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Juni 10, 2014
Zuletzt gesehen: FAST COMPANY (1979)
Viel interessanter ist doch aber, wie Cronenberg mit dieser Auftragsproduktion umgeht: Da ist zum einen solch kursorisches B-Movie-Material, geschult an AIP-Exploitation Cormanscher Prägung, das es sich nicht anzueignen, sondern nur passend zu verkaufen galt, so Cronenberg dieses für ihn freilich rare Beispiel konventionellen Filmemachens gleich noch mit seiner persönlichen Leidenschaft für Motorsport zu verknüpfen wusste. Und da ist zum anderen die Geschichte eines lädierten Drag-Race-Profis (tiefenentspannt: William Smith), der nicht nur seinen Vorgesetzten (niederträchtig: John Saxon) erledigen, sondern auch Freundin, Kollegen, eine ganze Profession und, ach was, eigentlich das Land of the Free per se retten muss. Fast Company ist, wie später auch A History of Violence, ein Western ganz ohne Colts und Cowboys. Ein bisschen eigen- und blödsinnig, aber voller Herzblut. Und Nicholas Campbell, der Mann mit den wohl schönsten Augen des Kinos, ist als Billy the Kid eine Entdeckung, auf die Cronenberg heute zu Recht stolz sein darf.
März 15, 2013
David Cronenberg wird 70!
Juli 05, 2012
Kino: COSMOPOLIS

Juni 28, 2012
April 08, 2009
News: Was'n los, Viggo?
"In the past week I've been from Los Angeles to Japan to Korea to Poland to the UK. It's ridiculous and it's not a healthy way to be. But, as it happens, I'm taking measures to change that. No more movies," he told News24. "I haven't said yes to one in over a year. I've been in all these well-received movies and it seems like I should be doing some more, but there are other things I want to do. It's not the right time."
PS: Ja, das Cannes-Photo ist einfach toll.
Oktober 23, 2007
Kino: EASTERN PROMISES
"Eastern Promises" fehlt außerdem der Fokus. Wessen Geschichte erzählt er eigentlich? Die eines Mafia-Chauffeurs (Mortensen), der insgeheim vielseitige Interessen zu verfolgen scheint, oder die einer Hebamme (Naomi Watts), die mit Mutter und russischem Onkel zusammenlebt, und eines Nachts jenes schwangere Mädchen behandeln muss, das die Handlung in Gang setzt. Das neu geborene Kind zieht sich nun wie ein roter Faden durch den gesamten Film, immer mit der Symbolik einer Hoffnung, einer Unschuld beladen. Die Mafia verlangt das Tagebuch der bei der Geburt verstorbenen Mutter, da es interne Informationen enthält und belegt, wie das immigrierte Mädchen (‚östliche Versprechen’) missbraucht wurde, und droht schließlich damit, das Baby zu ermorden. Da Watts’ Figur zuvor einmal eine Fehlgeburt erlitt, hütet sie das Kind gleich mit doppeltem Eifer – und freilich ist ihre Motivation deshalb ein wenig platt und simpel. Ganz ebenso wie übrigens auch die als Voice Over vorgetragenen Ausschnitte des Tagebuchs wenig von Cronenbergs sonst so bemerkenswerter Subtilität aufweisen.
Interessant wirkt der Film unter dem Gesichtspunkt einer Umkehrung seines Vorgängers. War es in "A History of Violence" Ed Harris, der einen mafiösen Gangster mimte und den scheinbar unschuldigen Viggo Mortensen als Bedrohung von außen heimsuchte, so verkörpert dieser nun wiederum den mysteriösen, gefährlich wirkenden Exoten, der der betulichen Naomi Watts nachschleicht. Ihre Figur weist einige Parallelen zu der von Mortensen gespielten Tom Stall-Rolle auf: Bei beiden lässt sich die Vergangenheit nicht ausschalten, die Identität nicht leugnen, das Unterdrückte nicht länger bändigen. Die Bedrohung, die von der ‘Vory V Zakone’ ausgeht, erinnert Watts Charakter an ihre eigenen russischen Ursprünge, mit denen sie sich über kurz oder lang auseinandersetzen muss. Um was genau es sich dabei handelt (im Fall von Tom Stall war es bekanntlich die zurückliegende Karriere als Gangster), wird jedoch nie klar, wie überhaupt der Film zugunsten seiner straffen Genreerzählung alles nur anreißt. Es wirkt fast so, als vermeide Cronenberg krampfhaft jeden Tiefgang, was "Eastern Promises" nicht weniger unterhaltsam, aber deutlich flacher erscheinen lässt.
Dies wird besonders in einer ganz bestimmten Szene deutlich. Mortensens Figur sitzt in einer Sauna und wird überraschend von zwei Mitgliedern eines gegnerischen Clans angegriffen. Sein von Tätowierungen übersäter Körper landet auf den kahlen Fliesen des Bodens und wird an die Wand gedrückt. Das pure Fleisch kämpft ums Überleben, die Schweißperlen rinnen daran herunter, und es fließt viel Blut. Es ist eine beängstigend physische Szene, die in ihrer Unmittelbarkeit und Drastik die Wirkung nicht verfehlt. Sie gehört ganz sicher zu den Höhepunkten aller Cronenberg-Filme, doch im Kontext von "Eastern Promises" bleibt sie isoliert und folgenlos. Obwohl dies äußerlich einen klassischen Cronenberg-Moment darstellt, bleibt es nur ein kurzes Aufblitzen ohne Bedeutung, ebenso wie andere ähnliche Bilder im Verlauf des Films (das nahe an das Motorrad heranfahrende Auto, der Blick in die Borschtsch-Suppe oder das Durchtrennen der Nabelschnur). Auch das Motiv des Tätowierens wird nicht weiter aufgegriffen, es ist nicht mehr als ein vorantreibendes, aber banales Element der Handlung.
Wenn der Film dann, wie in der Badehaus-Szene, zeitweise in regelrechte Höhen schießt, möchte man Cronenberg dankbar sein. Doch "Eastern Promises" kehrt immer wieder zurück zu seiner Simplizität und lässt manch inszenatorisches Kabinettstückchen für sich allein stehen. Das alles wäre verhältnismäßig ungewichtig, würde er den bisherigen Arbeiten des Regisseurs zuletzt nicht so vehement in den Rücken fallen. Analysierte Cronenberg in "A History of Violence" noch eindrucksvoll das Konstrukt der Familie, das nur durch Verschwiegenheit und Lüge bestehen kann, und stellte letztendlich sogar die Frage, inwieweit Familie gleichbedeutend mit Gewalt sei, so scheint ihm mit "Eastern Promises" eher der Sinn nach Konsens zu stehen. Das inhaltlich wenig glaubwürdige Ende erhält indes eine besonders bittere Note, wenn die Theorie vom Hoffnung und Neubeginn suggerierenden Kind in die Praxis überführt wird. Familie als Happy End-tauglicher Rettungsanker – von Cronenberg hätte man dann doch ein wenig mehr erwarten dürfen.
50%
September 22, 2007
News: EASTERN PROMISES Kritikererfolg
September 19, 2007
Retro: M. BUTTERFLY (1993)
"M. Butterfly" ist ein Meisterwerk. Nicht etwa deshalb, weil er eine tragische und emotionalisierte, obwohl urkomisch anmutende Geschichte erzählt, der Augenscheinlichkeit zum Trotz auf verführerische Umgarnungen setzt oder versucht, den Zuschauer Teil dieser Fantasie und Realitätsflucht werden zu lassen. Cronenberg gelingt es spätestens mit diesem Film, sein profanes Image als Body Horror-Filmer um zerplatzende Schädel und mutierte Fliegen abzulegen, ohne auch nur im Geringsten auf die Schlagkraft seiner menschlichen Betrachtungen und Fragen verzichten zu müssen. Vielmehr aber verwirrt der Film in seiner Schönheit aus Originalschauplätzen und melodramatischen Landschafts- bildern den Dunstkreis jener, die Cronenbergs Fleisch- beschauungen als veräußerlichte Biometaphern begriffen. Mehr noch als "Dead Ringers" und dem sehr ähnlichen "Naked Lunch" verdeutlicht "M. Butterfly" hingegen die Radikalität der inneren Körperwelten.
Gallimard ist wie so oft in Cronenbergs Geschichten eine zentrale Figur, die über ausreichend Bildung verfügt, eine strenge Präsenz hat und eher pragmatisch und abgeklärt, denn idealistisch und realitätsfremd wirkt. Diese Fehleinschätzung wurde innerhalb der Filme des Kanadiers nur selten so ironisch vorgeführt, immerhin dreht sich "M. Butterfly" um Illusion und Konstruktion – Jeremy Irons macht schließlich nur aus dem Grund einen bodenständigen Eindruck, weil der Zuschauer ihn so wahrnehmen möchte. In Wahrheit aber ist er nicht anders als ein Max Renn aus "Videodrome" oder Seth Brundle aus "The Fly": Jemand, der noch so fest verankert im Leben scheinen kann, aber tatsächlich keinen blassen Schimmer von dem hat, was die Welt eigentlich für ihn bereithält. Jemand, der nicht weiß, dass seine Geliebte ein Mann ist, weil er es auch nicht wissen will. "I’d never ask him.", gibt Liling vor Gericht zu Protokoll, wohl wissend, dass diese Frage auch kein Gehör gefunden hätte.
Genau genommen ist Gallimard sogar ein regelrechter Eskapist, ein Ich-Bezogener, unsympathischer Büromensch, der von Kultur ("I’m embarrassed to say I’ve never seen the Butterfly") ebenso wenig Ahnung hat wie von Politik ("We French lost our war in Indochina because we failed to learn about the people we sought to lead."). Cronenberg skizziert diese Figur mit vielen Feinheiten und äußerster Subtilität, indem er kurze Einblicke in Gallimards Privat- und Arbeitsleben gibt. Beide Bereiche sind entweder von einer banalen Tristesse durchzogen oder einfach nur schrecklich normal – wie die Ehefrau (Barbara Sukowa!), die abends im Bett noch eine Zeitung liest, bevor sie und ihr Mann ein oberflächliches Tagesresümee ziehen, oder die merkwürdigen Arbeitskollegen, die der Zuschauer mehr und mehr durch Gallimards verschrobene, immer realitätsfremdere Sicht anblickt, während seine Frau nach einigen Auftritten schließlich ganz aus der Handlung verschwindet. Cronenberg verschreibt sich so sehr seiner Sache, der obsessiven Beziehung zweier Menschen, dass er an allem anderen gar nicht interessiert scheint. Nicht nur die politischen Hintergründe der Geschichte, die Kulturrevolution, Studentendemos und Kommunistenhatz bleiben demnach reines Beiwerk.
Indem der Regisseur seine Hauptfigur mit strengen, teilweise schon krankhaften Eigenschaften ausstattet – immer wieder klettet sich Gallimard an ‚seine’ Butterfly, umschlingt sie fest und geht dabei nie tatsächlich auf sie ein –, setzt er sich auch mit dem Wesen des Narzissmus auseinander. Wie auch in der griechischen Mythologie Narziss vielmehr als jemand begriffen wird, der sein im Wasser gespiegeltes Selbst deshalb liebte, da er zu einem einsamen Leben verdammt war, erscheint Gallimard seiner Eitelkeit zum Trotz wie eine tragische, gescheiterte Existenz auf der Suche nach Zuneigung. Hier kann "M. Butterfly" mehr als jede andere Arbeit von Cronenberg als exzentrischer Liebesfilm gelesen werden, der sich mit Fragen um zwischenmenschliche Abhängigkeit, Verschmelzungsfantasien und schließlich dem Wesen der Liebe selbst auseinandersetzt.
So diese denn sprichwörtlich blind macht, nähert sich Cronenberg ihr mit einem zutiefst menschlichen und gleichzeitig bitteren Ansatz. So sehr der Transvestit Liling wahre Gefühle für Gallimard empfindet, ist dieser nur wie versessen darauf, sein Gegenüber nach eigenen Vorstellungen zu entwerfen. Er sieht in Liling die chinesische Exotin, das mysteriöse, unscheinbare, verheißungsvolle – all das, was sich nicht in Einklang bringen lässt mit seinen westlichen Konventionen, mit seiner Arbeit, der bourgeoisen Ehe, seinen Vorstellungen vom Bekannten, Herkömmlichen. Er lebt eine Lüge, weil er sie leben will, und er konstruiert eine alternative Realität, weil er seine Wirklichkeit nicht wahrhaben kann.
Damit offenbart Cronenberg die Liebe als nüchterne Projektion, als kreative Spielerei, die sich allem Wahrhaftigen entzieht. Eine Frage, die – führt man diesen Ansatz weiter – ihn zu der Erkenntnis bringt, dass Liebe bis zu einem gewissen Punkt immer nur Spiegelung bedeutet – Spiegelung eigener Wunschvorstellungen von einem anderen Menschen. Bei Gallimard scheint dieser Punkt schließlich überschritten, als er fast regungslos zur Kenntnis nimmt, dass Liling ein Mann ist. Die Liebe oder eher Abhängigkeit hat ein Ende in genau jenem Moment, in dem sie ein wirkliches Gesicht erhält. Gallimards Zusammenbruch im Polizeiwagen ist deshalb auch nicht der wahren Identität Lilings geschuldet, sondern der Erkenntnis, dass sein Traum, seine Konstruktion unmöglich geworden ist. Wenn zuletzt nur das Harakiri die Lösung scheint, legt das die menschlichste Eigenschaft dieses Mannes frei: Er hat ganz einfach sein Leben als Oper inszeniert. "My name is René Gallimard." – "Also known as Madame Butterfly."
August 11, 2007
News: EASTERN PROMISES Poster
August 06, 2007
Retro: DEAD RINGERS (1988)
"Fische brauchen keinen Sex.". Das klingt tatsächlich so, als sei es ihr großer Vorteil, im Wasser zu leben. Wenn Sex die Form der direktesten Kommunikation, der intimsten Hingabe zwischen zwei Menschen ist, dann muss er den Mantle-Zwillingen fremd sein: Sie teilen jegliche Intimität in Wohn- und Arbeitsraum und schlafen mit denselben Frauen. Sex ist letztlich nur eine Form reinen Pragmatismus’, die unumgehbare Voraussetzung für neues Leben und die Grundlage ihrer Arbeit – aber niemals könnte er wohl die unzertrennliche Zweckgemeinschaft imitieren, die die Brüder verbindet. Sie bewegen sich deshalb selbst wie Pisces in einem engen Aquarium. Das ausschließlich in klinischen blau-grauen Tönen eingefangene Appartement der Mantles bietet als hermetisch abgeriegeltes Territorium jedoch geradeso genug Bewegungsraum für seine zwei symbiotischen Fische. Bis die Schauspielerin Claire Niveau in das Leben der Zwillinge tritt.
Zunächst ist sie nur ein weiteres kurzzeitiges Objekt der Begierde, wie immer ist es der extrovertierte Elliott, der sie umgarnt und beschmeichelt, ehe seine zurückgezogene zweite Hälfte zum Zuge kommen darf. Doch Beverly empfindet schnell mehr für die frustrierte Schauspielerin, die aufgrund ihrer drei Uterus-Ausgänge die Praxis der Zwillinge aufsucht. Sie setzt eine Entwicklung in Gang, die sich ohnehin längst abzuzeichnen schien: Beverly beginnt sich allmählich von seinem Bruder zu emanzipieren, verfällt jedoch gleichzeitig immer weiter seinem exzessiven Drogenmissbrauch. Eine Traumsequenz versinnbildlicht den sprichwörtlichen Keil, den Claire zwischen die Zwillingsbrüder zu treiben scheint: Während des Geschlechtsverkehrs zwischen ihr und Beverly bemerkt dieser, wie er von seinem siamesischen Zwilling Elliott beobachtet wird, ehe Claire genüsslich das verbindende Fleisch durchbeißt. Jeremy Irons verkörpert diese zwei Brüder mit beängstigender Präzision in der Rolle seines Lebens. Wie er zwei so komplexe, mental unterschiedliche Figuren mit nur wenigen Details differenziert – äußerlich unterscheiden sich lediglich Haarlage und Make Up – ist nicht weniger als ein schauspielerischer Triumph.
Cronenberg verzichtet im Gegensatz zur Vorlage "Twins" bewusst auf eine Sexszene zwischen Beverly und Elliott. Die Brüder führen zwar physisch wie psychisch ein symbiotisches Verhältnis, das ihnen eine individuelle Entwicklung versagt, allerdings ist die Unzertrennlichkeit zwischen beiden nicht sexueller Natur. Nicht umsonst erschaffen sie sich hinsichtlich der eingangs angeführten Allegorie einen asexuellen Lebensraum, der ihre Existenz als bloße Menschen – die sich ihres Seins mit ‚einfachem’ Sex vergewissern – kaschieren soll: In ihrem Selbstverständnis sind die Mantle-Zwillinge mehr als das. Nicht ihre eigenwillig archaischen Operations- werkzeuge, sondern die Körper ihrer Patientinnen sind "falsch". Sie selbst beziehen eine innige Verbindung, die niemand nachvollziehen darf: Das fing schon im Mutterleib an, als sie eng umschlungen gemeinsam wuchsen.
Des Regisseurs Fatalismus von der Unausweichlichkeit des Todes, der er zumeist mit mutierten Körpergeschwüren Ausdruck gibt, wird in "Dead Ringers" nicht etwa vom Body- zum inneren Horror transferiert, sondern trotz des Verzichts auf graphische Deformationen fortgesetzt. Tatsächlich bilden die Mantle-Brüder als mutiertes Genprodukt das bis dato komplexeste Geschwür, sie erscheinen als dessen äußerlich perfekte fleischliche Materialisierung. Der Wille des Geistes über den Körper ist längst nicht gebändigt, sondern fast eliminiert: Jetzt, da sich Biologie als Schicksal behauptet und den Geist als endgültig untrennbar vom Fleisch versteht, müssen "The Brood" und "Scanners" gestrig erscheinen. In "Dead Ringers" finden Gedankenspiele von Seele und Geist über Körper und Fleisch nicht mehr statt: Die Biologie steuert den Menschen. Und befällt ihn mit Krankheiten oder führt zu seinem unaufhaltsamen Ende.
Es ist der radikalste Film des Kanadiers, noch ausgefeilter und durchdachter als seine vorigen Arbeiten. Der intellektuellen Provokation mit ihren bitteren Erkenntnissen scheint ein leiser Bedacht gefolgt zu sein, um nicht mehr nur länger den Irrglauben geistlicher Unendlichkeit mit Bildern mutierter Leiber zu kontrastieren, sondern das absolute Grundprinzip des Seins in Frage zu stellen. "Dead Ringers" schildert in Ellipsen den Werdegang seiner Titelhelden, angefangen bei den artifiziellen Uterus-Bildern des Vorspanns, über kurze Ausschnitte aus ihrer Kindheit bis hin zum beruflichen Karriereaufstieg. Betonte Cronenberg die Genremuster in "The Fly" eben noch so nachhaltig, dass sie dessen zermürbend-tragischen Inhalt publikumskompatibel vereinbarten, werden die erschütternden Fragen in "Dead Ringers" lediglich von kühler Stringenz umschlossen. Der Film also bebildert erst Aufstieg und Höhepunkt, Entwicklung und Fortschritt zweier Menschen, nur um sie dann einem unmittelbaren rückschrittlichen Verfall zu überlassen. Nicht jedoch eine Summe aus Außenfaktoren oder Defiziten in Sozialisation und Status führen zum absehbaren Ende (wie auch in "The Fly" nicht die technische Wissenschaft, sondern ein Fehler des Erfinders das Unglück kausalisiert), vielmehr scheint der Mensch selbst zum Scheitern verurteilt.
Hoffnungsschimmer haben in dieser pessimistischen Vision keinen Platz. Der Arzt als Beschützer des Menschen verliert bei Cronenberg jede positive Bedeutung, er ist keine rettende Instanz mehr, sondern ein drogenabhängiges Wrack, das seine Macht nicht mehr länger in den Dienst des Menschen stellen kann: Nachdem ihm der Kittel einer päpstlichen Zeremonie gleich übergestreift wird, verliert Beverly im OP-Saal jegliche Beherrschung – Ärzte, die Götter in Rot, sind zu einer Bedrohung für den Menschen geworden. Wenn die Zwillingsbrüder in ihrem nunmehr von Müll überfüllten Appartement zuletzt hilflos auf dem Boden kriechen und sich ein Stück Torte teilen, erhält dieser Rückschritt einen mitunter schwarzhumorig und zynisch lesbaren, aber ebenso auch tragischen Ausdruck:Rot "Eiscreme haben wir nicht da, Elli. Mami hat die beim Einkauf vergessen.", heißt es dann. Nun sind die Männer endlich wieder Kleinkinder. Die Evolution hat ihren Zweck nicht erfüllt – das ist die unausweichliche Rache der Biologie.
erschienen in der: filmzentrale
August 02, 2007
Retro: THE FLY (1986)

Rückwirkend kann man darüber lächeln: Ein übergroßer Fliegenkopf, undefinierbare Lichter und Blitze, die wissenschaftlichen Prozess abbilden sollen, und eine üble Monsterklaue, mit der für die sorgenvolle Ehefrau Briefe getippt werden. Das alles im dunklen Keller eines ansonsten farbenfrohen Vorstadthauses, wo biederer Familienkitsch selbst den grausigsten Auswuchs eines fehlgeschlagenen Experiments überschattet. Schwer vorstellbar, dass "The Fly" nicht schon bei seiner Veröffentlichung 1958 eher komisch denn schockierend beäugt wurde. Cronenberg ist demnach auch nicht daran interessiert, lediglich die Köpfe von Wissenschaftler und Fliege zu vertauschen, sondern unterzieht seinen Protagonisten einer langwierigen Metamorphose, bei der Brundle als typisierter Cronenberg- Intellektueller stets fähig ist, seine emotionalen Konflikte zu artikulieren. Wie alle Figuren des kanadischen Regisseurs ist auch der von Jeff Goldblum gespielte Brundle ein eloquenter Erwachsener, dessen Schicksal durch das eindeutige Bewusstsein über den allmählichen Verfall nicht einfacher, für den Zuschauer aber gleichwohl verständlicher scheint. Anders als die erste Verfilmung des Stoffes konzentriert sich Cronenberg weniger auf die Frau des Wissenschaftlers bzw. deren merkwürdig umschiffte Eheprobleme, sondern erzählt vielmehr eine sich entwickelnde Liebesgeschichte, bei der er die gegenseitigen Abhängigkeiten in Beziehungen effektiv in den dramatischen Handlungsprozess einbettet.
Wo Neumanns alberner Spuk letztlich insbesondere aufgrund seiner Unterhaltungsfreude reiner Eskapismus bedeuten muss, nutzt Cronenberg die Genremechanismen grundsätzlich dafür, ein durch und durch existentialistisches Drama zu inszenieren. Da seine Thesen außerhalb des Horrorfilms womöglich geradezu erschütternd wirkten (wie unausstehlich zersetzend müsste der anti-evolutionäre "Dead Ringers" erscheinen, wenn er seinen phantastischen Boden verließe), formuliert sie der Regisseur in scheinbar abgeschwächten Sphären, wo sexhungrige Humanparasiten, mutierte Fliege-Mensch- Hybriden oder virtuelle Ego-Shooter vom Mantel des Absurdem umhüllt werden, nur um deren philosophisch- nüchterne Betrachtungsgrundlage bei Bedarf übersehen zu dürfen. Wenn "The Fly" also ein Film über das Altwerden und die Sterblichkeit, die Fliegen-Transformation nur eine Genre-Metapher für den Be- und Verfall des Menschen durch natürliche Zersetzungsprozesse und Krankheiten wie Krebs oder – des Entstehungskontextes wegen nicht auszuschließen – AIDS, und dem Umgang mit Tod als unumgehbarem Schicksal auch innerhalb sozialer (Liebes-)Beziehungen bedeutet, wie beurteilt Cronenberg dann seine neu chiffrierten und zum Teil auch hinlänglich bekannten Erkenntnisse?
Insgesamt eher unentschlossen oder zumindest uneindeutig, für den Zuschauer jedoch auch bewusst urteilsfrei. Da "The Fly" durch sein Spiel mit Urängsten gleichermaßen verstörend wie mitunter auch abstoßend wirken kann, im gleichen Moment aber von seiner Anziehungskraft und Faszination lebt, lässt Cronenberg dem Publikum ausreichend Interpretations- freiraum. Und das ist wichtig. Immerhin bewegt sich der Film ins menschliche Unterbewusstsein auf einer ungleich weniger abstrakten Ebene vor, als es noch 1983 bei "Videodrome" der Fall war, wo das ‚neue’ eigentlich doch nur wie das ‚alte’, von Krebsgeschwüren zersetzte Fleisch als Folge einer totalen massenmedialen Entfremdung erschien. In "The Fly" verschmelzen Mensch und Technik tatsächlich weniger sinnbildlich zu einer ‚Poesie des Fleisches’ (wie Stefan Höltgen hinsichtlich seines filmischen Simulationsraumes 2004 schrieb), vielmehr beherrscht eine Symbiose aus sozialen Verhaltensformen und technisiertem Umfeld das Geschehen: Längst dominiert die Alltagselektronik jedweden Vorgang, seien es der übergroße Computer mit Sprachsteuerung, die robusten Teleboxen, leicht bedienbaren Videokameras oder eben versteckten Diktiergeräte, die alle längst nicht mehr nur dokumentieren, sondern als unersetzliche Funktionsvariablen des Menschen begriffen werden müssen. Cronenbergs Schlussfolgerung ist hier auch anders als noch im Original: Nicht die Maschine, das technische Konstrukt ist fehlerhaft, sondern das Verhalten ihres Erzeugers Brundle, der darauf achten hätte müssen, dass mit ihm kein weiteres Lebewesen in die Box steigt.
"It’s your turn" –
"To do what?" –
"To go through!" –
"No, I don’t want to try that." –
"It’ll make you feel sexy!"
Cronenberg lässt offen, inwiefern Brundles Transformation und der damit einhergehende Verfallsprozess als Negativschicksal erscheinen müssen: Zwar untersteht der Wissenschaftler einer mitunter unangenehmen Zersetzung, er findet sich damit jedoch nicht nur schnell zurecht, sondern nutzt auch die Vorzüge des Prozesses, sei es ein gesteigerter Lustgewinn oder die Fähigkeit zu übermenschlichen Kräften. Überhaupt inszeniert der Film die zunehmende Verdorbenheit des Fleischlichen als sexuell befriedigenden Akt, wenn Brundle in seinem Atelier athletische Turnübungen vorführt und seine Freundin Veronica zwanghaft dazu bekehren will, auch in die Teleboxen zu steigen, um "in das Plasma einzutauchen". Brundle verwandelt sich nicht nur in eine Fliege, sondern entdeckt und gewinnt Fähigkeiten, die seinem Charakter zuvor widersprachen. Aus dem sozial isoliert in einer Lagerhalle lebenden Streber, dessen ganze Garderobe aus fünf exakt gleichen Anzügen besteht, wird ein agiles Energiemonster, dessen – ironischerweise – grenzenlose Vitalität durch die Metamorphose erst aktiviert scheint. Gleichzeitig akzeptiert Brundle sein Schicksal mit vollem Bewusstsein, selbst als er geschwächt auf einem Krückstock vor Veronica tritt (bei diesem Bild wird die metaphorische Komponente vom Siechtum des Menschen besonders deutlich).
Diesbezüglich betritt "The Fly" mit seiner Handlung eines sich verändernden, selbst zerstörerischen Menschen noch eine andere Ebene: Betrachtet man die Verwandlung Brundles als Krankheit, die sowohl positive, als auch negative Eigenschaften zum Vorschein bringt, so erinnert dieser Prozess auch an eine Form von Alkohol- oder Drogensucht. Die Figur selbst ist ohnehin besessen von ihrer wissenschaftlichen Errungenschaft, verfällt durch die Transformation jedoch zusätzlich einer manischen Abhängigkeit von Technik (die aus dem Film entfernte "MonkeyCat"-Sequenz demonstriert auch den mitunter sinnlosen Einsatz der Teleboxen). Vor allem aber die Tatsache, dass sie nicht aus wissenschaftlicher Neugierde, sondern persönlicher Frustration heraus selbst das Experiment wagt – wohl gemerkt unter Alkoholeinfluss – unterstreicht den Aspekt einer willenlosen Abhängigkeit. Brundle verteidigt seine „Sucht“ zudem mit aller Kraft, insbesondere in den Auseinandersetzungen mit Veronica, die seinem Verfall machtlos beiwohnen muss, ehe sie ihm schließlich in einem ergreifend inszenierten Euthanasie-Akt zur Erlösung verhilft. Die zahlreichen literarischen Einflüsse von "Frankenstein" über "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" bis hin zu "The Beauty and the Beast" vermischen sich im operettenhaften Finale endgültig, wenn das tragische Monster seinem unausweichlichen Ende entgegensieht. Howard Shores meisterlicher Score gliedert die dramaturgische Struktur des Films in eine dreiaktige Horror-Oper, die zu den nachhaltig verstörenden und intensivsten Werken Cronenbergs zählt.
85%