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Februar 12, 2012

Berlinale 2012: EXTREMELY LOUD & INCREDIBLY CLOSE [aka. Extrem laut und unglaublich nah]

Der 50jährige britische Theaterregisseur Stephen Daldry hat in 12 Jahren bislang nur vier Filme inszeniert. Gleich sein erster, das Coming-of-Age-Drama "Billy Elliot – I Will Dance", war schon ein weltweiter Publikums- und Kritikerliebling, an dessen Erfolg die darauf folgende Michael-Cunningham-Adaption "The Hours" nahtlos anknüpfen konnte. In diesem Mehrpersonen- stück, das Nicole Kidman und ihrer Nasenprothese 2003 alle Preise der Welt einbrachte, zeichnete sich bereits die formalästhetische Nähe zum festivalgewerblichen Award-Kino ab, mit der er zum Lieblingsengländer der Weinsteins gedieh. Obwohl dies im Entwurf noch ein sehr kluger, sogar komplexer Film war, sollte wenig später "Der Vorleser" schließlich die Befürchtungen bestätigen: Im Oscarsystem angekommen, rührte Daldry fortan die Schmalzsoße mit extra viel falschem Sentiment an. [...]

November 22, 2011

Kino: (GOD OF) CARNAGE

Ein Junge schlägt einem anderen Jungen zwei Zähne aus. Gutes Eingangsbild, so kann ein Film anständig beginnen. Unheilvolle Musik, ein eleganter Zoom, dicke Namen: Roman Polanski, Dean Tavoularis, Alexandre Desplat, das muss was werden. Dann: Koproduzent Oliver Berben, und die Musik ist nicht länger das einzig Unheilvolle im Raum. So filmisch wie in den ersten Minuten geht es im "Gott des Gemetzels" erst einmal knapp anderthalb Stunden lang nicht mehr zu. Schnitt zu Jodie Foster, die gerade ein Papier zum Vorfall aufsetzt. Ihr Kind sei "absichtlich entstellt" worden, sagt sie. "Unser Sohn ist eben verrückt.", entgegnet Christoph Waltz. Die Eltern des Täters zu Gast bei den Eltern des Opfers, ein Versöhnungsgespräch soll es werden. Und dann geht's auch schon los, das Theater im Kino.

Polanski inszeniert eines seiner Lieblingsmotive, die Klaustrophobie, als Beziehungsstück unter Bildungsbürgern in einem einzigen Wohnzimmer. So wurde der Gott des Gemetzels bereits auf der Bühne beschworen, im preisgekrönten Stück von Yasmina Reza. Die theatralische Vorlage ist wahrscheinlich sehr stark, aus ihr stammen die ulkigen Figurenkonstellationen, manch amüsanter Dialog und ein in diesem Kontext beispielloser Gross-Out-Moment. Sie ist sogar offenbar so stark, dass der Film die Bühne einfach ins Kino verlegt. Polanski filmt ein Theaterstück, mit Schnitten zwar und in vielen verschiedenen Einstellungen, aber erzählt in Echtzeit, auf einem Raum, mit Gesten, die bis zur letzten Reihe reichen.

Wie auf einer Bühne also bewegen und reden und gebärden sich die einzigen vier Schauspieler des Films. Paar 1 gegen Paar 2, Jodie Foster (Autorin, Weltverbesserin) und John C. Reilly (Eisenwarenverkäufer, Tierhasser) gegen Kate Winslet (Investmentbankerin, Sittenhüterin) und Christoph Waltz (Anwalt, Advokat, Arschloch). Sie diskutieren, streiten und giften sich an, und um die Sache ihrer Kinder geht es dabei natürlich längst nicht mehr. Der nachmittägliche Mittelschichts-Crash offenbart vielmehr die Zwänge der Heteronormativität, persönliches Unglück im Familienleben genauso wie im Streben nach sozialer Anerkennung. Polanski sieht darin scheinbar Potenzial für ein Kammerspiel, wie er es von "Ekel" bis hin zu "Der Tod und das Mädchen" immer wieder neu variierte.

Doch der Film ist überwiegend anstrengend und zu alledem noch erschreckend ergebnislos. Der spärliche Einsatz filmischer Mittel geht einher mit einem Verzicht auf Abstraktion, während die vier Hauptdarsteller im Mittelpunkt um die Wette künsteln. Schauspiel, das noch einstudierter, noch manierierter ist als hier findet man vielleicht allerhöchstens im, nun ja, Theater. Das eigentlich Schlimmste jedoch: Der Film spielt nicht mit seinen Paaren, er verändert lediglich partiell ihre Blickwinkel und stellt sie letztendlich sowieso gleich. Probleme gäbe es ja schließlich überall, bei schnöseligen Yuppies ebenso wie bei liberalen Gutmenschen. Das ist richtig, das ist banal, das ist langweilig. Der Einladung des Films zu kollektiver Gesinnungsschulterklopferei kommt man da wohl am Besten mit einem guten Wein nach, dann lässt es sich gleich noch mal beherzter kichern. Alles andere wäre ja auch viel zu mühevoll.


30% - erschienen bei: Das Manifest

Juni 14, 2011

Kino: THE TREE OF LIFE

Jeder neue Film von Terrence Malick ist ein Ereignis, allein weil es ein neuer Film von Terrence Malick ist. Fünf großartige Langspielfilme in vierzig Jahren, keine öffentlichen Auftritte und gerade mal eine Handvoll Photos seiner Person haben zu einer Legendenbildung beigetragen, die ihn als einen der herausragenden amerikanischen Regisseure unserer Zeit ausweist.

Nach
"Badlands" (1973), "Days of Heaven" (1978), "The Thin Red Line" (1998) und "The New World" (2005) nun der "Tree of Life", Malicks ganz eigenes Epos von Schöpfung und anderen überlebensgroßen Themen. In Cannes wurde dieses wahlweise ausgebuht und beklatscht, gewann aber trotzdem die Goldene Palme als bester Film. Das Gemüterspalten zwischen Empörung und Faszination ist eigentlich die beste Voraussetzung für "The Tree of Life", Malicks Magnum Opus.

Eine durchgehende Geschichte erzählt der Film nicht, seine Struktur ist labyrinthisch und streng assoziativ. Gerahmt wird er von Monologen, Rückblenden und Gedankenfetzen eines Geschäftsmannes (Sean Penn), der nach schwerer Kindheit und dem Verlust des Bruders in einer Sinnkrise aus Fragen nach Diesseits und Jenseits gefangen ist. Sein Vater (Brad Pitt) war ein strenger Patriarch, gescheitert an eigenen Lebenszielen, seine Mutter (Jessica Chastain) eine bedingungslos gutherzige Hausfrau.

Malicks Entwurf der archaischen Kernfamilie führt zunächst einmal zum Ursprung aller Existenz. In einer unklaren Mischung aus Kreationismus und Evolutionstheorie gebären seine Bilder den Kosmos, die Welt und das Leben aus dem Nichts, angereichert mit Zitaten Hiobs. Zyniker werden das als aufgeblasene Trash-Esoterik bezeichnen, Polemiker als hochnotpeinliches Schwimmen in der eigenen Ursuppe. Ich nenne es betörenden Größenwahn. Alles oder nichts: Ein audiovisueller Gedankenstrom, ausgetragen aus Bedeutungs- schwangerschaft im ganz großen Stil.

140 Minuten lang zelebriert Malick Bilder von Schöpfung, Entwicklung und vermutlich göttlichen Interventionen. Seine Schauspieler sind Statisten, die mit wenigen Dialogen auskommen und sich den fragmentarischen Zusammenhängen ihres Regisseurs fügen müssen. Zu den anbetungswürdigen Bildern des derzeit besten Kameramanns der Welt, Emmanuel Lubezki, lässt Malick vorzugsweise Musik sprechen und überlegt Urknall und spielende Kinder auf Wiesen mit Mahler, Brahms und Smetana, sowie gelegentlichen Original- kompositionen des wiederum derzeit besten Filmkomponisten der Welt, Alexandre Desplat.


"The Tree of Life"
geht einem quasi universellen Existentialismus auf den Grund. Er fragt, ob der Mensch biologisch oder göttlich ist, ob er sich nur im Erleben seiner selbst verstehen oder doch nur Teil einer allgemeinen Ordnung sein kann. Malicks Film aber ist keine Lehrstunde in Philosophie, viel zu unkonkret sind seine Sinneseindrücke, Gedanken und Ausschnitte, um sie zum Diskurs erklären zu können. Auf eine berauschende Art montiert er Bilder und Musik zu einer ständigen Bewegung, in der der Zuschauer angeregt ist, dem spirituellen Strom gedanklich zu folgen. Anders als bei Ingmar Bergman oder Andrei Tarkowski ist die Beschäftigung mit Gott dabei noch eine Option, keine Voraussetzung.

Filme, die sich an solch gewaltige Themen wagen, die über Ursprung, Sein und Vergänglichkeit sinnieren, um die passende Entstehungsgeschichte allen Lebens gleich noch mitzuliefern, laufen immer Gefahr, sich zu verheben an der eigenen Überambition. Einem Spät- bzw. Alterswerk wie "Tree of Life" kann und wird man genauso Senilität unterstellen, wie man dies bei Francis Ford Coppolas "Youth Without Youth" oder anderen GGFÜA-Filmen getan hat – den "ganz großen Filmen über alles", wie Ekkehard Knörer sie einst treffend bezeich- nete.

Gerecht wird man einem Meister wie Malick damit gewiss nicht. Sein Film ist persönlich und intim, nicht erhaben. Wenn man
"Tree of Life" mit Stanley Kubricks "2001" vergleichen möchte, so wie zahlreiche Cannes-Kritiker, weil er an dessen Bildgewalt und Auseinandersetzung mit der conditio humana anknüpfe, muss man auch hinzufügen, dass Malick nicht vom Dinosaurierbaby zum menschlichen Säugling wie Kubrick vom Knochen zum Raumschiff schneidet. Er verzichtet auf vordergründige Komplexität und kreiert auch keine Bilder einer bloßen Aussage wegen. Bei Malick geht es um Mensch und Natur, nicht Technik und Technizismus.

Es ist schwer, der Begeisterung für diesen Film sinnvoll Ausdruck zu geben. Das bloße Aufzählen von durchaus widersprüchlichen Eindrücken – ergreifend, metaphysisch, verrückt, transzendal, gigantisch, banal, meditativ, anstrengend, vollkommen – wird ihm nicht gerecht und führt doch nur zu plattitüdenhafter Unklarheit und Behauptung. Es ist ganz profan: Entweder man findet einen Zugang zu diesem Film oder man findet ihn nicht. Es mag eine Frage der Haltung sein, Sinnlichkeit erfahrbar werden zu lassen und anzunehmen, oder eben sich ihr zu verwehren.



95%
- erschienen bei: gamona