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April 14, 2011

Zuletzt gesehen: SCREAM TRILOGY

Die mindestens 15. Sichtung, nun in sehnlicher Vorfreude auf Numero cuatro. Hommage, Paraphrase, Zerlegung, Deutung, Gedankenspiel, Happening, Ausschlachtung und Wieder- belebung des Slasherfilms als kompaktes Gesamtpaket. Das Regelwerk vor-, aus- und nachgestellt, bedient, gebrochen, verinnerlicht, parodiert und mit absoluter Ernsthaftigkeit umgeschrieben. Entrümpelung, Sortierung, Neuzusammen- setzung, und der Slasherfilm als feministisches Lustspiel noch mal anders gedacht. Ein Drehbuch, das sich alle Freiheiten zur postmodernen Fabuliererei gönnt, ein Regisseur, dessen langjähriger Diskurs um filmische Realitäten endlich gehört wird, ein Film, der sich vom Schrecken zur Hysterie und wieder zurück bewegt. Und der alles richtig macht und jeden Ton trifft. "Scream" ist pures 1996 und hat dennoch nicht einen Millimeter Staub angesetzt. Er ist anders als die vielen Filme, die in einem System aus Verweisen und Bescheidwissen um ihre eigene Identität kämpfen. Sein Konzept ist nicht reine Mechanik, hinter der jeder Ernst zurücktreten, jede Situation zur Anordnung und jede Figur zum Stereotyp verkommen müsse. Keine Dekonstruktion ohne Neukonstruktion. "Scream" ist ein Film voller Lebendigkeit vor einem ausgestorbenen Genre: Der glückselige Höhepunkt eines Kinos, das seine Filme nur noch als Produkte zur Schau zu stellen weiß. So rar, so schön, so Lieblingsfilm.


100%

Auf gute Laune getrimmte Fortsetzung einer beispiellosen Teen-Horror-Abhandlung, die ihr Bewusstsein, als postmoderner Film lediglich auf andere Filme reagieren und sich bestenfalls als originelle Neuzusammensetzung behaupten zu können, gegenüber dem Vorgänger noch einmal zu schärfen versucht. Das freimütige und recht ergebnislose Sinnieren über angebliche Sequel-Gesetze bemüht sich redlich, die eigentlich nur nachbuchstabierte Prämisse des ersten Films unter Verschluss zu halten. Tatsächlich fügt "Scream 2" der (bisherigen) Trilogie so wenig Nennenswertes hinzu, dass man ihn auch problemlos überspringen könnte. Für höchste Vergnüglichkeit sorgen sowohl die Film-im-Film-Elemente, als auch die stärkere Konzentration auf die komischen Aspekte der sich lediglich wiederholenden Geschichte, wodurch den Figuren der Serie einige amüsante Momente eingeräumt werden. Das wenig aufregende Finale spielt den Schluss des Vorgängers noch einmal unbeholfen nach (inklusive erneuter nur leichter Kratzer für das lieb gewonnene Pärchen Herr und Frau Arquette) und verrückt dessen selbstironischen Charakter in Richtung Eigenparodie. Angereichert mit zahllosen gekonnten Spannungsmomenten und ausgeglichenem Humor funktioniert "Scream 2" als hübscher Nachklapp, dem die Cleverness des ersten Films allerdings fast komplett abgeht.


60%

Mit der Ermordung einer zentralen Figur der beiden Vorgängerfilme gibt "Scream 3" gleich während der Exposition eine deutliche Richtung vor: Getreu dem selbst auferlegten Motto "Forget the Rules" erlaubt es sich Regisseur Wes Craven, seine zyklische Slasher-Vergnügung im dritten Anlauf gleich gänzlich ad absurdum zu führen. Den wenig ironischen Repetitionsgestus des zweiten Films beantwortet "Scream 3" mit bitterbösem Sarkasmus, indem er Filmfortsetzungen für mörderisch erklärt (das Drehbuch eines Film-im-Film-Sequels dient dem Killer als Anleitung) und sich als Parodie einer Parodie fröhlich selbst aufhebt (jeder Witz über "Stab 3" ist ein Witz über die eigene Trilogie und umgekehrt). Auf mehreren Ebenen multipliziert Craven sein ebenso augenzwinkerndes wie komplexes Spiel mit verschiedenen Realitäten (vgl. "Shocker", "New Nightmare" oder "My Soul to Take"), um anhand einer aberwitzigen Abrechnung mit der Genreindustrie ganz nebenbei noch die irrsinnigen Verknüpfungen zwischen Film und Wirklichkeit durch den Kakao zu ziehen. Er verdoppelt die Protagonisten der beiden Vorgänger und lässt die fiktiven Helden auf ihre noch fiktiveren Abziehbilder treffen. "Scream" und "Stab" kollidieren schließlich in einem nicht mehr differenzierbaren Filmuniversum und kommentieren sich unentwegt selbst. Dass es Craven gelingt, in all dem intellektuell stimulierenden Meta- Mischmasch sogar noch die Geschichte des ersten Films zu einem stimmigen und sogar emotionalen Ende zu führen, belegt einmal mehr dessen Meisterschaft als unverkennbarer und vielschichtiger Ausnahmeregisseur im Horrorfilm. Die absolute Ultrakunst.


90%

August 18, 2010

Kino: SALT

Alles schon mal da gewesen in diesem beispiellosen Retro-Kinosommer, der sich nur aus Remakes, Sequels und Adaptionen speisen möchte. Und falls ein einziger Film unter ihnen eine originäre Idee selbstverwirklicht (die so originär nicht ist), dann wird er alsgleich zum Meisterwerk und Christopher Nolan zum King of the World auserkoren. Wenn das US-Mainstreamkino in seinem beklagenswerten Verzicht auf Erneuerung nunmehr sogar die Feindbilder von anno dunnemals rekrutieren muss, um frischen Wind durch seinen Ideenfriedhof zu blasen, gleicht das einer Verzweiflungstat: Der Spionagethriller "Salt" feiert ausgelassen die Rückkehr der Wodka süffelnden Russen-Bösewichter, als sei der Eiserne Vorhang nie gefallen. Inoffizieller Kinostart: Sommer 1990.

Evelyn Salt (Angelina Jolie) ist CIA-Agentin mit Leib und Seele. Sie hat ihrem Vaterland große Dienste erwiesen, und dafür wurde sie sogar schon von oberster Stelle aus nordkoreanischer Gefangenschaft befreit. So einer vorbildlich loyalen Agentin würde man demnach nicht zutrauen, eine russische Spionin zu sein, die an der Durchführung geheimer Pläne zur Auslöschung der USA beteiligt ist. Doch genau das behauptet eines Tages ein Überläufer, der Salt als potentielle Attentäterin beschuldigt. Von einem Moment zum nächsten gerät die Agentin in eine Verschwörung, in deren Verlauf sie sich gegen russische Terroristen und ihre eigenen Kollegen von der CIA zur Wehr setzen muss.

Ein solider alter Hut, die Geschichte. Ein funktionaler Plot, angereichert mit vielen scheinbar komplizierten Details. Natürlich lässt er sich aber ganz einfach herunter brechen auf die klassische Genreformel vom unschuldig Gejagten, und natürlich ist das alles nicht annähernd so kompliziert, wie es sich gern vorkommt. Weil man diesen Film in der einen oder anderen Form schon unzählige Male gesehen hat, stets irgendwie variiert und am Ende doch ziemlich gleich, gewinnt man hier wohl schneller Durchblick, als es dem Drehbuch genehm sein dürfte (Mutmaßung!). Der finale Twist, den es selbstverständlich geben muss und der auch recht deutlich als solcher inszeniert ist, hat zumindest einen besonders langen Bart in diesem auch sonst sehr langbärtigen Film.

Angelia Jolie spielt Evelyn Salt als weibliche Ausgabe von Jason Bourne. Ständig auf der Flucht, ein Hindernis nach dem anderen überquerend, völlig auf sich allein gestellt. Einzig mit dem Publikum auf ihrer Seite muss sie ihre Unschuld beweisen. In den "Bourne"-Filmen allerdings ging es um die persönliche Identität des Helden, in "Salt" werden direkt große Fragen nach nationaler Sicherheit mit dem Glauben an Loyalität und Vertrauen gekoppelt. Dass hier mal eine Frau zur Staatsfeindin Nummer 1 erklärt wird, inspiriert den Film allerdings nicht zu neuen Genrepfaden, was wohl daran liegen mag, dass ursprünglich Tom Cruise die eigentlich männliche Titelrolle ("Edwin A. Salt") spielen sollte.

Regisseur Phillip Noyce ist ein erfahrener Regisseur, der das liefert, was man von ihm erwartet. Seine Tom-Clancy-Adaptionen "Die Stunde der Patrioten" und "Das Kartell" dürften ihn für die Auftragsarbeit "Salt" empfohlen haben, alle drei Filme wurden im gleichen Topf gekocht. Entsprechend gediegen ist Jolies permanente Flucht inszeniert. Zwar lässt der Film nichts anbrennen und legt ein enorm hohes Tempo vor, doch sind die Actionszenen eher unauffällig, wenig spektakulär und ohne besondere Höhepunkte choreographiert. Schön sicherlich, dass Noyce das alles demnach ohne übermäßigen CGI-Nonsens und verschnittenes Gewackel gereicht, aber der Film fühlt sich somit nicht nur inhaltlich wie ein Retortenthriller der frühen 90er an. Inklusive etwas trashigem Bösewichtfinale: Einmal Knopfdrücken und Amerika ist Geschichte.

Und dann ist "Salt", den man soweit ja durchaus gut weggucken kann (kein Qualitätskriterium), ganz plötzlich in dem Moment zu Ende, als man gerade anfangen möchte der Geschichte zu folgen. Es bleiben nach 100 raschen Minuten mehr Fragen als Antworten über, so als hätte man nur einen langen Teaser zum eigentlichen Film gesehen. Schön und gut, wenn das hier der Startschuss zu einer neuen Franchiseserie sein soll, aber zunächst einmal wäre es ganz nett, wenn "Salt" auch als eigenständiger Film funktionieren würde. Denn noch sind die Fortsetzungen, die die vielen losen Fäden des Films geradezu einfordern, noch reine Zukunftsmusik.


40% - erschienen bei: gamona

Oktober 11, 2009

Zuletzt gesehen: X-MEN ORIGINS - WOLVERINE

Nachdem Brett Ratner bereits den dritten "X-Men"-Film erfolgreich in den Sand setzte, stellt sich nun Gavin Hood beim Ausbau des Comic-Universums um die Prequel-Storys der Mutanten ambitioniert an, es ihm nachzumachen: Der im Titel verlautete Ursprung des Helden wird mit kurzen Animationen schon im Vorspann abgehandelt, um den Rest des Films mit permanenten Actioneinlagen auszuschmücken, die ihre Grundlage in einem rätselhaften Disput zwischen Wolverine und seinem Bruder Victor haben. Bemerkenswert, dass man am Ende dieser Franchise-Auskoppelung noch weniger über Wolverine zu wissen meint als vorher, dass der die Geschichte bildende Bruderkampf bis ins Detail unklar und unlogisch erscheint, und dass die Nebenfiguren allesamt noch ärgerlicher aus der Handlung kippen als im Vorgänger. Ein selten blöder Platzhalter übertriebener CGI, der in etwa so viel Seele besitzt wie eine glatt gespannte Green-Screen-Wand – nicht auszudenken, was Bryan Singer wohl daraus gemacht hätte.


25%

September 04, 2009

Kino: TAKING WOODSTOCK

Im Sommer 1969 verhalf die Mutter aller Popmusikfestivals einem amerikanischen Mythos zu seiner Form. Es war der Höhepunkt der Hippiebewegung und zugleich ihr triumph- ierender Schlussakkord: Das Woodstock-Festival sollte historisches Zeugnis eines friedvollen Kollektivs werden, und es ist bis heute das Symbol einer Bewegung des Aufbruchs, die ihren subversiven Geist mit einfachen Botschaften vermittelte. 32 Bands und Künstler, mehr als 400 000 Zuschauer – "drei Tage Liebe, Frieden und Musik".

Ang Lee nähert sich dem Mythos mit "Taking Woodstock" nun aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Er hat den Stoff unerwartet zu einem nostalgisch-seichten, amüsanten und lakonischen Feel-Good-Movie verarbeitet, mit einem nahezu unüberschaubaren Ensemble, viel Witz und noch mehr Musik. Der taiwanesische Regisseur erwies sich in seinen jegliche Genres durchkreuzenden Arbeiten bislang immer wieder als stiller Beobachter, als präziser Student menschlicher Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Zwischenräume – und wird spätestens seit seiner melodramatischen Western- dekonstruktion "Brokeback Mountain" als einer der besten Autorenfilmer der Gegenwart gehandelt.

Das eigentliche Festival mit seiner Fülle an Musikern streift Lee jedoch nur am Rande. Er erzählt getreu die weitgehend unbekannte, aber wahre Geschichte des schüchternen Elliot Teichberg. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderereltern hilft seiner Familie während der Sommermonate dabei, deren leicht marode Pension in Bethel, einem abgelegenen Örtchen im Bundesstaat New York, in Stand zu halten. Frustriert ob der ausbleibenden Kundschaft und aussichtlosen Überschuldung der Familie stößt Elliot auf eine Zeitungsmeldung über ein groß angekündigtes Musikevent, das kurzfristig abgesagt wurde und nun auf einen neuen Veranstaltungsort hofft.

Diese Chance begreift der Junge natürlich als Wink des Schicksals und beordert seinen alten Schulfreund und Organisator des Festivals Michael Lang in das beschauliche Kaff, um das Konzert schließlich dort veranstalten zu lassen. Familie Teichberg hat jedoch keinen Schimmer, welch logistische und nervliche Belastung sie auf sich nehmen müssen: Bald strömen Hunderttausende Hippie-Pilger in das Provinznest, besetzen Betten, Wiesen und Seen, um die größte Friedensparty aller Zeiten einzustimmen. Inmitten der Love-and-Peace-Atmosphäre lernt Elliot dabei neue Freunde, seine eigene Sexualität und schließlich auch die rigiden Eltern von einer ganz anderen Seite kennen.

Dass Lee eine Geschichte erzählt, die zwar eng mit dem Woodstock-Festival verknüpft ist, sich jedoch weitab vom eigentlichen Zentrum abspielt, gibt ihm die Möglichkeit, den Mythos mit einem anderen Blick einzufangen. Der auf die Organisation statt Durchführung gesetzte Handlungsfokus ermöglicht dem Regisseur zunächst abermals das behutsame Herantasten an ein fremdartiges Phänomen, das er sich gemeinsam mit dem Publikum durch unterschiedlichste liebevolle Figuren und irrwitzige Momentaufnahmen erschließt. Nicht einen einzigen Live-Auftritt rekonstruiert er, nur wenige Minuten spielen gar auf dem eigentlichen Festivalgelände – und doch meint man, dem gigantischen Friedenshappening ganz nah zu sein.

Dadurch betont der Film ebenso clever wie einfühlsam, dass Woodstock nicht nur ein ausgedehntes Musikereignis voller bekiffter Hippies war, sondern mehr als das, eine große Zusammenkunft verschiedener, gegensätzlicher, ulkiger Persönlichkeiten voller bizarrer Situationen, denkwürdiger Momente und ungewöhnlicher Erfahrungen. "Taking Woodstock" ist Coming-of-Age- ebenso wie Coming-Out-Geschichte, Emanzipationskomödie und Initiationsfilm, Familienmelodram und Musikhommage zugleich. Und dennoch inszeniert Lee diese Zeitgeistepisode mit unbeschwerter Hand und von beachtlichem Unterhaltungswert.

Formal orientiert sich der Film dabei mit zahlreichen Bildformatswechseln und Split-Screens an der oscarprämierten Dokumentation von Michael Wadleigh, die Ang Lee mit seiner dramatisierten Version bestens ergänzt. "Taking Woodstock" wird sich bei alledem unterm Strich gewiss den Vorwurf gefallen lassen müssen, der romantischen Faszination des Flower-Power-Spektakels durch seinen leichten Wohlfühlton eher zu erliegen, statt dem Mythos genauer auf den Grund gehen und hinterfragen zu wollen. Lee jedoch hat sich an der Post-Hippie-Generation und ihrer hilflosen Starre bereits abgearbeitet: Sein "Eissturm" thematisierte 1997 eindrucksvoll den Morgen danach.


70% - erschienen bei: gamona