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Januar 17, 2011
Zuletzt gesehen: BLACK SWAN
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April 22, 2009
Kino: L'INSTINCT DE MORT

Mesrine, der vom Algerienlegionär zum kleinkriminellen Aushilfsgangster und später meistgesuchten Verbrecher Frankreichs avanciert, als Bankräuber und Ausbrecherkönig verehrt, gefeiert und Dank seiner steten Selbstinszenierung zum Medienstar stilisiert wird, ist in diesem ersten Teil zunächst noch eine sehr passive Figur. Richet platziert den gewalttätigen, unberechenbaren und von Vincent Cassel beängstigend unnahbar verkörperten Schwerverbrecher, der sich in seiner 1977 verfassten Autobiographie (Deutsch: "Der Todestrieb") zu 39 Straftaten bekannte, in eine konven- tionelle Ereignischronik: Mesrine ist kein psychologisch tiefsinniger Charakter mit deutlichen Eigenschaften, sondern das Produkt einer sehr mechanischen, Station für Station abgrasenden Erzählung.
Zumindest der erste von zwei Mesrine-Filmen möchte offenbar genau das, die Figur als Gegenstand klassischen Erzählkinos begreifen. Dass genau das Ende des ersten Abschnitts erstmals wirkliches Interesse für den fragwürdigen Helden und das Gefühl einer verselbstständigten Figur, die die Handlung bestimmt und nicht durch sie bestimmt wird, aufkeimen lässt, darf dabei wohl nicht zuletzt als Teaser-Konzept für den mit erwartungsgemäßen Höhepunkten angereicherten zweiten Film verstanden werden. Bleibt abzuwarten, ob Richet auch weiterhin darauf verzichtet, Mesrine im Film als jenen edelmütigen Quasi-Robin-Hood zu bebildern, als den das kollektive Bewusstsein der französischen Geschichte ihn in der romantischen Rückschau wohl abgespeichert haben dürfte.
Denn immerhin ist Mesrine so etwas wie die reale Verkörperung archetypsicher französischer Kinohelden, den Räubern und Berufskillern aus Filmen von Jean-Pierre Melville oder Alain Corneau. Und Richet scheint darum bemüht, durch "L'instinct de Mort" zumindest einen Hauch klassischer Gangsterfilme wehen lassen – ohne allerdings in dieser ersten Hälfte des insgesamt über vierstündigen Großprojekts klare Trennlinien zwischen wirklichem und fiktiven Verbrecher, also zwischen den zweifelhaften Helden des Lebens und denen des Kinos ziehen zu wollen. Es ist, zunächst einmal, ein höchst spannender Appetitanreger mit einer ambivalenten Figur im Mittelpunkt. Für "Public Enemy No. 1 – Todestrieb" (Mesrine: L'Ennemi public n°1), der hierzulande einen Monat später startet, wird sich Richet aber für eine Richtung entscheiden – und Cassel einiges an Sensibilität bei der Darstellung abverlangen müssen.
Oktober 23, 2007
Kino: EASTERN PROMISES
"Eastern Promises" fehlt außerdem der Fokus. Wessen Geschichte erzählt er eigentlich? Die eines Mafia-Chauffeurs (Mortensen), der insgeheim vielseitige Interessen zu verfolgen scheint, oder die einer Hebamme (Naomi Watts), die mit Mutter und russischem Onkel zusammenlebt, und eines Nachts jenes schwangere Mädchen behandeln muss, das die Handlung in Gang setzt. Das neu geborene Kind zieht sich nun wie ein roter Faden durch den gesamten Film, immer mit der Symbolik einer Hoffnung, einer Unschuld beladen. Die Mafia verlangt das Tagebuch der bei der Geburt verstorbenen Mutter, da es interne Informationen enthält und belegt, wie das immigrierte Mädchen (‚östliche Versprechen’) missbraucht wurde, und droht schließlich damit, das Baby zu ermorden. Da Watts’ Figur zuvor einmal eine Fehlgeburt erlitt, hütet sie das Kind gleich mit doppeltem Eifer – und freilich ist ihre Motivation deshalb ein wenig platt und simpel. Ganz ebenso wie übrigens auch die als Voice Over vorgetragenen Ausschnitte des Tagebuchs wenig von Cronenbergs sonst so bemerkenswerter Subtilität aufweisen.
Interessant wirkt der Film unter dem Gesichtspunkt einer Umkehrung seines Vorgängers. War es in "A History of Violence" Ed Harris, der einen mafiösen Gangster mimte und den scheinbar unschuldigen Viggo Mortensen als Bedrohung von außen heimsuchte, so verkörpert dieser nun wiederum den mysteriösen, gefährlich wirkenden Exoten, der der betulichen Naomi Watts nachschleicht. Ihre Figur weist einige Parallelen zu der von Mortensen gespielten Tom Stall-Rolle auf: Bei beiden lässt sich die Vergangenheit nicht ausschalten, die Identität nicht leugnen, das Unterdrückte nicht länger bändigen. Die Bedrohung, die von der ‘Vory V Zakone’ ausgeht, erinnert Watts Charakter an ihre eigenen russischen Ursprünge, mit denen sie sich über kurz oder lang auseinandersetzen muss. Um was genau es sich dabei handelt (im Fall von Tom Stall war es bekanntlich die zurückliegende Karriere als Gangster), wird jedoch nie klar, wie überhaupt der Film zugunsten seiner straffen Genreerzählung alles nur anreißt. Es wirkt fast so, als vermeide Cronenberg krampfhaft jeden Tiefgang, was "Eastern Promises" nicht weniger unterhaltsam, aber deutlich flacher erscheinen lässt.
Dies wird besonders in einer ganz bestimmten Szene deutlich. Mortensens Figur sitzt in einer Sauna und wird überraschend von zwei Mitgliedern eines gegnerischen Clans angegriffen. Sein von Tätowierungen übersäter Körper landet auf den kahlen Fliesen des Bodens und wird an die Wand gedrückt. Das pure Fleisch kämpft ums Überleben, die Schweißperlen rinnen daran herunter, und es fließt viel Blut. Es ist eine beängstigend physische Szene, die in ihrer Unmittelbarkeit und Drastik die Wirkung nicht verfehlt. Sie gehört ganz sicher zu den Höhepunkten aller Cronenberg-Filme, doch im Kontext von "Eastern Promises" bleibt sie isoliert und folgenlos. Obwohl dies äußerlich einen klassischen Cronenberg-Moment darstellt, bleibt es nur ein kurzes Aufblitzen ohne Bedeutung, ebenso wie andere ähnliche Bilder im Verlauf des Films (das nahe an das Motorrad heranfahrende Auto, der Blick in die Borschtsch-Suppe oder das Durchtrennen der Nabelschnur). Auch das Motiv des Tätowierens wird nicht weiter aufgegriffen, es ist nicht mehr als ein vorantreibendes, aber banales Element der Handlung.
Wenn der Film dann, wie in der Badehaus-Szene, zeitweise in regelrechte Höhen schießt, möchte man Cronenberg dankbar sein. Doch "Eastern Promises" kehrt immer wieder zurück zu seiner Simplizität und lässt manch inszenatorisches Kabinettstückchen für sich allein stehen. Das alles wäre verhältnismäßig ungewichtig, würde er den bisherigen Arbeiten des Regisseurs zuletzt nicht so vehement in den Rücken fallen. Analysierte Cronenberg in "A History of Violence" noch eindrucksvoll das Konstrukt der Familie, das nur durch Verschwiegenheit und Lüge bestehen kann, und stellte letztendlich sogar die Frage, inwieweit Familie gleichbedeutend mit Gewalt sei, so scheint ihm mit "Eastern Promises" eher der Sinn nach Konsens zu stehen. Das inhaltlich wenig glaubwürdige Ende erhält indes eine besonders bittere Note, wenn die Theorie vom Hoffnung und Neubeginn suggerierenden Kind in die Praxis überführt wird. Familie als Happy End-tauglicher Rettungsanker – von Cronenberg hätte man dann doch ein wenig mehr erwarten dürfen.
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