"M. Butterfly" ist ein Meisterwerk. Nicht etwa deshalb, weil er eine tragische und emotionalisierte, obwohl urkomisch anmutende Geschichte erzählt, der Augenscheinlichkeit zum Trotz auf verführerische Umgarnungen setzt oder versucht, den Zuschauer Teil dieser Fantasie und Realitätsflucht werden zu lassen. Cronenberg gelingt es spätestens mit diesem Film, sein profanes Image als Body Horror-Filmer um zerplatzende Schädel und mutierte Fliegen abzulegen, ohne auch nur im Geringsten auf die Schlagkraft seiner menschlichen Betrachtungen und Fragen verzichten zu müssen. Vielmehr aber verwirrt der Film in seiner Schönheit aus Originalschauplätzen und melodramatischen Landschafts- bildern den Dunstkreis jener, die Cronenbergs Fleisch- beschauungen als veräußerlichte Biometaphern begriffen. Mehr noch als "Dead Ringers" und dem sehr ähnlichen "Naked Lunch" verdeutlicht "M. Butterfly" hingegen die Radikalität der inneren Körperwelten.
Gallimard ist wie so oft in Cronenbergs Geschichten eine zentrale Figur, die über ausreichend Bildung verfügt, eine strenge Präsenz hat und eher pragmatisch und abgeklärt, denn idealistisch und realitätsfremd wirkt. Diese Fehleinschätzung wurde innerhalb der Filme des Kanadiers nur selten so ironisch vorgeführt, immerhin dreht sich "M. Butterfly" um Illusion und Konstruktion – Jeremy Irons macht schließlich nur aus dem Grund einen bodenständigen Eindruck, weil der Zuschauer ihn so wahrnehmen möchte. In Wahrheit aber ist er nicht anders als ein Max Renn aus "Videodrome" oder Seth Brundle aus "The Fly": Jemand, der noch so fest verankert im Leben scheinen kann, aber tatsächlich keinen blassen Schimmer von dem hat, was die Welt eigentlich für ihn bereithält. Jemand, der nicht weiß, dass seine Geliebte ein Mann ist, weil er es auch nicht wissen will. "I’d never ask him.", gibt Liling vor Gericht zu Protokoll, wohl wissend, dass diese Frage auch kein Gehör gefunden hätte.
Genau genommen ist Gallimard sogar ein regelrechter Eskapist, ein Ich-Bezogener, unsympathischer Büromensch, der von Kultur ("I’m embarrassed to say I’ve never seen the Butterfly") ebenso wenig Ahnung hat wie von Politik ("We French lost our war in Indochina because we failed to learn about the people we sought to lead."). Cronenberg skizziert diese Figur mit vielen Feinheiten und äußerster Subtilität, indem er kurze Einblicke in Gallimards Privat- und Arbeitsleben gibt. Beide Bereiche sind entweder von einer banalen Tristesse durchzogen oder einfach nur schrecklich normal – wie die Ehefrau (Barbara Sukowa!), die abends im Bett noch eine Zeitung liest, bevor sie und ihr Mann ein oberflächliches Tagesresümee ziehen, oder die merkwürdigen Arbeitskollegen, die der Zuschauer mehr und mehr durch Gallimards verschrobene, immer realitätsfremdere Sicht anblickt, während seine Frau nach einigen Auftritten schließlich ganz aus der Handlung verschwindet. Cronenberg verschreibt sich so sehr seiner Sache, der obsessiven Beziehung zweier Menschen, dass er an allem anderen gar nicht interessiert scheint. Nicht nur die politischen Hintergründe der Geschichte, die Kulturrevolution, Studentendemos und Kommunistenhatz bleiben demnach reines Beiwerk.
Indem der Regisseur seine Hauptfigur mit strengen, teilweise schon krankhaften Eigenschaften ausstattet – immer wieder klettet sich Gallimard an ‚seine’ Butterfly, umschlingt sie fest und geht dabei nie tatsächlich auf sie ein –, setzt er sich auch mit dem Wesen des Narzissmus auseinander. Wie auch in der griechischen Mythologie Narziss vielmehr als jemand begriffen wird, der sein im Wasser gespiegeltes Selbst deshalb liebte, da er zu einem einsamen Leben verdammt war, erscheint Gallimard seiner Eitelkeit zum Trotz wie eine tragische, gescheiterte Existenz auf der Suche nach Zuneigung. Hier kann "M. Butterfly" mehr als jede andere Arbeit von Cronenberg als exzentrischer Liebesfilm gelesen werden, der sich mit Fragen um zwischenmenschliche Abhängigkeit, Verschmelzungsfantasien und schließlich dem Wesen der Liebe selbst auseinandersetzt.
So diese denn sprichwörtlich blind macht, nähert sich Cronenberg ihr mit einem zutiefst menschlichen und gleichzeitig bitteren Ansatz. So sehr der Transvestit Liling wahre Gefühle für Gallimard empfindet, ist dieser nur wie versessen darauf, sein Gegenüber nach eigenen Vorstellungen zu entwerfen. Er sieht in Liling die chinesische Exotin, das mysteriöse, unscheinbare, verheißungsvolle – all das, was sich nicht in Einklang bringen lässt mit seinen westlichen Konventionen, mit seiner Arbeit, der bourgeoisen Ehe, seinen Vorstellungen vom Bekannten, Herkömmlichen. Er lebt eine Lüge, weil er sie leben will, und er konstruiert eine alternative Realität, weil er seine Wirklichkeit nicht wahrhaben kann.
Damit offenbart Cronenberg die Liebe als nüchterne Projektion, als kreative Spielerei, die sich allem Wahrhaftigen entzieht. Eine Frage, die – führt man diesen Ansatz weiter – ihn zu der Erkenntnis bringt, dass Liebe bis zu einem gewissen Punkt immer nur Spiegelung bedeutet – Spiegelung eigener Wunschvorstellungen von einem anderen Menschen. Bei Gallimard scheint dieser Punkt schließlich überschritten, als er fast regungslos zur Kenntnis nimmt, dass Liling ein Mann ist. Die Liebe oder eher Abhängigkeit hat ein Ende in genau jenem Moment, in dem sie ein wirkliches Gesicht erhält. Gallimards Zusammenbruch im Polizeiwagen ist deshalb auch nicht der wahren Identität Lilings geschuldet, sondern der Erkenntnis, dass sein Traum, seine Konstruktion unmöglich geworden ist. Wenn zuletzt nur das Harakiri die Lösung scheint, legt das die menschlichste Eigenschaft dieses Mannes frei: Er hat ganz einfach sein Leben als Oper inszeniert. "My name is René Gallimard." – "Also known as Madame Butterfly."