Mr. Okuyama hat sein Gesicht in Bandagen gehüllt, darunter verbergen sich Narben und Wunden, die als Folgen eines Laborunfalls das persönliche Lebenstrauma des Mannes bilden. Sein Arzt bietet ihm die Möglichkeit an, eine täuschend echte Maske zu modellieren, die er auf Grundlage eines willigen Spenders entsprechend präpariert: Okuyama stimmt dem Experiment zu – und trägt bald das Gesicht eines anderen. Die daraus abzuleitende Utopie wird schließlich von der Hauptfigur programmatisch verkündet: Niemand wird frei sein wollen, weil alle frei sind; es wird keine Straftaten mehr geben, weil es keine Straftäter mehr gibt; niemand wird mehr wegrennen wollen, weil es nichts mehr gibt, von dem man wegrennen müsste; Einsamkeit und Freundschaft werden vereint sein.
"Tanin no kao" (The Face of Another) ist eine essayistische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Individuum als Wesen, das zwar über ein Ich-Bewusstsein verfügt, dieses jedoch angesichts einer subjektiven Entfremdung aufzugeben droht. Stilistisch stark dem avantgardistischen Kino verschrieben, inszeniert Regisseur Hiroshi Teshigahara die Sinnsuche seiner Figur unter Einbeziehung zahlreicher Leitmotive und Bezüge zur östlichen, vor allem aber auch westlichen Kultur. Der Film basiert auf der gleichnamigen Novelle von Kôbô Abe, mit dem Teshigahara bereits bei "Otoshiana" (The Pitfall) und dem international erfolgreichen "Suna no onna" (Woman in the Dunes) zusammenarbeitete. Regisseur und Autor lernten sich in der avantgardistischen Künstlergruppe Seiki kennen, die von Teshigahara in den 50er-Jahren initiiert wurde. Gemeinsam mit dem Komponisten Toru Takemitsu verband sie der Wille zur fortschrittlichen Kunst, die politische und gesellschaftskritische Denkformen annehmen und sich langfristig bewähren sollte.
In Relation zur komplexen Symbolhaftigkeit des Films, die mit visuellen und audiovisuellen Mitteln ebenso wie einer ambigen erzählerischen Struktur erzeugt wird, erscheint die gradlinige Handlung simpel und fordert den Zuschauer nicht dazu auf, einen eigenen Weg zum Verständnis der Geschichte, wohl aber ihrer Bedeutung zu finden. Grundsätzlich lässt sich die Entstellung von Okuyamas Gesicht, die einhergeht mit dem Verlust von gesellschaftlicher und letztlich auch privater Zugehörigkeit, sowohl als Metapher über die Spuren und Nachwirkungen der Hiroshima-Katastrophe, wie auch als Ausgangspunkt einer unspezifischen Betrachtung der Bedeutung von Identität und Statussymbolen lesen. Für ersteres sprechen der biographische Hintergrund Teshigaharas, der in jungen Jahren als Assistent vieler Dokumentarfilme über die Folgen von A-Bomben-Angriffen und –Tests arbeitete, und die generelle Auswirkung der Verstrahlung auf Japan, die mit Hilfe künstlerischer Mittel aufgearbeitet und thematisiert wurde.
"Tanin no kao" folgt über weite Strecken einer Ästhetik und Motivwahl, die sehr stark an die Universal-Horrorfilme der 30er-jahre erinnert. Rein äußerlich kann man Okuyamas verbundenes Gesicht mit der Erscheinung des "Invisible Man" assoziieren, während das Verhältnis zu seinem Arzt dem Frankenstein-Mythos gleicht, indem der motivisch der Tradition des mad scientists verpflichtete Doktor durch die Entwicklung einer neuen Haut einen – im übertragenen Sinne – morphologisch gänzlich neuen Menschen schafft. Okuyamas widersprüchliches Verhältnis zwischen eigenem Bewusstsein und neu gewonnener Identität trägt dagegen Züge der klassischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Thematik, während die Operationsszene wiederum an einen anderen Genrefilm erinnert, nämlich Georges Franjus "Les Yeux sans visage" (Eyes Without a Face). Nicht nur in Bezug auf manch visuelle Assoziationen sei auf die genannten Werke verwiesen, Teshigahara setzt sich auch auf der philosophischen Ebene seines Films mit ihnen auseinander, insbesondere hinsichtlich der Beziehung zwischen Okuyama und seinem Arzt.
Faszinierend ist der visuelle Ansatz des Regisseurs, die Gesichter seiner Figuren immer wieder in einem besonderen Fokus zu inszenieren – von vorn und hinten, dann wieder seitwärts, abgeschnitten oder verdeckt. Kameramann Hiroshi Segawa setzt sie stets in einen speziellen Zusammenhang zueinander, aber auch zu ihrem Hintergrund und allgemeinem Umfeld. Durch die außerordentliche Kraft seiner Bilder rückt der Film die Bedeutung des menschlichen Gesichts als Fixpunkt gegenseitiger Kommunikation ins Zentrum und unterstreicht den Konflikt des tragischen Helden mit sorgfältig ausgewählten Mitteln, die nicht selten an die Tradition europäischer Filmemacher in den 60er-Jahren erinnern. Die wechselhafte Stimmung von "Tanin no kao" wird durch den Einsatz gegensätzlicher Settings evoziert. So spielen die Szenen in Teshigaharas Wohnung in einem urbanen, sehr realen Ambiente, während die Momente in der Klinik eher phantastisch und surreal durchzogen sind. Dies forciert zusätzlich den Widerspruch der Hauptfigur, die hin- und her gerissen ist zwischen ihrer wirklichen und unwirklichen Identität, wozu ebenso der mal melancholische, dann wieder schroff-experimentelle Soundtrack beiträgt.
Genau dieser Zwiespalt findet in der Parallelhandlung Ausdruck, in der eine entstellte junge Frau ihren schwierigen Alltag zu meistern versucht. Dramaturgisch erfüllt der Wechsel in diesen imaginären Erzählstrang eine spiegelnde Wirkung, da er die Gefühle Okuyamas bildlich reflektiert. Schließlich kündigt ihr tragisches Schicksal das unumkehrbare Leiden der Hauptfigur an: Der Versuch Okuyamas, mit seiner Frau in der vermeintlichen Gestalt eines Fremden eine Affäre zu beginnen, scheitert – sie weiß um seine wahre Identität. So kann die Maske nicht nur den Zweck erfüllen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen (z.B. die bröckelnde Ehe), sondern entfremdet ihren Träger letztlich noch weiter von sich selbst und seinem Umfeld ("And after a long time I forgot that you could suddenly become s stranger."). Als haltloses Individuum, das von allem sozialen isoliert scheint, tötet das Geschöpf ihren Schöpfer. Okuyama trägt nicht länger nur das Gesicht eines Fremden, er ist selbst zu einem Fremden geworden: "Freedom’s always a lonely thing. "
"Tanin no kao" (The Face of Another) ist eine essayistische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Individuum als Wesen, das zwar über ein Ich-Bewusstsein verfügt, dieses jedoch angesichts einer subjektiven Entfremdung aufzugeben droht. Stilistisch stark dem avantgardistischen Kino verschrieben, inszeniert Regisseur Hiroshi Teshigahara die Sinnsuche seiner Figur unter Einbeziehung zahlreicher Leitmotive und Bezüge zur östlichen, vor allem aber auch westlichen Kultur. Der Film basiert auf der gleichnamigen Novelle von Kôbô Abe, mit dem Teshigahara bereits bei "Otoshiana" (The Pitfall) und dem international erfolgreichen "Suna no onna" (Woman in the Dunes) zusammenarbeitete. Regisseur und Autor lernten sich in der avantgardistischen Künstlergruppe Seiki kennen, die von Teshigahara in den 50er-Jahren initiiert wurde. Gemeinsam mit dem Komponisten Toru Takemitsu verband sie der Wille zur fortschrittlichen Kunst, die politische und gesellschaftskritische Denkformen annehmen und sich langfristig bewähren sollte.
In Relation zur komplexen Symbolhaftigkeit des Films, die mit visuellen und audiovisuellen Mitteln ebenso wie einer ambigen erzählerischen Struktur erzeugt wird, erscheint die gradlinige Handlung simpel und fordert den Zuschauer nicht dazu auf, einen eigenen Weg zum Verständnis der Geschichte, wohl aber ihrer Bedeutung zu finden. Grundsätzlich lässt sich die Entstellung von Okuyamas Gesicht, die einhergeht mit dem Verlust von gesellschaftlicher und letztlich auch privater Zugehörigkeit, sowohl als Metapher über die Spuren und Nachwirkungen der Hiroshima-Katastrophe, wie auch als Ausgangspunkt einer unspezifischen Betrachtung der Bedeutung von Identität und Statussymbolen lesen. Für ersteres sprechen der biographische Hintergrund Teshigaharas, der in jungen Jahren als Assistent vieler Dokumentarfilme über die Folgen von A-Bomben-Angriffen und –Tests arbeitete, und die generelle Auswirkung der Verstrahlung auf Japan, die mit Hilfe künstlerischer Mittel aufgearbeitet und thematisiert wurde.
"Tanin no kao" folgt über weite Strecken einer Ästhetik und Motivwahl, die sehr stark an die Universal-Horrorfilme der 30er-jahre erinnert. Rein äußerlich kann man Okuyamas verbundenes Gesicht mit der Erscheinung des "Invisible Man" assoziieren, während das Verhältnis zu seinem Arzt dem Frankenstein-Mythos gleicht, indem der motivisch der Tradition des mad scientists verpflichtete Doktor durch die Entwicklung einer neuen Haut einen – im übertragenen Sinne – morphologisch gänzlich neuen Menschen schafft. Okuyamas widersprüchliches Verhältnis zwischen eigenem Bewusstsein und neu gewonnener Identität trägt dagegen Züge der klassischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Thematik, während die Operationsszene wiederum an einen anderen Genrefilm erinnert, nämlich Georges Franjus "Les Yeux sans visage" (Eyes Without a Face). Nicht nur in Bezug auf manch visuelle Assoziationen sei auf die genannten Werke verwiesen, Teshigahara setzt sich auch auf der philosophischen Ebene seines Films mit ihnen auseinander, insbesondere hinsichtlich der Beziehung zwischen Okuyama und seinem Arzt.
Faszinierend ist der visuelle Ansatz des Regisseurs, die Gesichter seiner Figuren immer wieder in einem besonderen Fokus zu inszenieren – von vorn und hinten, dann wieder seitwärts, abgeschnitten oder verdeckt. Kameramann Hiroshi Segawa setzt sie stets in einen speziellen Zusammenhang zueinander, aber auch zu ihrem Hintergrund und allgemeinem Umfeld. Durch die außerordentliche Kraft seiner Bilder rückt der Film die Bedeutung des menschlichen Gesichts als Fixpunkt gegenseitiger Kommunikation ins Zentrum und unterstreicht den Konflikt des tragischen Helden mit sorgfältig ausgewählten Mitteln, die nicht selten an die Tradition europäischer Filmemacher in den 60er-Jahren erinnern. Die wechselhafte Stimmung von "Tanin no kao" wird durch den Einsatz gegensätzlicher Settings evoziert. So spielen die Szenen in Teshigaharas Wohnung in einem urbanen, sehr realen Ambiente, während die Momente in der Klinik eher phantastisch und surreal durchzogen sind. Dies forciert zusätzlich den Widerspruch der Hauptfigur, die hin- und her gerissen ist zwischen ihrer wirklichen und unwirklichen Identität, wozu ebenso der mal melancholische, dann wieder schroff-experimentelle Soundtrack beiträgt.
Genau dieser Zwiespalt findet in der Parallelhandlung Ausdruck, in der eine entstellte junge Frau ihren schwierigen Alltag zu meistern versucht. Dramaturgisch erfüllt der Wechsel in diesen imaginären Erzählstrang eine spiegelnde Wirkung, da er die Gefühle Okuyamas bildlich reflektiert. Schließlich kündigt ihr tragisches Schicksal das unumkehrbare Leiden der Hauptfigur an: Der Versuch Okuyamas, mit seiner Frau in der vermeintlichen Gestalt eines Fremden eine Affäre zu beginnen, scheitert – sie weiß um seine wahre Identität. So kann die Maske nicht nur den Zweck erfüllen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen (z.B. die bröckelnde Ehe), sondern entfremdet ihren Träger letztlich noch weiter von sich selbst und seinem Umfeld ("And after a long time I forgot that you could suddenly become s stranger."). Als haltloses Individuum, das von allem sozialen isoliert scheint, tötet das Geschöpf ihren Schöpfer. Okuyama trägt nicht länger nur das Gesicht eines Fremden, er ist selbst zu einem Fremden geworden: "Freedom’s always a lonely thing. "
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