Juli 28, 2007

Retro: TO HAVE AND HAVE NOT (1944)

Zwei Jahre nachdem ihm "Casablanca" zu internationalem Ruhm verhalf, schlüpfte Humphrey Bogart noch einmal in die Rolle des ständigen Skeptikers und Eigenbrödlers, der in Zeiten einschneidender politischer Veränderungen weder mit den Machtapparaten um Partei und Regierung, noch dem gesellschaftlichen Wandel als solchem etwas zu tun haben möchte ("You save France. I want to save my boat."). Er lebt ein Leben in der Nische, ist vor allem um das eigene Wohl bemüht und kommentiert das nicht selten dramatische Geschehen um ihn herum meist mit zynischen One Linern, die einer grundsätzlich lakonischen Einstellung Ausdruck verleihen. Harry Morgan ist genauso ein ausgeklügeltes Schlitzohr wie Rick Blaine, und ebenso bemüht er mit dieser Fassade eine verborgene Verletzlichkeit zu kaschieren, die womöglich nur eine Frau zum Vorschein bringen kann.

Im Michael-Curtiz-Klassiker war dies Ingrid Bergman, die Bogart vom selbstsüchtigen Berufszyniker zum melancho- lischen Lebensretter umerzog. Es knistert gewaltig auf der Leinwand, wenn der berühmten letzten Umarmung ein sehnsuchtsvoller Abschied folgt – doch es blieb eine Liebe auf reinem Zelluloid. Und obwohl Howard Hawks’ "To Have and Have Not" ein sehenswerter, ja auch ein bemerkenswerter Film mit brillanten Dialogen ist, so denkt man heute nicht mehr an sein stimmungsvolles Drehbuch oder die bis in die letzte Nebenrolle fantastisch besetzten Schauspieler, sondern in erster Linie ist es schließlich jenes Werk, in dem sich Lauren Bacall ihren Bogey angelte – im Film wie auch im wahren Leben. Die bis dato völlig unbekannte Schauspielschülerin stiehlt ihrem Ehemann in Spe nicht nur zweifellos die Show, sie interpretiert die Figur auch mit einer Würde und Souveränität, ja vor allem einer unheimlichen Erotik, dass selbst Hawks gleichermaßen überrascht wie beeindruckt war: Gerüchten zufolge soll es ihm übel aufgestoßen sein, dass Bacall sich nicht in ihn, sondern ihren Co-Star verliebt hat.

Der Film selbst ist nicht nur hinsichtlich seines extravagant vermarkteten Traumpaares kommerzielles Kalkül, er orientiert sich mitunter so stark am ebenfalls im Hause Warner produzierten "Casablanca", dass seine Versuche, jenen Erfolg mit ähnlichen Zutaten zu wiederholen, die eigentlichen Stärken zu überschatten drohen. Hawks ließ die Vorlage seines Freundes Ernest Hemingway überaus frei neu interpretieren, der Handlungsort Kuba wich Martinique, im Zentrum steht nun die Vorhalle eines Hotels samt Bar und Musikband. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges muss Bogart als vermeintlicher Held wider Willen Stellung beziehen und Regimegegnern zur Flucht verhelfen. Der Film modelt die Vorlage als Quasi-Remake von "Casablanca" nach Belieben um: Nicht nur die exotischen Settings, auch der Klavierspieler und die Gestapo-Bösewichte erinnern daran. Und schließlich folgt den politisch riskanten Einsätzen eine Flucht – zwar nicht mit dem Flugzeug, dafür aber einem kleinen Boot.

Darüber, welcher der bessere Film ist, lässt sich freilich nicht streiten, an die unnachahmliche Mischung aus Kriegs- und Liebesfilm, Spionage-Thriller und Film Noir, an die runde Erzählung, die in jeder Hinsicht meisterliche Geschlossenheit der Inszenierung seines Vorbildes reicht
"To Have and Have Not" nicht heran. Er ist sehr überschaubar, nicht immer rhythmisch (nach der Überführung geriet die das Finale einläutende Aufenthaltsszene der Flüchtlinge etwas zu lang) und auch weniger brisant, was seinen zeitgeschichtlichen Kontext betrifft. Auch scheint sein figuraler Entwurf des grundsätzlichen Zwiespalts zwischen individuellem Glück (in der Liebe) und humanistischen Anspruch, als Teil einer aktiven Gegenbewegung der Gleichschaltung entgegenzuwirken, dürftiger ausgearbeitet als in "Casablanca", wo Bogart und Bergman sich in einer zeitweilig ausweglos erscheinenden Krise befinden, die kein glückliches Ende wird bereithalten können. Da schenkt Hawks seinem Publikum viel lieber das, was Curtiz ihm noch verwehrte: Erfolg im Widerstand – und in der Liebe.

Und dennoch scheint der Klassikerstatus, den "To Have and Have Not" heute genießt, nicht ungerechtfertigt. In seinen Zwischentönen ist der Film nicht selten feiner, als es zunächst den Anschein hat: So betreten Bogart und Bacall, kurz nachdem sie die Gestapo verhört hat, eine Bar mit Namen ‚Zombie’, in der vor allem farbige Gäste sitzen. Da die kühle Schönheit ihre Unnahbarkeit dazu einsetzt, Männern die Brieftaschen zu stehlen, wählt sie als Opfer einen der wenigen weißen Offiziere, was nur eines von vielen Understatements des Films darstellt. Auch wenn die These vom einzelnen, der sich nicht freimachen kann von der Notwendigkeit eines Widerstands gegen den Faschismus, der den tristen Wunsch nach politischer Isolation aus eigenen Stücken zugunsten eines heldenhaften Aufbegehrens aufgibt, zuvor schon mehrmals – nicht nur in "Casablanca" – formuliert wurde, so kann sie auch bei Hawks nicht ihrer Wirkkraft beraubt werden. Dafür ist selbst dieses abenteuerliche und in Hinblick auf die Bewältigung der Nazis im Hotel mitunter sicher auch etwas heroisch-naive Drama zu substantiell und nachhaltig.


75%