Nicht mehr hören, nicht mehr sprechen, nicht mehr sehen können. Nach und nach verlieren alle Menschen auf der Welt ihre Sinne, eine unerklärliche Epidemie stellt ihr Sein in Frage. Was bleibt dem Menschen, wenn seine visuellen und auditiven Fähigkeiten verschwinden. Wenn er sich nicht mehr mitteilen oder auf Mitteilungen reagieren, nicht mehr in Kontakt zu anderen stehen und seine Umwelt wahrnehmen kann. Dies meint David Mackenzies neuer Film sicher beantworten zu können: ein "Perfect Sense".
Der Apokalypse gehen, so gehört es sich in den Bedrohungs- szenarios des Science-Fiction-Kinos, deutliche Warnsignale voraus. Der kollektive Verlust von Sinneswahrnehmungen ist ein sukzessiver, seine Anzeichen rasch deutbar. Vom nicht mehr riechen können bis zur totalen Blindheit vergehen nur Monate, mit quälender Gewissheit steuert die Menschheit auf ihr Verderben zu. Am endzeitlichen Vorabend, inmitten von Fatalismus und letzten Hoffnungsschimmern, lernen sich Susan (Eva Green) und Michael (Ewan Mcgregor) kennen. Nicht vom Ende der Welt erzählt dieser Film, sondern vom Beginn einer Liebe.
In den Vorzeichen der anbahnenden Katastrophe ist die Annäherung der Forscherin und des Chefkochs schon am Anfang von besonderer Intimität und Leidenschaft geprägt. Nach jedem weiteren verschwundenen Sinn richten sie sich auf die jeweils neue Situation ein; bangend, lediglich von einem besiegbaren Virus befallen zu sein, ahnend, dass sie bald nichts mehr haben außer sich selbst. "Perfect Sense" ist nicht an den Konventionen des Weltuntergangsfilms interessiert, an Wissenschaftlern in Schutzanzügen ebenso wenig wie an der Darstellung von Panik oder Überlebenskämpfen.
Bis zuletzt bleibt der Film bei seinen Protagonisten, teilt ihren Blick und ihre Empfindungen. Jeder Verluststufe geht eine kurze Phase potenzierter Emotionen voraus, die Beziehung von Susan und Michael ist gekennzeichnet von Gefühlswallungen und Wutausbrüchen. Umso intensiver und einfühlsamer skizziert der Schotte Mackenzie zwischen- menschliche Extremsituationen. Was seinen Figuren schließlich bleibt, sind Nähe, Berührung und Sex, die Kommunikation des Körpers. Liebe erweist sich als stärkster aller Sinne: "Besides love, there is nothing.".
Die eigentlichen Spuren der Epidemie, wie gesagt, streift "Perfect Sense" nur am Rande. Interessant ist hingegen, wie er die Sinnesverluste seiner Figuren filmisch verarbeitet, um nicht die Perspektive wechseln und das nahende Unheil von ober- oder außerhalb inszenieren zu müssen. Da Film auf Bilder und Töne angewiesen ist, ergeben sich in der Vermittlung einige Probleme, die Mackenzie – leider – zugunsten des Kinokomforts löst. Nur vorübergehend verzichtet er auf Ton, nur kurz schwärzt er das Bild zum Ende hin. Beeindruckend zwar, nicht aber konsequent, radikal genug.
Würde der Film sein eindringliches Intimitätskonzept nicht außerdem mit einem befremdlichen Voice-over abschwächen, in dem Eva Green philosophische Plattitüden zu recht profan montierten Bildern der (Dritten) Welt predigt, hätte er sich als einer der interessantesten Science-Fiction-Beiträge der letzten Jahre mühelos gegen seine ideellen Quasi-Vorgänger "Children of Men" (2006) und "Blindness" (2008) behaupten können. Sehenswert ist "Perfect Sense" aber dennoch – wann inszeniert schon mal jemand das Ende der Menschheit als gedankenvolle Liebesgeschichte?
60% - erschienen bei: gamona