Mai 03, 2017
Mit den Videotheken stirbt auch ein Stück Filmkultur
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Juli 08, 2007
Retro: THE PALM BEACH STORY (1942)

In diesem turbulenten Chaos um Fragen der Ehe, Standeszugehörigkeit, Rollenverteilung und Statussymbolen zieht Sturges abermals sämtliche Register seines Könnens und vereint eine mindestens so gradlinige wie sich gleichzeitig auch selbst überholende Geschichte mit ironisch gepfeffertem Wortwitz. Nach den Kassenhits "The Lady Eve" und "Sullivan’s Travels" bleibt der Regisseur den Sujets seines Schaffens treu: "The Palm Beach Story" folgt mit irrsinnigem Tempo einer völlig überdrehten Handlung, die mitunter gar die genüsslichen Pointen und Spitzen in Sturges’ kritischem Gesellschaftsbild zu überschatten droht. Dieses thematisiert sowohl den immerwährenden Erfolgsdruck, um als akzeptiertes Individuum in einem Konsum- und Markt orientierten System bestehen zu können, als auch die gesellschaftliche Erwartungshaltung an klassische Rollen- muster: Ein Mann ist eben erst dann ein Mann, wenn er es vermag, sich und seiner Familie einen mindestens soliden Lebensstandard zu garantieren.
Wie auch schon in seinen zu vorigen Filmen beweist Sturges abermals ein sicheres Gespür für filmische Mittel. Die den Rahmen bildende Anfangssequenz, die die Hochzeit des Paares Jeffers in Zeitraffer abbildet, demonstriert mit allen Mitteln der Kunst die beeindruckende Fähigkeit des Regisseurs, komplexe Handlungsebenen durch den Einsatz cleverer Ellipsen- und Montagetricks zu prägnanter Kurzform zu verdichten – wie kein zweiter überführt er Vorgeschichte und Hintergrunddetails der Folgehandlung in visuelles Erzählen, ohne sich langwieriger Erklärungen in Dialogform zu bedienen. Gerade weil sich Sturges innerhalb filmischer Codes so sicher wie auch selektiv bewegt, verwundert es immer wieder aufs neue, dass sein beispielloses Œuvre der Komödie stets erst hinter Billy Wilder, Ernst Lubitsch oder Howard Hawks Erwähnung findet. Nicht zuletzt die Beständigkeit innerhalb des Sturges-Werkes, die sich aus der konsequenten Ausarbeitung sozialkritischer Sichtweisen mit untertonartiger Ironie, der Verpflichtung der vielmals selben Schauspieler, die eine eigene konstante Gruppe bilden, und dem fast unerreichten Faible für gewitzte Schlagabtausche ergibt, distanziert den ehemaligen Theaterregisseur von seinen Kollegen.
"The Palm Beach Story" kommt zwar eher beschwingt und leichtfüßig daher, wozu die heitere Musik ebenso beiträgt wie natürlich auch die von zahlreichen unwahrscheinlichen Ereignissen angetriebene Geschichte, doch im Kern ist auch dieser Sturges-Film mit vielfältigen zeitlichen Referenzen unterfüttert. Wie auch in seinen anderen Arbeiten findet der gegenwärtige Weltkrieg keinerlei Erwähnung, sodass man glauben könnte, der bewusste Verzicht auf jedwede Verbindung zu dessen Schreckensvisionen sei durch den optimistischen Zweck des Kinos insbesondere in Zeiten des Krieges verbürgt (so wie es Sturges in "Sullivan’s Travels" auch indirekt thematisiert). Zweifellos jedoch steht hinter der Intention, das Publikum zum Lachen und somit auf andere Gedanken zu bringen, der Entwurf einer Handlung und deren Figuren, die um jene Spuren, die der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel in Kriegszeiten zieht, auch gar nicht bereinigt werden können.
So steht der Misserfolg von Tom Jeffers geradezu symptomatisch auch für den Verlust seiner Männlichkeit, der sich darin äußert, nicht den an seinem Rollenmuster festgemachten Erwartungen entsprechen zu können. Damit konstituiert Sturges nach "The Lady Eve" abermals Bedeutung und Dialektik der Screwball-Comedy: Wenn der Mann sein bürgerliches Lager aufgeben und in den Dienst einer Nation treten muss, wird die langläufige Ordnung der Geschlechter nicht nur neu definiert, sondern auch nachhaltig verrückt: Claudette Colbert verkörpert hier ebenso wie Mary Astor einen neuen Typ Frau, der von emanzipatorischer Selbstbestimmtheit und vor allem einer eigenen Sexualität gekennzeichnet ist – ob Heiratswunsch oder schließlich Scheidung, über beides bestimmen hier nicht die Männer. Sie können ihren eigenen Machtverlust bestenfalls mit fragenden Grimassen kommentieren.
Dezember 28, 2006
Retro: CHRISTMAS IN JULY (1940)

70%
Dezember 08, 2006
Retro: THE GREAT MCGINTY (1940)

McGinty, das ist ein Tramp, wie der naive Regisseur aus "Sullivan’s Travels" gern einer gewesen wäre, hablos, schlendernd und überaus gerissen, wenn es dem alltäglichen Überlebenskampf dienlich ist. Für den nötigen Dollar verkauft man schließlich seine Wählerstimme, ist der Einfluss auf die Bewegungen der Körper Politik und Gesellschaft doch ohnehin verschwindend gering, um außerdem nicht mit der Wimper zu zucken, das auch immer und immer wieder zu tun. Hier betrügen oberste Instanzen, das können kleine Landstreicher erst recht!
Diese märchenhafte Geschichte einer blitzschnellen, steilen Karriere, die Entsprechung des amerikanischen Traums – vom Tellerwäscher zum Millionär – interessiert Preston Sturges bezeichnenderweise ungleich mehr als die des suizidgefährdeten anderen Mannes, der, wie dem Voice Over im Prolog zu entnehmen ist, stets ein aufrechtes Leben führte, jedoch schnell zum stillen Zuhörer degradiert wird. Hier ist kein Platz für ehrenhafte Wahrheiten, man bewegt sich im politischen Raum ewigen Auf- und Abstiegs, es geht um die ganz Großen über den ganz Kleinen, um Macht, Moral und Korruption, da ist es natürlich der Lügenbold McGinty, dem die Aufmerksamkeit gebührt.
"The Great McGinty", Sturges’ Auftakt zu einer schillernden, visionären Kinoodyssee durch die 40er-Jahre, die viele der besten und wichtigsten Filme des Genres hervorbringen sollte, ist eine an satirischer Bissfestigkeit kaum steigerbare, überbordend direkte Abrechnung mit den amerikanischen Demokratieverhältnissen, ein einziges überzogen lautes Statement: Politik, das ist nur eine gewaltige Farce. Nicht Mehrheiten, sondern wenige wohlhabende Verwalter von Besitztümern, keine wahrheitsgetreuen Prinzipien oder Tugenden, vielmehr Schein über Sein und erputschte Machtansprüche bestimmen diesen politischen Apparat, dessen Scheinlegitimierung nicht den Erfolg seiner Initiierenden verhindern kann.
Mit dieser bitterbösen Weltanschauung tritt Sturges gegenüber vielen Kollegen seiner Zeit ungewöhnlich weit hervor, er chiffriert Tabuthemen der goldenen Filmära mit ausfallendem Slapstick und scheinbar unbewusst exaltierter, physischer Komik, um sein kommerzielles Regiedebüt zur radikalen Anschauungspraxis umzufunktionieren: Diese vermeintlich leichte Komödie über die Absurditäten des Lebens ist die in lebendige Bilder gehauchte Zerstörung amerikanischer Illusionen. McGintys Erfolgssträhne kennt erst in dem Moment ein Ende, als er sich – unmittelbar verliebt in die eigentlich zum Zwecke des Machtanspruchs geehelichte Catherine – einen Ausrutscher in die nunmehr fremde Welt der Realität erlaubt. Seine plötzliche Entscheidung, politisches Handeln in den Dienst des bedürftigen Volkes zu stellen, führt ihn direkt durch die Hände seiner Vorgesetzten ins Gefängnis.
Das ist nicht nur ironischer Ausdruck einer Unmöglichkeit von Herrschaft durch wahre Demokratie, sondern gleichzeitig die Umkehrung der ausgangs träumerisch verlockenden Fantasie, alles sei möglich – selbst der Weg von der Straße ins Luxusapartment. Hier gelingt es Sturges vielleicht noch nicht gänzlich, die obligatorisch herben Wortgefechte, die süffisanten Dialoge und filmischen Mittel, insbesondere die Montage mit ihren konnotierten Auslassungen und Einschüben, in Einklang mit vehementer Gesellschaftskritik zu bringen, doch sein anatomisches Bild vom Wesen des Menschen besitzt bereits die selbe Schlagkraft, wie sie auch die nachfolgenden Filme des Regisseurs aufweisen.
70%
Oktober 03, 2006
Retro: SULLIVAN'S TRAVELS (1941)

„I'm going out on the road to find out what it's like to be poor and needy and then I'm going to make a picture about it.” (Sullivan) –
”If you'll permit me to say so, sir, the subject is not an interesting one. The poor know all about poverty and only the morbid rich would find the topic glamorous.“ (Burrows) –
”But I'm doing it for the poor. Don't you understand?“ (Sullivan) –
”I doubt if they would appreciate it, sir.” (Burrows)
Sullivans Butler Burrows (Robert Greig) allerdings versucht vergeblich, ihn davon fernzuhalten, sich unter das Volk zu mischen, geschweige ihn zu überzeugen, dass sein Film weder das wohlhabende, noch das arme Publikum erreichen wird. Unbeirrt beginnt Sullivan sein Selbststudium. Die Eingangssequenz demonstrierte bereits die Fähigkeiten des Regisseurs, in diesem Film-im-Film-Prolog tragen zwei Männer einen dramatischen Konflikt auf einem rasenden Zug aus. Dass Sullivan darin nach eigenem Bekunden den Kampf zwischen dem Kapitalisten und dem einfachen Arbeiter schildert, geht angesichts einer effekthascherischen Inszenierung unter (tatsächlich aber wird diese Ebene in "Sullivan’s Travels" später wiederum wieder aufgegriffen).
Hinter all dem steht natürlich Preston Sturges ("Hail to the Conquering Hero"), und der macht sich hier einen großen Spaß aus der Darstellung seiner Figur, indem er mit ironischen Dialogen bereits in den ersten Minuten die offensichtliche Naivität von Sullivan unterstreicht. Abgesehen davon, dass sein filmisches Alter Ego eine Möglichkeit für viele selbstreflexive Momente bietet und ihn ausgiebig austeilen lässt: Wenn Sullivan den Kritikern abschwört, er sich mit Studiobossen herumschlagen muss oder er seine Filme einfach missverstanden sieht. Der Zuschauer entwickelt also rasch ein ungefähres Gespür für den Charakter.
Als Sullivan gemeinsam mit einer von Veronica Lake verkörperten Schauspielerin, deren Namen wir nicht erfahren werden, durch das Land zieht - und sich den ziellosen Pilgern anschließt - dann glaubt er hautnah zu erforschen, wie sich Armut, ein Leben ohne Perspektive anfühlt. Dass er dabei von einem Leibtrupp begleitet wird, soll der Sache nicht im Wege stehen, auch wenn seine sorgenvollen Freunde und Produzenten als Chorus auftreten und alles unternehmen, um das willkürliche Experiment berechenbar zu gestalten. Genannt sei nur die aberwitzige Szene, in der Burrows beim Bahnhofsschaffner telefonisch zu ermitteln versucht, wann es denn eigentlich die günstigste Zeit sei, um auf die fahrenden Züge zu springen.
Und so läuft Sullivan nie wirklich Gefahr, tatsächlich in eine unkontrollierbare Situation zu geraten. Wenn er im Gefängnis oder einer anderen Stadt landet, dann eilt man ihm schnell wieder zur Hilfe. In der ersten Hälfte des Films lässt Sturges also keinen Zweifel an der fehlenden Ernsthaftigkeit dieses Selbstversuchs, wie ein wiederkehrendes Motiv durchzieht die Rückkehr Sullivans nach Hollywood den Film, immer dann wenn es zu kritisch für ihn wird. Dabei ist die Traumfabrik ohne Konturen eingefangen, leere Straßen und verlassen wirkende Häuser dominieren diesen Ort. Der Widerspruch zwischen dem Willen, die Welt zu erkunden, den eingeschränkten Blickwinkel zu erweitern, und dem Zurückfallen in eine Rolle als wohlhabender Hollywoodregisseur ist dabei Ausdruck einer Möchtegern-Mentalität, die genau der Naivität und zuweilen auch Arroganz entspricht, die Sullivan eigentlich zu durchbrechen versucht.
Sturges ist ein Meister darin, seine Geschichte mit lebendigen Charakteren und furiosen Dialogen zu erzählen. Kein Moment vergeht, in dem nicht irgendeine Skurrilität hervortritt, und keine Szene, die nicht mit einem Twist schließt. So dynamisch und gleichzeitig so überraschend wie in "Sullivan’s Travels" kennt man den Regisseur, der mit den Erwartungen des Publikums spielt, der eine wahre Freude an den Reaktionen seiner Zuschauer gehabt haben muss. Er kommentiert die Handlung ironischer denn je, in allen erdenklichen Variationen: Ob es ein Kamingemälde ist, das sich mit jeder Einstellung im Hintergrund verändert (und die jeweilige Stimmung widerspiegelt), oder er die liebenswerte Oberflächlichkeit seines Sullivans anprangert, wenn dieser verdutzt fragt: „Who's Lubitsch?“.
Auch der unverzichtbare Slapstick kommt gewohnt unvermittelt zum Einsatz. Und tatsächlich übertrifft sich Sturges mit einer grandios geschnittenen, haarsträubenden Verfolgungsjagd gleich zu Beginn selbst - eine Sequenz, so übertrieben und absurd, dass kein Auge trocken bleibt, und bei der er den Slapstick unlängst als solchen parodiere, so der Monty Python-Angehörige Terry Jones. Sturges mischt viele Comedy-Arten wild durcheinander, er legt sich nicht fest, wechselt von purem Sarkasmus zu Momenten bitterer Ironie. Ähnlich wie bei seinen anderen Arbeiten nutzt er dabei erneut den Klimax, um den Film in eine andere Richtung zu lenken.
Denn als Sullivan eines Nachts seiner Schuhe beraubt wird, ist das der Beginn einer langen Verkettung von Missverständnissen, die den Regisseur auf eine unfreiwillige, aber umso wirkungsvollere Odyssee durch alle erdenklichen Lebenssituationen schickt. Das Glück verlässt ihn schließlich gänzlich, als er in ein Gefangenenstraflager gerät. Zu allem Überdruss wird auch noch der Mann mit Sullivans geklauten Schuhen tot aufgefunden – fortan trauern die Hinterbliebenen um ihren vermeintlich ermordeten Freund, und auch die junge Romanze mit „dem Mädchen“, wie sie im Abspann benannt wird, hat ein jähes Ende. Die wahre Armut erfährt der Regisseur nun am eigenen Leib: Zwangsarbeit, Hunger und Durst erlebt Sullivan wie einen (Alp)Traum, der von Sturges mit deutlichen Kontrasten entsprechend übertrieben in Szene gesetzt wird.
Diese zweite Hälfte markiert als moralische Konsequenz den unweigerlichen Leidensweg Sullivans. Erst als er und seine Mithäftlinge die Vorführung eines Zeichentrickfilms in einer alten Kirche besuchen, begreift er den Sinn seiner Arbeit als Filmemacher. Es ist der Humor der Späße und Dummheiten von Mickey Mouse und Goofy, der zu herzhaftem Gelächter der Menschen führt, der all ihre Probleme und Sorgen für den Moment vergessen macht. Auch Sullivan kann sich nicht mehr halten, lauthals lacht er mit den anderen. Diese Katharsis kommt wenig überraschend, behält Butler Burrows erwartungsgemäß Recht: Nicht wegen einer so realistisch wie möglich gehaltenen Darstellung von Armut und Trauer, einer nüchternen Erinnerung an das triste Dasein, sondern um der Alltagswelt zu entfliehen gehen die Menschen ins Kino. Ein kurzes Lächeln – und vergessen ist der Ernst des Lebens.
So sehr Sturges es auch zu verbergen sucht, das ist in diesem Moment ganz er selbst. "Sullivan’s Travels" ist ein wunderbar beseeltes Märchen, das hinter seiner satirischen Fassade viel verrät, nicht nur über den Regisseur Preston Sturges. Eine schönere Liebeserklärung an das Kino hat es vielleicht nie gegeben. Am Ende möchte Sullivan seinen Film schließlich nicht mehr inszenieren. Aber das haben dann ja auch die Coen-Brüder übernommen.
95%
September 30, 2006
Retro: THE LADY EVE (1941)

„You're certainly a funny girl for anybody to meet who's just been up the Amazon for a year.” -
”Good thing you weren't up there two years.”
Jean Harrington (Barbara Stanwyck) ist eine charmante, aber gerissene Spielbetrügerin, die sich auf einer ihrer routinierten Reisen in den schüchternen, naiven Millionärsserben Charles Pike (Henry Fonda) verguckt. Der von einer Amazonasexpedition zurückkehrende Junggeselle braucht keinen zweiten Blick, um sich in die Falschspielerin zu verlieben, wenn diese schnell mehr in ihm sieht, als ein potentielles Opfer ihrer Gaunerfamilie. Doch als Pike hinter das Geheimnis der verführerischen Schönheit kommt, ist der Lebenstraum schnell zerplatzt – mit der Ankunft am Hafen von New York, nach der Hälfte des Films, ist die Liebesgeschichte schon wieder vorbei.
Selbst bis dahin erzählt Sturges den Film auffallend eigen, fehlen doch sowohl die rasanten Wortgefechte, als auch absurden Situationen, die ähnliche Komödien für gewöhnlich aufweisen. "The Lady Eve" täuscht den Zuschauer bewusst, anstelle der klassischen Genrezutaten setzt Sturges auf urbane Komik, Überraschungen und zahlreiche Stimmungsschwankungen. Mit seinen verwirrenden Wechseln zwischen Ernsthaftigkeit, alberner Unbeschwertheit und zutiefst authentischer Romantik fordert er ganz bewusst eine Form der Irritierung heraus, die wesentlicher Bestandteil seines satirischen Tons ist. Man weiß eben nie gänzlich, was nun wirklich ernst oder wiederum doch nur sarkastisch gemeint ist.
Tatsächlich treibt der Film dieses Spiel mit den Erwartungen auf die Spitze, als er einen gewagten Schritt vollzieht und die Geschichte in der Mitte enden lässt, um sie indirekt ein weiteres Mal zu erzählen. Dieser in seinem dramaturgischen Aufbau frühzeitig beendete Erzählstrang stößt den Zuschauer durchaus ein wenig vor den Kopf, muss aber gleichzeitig auch als brillant ersonnener, wahrlich origineller Einfall gewertet werden. Denn Sturges unterstreicht mit der zweiten Hälfte das eigentliche Sujet seines Films, in dem er viele aufgeworfene Fragen um Schein und Sein selbst beantwortet.
”You see Hopsi, you don't know very much about girls. The best ones aren't as good as you think they are and the bad ones aren't as bad. Not nearly as bad.“
Charles Pike, umwerfend vom jungen Henry Fonda ("Jezebel") verkörpert, erfährt mit der Enthüllung seiner Geliebten nicht nur deren wahre Identität, er verliert ironischerweise seinen Glauben an die Wahrheit selbst, wenn er im zweiten Teil der Geschichte nicht erkennen will, dass es sich bei Eve, der Frau auf dem Ballfest, um Jean handelt. Weil sie sich zu ähnlich sind, kann es sich nicht um ein und dieselbe handeln, das ist die einzig wahre Logik – und trotzdem stolpert Charles von einer Ecke in die nächste, der immer wiederkehrende und ausgiebig gedehnte Slapstick, den Sturges scheinbar stets unpassend einsetzt, der aber zwingend notwendig ist. In dieser zweiten Hälfte bekommt auch das Sinnbild der „falschen“ Schlange eine neue Bedeutung. Die schöne Eve ist getreu der Mythologie als Zeichen der Polarität Auslöser einer Selbsterkenntnis, die den hoffnungslosen Pike letztlich natürlich doch in ihre Arme führt.
Die Wiederholung als Stilmittel hat hier also den Charakter einer zweiten Chance, eines neuen Versuchs nach der Trennung. Bezeichnenderweise schrieb Sturges den Film kurz nach seiner eigenen Scheidung und erzählt die Geschichte trotzdem ohne Rührseligkeit (wie könnte er auch!), auch wenn der Ton spürbar bitter ist. Nur einmal mischt er sich bewusst ins Geschehen: Barbara Stanwyck ("Double Indemnity") schaut in ihren Schminkspiegel und beobachtet den hilflosen Pike, wie er die Avancen seines weiblichen Umfelds nicht begreift, nimmt also letztlich die Position und Sicht des kommentierenden Regisseurs ein.
"The Lady Eve" ist eine mutige, weil ganz und gar unkonventionelle "Comedy of Remarriage". Trotz seiner One-Liner und der betont physischen Komik lässt sich Sturges’ Film nicht ohne Weiteres in das Fach der Screwball-Komödien einordnen. Mit seinen großartigen Ideen, den bis in die kleinsten Nebenrollen fantastischen Schauspielern und der geschickten, gezielt das Unerwartete hervorrufenden Regie ist es vor allem ein ungewöhnlicher, letztendlich sogar optimistischer Film.
75% - erschienen in der filmzentrale
Juli 09, 2006
Retro: UNFAITHFULLY YOURS (1948)

Will somebody "get her" tonite?
Beim Zuschauer forciert Sturges in dem Moment, wenn sich das Gesehene als nicht reale Ansammlung existentialistischer männlicher Ängste entpuppt, ein gleichermaßen überraschendes wie erleichterndes Gefühl, denn so absurd es hier zugehen mag, das entspricht wohl kaum dem Sujet des Regisseurs, würde er sich nicht hinter den Illusionen einer Figur verbergen. Die jeweiligen Episoden sind dabei makaber, naiv und äußerst originell konstruiert, vor allem aber unheimlich treffsicher in ihrer Wirkung, inszeniert Sturges die beiden nachfolgenden Träume doch wiederum kurz und prägnant, nachdem das Schema bekannt ist.
85%