film nicht selten feiner, als es zunächst den Anschein hat: So betreten Bogart und Bacall, kurz nachdem sie die Gestapo verhört hat, eine Bar mit Namen ‚Zombie’, in der vor allem farbige Gäste sitzen. Da die kühle Schönheit ihre Unnahbarkeit dazu einsetzt, Männern die Brieftaschen zu stehlen, wählt sie als Opfer einen der wenigen weißen Offiziere, was nur eines von vielen Understatements des Films darstellt. Auch wenn die These vom einzelnen, der sich nicht freimachen kann von der Notwendigkeit eines Widerstands gegen den Faschismus, der den tristen Wunsch nach politischer Isolation aus eigenen Stücken zugunsten eines heldenhaften Aufbegehrens aufgibt, zuvor schon mehrmals – nicht nur in "Casablanca" – formuliert wurde, so kann sie auch bei Hawks nicht ihrer Wirkkraft beraubt werden. Dafür ist selbst dieses abenteuerliche und in Hinblick auf die Bewältigung der Nazis im Hotel mitunter sicher auch etwas heroisch-naive Drama zu substantiell und nachhaltig.


75%

TV: Fernsehtipps vom 28.07. - 03.08.07

Samstag, 28.07.

20:15 Uhr – „8 Mile“ (RTL)

Bei aller Sympathie für Curtis Hanson – dieser szenenahe, aber dramaturgisch nichtsdestotrotz realitätsferne Käse ging mir gar schrecklich auf die Nerven.

20:15 Uhr – „Mit Schirm, Chamre und Melone“ (VOX)

Grausam, grausam, grausam. Womöglich die schlechteste Kinoadaption einer TV-Serie aller Zeiten.

22:15 Uhr – „Echoes“ (Pro7)

Überaus spannender Geisterhorror, der allerdings etwas zu tief in die Mottenkiste greift und mit dem überkonstruierten Ende viel von seiner Intensität zerstört.

22:25 Uhr – „Shaun of the Dead“ (RTL)

Brillant geschriebene Zombie-Hommage, als Kleinstadt-Satire ebenso überzeugend wie als naiv-sympathische Slacker- Comedy, wundervoll gespielt, liebenswert, detailliert – neben „Braindead“ die beste Genrekomödie. Aufgezoomt und synchronisiert aber sicher nur der halbe Spaß.

23:45 Uhr – „Rocky“ (ARD)

Halte ich immer noch für einen der ungerechtfertigsten Oscar-Gewinner. Als Sozialmilieustudie zu oberflächlich, wirkt der Film heute wie ein ambitioniertes Boxdrama, das im langen Schatten von „Raging Bull“ dahinsiecht.

1:05 Uhr – „High Fidelity“ (RTL2)

Sympathisch, wenn auch ganz schön geschwätzig. Die Vorlage soll meilenweit besser sein.

Sonntag, 29.07.

22:30 Uhr – „Die Hand an der Wiege“ (K1)

Rebecca De Mornay haut alles kurz und klein. Mein ganz persönlicher Psychoschlampen-Klassiker.

Montag, 30.07.

1:55 Uhr – „Muriels Hochzeit“ (VOX)

Wenn Gott eine Frau ist, dann ist Toni Collette Gott!

Dienstag, 31.07.

20:40 Uhr – „Tommy“ (Arte)

Ken Russell gehörte immer schon zu den von mir übersehenen Regisseuren, obwohl ich „Der Höllentrip“ großartig fand. Die „The Who“-Oper muss demnach mindestens sehenswert sein.

Donnerstag, 02.08.

20:15 Uhr – „Der Sturm“ (VOX)

Wie langweilig es sein kann, George Clooney und Mark Wahlberg auf einem Boot gegen reißende Strömungen ankämpfen zu lassen, zeigt Wolfgang Petersen mit seinem Männergedönse auf weitem Meer. Unnötig.

22:35 Uhr – „Donnie Darko“ (VOX)

Meisterwerk. Punkt.

0:15 Uhr – „2001 – Odyssee im Weltraum“ (ARD)

Kein Meisterwerk. Ausrufezeichen.

Freitag, 03.08.

0:25 Uhr – „RoboCop“ (WDR)

Ein brillanter Science Fiction-Film: philosophisch, komplex und unheimlich gut photographiert.

Juli 24, 2007

Kino: THE SIMPSONS MOVIE

Bauchschmerzen, das ist das erste, was mir einfällt, wenn ich an den lang erwarteten Kinofilm der gelbsten, der liebenswertesten, schrulligsten, ach sei’s drum – eben der besten Fernsehfamilie denken muss. Natürlich vor Lachen. Und dabei wurde selbst jeder Rest einer Scheinrebellion ausgemerzt. Denn: Klar, die Simpsons, die sind halt Kult, die kennt und liebt man, die findet man einfach gut. Als Kind, auch wenn man nicht wirklich weiß, was da im Fernsehen über die reine physische Komik hinaus passiert, als Jugendlicher, wenn man eine ungefähre Ahnung davon bekommt, wo hier subversive auf popkulturelle Elemente stoßen, und später als großer kleiner Zuschauer, wenn man beides als verflochtenes, unwidersprüchliches Kulturphänomen begreift: Das ist längst reiner Massengeschmack, wie er massenuntauglicher nicht sein könnte. Matt Groenings stilbildende Zeichentrickserie ist auch auf der großen Leinwand ein hochgeniales Mosaik aus Politmetaphern, Gesellschaftskunde und Mediensatire, folgt und bedient die eigenen Regeln ebenso unbeirrt wie es seinem anarchischen Gestus treu bleibt. "The Simpsons Movie" kann man nicht mögen, man muss ihn lieben.

Deshalb nützt es nichts, an dieser Stelle noch einmal darauf hinzuweisen, wie mehrdeutig, doppelbödig, intelligent die Abenteuer der Simpsons und mit ihnen allen Bewohnern des in der TV-Geschichte nahezu einzigartig entworfenen Mikro- kosmos’ doch sind. Wie witzig und doof manch Gag ausfällt, und wie noch viel witziger und weniger doof er plötzlich beim zweiten, dritten, vierten Mal Sehen scheint, wenn hinter den noch so überdrehten, grobschlächtigen und nonsensartigen, sich prinzipiell auch immer wiederholenden Nummernrevuen ein Humor lauert, wie er feiner und zersetzender kaum sein könnte. Denn das alles weiß man nach nunmehr 20 langen Jahren, fast 19 ganzen Staffeln und nahezu 400 Folgen "The Simpsons". Darum: Was ist nun anders, da Groening seine gelben Lieblinge endlich ins Kino befördert? Wird es noch etwas zu erzählen geben, was nicht bereits im Fernsehen schon zwei- und dreifach variiert wurde, und das den Umzug in die Lichtspielhäuser lohnt? Darf es noch schärfer zugehen, nun ohne die hiesigen TV-Restriktionen der FOX? Und vor allem: Warum sollte man etwas im Kino sehen, dass man jeden Tag auch kostenfrei auf der Couch serviert bekommt?

Letzteres ist die berechtigte Masterfrage, die auch Homer Simpson schon nach wenigen Filmminuten empört stellt. Da sitzt die Familie nämlich im Kino beisammen, wo sich Itchy und Scratchy mit höherem Budget und besseren Spezialeffekten die Köpfe einschlagen. Und somit ist auch schnell geklärt, wie immer überaus selbstreflexiv ("I will not illegally download this movie"), dass hier nicht wirklich etwas anders sein kann, ja auch gar nicht sein darf. Im Kino sind die Simpsons genauso gut wie auch daheim vor der Glotze – qualitativ eben kaum mehr steigerbar, so wie man sie kennt und liebt. Wer nicht schon nach fünf Sekunden lachend unterm Kinosessel sitzt, wenn der kleine Ralph die FOX-Fanfare anstimmt, der ist dann womöglich ohnehin im falschen Film. Hier jagt ein Gag den nächsten, jeder Witz zündet auf mindestens drei verschiedenen Ebenen, Filmzitate treffen auf Selbstreferenzen und intertextuelle Tabubrüche (ja, Bart hat einen Penis!) wechseln sich ab mit gewohnt deftigen Seiten- und Frontalhieben gegen den ganz alltäglichen gesellschaftlichen und politischen Wahnsinn.

Und doch begeistern die Simpsons in 2,35:1 mit einem neuen Sehgefühl, so groß, so übermächtig und spürbarer als auf dem TV-Gerät. Hans Zimmers erstaunlich solider Score tönt in DTS – und die Animationen sind aufwändiger, wenn glücklicherweise auch nur geringfügig. Denn auch das ist Teil einer Konstante, eines Erfolgsrezeptes und eigenen Anspruchs. Die "Simpsons" sind nicht wirklich gut animiert, aber ihnen unterliegt ein Stil, ein Konzept, eben ein großer Entwurf mit klaren Regeln und Gesetzen – etwas, das im weiträumigen Animationsgenre die notwendige Basis bildet. Dass die 2D-Abenteuer von Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie im Kino noch immer so ulkig gezeichnet sind wie in den 20 Fernsehjahren zuvor, ist eine dankbare Geste im Effekt überfluteten Dschungel gegenwärtiger Pixel-Filme und wird allen Fans der Serie mehr als gerecht.

Was dann aber sogar ein wenig verblüfft: Der Film ist auch als Erzählkino enorm überzeugend, ja geradezu ökonomisch. Die Geschichte trägt die Spielfilmlänge mit Leichtigkeit, Spannung und Kurzweiligkeit wird nicht nur aus den herausragenden Gags generiert, tatsächlich gelingt es den elf (!) Drehbuchautoren auch, "The Simpsons Movie" mithilfe geschlossener Handlungsstränge zu hohem Tempo zu verhelfen. Zwar gab es in der Serie inhaltlich schon ähnliche Subplots, bei denen Umweltkatastrophen eine zentrale Rolle spielten, zu einer – quasi epischen – Geschichte aufgeblasen aber verleiht die Thematik dem Film eine größere Dimension. Nicht nur vor dem Hintergrund einer globalen Debatte, sondern auch, da die Simpsons vertrieben werden und manch schrille Road Movie-Aktion bestehen müssen. Da bekommt dann auch ein jeder sein Fett weg, Parteien werden hier nicht ergriffen: Al Gores Demokraten-Diashow "An Inconvenient Truth" darf ebenso parodiert werden wie die Willkür politischer Befehlshabungen im republikanisch besetzten Weißen Haus – mit Arnold Schwarzenegger als US-Präsidenten (nur warum nicht dessen Springfield-Pendant Rainier Wolfcastle?).

Als letzte Notiz bleibt nur noch das Übliche: 1. Abspann anschauen. 2. Unbedingt in der Originalfassung genießen, keine Synchronisation wird diesem Wortwitz inhaltlich und formal gerecht. 3. Am Besten gleich zwei Kinotickets kaufen, um direkt sitzen bleiben und sich ein weiteres Mal halbtot lachen zu können. Und 4: Auf das von Maggie verkündete Sequel hoffen. Denn an die Simpsons im Kino kann man sich schnell gewöhnen. Groß, gelb und gut ist das. Und vor allem ziemlich clever. Aber das war ja nun ohnehin keine Frage.


90% - erschienen bei: Wicked-Vision

Juli 22, 2007

Kino (FFF '07): LE SERPENT

Erinnert sich noch jemand an diese Spät-80er-Phase der Filmgeschichte, in der volle Kinos immer dann garantiert schienen, wenn ein psychopathischer Mörder mit bürgerlicher Maske gut situierte Familien unterwanderte – sich also erst mühsam alle Sympathien erspielt hatte, um später dann zum Neid und Hass erfüllten Monstrum mutieren zu können? Das waren nicht selten gestörte Frauen (man denke nur an Glenn Close in "Fatal Attraction" oder Rebecca De Mornay in "The Hand That Rocks The Cradle"), die für ihren individuellen Unmut alles Glückselige zur Rechenschaft ziehen mussten und dringend einer Sozialisierung unterzogen gehörten, während mitunter allerdings auch die männlichen Bösewichte nach familiärer Zugehörigkeit gierten (Ray Liotta in "Unlawful Entry") und dafür kein noch so perfides Mittel scheuten.

Derweil hinken diesem einstigen Trend nur noch vereinzelte Nachzügler hinterher, die jene biedere Grundmoral – ein Mensch wird zur mörderischen Bestie, wenn er nicht Teil eines sozial geordneten familiären Raums ist – mit relativ beliebigen Thrillermustern kombiniert aufgreifen. Eric Barbiers "Le Serpent" ist so ein Genrefilm, der es sich in dieser Nische gemütlich gemacht hat, auch wenn er als französischer Beitrag womöglich lieber mit den detektivischen Neo Noir-Vertretern der Claude Chabrol-Ära assoziiert werden möchte. Er scheint ganz darauf zu vertrauen, dass seine Zuschauer sich nichts verwerflicheres vorstellen können, als dass die eigene Familie von einem wahnsinnigen russischen Erpresser bedroht wird, während man selbst als zu Unrecht verdächtigter Mörder mittellos die eigene Unschuld beweisen und schließlich das Leben seiner Frau und Kinder retten muss.

Diese Geschichte ist an und für sich schon mindestens so unterinteressant wie eine durchschnittliche Ausgabe diverser ZDF-Vorabendkrimis, wird allerdings noch wesentlich minderwertiger in Szene gesetzt. Die TV-Ästhetik des Films ist für sein Scheitern dabei gar nicht einmal so ausschlaggebend, vielmehr krankt "Le Serpent" an einer gänzlich faden Erzählstruktur, die nichts – also tatsächlich: nichts – unternimmt, um die abgestandene Story mit einigen Kniffen, Drehungen, Wendungen, ja sagen wir zumindest dem Hauch einer Idee aufzuwerten. Stattdessen spult Barbier das Standardprogramm ab, alles ganz und gar schrecklich vorhersehbar und garantiert spannungsfrei.

Dafür braucht der Film zudem ganze zwei Stunden, eher sich Vincent, der Photograph, endlich gegen den erpresserischen Plender behaupten kann. Letzterer leidet übrigens an einem selten dämlichen Ödipus-Komplex, was für einige großartig komische Momente sorgt, wenn er das gläserne Grab der Mutter besucht und ihre wie auch immer erhaltenen Überreste begafft. Wie zu erwarten war, rettet der ganze Schlamassel letztlich sogar die Beziehung zwischen Vincent und seiner Ehefrau, die über Scheidung jetzt kein Wort mehr verlieren wird – immerhin wurde sie samt den Kindern gefesselt und für mehrere Stunden in ein Tiefkühlfach gesperrt. Vincent sollte seinem Peiniger also doch zur Abwechslung mal dankbar sein! Das wäre überhaupt die Sensation, ja eine ganz neue Idee fürs Genre, quasi so ein Stockholm-Syndrom als Homo-Drama. Also warum eigentlich ist dann Plender hier das Arschloch? Und nicht stattdessen einfach mal der schmierige Selbstjustiz-Papi?

30% - erschienen bei: DAS MANIFEST

Juli 21, 2007

TV: Fernsehtipps vom 21.07. - 27.07.07

Samstag, 21.07.

22:05 Uhr – „Carlito’s Way“ (Das Vierte)

Melancholischer Abgesang auf das Gangstertum, bei dem Schnitt und Kamera eine fulminante Liaison eingehen: Dem inoffiziellen ersten Teil in jeder Hinsicht überlegen – De Palmas bester Film.

23:55 Uhr – „Blair Witch 2“ (Pro7)

Überaus dürftige Fortsetzung des ökonomischen Schockers, die auf konventionelle Genremuster setzt und nach dem brillanten Vorgänger daher nur jede Erwartungshaltung enttäuschen kann.

1:00 Uhr – „Memento“ (SAT.1)

Der Film konstruiert sich ausschließlich um seinen eigenen Twist herum, der weitaus weniger unvorhersehbar ist, als gemeinhin behauptet wird: Habe nie begriffen, warum dieser eitle Käse eine derartige Reputation genießt und Nolan so überbewertet wird.

Sonntag, 22.07.

20:40 Uhr – „Twins“ (Arte)

Gehen Arte die Filme aus oder warum holen sie sich diese zugegeben launige, aber doch schon ziemlich angestaubte Schwarzenegger-Komödie ins Programm?

22:25 Uhr – „The Rocky Horror Picture Show“ (K1)

Ein Meisterwerk, dessen Impact noch heute jedem Genrefilm anzumerken ist. Unerreicht.

23:45 Uhr – „Du lebst noch 105 Minuten“ (3SAT)

Unkonventioneller, irre fesselnder Film Noir mit Barbara Stanwyck und Burt Lancaster.

23:45 Uhr – „Omen 4: Das Erwachen“ (VOX)

Da mich die „Omen“-Filme ohnehin alle nicht vom Hocker reißen, fand ich dieses TV-Ripp-Off zumindest noch ganz lustig, wenn auch natürlich unfreiwillig.

0:25 Uhr – „Beetlejuice“ (K1)

…und das gleich nach „Rocky Horror“ – Tim Burtons zitatenreiche Mixtur mit toller, toller Musik.

Montag, 23.07.

22:15 Uhr – „Wild Things“ (ZDF)

Da nagt der Zahn der Zeit dran: Mit dem Ende meinte es McNaughton aber meines Erachtens schon immer etwas zu gut.

23:00 Uhr – „Das Fest“ (RBB)

Sicher, ein bewegender Film. Aber das ganze Dogma-Konzept gehört für mich zu den Paradoxien der jüngeren Filmgeschichte – oder ich bin bislang wirklich nicht dahinter gekommen, dass das alles nur ein großer Spaß sein soll.

Mittwoch, 25.07.

23:45 Uhr – „Der amerikanische Freund“ (NDR)

Wim Wenders’ grauenvolle Patricia Highsmith-Adaption des Ripley-Zyklus’, die sich als Verbeugung vor Hitchcock und dem Kino traditioneller Erzählformen versteht, aber von Stümper Wenders mit unerträglich koketter Pose inszeniert wird.

Donnerstag, 26.07.

0:30 Uhr – „Wild At Heart“ (ZDF)

Geht mir gelinde gesagt ziemlich auf den Zeiger: Hysterisches Getöse mit einem katastrophal schlechten Nicholas Cage und einer völlig verschenkten Laura Dern.

Juli 19, 2007

News: DEADLINE #04

Die neue Deadline ist ab 25.07.2007 im gut sortierten Handel erhältlich. Darin wie immer Reviews und Specials rund um den phantastischen Film für nur 5 Euro. Die Themen im Überblick:
  • Breitwand - jetzt im Kino
  • "Postal" plus brandaktuelles Interview mit Regisseur Uwe Boll
  • Festivalberichte:
  • 14 Seiten CANNES REPORT
  • FANTASY FILM FESTIVAL-Preview
  • FILMFEST MÜNCHEN
  • NEUCHÂTEL INTERNATIONAL FANTASY FILMFESTIVAL (NIFFF)
  • "Smokin' Aces"-Special inklusive Interviews mit Andy Garcia, Jeremy Piven, Ryan Reynolds, Common und Regisseur Joe Carnahan
  • "In 3 Tagen bist du tot"-Special inklusive Interview mit Regisseur Andreas Prochaska
  • "Wizard of Gore"-Remake inklusive Interview mit Regisseur Jeremy Kasten
  • MIG Filmgroup- Labelpotrait
  • Hennes Benders Hörstürz- Hörspiel-Kolumne
  • Herr Buttgereit empfiehlt - die Kolumne von Jörg Buttgereit
  • Horror, privat - mit Rolf Zacher
  • "Blockbuster vs. Internet" - Die Krise der deutschen Internet-Filmkritik
  • Türkploitation Special - vergessene türkische Trashperlen
  • Heimservice - neu auf DVD
  • Animeskop
  • Hirntot - die freundliche Rätselecke
  • Underdogs - Independentfilme und andere Auswüchse (inkl. KRANKHEIT MENSCH und NIGHTCAST)
  • Televisionen - TV-Serien auf DVD
  • ZeichentriX - Comics am Rand
  • Frischfleisch - Neuigkeiten und Gerüchte

Juli 17, 2007

Retro: ONIBABA (1964)

Einige der eindrucksvollsten Kriegsfilme zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Gegenstand so fühlbar, erschreckend und nachhaltig darstellen, weil sie eben darauf verzichten, ihm unmittelbar ein Gesicht zu verleihen. So muss Michael Curtiz’ "Casablanca" als eine der brillantesten Studien über den Krieg, eine der eindringlichsten Thesen über das, was er für die Menschen bedeutet, nämlich die totale Zerstörung sozialer Gefüge, gewertet werden – obwohl er den Zuschauer nicht für einen einzigen Moment in das direkte Kriegsgeschehen aus Kugelhagel und Bombengeschützen befördert. In "Onibaba", der Verfilmung einer alten buddhistischen Parabel, zeigt Regisseur Kaneto Shindo ("The Naked Island") den Krieg nur einmal kurz in Form einer großen Rauchwolke in der Ferne: Obwohl er im Mittelpunkt des Films steht, seine Auswirkungen die Handlung bestimmen, bleibt er weit entfernt – und scheint gerade deshalb so nahe zu sein.

"Onibaba"
erzählt von zwei Frauen während der Sengoku-Periode, einer Mutter, die ihren Sohn in den Bürgerkrieg ziehen lassen musste, und deren Schwiegertochter. Beide leben in einer kleinen Hütte, umgeben von einem weiträumigen Grasfeld. Um zu überleben, töten die Frauen vorüber ziehende Krieger, denen sie zunächst alle Habseligkeiten rauben und sie dann schließlich verspeisen, während die Knochenreste in ein tiefes schwarzes Loch geschüttet werden. Die Zweckgemeinschaft scheint in Gefahr, als der benachbarte Kriegsveteran Hachi zurückkehrt und mit der jüngeren Frau ein heimliches sexuelles Verhältnis eingeht. Die Schwiegermutter kommt hinter die Beziehung und versucht das Mädchen immer dann, wenn es nachts zu ihrem Liebhaber läuft, in Verkleidung eines Dämons zu verschrecken – bis sich das Grauen zu materialisieren beginnt.

Shindos Film entwirft ein scheinbar verzerrtes Bild vom Leben abseits der Gesellschaft, am Rande des Krieges und jenseits zivilisierter Ordnungsmuster. Doch seine Darstellung einer Gemeinschaft ‚Zurückgebliebener’, einer Gruppe von zwei Frauen, die in einem für gewöhnlich patriarchalisch organisiertem und hierarchischem Umfeld eine neue Existenzgrundlage schaffen müssen, wirkt realistischer als manch andere cineastische Kriegsverklärung, die nicht selten auf das Klischee der daheim wartenden und unselbstständigen Ehefrau setzen. Die extreme Tristesse im Leben der beiden Frauen und die jeglicher Romantik entbehrenden Lebens- umstände fügen sich zu einem trostlosen Gesamtbild, das Krieg als durch und durch antikonstruktivistischen Virus zeichnet – seine nicht nur zerstörende, sondern auch lähmende Wirkung stehen im Mittelpunkt von "Onibaba".

Der feministische Unterton des Films, der sich aus dem Entwurf eines auch ohne männlichem Führungshaupt funktionierenden Systems ergibt, erhält durch die symbolhafte Visualität einen zusätzlichen Nährwert: Der Ort der Handlung, also die Umgebung einer unbefleckten Natur aus wehenden Gräsern, einem tiefen schwarzen Loch und anschließendem Fluss, lässt sich als chiffrierte Entsprechung eines weiblichen Sexualorgans lesen. Im Verlauf des Films wird diese Konnotation zusätzlich untermauert, beispielsweise in einer Szene, bei der Hachi das Erdloch entdeckt und von unbändiger Lust angetrieben hinausschreit: "I want a woman!". Doch Shindo untersucht in "Onibaba" das Wesen von Sexualität noch wesentlich genauer, die Beziehung zwischen Frau und Mann bildet bei ihm ein komplexes Spannungsverhältnis, das er zwar für notwendig erachtet (die biederen Versuche der älteren Frau, ihre Schwiegertochter zur Enthaltsamkeit zu zwingen, werden mit der Verwandlung in einen tatsächlichen Dämon bestraft), es aber auch in einen Zusammenhang mit den verborgenen dunklen Seiten eines jeden Menschen bringt.

Denn die sehr freizügigen Sexszenen haben nicht nur etwas animalisches, sondern mitunter sogar gewalttätiges. Der Sex bedeutet für das Mädchen eine Befreiung aus dem Trott, ebenso wie er ihr Verlangen herausfordert und zur Selbstbestimmung verhilft. Gleichzeitig scheint er Ausdruck einer gefühllosen Radikalität, die auch dann zu Tage tritt, wenn die Frauen gewissenlos töten. Sexualität und deren Auslebung sowie der Drang und Wille zum Überleben stehen in "Onibaba" also in einem dialektischen Verhältnis: In einem Krieg, der die Menschen auslöscht und jegliche Existenz bedroht, muss das Fortbestehen gesichert werden. Der Verlust von Sexualität bedeutete das Ende des Seins, bei Shindo wird die sexuelle Antizipation zum entscheidenden Überlebensmittel. Die in bombastischen, höchst atmos- phärischen Cinemascope-Bildern festgehaltene Landschaft reflektiert dieses Modell symbolisch, wenn die anmutigen Grasfelder sich bei Vollmondschein und Regenschauer zum bedrohlichen Labyrinth entwickeln.

Dass der Mensch nicht nur innerhalb, sondern – zumindest räumlich – auch außerhalb des Krieges zur Bestie werden kann, deutet in Shindos bekennend sozialistischem Verständnis zwar auf die Unmenschlichkeit seines kapitalistisch lesbaren Systems hin (Krieg als Inbegriff einer wertelosen, materialistischen Gesellschaft), deutlich herausgearbeiteter als die politischen Bezüge scheinen in "Onibaba" dennoch jene grundsätzlichen Fragen der menschlichen Sexualität. Interessanterweise findet die ältere Frau die Maske, mit der sie in die Rolle eines Dämons schlüpfen wird, in jenem Höhlenloch, in das sie all die männlichen Opfer gestoßen hat. Das Hinabsteigen in eine metaphorische Vulva, in der sich haufenweise Männerknochen stapeln, erhält hier eine vieldeutige Doppelkodierung: Könnte dies als Hinweis auf die sexuellen Gefühle der Frau für ihre Schwiegertochter zu verstehen sein? Oder erscheint das Bild vielmehr als Symbol einer unterdrückten Sexualität, deren maskierte Narben für immer eine unumkehrbare Entmensch- lichung bedeuten werden? "I’m not a demon! I’m a human being!", lauten die verzweifelten Rufe der Frau. Ob ihr bei der Verfolgungsjagd letztlich der Sprung über das Erdloch – und damit die Überwindung der (Un-)Schuld – gelingt, überlässt Shindo dem Zuschauer.


75%

Juli 15, 2007

Retro: TANIN NO KAO (1966)

Mr. Okuyama hat sein Gesicht in Bandagen gehüllt, darunter verbergen sich Narben und Wunden, die als Folgen eines Laborunfalls das persönliche Lebenstrauma des Mannes bilden. Sein Arzt bietet ihm die Möglichkeit an, eine täuschend echte Maske zu modellieren, die er auf Grundlage eines willigen Spenders entsprechend präpariert: Okuyama stimmt dem Experiment zu – und trägt bald das Gesicht eines anderen. Die daraus abzuleitende Utopie wird schließlich von der Hauptfigur programmatisch verkündet: Niemand wird frei sein wollen, weil alle frei sind; es wird keine Straftaten mehr geben, weil es keine Straftäter mehr gibt; niemand wird mehr wegrennen wollen, weil es nichts mehr gibt, von dem man wegrennen müsste; Einsamkeit und Freundschaft werden vereint sein.

"Tanin no kao"
(The Face of Another) ist eine essayistische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Individuum als Wesen, das zwar über ein Ich-Bewusstsein verfügt, dieses jedoch angesichts einer subjektiven Entfremdung aufzugeben droht. Stilistisch stark dem avantgardistischen Kino verschrieben, inszeniert Regisseur Hiroshi Teshigahara die Sinnsuche seiner Figur unter Einbeziehung zahlreicher Leitmotive und Bezüge zur östlichen, vor allem aber auch westlichen Kultur. Der Film basiert auf der gleichnamigen Novelle von Kôbô Abe, mit dem Teshigahara bereits bei "Otoshiana" (The Pitfall) und dem international erfolgreichen "Suna no onna" (Woman in the Dunes) zusammenarbeitete. Regisseur und Autor lernten sich in der avantgardistischen Künstlergruppe Seiki kennen, die von Teshigahara in den 50er-Jahren initiiert wurde. Gemeinsam mit dem Komponisten Toru Takemitsu verband sie der Wille zur fortschrittlichen Kunst, die politische und gesellschaftskritische Denkformen annehmen und sich langfristig bewähren sollte.

In Relation zur komplexen Symbolhaftigkeit des Films, die mit visuellen und audiovisuellen Mitteln ebenso wie einer ambigen erzählerischen Struktur erzeugt wird, erscheint die gradlinige Handlung simpel und fordert den Zuschauer nicht dazu auf, einen eigenen Weg zum Verständnis der Geschichte, wohl aber ihrer Bedeutung zu finden. Grundsätzlich lässt sich die Entstellung von Okuyamas Gesicht, die einhergeht mit dem Verlust von gesellschaftlicher und letztlich auch privater Zugehörigkeit, sowohl als Metapher über die Spuren und Nachwirkungen der Hiroshima-Katastrophe, wie auch als Ausgangspunkt einer unspezifischen Betrachtung der Bedeutung von Identität und Statussymbolen lesen. Für ersteres sprechen der biographische Hintergrund Teshigaharas, der in jungen Jahren als Assistent vieler Dokumentarfilme über die Folgen von A-Bomben-Angriffen und –Tests arbeitete, und die generelle Auswirkung der Verstrahlung auf Japan, die mit Hilfe künstlerischer Mittel aufgearbeitet und thematisiert wurde.

"Tanin no kao" folgt über weite Strecken einer Ästhetik und Motivwahl, die sehr stark an die Universal-Horrorfilme der 30er-jahre erinnert. Rein äußerlich kann man Okuyamas verbundenes Gesicht mit der Erscheinung des "Invisible Man" assoziieren, während das Verhältnis zu seinem Arzt dem Frankenstein-Mythos gleicht, indem der motivisch der Tradition des mad scientists verpflichtete Doktor durch die Entwicklung einer neuen Haut einen – im übertragenen Sinne – morphologisch gänzlich neuen Menschen schafft. Okuyamas widersprüchliches Verhältnis zwischen eigenem Bewusstsein und neu gewonnener Identität trägt dagegen Züge der klassischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Thematik, während die Operationsszene wiederum an einen anderen Genrefilm erinnert, nämlich Georges Franjus "Les Yeux sans visage" (Eyes Without a Face). Nicht nur in Bezug auf manch visuelle Assoziationen sei auf die genannten Werke verwiesen, Teshigahara setzt sich auch auf der philosophischen Ebene seines Films mit ihnen auseinander, insbesondere hinsichtlich der Beziehung zwischen Okuyama und seinem Arzt.

Faszinierend ist der visuelle Ansatz des Regisseurs, die Gesichter seiner Figuren immer wieder in einem besonderen Fokus zu inszenieren – von vorn und hinten, dann wieder seitwärts, abgeschnitten oder verdeckt. Kameramann Hiroshi Segawa setzt sie stets in einen speziellen Zusammenhang zueinander, aber auch zu ihrem Hintergrund und allgemeinem Umfeld. Durch die außerordentliche Kraft seiner Bilder rückt der Film die Bedeutung des menschlichen Gesichts als Fixpunkt gegenseitiger Kommunikation ins Zentrum und unterstreicht den Konflikt des tragischen Helden mit sorgfältig ausgewählten Mitteln, die nicht selten an die Tradition europäischer Filmemacher in den 60er-Jahren erinnern. Die wechselhafte Stimmung von "Tanin no kao" wird durch den Einsatz gegensätzlicher Settings evoziert. So spielen die Szenen in Teshigaharas Wohnung in einem urbanen, sehr realen Ambiente, während die Momente in der Klinik eher phantastisch und surreal durchzogen sind. Dies forciert zusätzlich den Widerspruch der Hauptfigur, die hin- und her gerissen ist zwischen ihrer wirklichen und unwirklichen Identität, wozu ebenso der mal melancholische, dann wieder schroff-experimentelle Soundtrack beiträgt.

Genau dieser Zwiespalt findet in der Parallelhandlung Ausdruck, in der eine entstellte junge Frau ihren schwierigen Alltag zu meistern versucht. Dramaturgisch erfüllt der Wechsel in diesen imaginären Erzählstrang eine spiegelnde Wirkung, da er die Gefühle Okuyamas bildlich reflektiert. Schließlich kündigt ihr tragisches Schicksal das unumkehrbare Leiden der Hauptfigur an: Der Versuch Okuyamas, mit seiner Frau in der vermeintlichen Gestalt eines Fremden eine Affäre zu beginnen, scheitert – sie weiß um seine wahre Identität. So kann die Maske nicht nur den Zweck erfüllen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen (z.B. die bröckelnde Ehe), sondern entfremdet ihren Träger letztlich noch weiter von sich selbst und seinem Umfeld ("And after a long time I forgot that you could suddenly become s stranger."). Als haltloses Individuum, das von allem sozialen isoliert scheint, tötet das Geschöpf ihren Schöpfer. Okuyama trägt nicht länger nur das Gesicht eines Fremden, er ist selbst zu einem Fremden geworden: "Freedom’s always a lonely thing. "

80%

Radio: FILM-BLUE MOON 07/07

Heute ab 22Uhr heißt es erstmals nur zwei Stunden mitstreiten beim Film-Blue Moon auf Radio Fritz (Berlin/Branendburg). Durch die Sendung führen wie immer Mc Lücke und Ronald Bluhm, anrufen und sich aktiv an hitzigen Diskussionen zum Schwerpunktfilm "Harry Potter und der Orden des Phönix" beteiligen kann jeder - und einen Griff in die Fritz-Film-Geschenkekiste gibt es dann auch noch. Per Livestream oder direkt im Radio.

Juli 14, 2007

Kino: DEATH PROOF

9/10

TV: Fernsehtipps vom 14.07. - 20.07.07

Samstag, 14.07.

20:15 Uhr – „Solaris“ (VOX)

Sieht man da nun George Clooneys Hinterteil oder nicht? Dann wäre das ganze ja vielleicht sogar einen Blick wert, auch wenn Soderbergh als lässiger Filmgelehrter wohl weder ans Original, geschweige denn die literarische Vorlage anknüpfen kann.

22:05 Uhr – „Flammendes Inferno“ (RTL2)

Den langen Bart des Films kann auch heute noch die bedeutsame Musik von John Williams kaschieren.

22:15 Uhr – „Wrong Turn“ (Pro7)

Mit einigen gelungenen Spannungsmomenten aufgeladener Backwood-Horror, der als aufgepeppte Teenversion von Cravens „The Hills Have Eyes“ vor allem recht zackig in Szene gesetzt ist.

Sonntag, 15.07.

22:30 Uhr – „Irgendwann in Mexiko“ (Pro7)

Dürftiger, nicht selten ziemlich nerviger Abschluss von Rodriguez’ eleganter Mexiko-Trilogie.

0:30 Uhr – „The Way of the Gun“ (Pro7)

Selten langweiliger Gangster-Thriller.

Montag, 16.07.

23:00 Uhr – „El Mariachi“ (Das Vierte)

Aus wenig mach viel – wunderbar ökonomisches Regiedebüt, an das die beiden Sequels nicht mehr anknüpfen konnten.

0:30 Uhr – „Up!“ (Arte)

Na bitte, Russ Meyer rettet diese ärmliche Fernsehwoche doch im Alleingang!

Dienstag, 17.07.

22:00 Uhr – „Die letzten beißen die Hunde“ (WDR)

Kauzige Buddy-Action mit gut aufgelegten Stars, dank der rasanten Inszenierung auch wunderbar kurzweilig.

4:40 Uhr – „Beautiful Thing“ (3SAT)

Der melancholische Kultfilm über zwei Londoner Jungs, die nicht nur mit den sozialen Problemen ihres Milieus, sondern auch heftigen Gefühlen füreinander zu kämpfen haben. Pflicht!

Mittwoch, 18.07.

22:05 Uhr – „Das Kindermädchen“ (Das Vierte)

Biederer Doof-Grusel, wie man ihn von William Friedkin gewohnt ist.

Donnerstag, 19.07.

20:15 Uhr – „Der weiße Hai 2“

Besser als sein Ruf, wenn auch bei weitem nicht so virtuos und filmisch wie sein Vorgänger.m Den dritten gibt's auch noch, aber wie immer ohne 3D.

20:15 Uhr – „Der Falke und der Schneemann“ (Das Vierte)

Vergessene Perle des Spionagefilms, brillant inszeniert von John Schlesinger.

Freitag, 20.07.

20:15 Uhr – „Im Auftrag des Teufels“ (Pro7)

3,2,1 .. und schon hat Pacino wieder seinen cholerischen. Fällt hier nur weniger auf, da Keanu Reeves mal wieder besonders schlecht ist.

23:30 Uhr – „Ritter der Dämonen“ (RTL2)

Unglaublich witzige, höchst unterhaltsame und köstlich getrickste Splatterkomödie, die neben „Bordello of Blood“ zweifellos zu den jüngeren Highlights des Genres zählt. Cut!

0:30 Uhr – „Hamlet“ (Arte)

Die 1920er-Version. Das ist eine der wenigen Ausnahmen, wo ich dann doch gern einen Fernsehanschluss hätte…

Juli 12, 2007

Kino: 2:37 (TWO THIRTY 7)

"2:37" bezeichnet jenen Zeitpunkt, von dem aus die Filmhandlung beginnt und schließlich auch ihr Ende nehmen wird: Ein Schüler hat sich das Leben genommen. Schnitt. Was folgt ist ein ganz normaler Schulalltag mit allem, was eben dazu gehört: Liebesnöte, Pennälerstreiche, Hänseleien. Regisseur Murali K. Thalluri, zu Drehbeginn selbst erst knapp über 20 Jahre alt, verkauft diese Bilder von ganz normalen Jugendlichen als überdramatisiertes Warnzeichen einer haltlosen Irritation. Semidokumentarisch wandert er von Klassenraum zu Klassenraum, lässt sich die einzelnen Stücke schneiden und ist darum bemüht, einen möglichst authen- tischen Querschnitt vom alltäglichen Leben seiner Protago- nisten zu zeigen. Dieses verkorkste Experiment wird auch dann nicht spannender, wenn Thalluri auf die Zugkraft seiner whodunit-Geschichte setzt – die Frage, wer sich denn von diesen Teens wohl umgebracht haben könnte, ist ungefähr genauso uninteressant wie überhaupt sämtliche Probleme dieser Nervensägen. Insbesondere deshalb, da der Film mit überaus plumpen Mitteln arbeitet und seine Figuren durch und durch klischeehaft zeichnet. Weil Thalluri von Subtilitäten auch wenig zu verstehen scheint, unterbricht er die Handlung immer wieder mit redundanten Schwarzweißsequenzen, in denen die Jugendlichen einem Selbstbekenntnis gleich ihr Innenleben ausplaudern – bzw. das in Worte fassen müssen, was ihr Regisseur nicht fähig ist zu erzählen. Da ist es dann auch alles andere als überraschend, wenn sich der homophobe Mädchenschwarm als Schrankschwuchtel entpuppt oder sich hinter der Maske eines musischen Vorzeigeschülers ein inzestuöses Monstrum verbirgt, ganz einfach weil sich das alles zuvor stets selbst ankündigt. "2:37" ist ganz einfach nichts weiter als eines dieser schwerfälligen Teenagerportraits, die bei aller Hysterie immer zu vergessen scheinen, wie normal und letztlich gar wichtig derartig verkorkste Lebensabschnitte für die Entwicklung dieser Jugendlichen sind.

30%

Juli 10, 2007

Kino: TRANSFORMERS

Um es gleich vorweg zu nehmen: Was die Spezialeffekte betrifft, bedient "Transformers" keinesfalls den State of the Art, sondern setzt ganz grundsätzlich einen neuen Standard. Die Einbindung Computer generierter Effekte in ein realistisches Actionszenario gelingt nunmehr gänzlich ohne sichtbare Übergänge und erscheint in ihren Möglichkeiten vielleicht erstmals wirklich unbegrenzt, was dem Film zumindest schon einmal den langzeitigen Vermerk in der Filmgeschichte wird sichern können. Damit hat Michael Bay seine kokette Ambition, hier mit donnerndem Nachdruck gewiss eine neue Meßlatte aufstellen zu wollen, erfolgreich über die Runden gebracht. Und auch das Prädikat "größte Zerstörungsorgie in der Geschichte des Kinos" ist seiner eben größten Zerstörungsorgie in der Geschichte des Kinos ganz bestimmt sicher – immerhin gibt es hier kein architektonisches Konstrukt, das im Verlauf der Filmhandlung nicht in Schutt und Asche gelegt wird.

Der Zuschauer bleibt indes nur desolater Beobachter dieses spektakulären Krawalls: Da hauen sich große Spielzeuge ganze zwei Stunden lang die Köpfe ein, während die menschlichen Sidekicks hilflos dazwischen herumwirbeln. Als Zuschauer ist man in das Geschehen dabei dramaturgisch zu keiner Zeit involviert. Die Transformers, Maschinen also, die ihre Gestalt an Flugzeuge, Hubschrauber oder Autos anpassen können, hauen hier so ziemlich auf alles, was sich bewegt. Die schnittigen Autos, knapp bekleideten Skihäschen und wuchtigen Rockeinlagen bringen das Testosteron noch zusätzlich in Wallung, sodass diese Fleisch bzw. Metall gewordene Großen-Jungen-Fantasie den durchschnittlichen Michael Bay-Zuschauer mehr als zufrieden stellen, wenn nicht gar ekstatisch verwöhnen dürfte. Dass manch anderer derweil mit einigen großen Fragezeichen über dem Kopf im Kinosessel verweilt und sich ja nicht einmal zu fragen gedenkt, ob er nun entweder einen wichtigen Schneidepunkt auf dem langen Weg zum Erwachsenwerden verpasst oder nur einfach nicht begriffen hat, warum sich denn dort oben auf der Leinwand nun eigentlich solch hässliche Roboter die Rübe einschlagen, ja das schließt ein derartiges Vergnügen dann wohl mit ein.

Um es also auf den Punkt zu bringen: "Transformers" ist die Kinoadaption einer 80er-Jahre-Spielzeugreihe aus dem Hause Hasbro, und das allein ist schon so skurril, dass man unterhalb dieser extrem lauten und unfassbar chaotischen Wutorgie nicht ernsthaft Spuren eines gewissen Nährwertes vermuten dürfte. Nun bedeutet der Film jedoch die erste Zusammenarbeit zwischen Bay und seinem Freund Steven Spielberg, der zwar in einer gänzlich anderen Liga inszeniert, sich allerdings auch gern einmal hinter dem romantischen Dreamworks-Logo versteckt, um als Produzent ordentlich auf den Putz hauen zu dürfen. Bay macht hier für Spielberg sozusagen die Drecksarbeit, was an und für sich ja eine durchaus gerechte Aufteilung darstellte, würde der Strippenzieher aus dem Hintergrund seinem zappeligen Junggesellen doch wenigstens mal für zwei Minuten förmliches Benehmen andressieren: Es vergeht ja wahrlich nicht eine Minute, in der Bay die Kamera mal stillhalten kann, in der er ohne seine schrecklich originellen 180°-Schwenks hausieren geht oder ganz einfach einmal darum bemüht scheint, eine Szene zumindest halbwegs vernünftig aufzubauen.

Der Spielberg-Touch der ersten Hälfte ist freilich nett, und wenn die Transformers durch die kleinen Suburbia-Gärten stampfen oder humane Verhaltensweisen annehmen (gemeint sind die ‚guten’ Autobots, die ‚bösen’ heißen ‚Decepticons’), dann fühlt sich das schon durchaus komisch an, da hier typisch-platte Bay-Dialoge auf ein pseudo-warmherziges Spielberg-Ambiente stoßen. Überhaupt sind die kindgerechten Gags selten doof und widersprechen der möchtegernrobusten Action in jeder Hinsicht: Der hippelige Shia LaBeouf (für den Spielberg leider ebenfalls verantwortlich ist) soll als Konsensmännekicken für den nötigen Witz sorgen, bleibt aber ebenso eine absolute Flachzange wie die dezent gebräunte Megan Fox, die als Tittenimport äquivalent zu den geölten Maschinen manch unbefriedigte Männerträume erfüllen dürfte. Für den unfreiwilligsten Witz sorgt da bestenfalls Jon Voight: Gaukelt Bay zunächst noch vor, er würde auf patriotisches Gedönse erstmals verzichten, indem er vom US-Präsidenten nichts weiter als dessen rote Socken ins Bild rückt, lässt er den geschniegelten Voight als Assistent des Verteidi- gungsministers zur Knarre greifen, was letztlich auf das selbe hinausläuft: "Losing is not an option with these guys". Doch was will man eigentlich schon verlangen, wenn man geboten bekommt, wonach das Zielpublikum (bis 12 Jahre) ohnehin lechzt: "Transformers" ist eben nichts weiter als so richtig gaga.


30%

Kino: BLACK SNAKE MOAN

Einst war Lazarus (Samuel L. Jackson) einer der angesagten Bluesmusiker seiner Gegend irgendwo in den Südstaaten. Mittlerweile allerdings fristet er abgehalftert und verbittert ein armseliges Dasein in seinem abgelegenen Häuschen. Bis ihn eines Tages das Schicksal heimsucht: Auf offener Straße findet er die junge Rae (Christina Ricci) – bewusstlos und schwer verletzt. Lazarus beschließt sie zu sich zu nehmen und gesund zu pflegen. Bei seinen Nachforschungen kommt er schnell dahinter, dass Rae als Stadthure verschrien und drogenabhängig ist, während ihr Freund Ronnie (Justin Timberlake) seine Zeit beim Militär absolviert. Um sie von ihren ‚Dämonen’ zu befreien, kettet Lazarus das Mädchen an eine Heizung und entwickelt eine intensive freundschaftliche Beziehung zu ihr.

"Black Snake Moan" ist kein gewöhnliches Südstaaten- Melodram, sondern erzählt in schicken und modernen Bildern eine zwar nicht ungewagte, tendenziell jedoch überaus altmodische Geschichte. Denn so unverhüllt und dirty die Grundsituation – greiser Bluesmusiker treibt fescher Kleinstadt-Nymphe den Teufel aus – erscheinen mag, hinter den gewitzten und herben Dialogen verbirgt sich lediglich eine ziemlich biedere Moral: So darf sich Ricci nicht nur für den Bund der Ehe und damit gegen ein umtriebiges Teenagerleben entscheiden, sondern Jackson sich auch gleich noch auf alte Tage berufen – als jemand, der eigentlich vom Glauben abgekommen war, schöpft er mittels Notfall-Exorzismus neue Kraft. Dabei hätte den Figuren ein wenig mehr Tiefe nicht geschadet, zumal Brewers Film ein merkwürdig misogynes Rollenverständnis hat: In der Welt von "Black Snake Moan" haben Frauen nichts anderes im Sinn als rumzuvögeln und ihre gut situierten Männer zu verlassen, die dann folgerichtig als Lebenswrack enden. Wären da nicht die gefühlvollen, puren Musikmomente, in denen Jackson zur Gitarre greift und manch rostigen Blues anschlägt, müsste man nach Brewers tollem "Hustle and Flow" von einer herben Enttäuschung sprechen.

45% - erschienen bei: DEADLINE

Juli 08, 2007

Retro: THE PALM BEACH STORY (1942)

Mit den Männern hat man’s ja nicht leicht: Entweder sie tun alles für ihre Liebste, kaufen ihr Schmuck und schöne Kleider, beschenken sie nach Herzenslust und können ihr dennoch nicht das geben, was sie sich erhofft. Oder sie sind der materiellen Mittel knapp und können nur gerade so auf eigenen Beinen stehen, jedoch ihrer Angebeteten immerhin uneingeschränkte Liebe entgegenbringen. Zumindest Preston Sturges’ Screwball-Klassiker "The Palm Beach Story" kennt erst einmal nur diese beiden Männertypen, zwischen denen sich die unentschlossene Claudette Colbert als Gerry Jeffers entscheiden muss: Möchte sie sich auf dem Weg zu ihrer Scheidung nach Palm Beach einen netten Millionär angeln, der ihr all das zu schenken imstande ist, was ihr der beruflich wie privat erfolglose Noch-Ehemann verwehrt? Oder hat der treudoofe Rudy Vallee trotz vermögender Anlagen doch keine Chance gegen den nachgereisten Mr. Jeffers, der von "Sullivan’s Travels"-Star Joel McCrea als zwar verlassener, aber mit kämpferischer Geste vergnüglich auftrumpfender Gatte gespielt wird?

In diesem turbulenten Chaos um Fragen der Ehe, Standeszugehörigkeit, Rollenverteilung und Statussymbolen zieht Sturges abermals sämtliche Register seines Könnens und vereint eine mindestens so gradlinige wie sich gleichzeitig auch selbst überholende Geschichte mit ironisch gepfeffertem Wortwitz. Nach den Kassenhits "The Lady Eve" und "Sullivan’s Travels" bleibt der Regisseur den Sujets seines Schaffens treu: "The Palm Beach Story" folgt mit irrsinnigem Tempo einer völlig überdrehten Handlung, die mitunter gar die genüsslichen Pointen und Spitzen in Sturges’ kritischem Gesellschaftsbild zu überschatten droht. Dieses thematisiert sowohl den immerwährenden Erfolgsdruck, um als akzeptiertes Individuum in einem Konsum- und Markt orientierten System bestehen zu können, als auch die gesellschaftliche Erwartungshaltung an klassische Rollen- muster: Ein Mann ist eben erst dann ein Mann, wenn er es vermag, sich und seiner Familie einen mindestens soliden Lebensstandard zu garantieren.

Wie auch schon in seinen zu vorigen Filmen beweist Sturges abermals ein sicheres Gespür für filmische Mittel. Die den Rahmen bildende Anfangssequenz, die die Hochzeit des Paares Jeffers in Zeitraffer abbildet, demonstriert mit allen Mitteln der Kunst die beeindruckende Fähigkeit des Regisseurs, komplexe Handlungsebenen durch den Einsatz cleverer Ellipsen- und Montagetricks zu prägnanter Kurzform zu verdichten – wie kein zweiter überführt er Vorgeschichte und Hintergrunddetails der Folgehandlung in visuelles Erzählen, ohne sich langwieriger Erklärungen in Dialogform zu bedienen. Gerade weil sich Sturges innerhalb filmischer Codes so sicher wie auch selektiv bewegt, verwundert es immer wieder aufs neue, dass sein beispielloses Œuvre der Komödie stets erst hinter Billy Wilder, Ernst Lubitsch oder Howard Hawks Erwähnung findet. Nicht zuletzt die Beständigkeit innerhalb des Sturges-Werkes, die sich aus der konsequenten Ausarbeitung sozialkritischer Sichtweisen mit untertonartiger Ironie, der Verpflichtung der vielmals selben Schauspieler, die eine eigene konstante Gruppe bilden, und dem fast unerreichten Faible für gewitzte Schlagabtausche ergibt, distanziert den ehemaligen Theaterregisseur von seinen Kollegen.

"The Palm Beach Story" kommt zwar eher beschwingt und leichtfüßig daher, wozu die heitere Musik ebenso beiträgt wie natürlich auch die von zahlreichen unwahrscheinlichen Ereignissen angetriebene Geschichte, doch im Kern ist auch dieser Sturges-Film mit vielfältigen zeitlichen Referenzen unterfüttert. Wie auch in seinen anderen Arbeiten findet der gegenwärtige Weltkrieg keinerlei Erwähnung, sodass man glauben könnte, der bewusste Verzicht auf jedwede Verbindung zu dessen Schreckensvisionen sei durch den optimistischen Zweck des Kinos insbesondere in Zeiten des Krieges verbürgt (so wie es Sturges in "Sullivan’s Travels" auch indirekt thematisiert). Zweifellos jedoch steht hinter der Intention, das Publikum zum Lachen und somit auf andere Gedanken zu bringen, der Entwurf einer Handlung und deren Figuren, die um jene Spuren, die der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel in Kriegszeiten zieht, auch gar nicht bereinigt werden können.

So steht der Misserfolg von Tom Jeffers geradezu symptomatisch auch für den Verlust seiner Männlichkeit, der sich darin äußert, nicht den an seinem Rollenmuster festgemachten Erwartungen entsprechen zu können. Damit konstituiert Sturges nach "The Lady Eve" abermals Bedeutung und Dialektik der Screwball-Comedy: Wenn der Mann sein bürgerliches Lager aufgeben und in den Dienst einer Nation treten muss, wird die langläufige Ordnung der Geschlechter nicht nur neu definiert, sondern auch nachhaltig verrückt: Claudette Colbert verkörpert hier ebenso wie Mary Astor einen neuen Typ Frau, der von emanzipatorischer Selbstbestimmtheit und vor allem einer eigenen Sexualität gekennzeichnet ist – ob Heiratswunsch oder schließlich Scheidung, über beides bestimmen hier nicht die Männer. Sie können ihren eigenen Machtverlust bestenfalls mit fragenden Grimassen kommentieren.

80%