Irgendwann wollen sie alle mal Kino machen, die Popstars, auch wenn die Filmgeschichte mit ihren Konvertierungs- versuchen selten gnädig ist. Zu den wenigen Ausnahmen von der Regel zählte 2002 Eminems Sozialdrama "8 Mile", das nicht nur Hip-Hop im Musikfilm-Mainstream verankerte, sondern auch eine ganze Serie ähnlich ausgerichteter Filme nach sich zog. Mit etwas Verspätung erreicht der Trend jetzt allmählich auch die deutsche Kinoproduktion.
Den Anfang machte im letzten Jahr der hierzulande erfolgreichste und zwischenzeitlich gar mit dem Integrations-Bambi ausgezeichnete Rapper Bushido, der seine autobiographische Notdurft mithilfe von Bernd Eichinger verrichtete. Die Erkenntnis aus vermöbelten Frauen, bedingungsloser Mutterliebe und schließlich medienwirksamer Imagetüftelei lautete feingeistig "Zeiten ändern Dich" und legte die Messlatte für deutsche Hip-Hop-Spielfilme in beeindruckender Weise bei Null an.
Bushidos ehemaliger Label-Buddy, dann Erzfeind und jetzt wieder verbrüderter Duett-Digga Paul Würdig aka. Sido musste als zweiterfolgreichster Deutsch-Rapper bislang noch auf eine Filmhauptrolle warten. Unter der Regie von Özgür Yildirim ("Chiko") und mit Vorzeige-Produzenten-Credit im Rücken (Fatih Akin) darf nun auch Sido Kino machen. Trotz gleicher Produktionsgesellschaft (Constantin) könnte sich dessen erster Film von Bushidos hochnotpeinlicher Marketingchose kaum krasser unterscheiden.
"Blutzbrüdaz" ist keine Adaption, kein Biopic und kein Musikstarvehikel. Sido spielt nicht sich selbst und er muss auch nicht Eckpunkte seines Lebens oder seiner Karriere unbeholfen nachstellen. Er verkörpert eine Figur, genau wie seine langjährigen Weggefährten B-Tight oder Apla Gun, die in weiteren Hauptrollen zu sehen sind. Der Film erzählt eine frei entwickelte und recht konventionell strukturierte Geschichte über den steinigen Weg zum Erfolg im Berliner Rapmusikgeschäft. That’s it. Und glücklicherweise.
Denn das von Özgür Yildirim mit leichter Hand inszenierte Sido-Kinodebüt als ulkige Komödie aufzuziehen, ist wahrscheinlich die einzig logische Konsequenz, die man aus Fremdscham-Debakeln wie dem Bushido-Film oder ähnlich missglückten US-Pendants ("Get Rich or Die Tryin") ziehen konnte. Statt Imagepflege gibt’s Selbstironie, statt Pseudo-Gangster-Getue augenzwinkernden Humor mit großen Jungs. Und es geht auch nicht um die irrelevanten Tagebuchweisheiten eines Rappers, sondern tatsächlich um Musik und einen spezifischen Teil der Berliner Hip-Hop-Kultur.
Mit einer am Ende der 90er angesiedelten Geschichte um zwei Rapper, deren Freundschaft auf dem Weg zum kommerziellen Musikgeschäft durch Missgunst und unterschiedliche Haltungen zum Hip-Hop auf eine Bewährungsprobe gestellt wird (Beef), reflektiert "Blutzbrüdaz" die neueren Entwicklungen in der Szene (leichte Parallelen zu Aggro Berlin inbegriffen) mit erfrischendem Unernst, naivem Charme und geradezu niedlich-quirligen Figuren. Selbst die Klischees des Genres, den Chauvinismus etwa oder das unsägliche Mackergetue, bricht der Film auf erheiternde Art.
Damit ist "Blutzbrüdaz" ein wohltuender Gegenentwurf zur proletenhaften Attitüdenrevue von "Zeiten ändern Dich", der sich mit anbiedernden Korrekturen am Medienimage seines Hauptdarstellers auch noch selbst demontierte. Wie sehr sich die beiden Filme der aktuell erfolgreichsten deutschen Rapper unterscheiden, zeigen nicht zuletzt ihre jeweiligen Schlussszenen: Bushido trällerte sich mit Karel Gott und seiner Biene Maja zum unglaubwürdigen Saubermann-Jungchen, während Sido in "Endstation" den Persönlichkeits- verlust im kommerziellen Hip-Hop beklagt.
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