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Mai 03, 2017

Mit den Videotheken stirbt auch ein Stück Filmkultur

Die Tage der klassischen Videothek sind gezählt, bequeme Streaming-Angebote haben das stationäre Verleihgeschäft scheinbar hinfällig gemacht. Ein Verschwinden der Videotheken aber kann nicht im Interesse von Filmfreunden sein.

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Juli 08, 2007

Retro: THE PALM BEACH STORY (1942)

Mit den Männern hat man’s ja nicht leicht: Entweder sie tun alles für ihre Liebste, kaufen ihr Schmuck und schöne Kleider, beschenken sie nach Herzenslust und können ihr dennoch nicht das geben, was sie sich erhofft. Oder sie sind der materiellen Mittel knapp und können nur gerade so auf eigenen Beinen stehen, jedoch ihrer Angebeteten immerhin uneingeschränkte Liebe entgegenbringen. Zumindest Preston Sturges’ Screwball-Klassiker "The Palm Beach Story" kennt erst einmal nur diese beiden Männertypen, zwischen denen sich die unentschlossene Claudette Colbert als Gerry Jeffers entscheiden muss: Möchte sie sich auf dem Weg zu ihrer Scheidung nach Palm Beach einen netten Millionär angeln, der ihr all das zu schenken imstande ist, was ihr der beruflich wie privat erfolglose Noch-Ehemann verwehrt? Oder hat der treudoofe Rudy Vallee trotz vermögender Anlagen doch keine Chance gegen den nachgereisten Mr. Jeffers, der von "Sullivan’s Travels"-Star Joel McCrea als zwar verlassener, aber mit kämpferischer Geste vergnüglich auftrumpfender Gatte gespielt wird?

In diesem turbulenten Chaos um Fragen der Ehe, Standeszugehörigkeit, Rollenverteilung und Statussymbolen zieht Sturges abermals sämtliche Register seines Könnens und vereint eine mindestens so gradlinige wie sich gleichzeitig auch selbst überholende Geschichte mit ironisch gepfeffertem Wortwitz. Nach den Kassenhits "The Lady Eve" und "Sullivan’s Travels" bleibt der Regisseur den Sujets seines Schaffens treu: "The Palm Beach Story" folgt mit irrsinnigem Tempo einer völlig überdrehten Handlung, die mitunter gar die genüsslichen Pointen und Spitzen in Sturges’ kritischem Gesellschaftsbild zu überschatten droht. Dieses thematisiert sowohl den immerwährenden Erfolgsdruck, um als akzeptiertes Individuum in einem Konsum- und Markt orientierten System bestehen zu können, als auch die gesellschaftliche Erwartungshaltung an klassische Rollen- muster: Ein Mann ist eben erst dann ein Mann, wenn er es vermag, sich und seiner Familie einen mindestens soliden Lebensstandard zu garantieren.

Wie auch schon in seinen zu vorigen Filmen beweist Sturges abermals ein sicheres Gespür für filmische Mittel. Die den Rahmen bildende Anfangssequenz, die die Hochzeit des Paares Jeffers in Zeitraffer abbildet, demonstriert mit allen Mitteln der Kunst die beeindruckende Fähigkeit des Regisseurs, komplexe Handlungsebenen durch den Einsatz cleverer Ellipsen- und Montagetricks zu prägnanter Kurzform zu verdichten – wie kein zweiter überführt er Vorgeschichte und Hintergrunddetails der Folgehandlung in visuelles Erzählen, ohne sich langwieriger Erklärungen in Dialogform zu bedienen. Gerade weil sich Sturges innerhalb filmischer Codes so sicher wie auch selektiv bewegt, verwundert es immer wieder aufs neue, dass sein beispielloses Œuvre der Komödie stets erst hinter Billy Wilder, Ernst Lubitsch oder Howard Hawks Erwähnung findet. Nicht zuletzt die Beständigkeit innerhalb des Sturges-Werkes, die sich aus der konsequenten Ausarbeitung sozialkritischer Sichtweisen mit untertonartiger Ironie, der Verpflichtung der vielmals selben Schauspieler, die eine eigene konstante Gruppe bilden, und dem fast unerreichten Faible für gewitzte Schlagabtausche ergibt, distanziert den ehemaligen Theaterregisseur von seinen Kollegen.

"The Palm Beach Story" kommt zwar eher beschwingt und leichtfüßig daher, wozu die heitere Musik ebenso beiträgt wie natürlich auch die von zahlreichen unwahrscheinlichen Ereignissen angetriebene Geschichte, doch im Kern ist auch dieser Sturges-Film mit vielfältigen zeitlichen Referenzen unterfüttert. Wie auch in seinen anderen Arbeiten findet der gegenwärtige Weltkrieg keinerlei Erwähnung, sodass man glauben könnte, der bewusste Verzicht auf jedwede Verbindung zu dessen Schreckensvisionen sei durch den optimistischen Zweck des Kinos insbesondere in Zeiten des Krieges verbürgt (so wie es Sturges in "Sullivan’s Travels" auch indirekt thematisiert). Zweifellos jedoch steht hinter der Intention, das Publikum zum Lachen und somit auf andere Gedanken zu bringen, der Entwurf einer Handlung und deren Figuren, die um jene Spuren, die der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel in Kriegszeiten zieht, auch gar nicht bereinigt werden können.

So steht der Misserfolg von Tom Jeffers geradezu symptomatisch auch für den Verlust seiner Männlichkeit, der sich darin äußert, nicht den an seinem Rollenmuster festgemachten Erwartungen entsprechen zu können. Damit konstituiert Sturges nach "The Lady Eve" abermals Bedeutung und Dialektik der Screwball-Comedy: Wenn der Mann sein bürgerliches Lager aufgeben und in den Dienst einer Nation treten muss, wird die langläufige Ordnung der Geschlechter nicht nur neu definiert, sondern auch nachhaltig verrückt: Claudette Colbert verkörpert hier ebenso wie Mary Astor einen neuen Typ Frau, der von emanzipatorischer Selbstbestimmtheit und vor allem einer eigenen Sexualität gekennzeichnet ist – ob Heiratswunsch oder schließlich Scheidung, über beides bestimmen hier nicht die Männer. Sie können ihren eigenen Machtverlust bestenfalls mit fragenden Grimassen kommentieren.

80%

Dezember 28, 2006

Retro: CHRISTMAS IN JULY (1940)

Der Büroangestellte Jimmy MacDonald (Dick Powell) hat nicht viel Glück im Leben – sein Job ist eintönig, sein Gehalt nicht der Rede wert und die Rechnungen allesamt unbezahlt. Doch der Maxford House Coffee Slogan Contest mit einem Höchstpreis von 25 000 US-Dollar könnte die Chance sein, sich von allen Schulden zu befreien. Jimmy glaubt fest an die Gewinnchancen seines Vorschlags, „If you can't sleep at night, it isn't the coffee - it's the bunk!“. Doch nicht nur seine Freundin Betty (Ellen Drew) hält den Slogan für etwas sinnfrei, auch die Arbeitskollegen amüsieren sich über die Naivität Jimmys und spielen ihm einen folgenschweren Streich. Sie fälschen die Gewinnbescheinigung und lösen damit eine unvorhersehbare Aktionskette aus.

Das ist ein ganz und gar typischer Stoff für eine Preston Sturges-Komödie, die Geschichte vom Gewinn und raschen Verlust, vom Geben und Nehmen und Auf- wie Abstieg erfährt durch die Variation eines Mittelstandsarbeiters – für gewöhnlich sind es entweder die ganz armen oder aber die sehr reichen Bürger, von denen der Maestro berichtet –, der sein Glück mit den Bedürftigen dieser Welt teilt, dahingehend eine andere Note, als Jimmy MacDonald sich seiner Prinzipien stets treu bleibt. Er durchlebt eine zweifellos turbulente Zeit, doch ohne die standardisierten Läuterungen ist er zuletzt noch immer der naive, etwas treudoofe Mann von nebenan, der sein plötzliches Glück wohl ebenso wenig begreift wie sein eigentliches Unglück.

"Christmas in July" – das unrechtmäßige Geld des vermeintlichen Gewinns wird für zahlreiche Geschenke verprasst, sodass es den Protagonisten vorkommt, als sei Weihnachten auf den Sommer vorgezogen – ist nach "The Great McGinty" der zweite Film, den Sturges geschrieben und inszeniert hat. Die halsbrecherische Dynamik dieser Satire durchläuft gerade einmal eine volle Stunde Laufzeit und ist fabulöses Exempel für Timing und pointierten Situationswitz des Regisseurs. Mit etwas unüblicher, aber nie strapaziös exerzierter Sentimentalität lässt er gewohnt illustre Figuren, die allesamt von den immer gleichen, liebevoll schrulligen Gesichtern verkörpert werden, abermals den zum Scheitern verurteilten Weg des amerikanischen Traums durchlaufen.

Erstaunlich zum einen, dass Sturges sich trotz beständigen Sujets nie wiederholt (seine Verlierertypen sind mehr als nur bloße Schablonen, die nach Bedarf neu ausgelegt werden), es vor allem aber immer wieder vorzüglich versteht, die entsprechend verzwickten Geschichten befriedigend aufzulösen, ohne Witz und Schärfe an moralische Glasierungen opfern zu müssen. Sein Märchen vom leichtgläubigen Gewinner, der die Wohlhabenden entkleidet und die Bedürftigen beschenkt, entpuppt sich natürlich als durchaus möglich – Bürokratie und Korruption sei Dank, wird aus dem Scherz vorschnell Realität. Und wenn Sturges den Malapropismus schließlich soweit übersteigert, dass MacDonald als der tatsächliche Gewinner des Wettbewerbs hervorgeht, kennt sein flachsender Humor keine Grenzen mehr. „If you can't sleep at night, it isn't the coffee - it's the bunk!“ – sinnlos, unfassbar und absurd? Aber ja doch!


70%

Dezember 08, 2006

Retro: THE GREAT MCGINTY (1940)

Der eine war immer ehrlich, der andere ein Lügenbaron – in einer mexikanischen Bar geraten zwei Männer aneinander, die jeweils nur für eine Minute aus ihrem Schema ausbrachen. Erzählt wird die Geschichte von letzterem, dessen einzig ehrlicher Moment ihm sogleich zum Verhängnis wurde. Dan McGinty (Brian Donlevy) war demnach nicht immer Barmann, sondern einst ein umher streunender Obdachloser, der es durch eine Verkettung von Zufällen und geschickten Umwegen bis zum Gouverneur schaffte. Das alles nahm seinen Anfang, als der Landstreicher seine Wählerstimme vom Bürgermeister erkaufen ließ – dies jedoch unbemerkt an die 40mal – und damit Interesse wie Karriereangebot der Parteihöchsten erntet. Erst die Sekretärin Catherine (Muriel Angelus), die McGinty einvernehmlich aus Prestigegründen heiratet, spornt ihn an, seine neu gewonnene Macht nicht politischen Lügen zu opfern.

McGinty, das ist ein Tramp, wie der naive Regisseur aus "Sullivan’s Travels" gern einer gewesen wäre, hablos, schlendernd und überaus gerissen, wenn es dem alltäglichen Überlebenskampf dienlich ist. Für den nötigen Dollar verkauft man schließlich seine Wählerstimme, ist der Einfluss auf die Bewegungen der Körper Politik und Gesellschaft doch ohnehin verschwindend gering, um außerdem nicht mit der Wimper zu zucken, das auch immer und immer wieder zu tun. Hier betrügen oberste Instanzen, das können kleine Landstreicher erst recht!

Diese märchenhafte Geschichte einer blitzschnellen, steilen Karriere, die Entsprechung des amerikanischen Traums – vom Tellerwäscher zum Millionär – interessiert Preston Sturges bezeichnenderweise ungleich mehr als die des suizidgefährdeten anderen Mannes, der, wie dem Voice Over im Prolog zu entnehmen ist, stets ein aufrechtes Leben führte, jedoch schnell zum stillen Zuhörer degradiert wird. Hier ist kein Platz für ehrenhafte Wahrheiten, man bewegt sich im politischen Raum ewigen Auf- und Abstiegs, es geht um die ganz Großen über den ganz Kleinen, um Macht, Moral und Korruption, da ist es natürlich der Lügenbold McGinty, dem die Aufmerksamkeit gebührt.

"The Great McGinty"
, Sturges’ Auftakt zu einer schillernden, visionären Kinoodyssee durch die 40er-Jahre, die viele der besten und wichtigsten Filme des Genres hervorbringen sollte, ist eine an satirischer Bissfestigkeit kaum steigerbare, überbordend direkte Abrechnung mit den amerikanischen Demokratieverhältnissen, ein einziges überzogen lautes Statement: Politik, das ist nur eine gewaltige Farce. Nicht Mehrheiten, sondern wenige wohlhabende Verwalter von Besitztümern, keine wahrheitsgetreuen Prinzipien oder Tugenden, vielmehr Schein über Sein und erputschte Machtansprüche bestimmen diesen politischen Apparat, dessen Scheinlegitimierung nicht den Erfolg seiner Initiierenden verhindern kann.

Mit dieser bitterbösen Weltanschauung tritt Sturges gegenüber vielen Kollegen seiner Zeit ungewöhnlich weit hervor, er chiffriert Tabuthemen der goldenen Filmära mit ausfallendem Slapstick und scheinbar unbewusst exaltierter, physischer Komik, um sein kommerzielles Regiedebüt zur radikalen Anschauungspraxis umzufunktionieren: Diese vermeintlich leichte Komödie über die Absurditäten des Lebens ist die in lebendige Bilder gehauchte Zerstörung amerikanischer Illusionen. McGintys Erfolgssträhne kennt erst in dem Moment ein Ende, als er sich – unmittelbar verliebt in die eigentlich zum Zwecke des Machtanspruchs geehelichte Catherine – einen Ausrutscher in die nunmehr fremde Welt der Realität erlaubt. Seine plötzliche Entscheidung, politisches Handeln in den Dienst des bedürftigen Volkes zu stellen, führt ihn direkt durch die Hände seiner Vorgesetzten ins Gefängnis.

Das ist nicht nur ironischer Ausdruck einer Unmöglichkeit von Herrschaft durch wahre Demokratie, sondern gleichzeitig die Umkehrung der ausgangs träumerisch verlockenden Fantasie, alles sei möglich – selbst der Weg von der Straße ins Luxusapartment. Hier gelingt es Sturges vielleicht noch nicht gänzlich, die obligatorisch herben Wortgefechte, die süffisanten Dialoge und filmischen Mittel, insbesondere die Montage mit ihren konnotierten Auslassungen und Einschüben, in Einklang mit vehementer Gesellschaftskritik zu bringen, doch sein anatomisches Bild vom Wesen des Menschen besitzt bereits die selbe Schlagkraft, wie sie auch die nachfolgenden Filme des Regisseurs aufweisen.

70%

Oktober 03, 2006

Retro: SULLIVAN'S TRAVELS (1941)

Er möchte einen Film drehen, einen der zeigt, wie die Welt wirklich beschaffen ist, wie es den armen Menschen da draußen ergeht, die im Hollywoodfilm für gewöhnlich ausgeblendet werden. Unverhüllt, mit ehrlichem Anliegen soll das Schicksal all der Hablosen auf die Leinwand gebracht werden. Mit dem sozialkritischen "O Brother, Where Art Thou?" erhofft sich Regisseur John L. Sullivan (Joel McCrea) den künstlerischen Durchbruch, er dreht diesen Film über und für die Leidtragenden der großen Depression, für die Menschen auf der Straße, in Gefängnissen, Güterwaggons oder Schlaflagern. Und dafür muss er selbst ein Teil dieser Wirklichkeit werden: Als Landstreicher getarnt zieht er hinaus, fest entschlossen, das prunklose Leben kennen zu lernen.

„I'm going out on the road to find out what it's like to be poor and needy and then I'm going to make a picture about it.” (Sullivan) –
”If you'll permit me to say so, sir, the subject is not an interesting one. The poor know all about poverty and only the morbid rich would find the topic glamorous.“ (Burrows) –
”But I'm doing it for the poor. Don't you understand?“ (Sullivan) –

”I doubt if they would appreciate it, sir.” (Burrows)


Sullivans Butler Burrows (Robert Greig) allerdings versucht vergeblich, ihn davon fernzuhalten, sich unter das Volk zu mischen, geschweige ihn zu überzeugen, dass sein Film weder das wohlhabende, noch das arme Publikum erreichen wird. Unbeirrt beginnt Sullivan sein Selbststudium. Die Eingangssequenz demonstrierte bereits die Fähigkeiten des Regisseurs, in diesem Film-im-Film-Prolog tragen zwei Männer einen dramatischen Konflikt auf einem rasenden Zug aus. Dass Sullivan darin nach eigenem Bekunden den Kampf zwischen dem Kapitalisten und dem einfachen Arbeiter schildert, geht angesichts einer effekthascherischen Inszenierung unter (tatsächlich aber wird diese Ebene in "Sullivan’s Travels" später wiederum wieder aufgegriffen).

Hinter all dem steht natürlich Preston Sturges ("Hail to the Conquering Hero"), und der macht sich hier einen großen Spaß aus der Darstellung seiner Figur, indem er mit ironischen Dialogen bereits in den ersten Minuten die offensichtliche Naivität von Sullivan unterstreicht. Abgesehen davon, dass sein filmisches Alter Ego eine Möglichkeit für viele selbstreflexive Momente bietet und ihn ausgiebig austeilen lässt: Wenn Sullivan den Kritikern abschwört, er sich mit Studiobossen herumschlagen muss oder er seine Filme einfach missverstanden sieht. Der Zuschauer entwickelt also rasch ein ungefähres Gespür für den Charakter.

Als Sullivan gemeinsam mit einer von Veronica Lake verkörperten Schauspielerin, deren Namen wir nicht erfahren werden, durch das Land zieht - und sich den ziellosen Pilgern anschließt - dann glaubt er hautnah zu erforschen, wie sich Armut, ein Leben ohne Perspektive anfühlt. Dass er dabei von einem Leibtrupp begleitet wird, soll der Sache nicht im Wege stehen, auch wenn seine sorgenvollen Freunde und Produzenten als Chorus auftreten und alles unternehmen, um das willkürliche Experiment berechenbar zu gestalten. Genannt sei nur die aberwitzige Szene, in der Burrows beim Bahnhofsschaffner telefonisch zu ermitteln versucht, wann es denn eigentlich die günstigste Zeit sei, um auf die fahrenden Züge zu springen.

Und so läuft Sullivan nie wirklich Gefahr, tatsächlich in eine unkontrollierbare Situation zu geraten. Wenn er im Gefängnis oder einer anderen Stadt landet, dann eilt man ihm schnell wieder zur Hilfe. In der ersten Hälfte des Films lässt Sturges also keinen Zweifel an der fehlenden Ernsthaftigkeit dieses Selbstversuchs, wie ein wiederkehrendes Motiv durchzieht die Rückkehr Sullivans nach Hollywood den Film, immer dann wenn es zu kritisch für ihn wird. Dabei ist die Traumfabrik ohne Konturen eingefangen, leere Straßen und verlassen wirkende Häuser dominieren diesen Ort. Der Widerspruch zwischen dem Willen, die Welt zu erkunden, den eingeschränkten Blickwinkel zu erweitern, und dem Zurückfallen in eine Rolle als wohlhabender Hollywoodregisseur ist dabei Ausdruck einer Möchtegern-Mentalität, die genau der Naivität und zuweilen auch Arroganz entspricht, die Sullivan eigentlich zu durchbrechen versucht.

Sturges ist ein Meister darin, seine Geschichte mit lebendigen Charakteren und furiosen Dialogen zu erzählen. Kein Moment vergeht, in dem nicht irgendeine Skurrilität hervortritt, und keine Szene, die nicht mit einem Twist schließt. So dynamisch und gleichzeitig so überraschend wie in "Sullivan’s Travels" kennt man den Regisseur, der mit den Erwartungen des Publikums spielt, der eine wahre Freude an den Reaktionen seiner Zuschauer gehabt haben muss. Er kommentiert die Handlung ironischer denn je, in allen erdenklichen Variationen: Ob es ein Kamingemälde ist, das sich mit jeder Einstellung im Hintergrund verändert (und die jeweilige Stimmung widerspiegelt), oder er die liebenswerte Oberflächlichkeit seines Sullivans anprangert, wenn dieser verdutzt fragt: „Who's Lubitsch?“.

Auch der unverzichtbare Slapstick kommt gewohnt unvermittelt zum Einsatz. Und tatsächlich übertrifft sich Sturges mit einer grandios geschnittenen, haarsträubenden Verfolgungsjagd gleich zu Beginn selbst - eine Sequenz, so übertrieben und absurd, dass kein Auge trocken bleibt, und bei der er den Slapstick unlängst als solchen parodiere, so der Monty Python-Angehörige Terry Jones. Sturges mischt viele Comedy-Arten wild durcheinander, er legt sich nicht fest, wechselt von purem Sarkasmus zu Momenten bitterer Ironie. Ähnlich wie bei seinen anderen Arbeiten nutzt er dabei erneut den Klimax, um den Film in eine andere Richtung zu lenken.

Denn als Sullivan eines Nachts seiner Schuhe beraubt wird, ist das der Beginn einer langen Verkettung von Missverständnissen, die den Regisseur auf eine unfreiwillige, aber umso wirkungsvollere Odyssee durch alle erdenklichen Lebenssituationen schickt. Das Glück verlässt ihn schließlich gänzlich, als er in ein Gefangenenstraflager gerät. Zu allem Überdruss wird auch noch der Mann mit Sullivans geklauten Schuhen tot aufgefunden – fortan trauern die Hinterbliebenen um ihren vermeintlich ermordeten Freund, und auch die junge Romanze mit „dem Mädchen“, wie sie im Abspann benannt wird, hat ein jähes Ende. Die wahre Armut erfährt der Regisseur nun am eigenen Leib: Zwangsarbeit, Hunger und Durst erlebt Sullivan wie einen (Alp)Traum, der von Sturges mit deutlichen Kontrasten entsprechend übertrieben in Szene gesetzt wird.

Diese zweite Hälfte markiert als moralische Konsequenz den unweigerlichen Leidensweg Sullivans. Erst als er und seine Mithäftlinge die Vorführung eines Zeichentrickfilms in einer alten Kirche besuchen, begreift er den Sinn seiner Arbeit als Filmemacher. Es ist der Humor der Späße und Dummheiten von Mickey Mouse und Goofy, der zu herzhaftem Gelächter der Menschen führt, der all ihre Probleme und Sorgen für den Moment vergessen macht. Auch Sullivan kann sich nicht mehr halten, lauthals lacht er mit den anderen. Diese Katharsis kommt wenig überraschend, behält Butler Burrows erwartungsgemäß Recht: Nicht wegen einer so realistisch wie möglich gehaltenen Darstellung von Armut und Trauer, einer nüchternen Erinnerung an das triste Dasein, sondern um der Alltagswelt zu entfliehen gehen die Menschen ins Kino. Ein kurzes Lächeln – und vergessen ist der Ernst des Lebens.

So sehr Sturges es auch zu verbergen sucht, das ist in diesem Moment ganz er selbst. "Sullivan’s Travels" ist ein wunderbar beseeltes Märchen, das hinter seiner satirischen Fassade viel verrät, nicht nur über den Regisseur Preston Sturges. Eine schönere Liebeserklärung an das Kino hat es vielleicht nie gegeben. Am Ende möchte Sullivan seinen Film schließlich nicht mehr inszenieren. Aber das haben dann ja auch die Coen-Brüder übernommen.


95%

September 30, 2006

Retro: THE LADY EVE (1941)

Turbulente Bekanntschaften unter haarsträubenden Umstän- den gibt es in der Screwball-Comedy viele, mindestens so häufig wie die selbstbewusste Frau mit ihrer unscheinbaren Dominanz den Ton angibt. Getreu der Formel ist das in "The Lady Eve", dem dritten Film von Preston Sturges ("Sullivan’s Travels"), zunächst nicht unbedingt anders. Doch der Schein trügt.

„You're certainly a funny girl for anybody to meet who's just been up the Amazon for a year.” -

”Good thing you weren't up there two years.”


Jean Harrington (Barbara Stanwyck) ist eine charmante, aber gerissene Spielbetrügerin, die sich auf einer ihrer routinierten Reisen in den schüchternen, naiven Millionärsserben Charles Pike (Henry Fonda) verguckt. Der von einer Amazonasexpedition zurückkehrende Junggeselle braucht keinen zweiten Blick, um sich in die Falschspielerin zu verlieben, wenn diese schnell mehr in ihm sieht, als ein potentielles Opfer ihrer Gaunerfamilie. Doch als Pike hinter das Geheimnis der verführerischen Schönheit kommt, ist der Lebenstraum schnell zerplatzt – mit der Ankunft am Hafen von New York, nach der Hälfte des Films, ist die Liebesgeschichte schon wieder vorbei.

Selbst bis dahin erzählt Sturges den Film auffallend eigen, fehlen doch sowohl die rasanten Wortgefechte, als auch absurden Situationen, die ähnliche Komödien für gewöhnlich aufweisen. "The Lady Eve" täuscht den Zuschauer bewusst, anstelle der klassischen Genrezutaten setzt Sturges auf urbane Komik, Überraschungen und zahlreiche Stimmungsschwankungen. Mit seinen verwirrenden Wechseln zwischen Ernsthaftigkeit, alberner Unbeschwertheit und zutiefst authentischer Romantik fordert er ganz bewusst eine Form der Irritierung heraus, die wesentlicher Bestandteil seines satirischen Tons ist. Man weiß eben nie gänzlich, was nun wirklich ernst oder wiederum doch nur sarkastisch gemeint ist.

Tatsächlich treibt der Film dieses Spiel mit den Erwartungen auf die Spitze, als er einen gewagten Schritt vollzieht und die Geschichte in der Mitte enden lässt, um sie indirekt ein weiteres Mal zu erzählen. Dieser in seinem dramaturgischen Aufbau frühzeitig beendete Erzählstrang stößt den Zuschauer durchaus ein wenig vor den Kopf, muss aber gleichzeitig auch als brillant ersonnener, wahrlich origineller Einfall gewertet werden. Denn Sturges unterstreicht mit der zweiten Hälfte das eigentliche Sujet seines Films, in dem er viele aufgeworfene Fragen um Schein und Sein selbst beantwortet.

”You see Hopsi, you don't know very much about girls. The best ones aren't as good as you think they are and the bad ones aren't as bad. Not nearly as bad.“


Charles Pike, umwerfend vom jungen Henry Fonda ("Jezebel") verkörpert, erfährt mit der Enthüllung seiner Geliebten nicht nur deren wahre Identität, er verliert ironischerweise seinen Glauben an die Wahrheit selbst, wenn er im zweiten Teil der Geschichte nicht erkennen will, dass es sich bei Eve, der Frau auf dem Ballfest, um Jean handelt. Weil sie sich zu ähnlich sind, kann es sich nicht um ein und dieselbe handeln, das ist die einzig wahre Logik – und trotzdem stolpert Charles von einer Ecke in die nächste, der immer wiederkehrende und ausgiebig gedehnte Slapstick, den Sturges scheinbar stets unpassend einsetzt, der aber zwingend notwendig ist. In dieser zweiten Hälfte bekommt auch das Sinnbild der „falschen“ Schlange eine neue Bedeutung. Die schöne Eve ist getreu der Mythologie als Zeichen der Polarität Auslöser einer Selbsterkenntnis, die den hoffnungslosen Pike letztlich natürlich doch in ihre Arme führt.

Die Wiederholung als Stilmittel hat hier also den Charakter einer zweiten Chance, eines neuen Versuchs nach der Trennung. Bezeichnenderweise schrieb Sturges den Film kurz nach seiner eigenen Scheidung und erzählt die Geschichte trotzdem ohne Rührseligkeit (wie könnte er auch!), auch wenn der Ton spürbar bitter ist. Nur einmal mischt er sich bewusst ins Geschehen: Barbara Stanwyck ("Double Indemnity") schaut in ihren Schminkspiegel und beobachtet den hilflosen Pike, wie er die Avancen seines weiblichen Umfelds nicht begreift, nimmt also letztlich die Position und Sicht des kommentierenden Regisseurs ein.

"The Lady Eve"
ist eine mutige, weil ganz und gar unkonventionelle "Comedy of Remarriage". Trotz seiner One-Liner und der betont physischen Komik lässt sich Sturges’ Film nicht ohne Weiteres in das Fach der Screwball-Komödien einordnen. Mit seinen großartigen Ideen, den bis in die kleinsten Nebenrollen fantastischen Schauspielern und der geschickten, gezielt das Unerwartete hervorrufenden Regie ist es vor allem ein ungewöhnlicher, letztendlich sogar optimistischer Film.


75% - erschienen in der filmzentrale

Juli 09, 2006

Retro: UNFAITHFULLY YOURS (1948)

Seine großen Jahre in der Traumfabrik nährten sich unaufhaltsam dem Ende, von Kritik und Publikum mit zunehmend weniger Interesse wahrgenommen, legt doch auch dieser zehnte Film von Regielegende Preston Sturges ("Sullivan's Travels") abermals Zeugnis seines Rufes als Ingenium Hollywoods ab, beweist als fesselnd inszenierte und vor allem meisterlich erzählte, mit satirischen Elementen angereicherte Mischung aus der Sophisticated-Screw- ball-Comedy und den schwarzen Thrillermotiven einer Krimigeschichte die bissige Einzigartigkeit des ehemaligen Theaterautors.

"Unfaithfully Yours" spielt erneut genüsslich mit den Erwartungen des Zuschauers, der Film pendelt bewusst und überaus geschickt bereits in den ersten Minuten hin und her zwischen spritziger und ironischer Komödie sowie einer stoischen Ernsthaftigkeit. Zu verdanken ist dieser Effekt neben allerlei Regieeinfällen auch dem zwielichtigen Spiel des großartigen Rex Harrison ("Anna und der König von Siam"), der blitzartig von der einen zur nächsten Minute sympathisch liebäugelnd und abstoßend-zynisch zugleich auftritt. Dass Sturges seinen Film selbst jedoch von Beginn an als ungemein genüsslich-subversive Satire auf den Schmalz und vermeintlichen Glamour der Hollywoodromanzen anlegt, das wird erst im weiteren Verlauf und bis zum herrlich ausgefallenen Ende deutlich, ist die überkandidelte Darstellung des sich ununterbrochen die Liebe beschwörenden Ehepaares Ausdruck feinsinniger Ironie.

Bemerkenswert nüchtern, regelrecht trocken, entwickelt der Regisseur den aufkommenden Verdacht seiner im wörtlichen Sinne dirigierenden Figur, die eigene Frau verfalle der Untreue und betrüge ihren erfolgreichen Mann mit dem jüngeren Sekretär. Auf der einen Seite ist Harrisons Charakter gekennzeichnet durch selbstsichere Egozentrik, andererseits etabliert sich dessen „zweites Ich“ als eifersüchtiger, übertrieben energischer Ehemann umso unvermittelter – als Ausdruck der Unsicherheit vor dem anderen, „erstarkten“ weil selbst bestimmenden Geschlecht, als eine süffisante Note zum Klischeetypus des Mannes im Film.

Will somebody "get her" tonite?

Für den obligatorischen turning point seiner prinzipiell leichtfühligen Geschichte, die ebenso als schwarze Komödie funktioniert, wählt Sturges einen höchst raffinierten Kunstgriff: Er dehnt die simple Idee beliebig aus, indem er den Protagonisten drei tagträumerische Visionen heimsuchen lässt, jeweils durchschnitten während des abendlichen Konzerts, bei dem der Dirigent just in dem Augenblick, als er zumindest musikalisch den Ton angibt, jegliche Dominanz und Gültigkeit zu verlieren glaubt. Alle drei Varianten umfassen dabei die Konfrontation der Frau mit dem Vorwurf des Ehebruchs gegenüber ihrem Mann. Der Zuschauer weiß jedoch beim Eintreten der ersten möglichen Version noch nicht, dass diese nur dem eifersüchtigen Hirngespinst des Mannes entspringt, obwohl dies stilistisch sogar deutlich angekündigt wird, nähert sich die Kamera vom Orchester aus immer weiter den starren Augen Harrisons, bis sie in der linken Iris zu verschwinden scheint, eingetaucht in seine grenzenlose Gedankenwelt.

Beim Zuschauer forciert Sturges in dem Moment, wenn sich das Gesehene als nicht reale Ansammlung existentialistischer männlicher Ängste entpuppt, ein gleichermaßen überraschendes wie erleichterndes Gefühl, denn so absurd es hier zugehen mag, das entspricht wohl kaum dem Sujet des Regisseurs, würde er sich nicht hinter den Illusionen einer Figur verbergen. Die jeweiligen Episoden sind dabei makaber, naiv und äußerst originell konstruiert, vor allem aber unheimlich treffsicher in ihrer Wirkung, inszeniert Sturges die beiden nachfolgenden Träume doch wiederum kurz und prägnant, nachdem das Schema bekannt ist.

Formal sind diese nicht nur mit dem wiederkehrenden Motiv des Zooms einer deutlichen Zäsur unterzogen, sondern stets musikalisch mit der „tatsächlich“ dirigierten Orchestrierung unterlegt. Wenn dann das Ende des feierlichen Abends hereinbricht, steigt die Spannung unaufhörlich, arbeitet die Dramaturgie doch nur auf die Frage hin, welche der Möglichkeiten nun am ehesten der Wahrheit entsprechen würde, gleich wenn sich der Film hier ein wenig in etwas deplaziertem Slapstick verirrt. Die tatsächliche Auflösung soll an dieser Stelle dennoch nicht verraten werden. Dabei tritt der Regisseur unterschwellig den Beweis an, dass seine letztlich durch und durch dem Film-Noir zugeordneten Stilmittel keine Genregrenzen kennen. Umso mehr ist "Unfaithfully Yours" ein wunderbarer, mitunter sehr untypischer Sturges-Film, der einen vorzeitigen Schlusspunkt unter eine so unverwechselbar vielseitige wie einzigartige Karriere setzt.


85%