Januar 30, 2007
News: Upcoming Reviews
Januar 28, 2007
Retro: WILL SUCCESS SPOIL ROCK HUNTER?
Eine gar rhetorische Frage, die Frank Tashlin („The Girl Can't Help It“) dem Zuschauer mit dem Originaltitel „Will Success Spoil Rock Hunter?“ stellt. Natürlich werden im Verlauf dieser vergnüglichen Komödie die Rollen der Despoten und Untertanen neu besetzt, ohne dass der sympathisch exaltierte Titelheld etwas von seiner Bodenständigkeit verlieren müsste. Dabei gerät der als naiver Trottel eingeführte Pechvogel Hunter in eine turbulente Situation nach der anderen: Zunächst fällt er noch ganz zufällig in die Arme des Filmstars Rita Marlowe, dem großen Idol seiner Nichte, beschwört dadurch allerdings ein fulminantes Medieninteresse herauf und befördert sich schließlich fast selbst zum neuen Chef des Unternehmens. Auf dem morgendlichen Flur grüßt dieser seine Angestellten selbstverständlich nicht!
Mit etwas angestaubtem Witz und manch zäher Durststrecke berichtet Tashlin insgesamt dennoch überaus gelungen von den unmöglichen Möglichkeiten eines verlorenen Individuums in den reißerischen Tiefen der Medienwelt. Den wenigsten gelingt es, sich der Strömung zu widersetzen und ihren Rhythmus zu synkopieren – sie nehmen Platz auf dem Steg des Erfolges und beobachten genüsslich, wie ihre Mitstreiter im ewigen Abgrund verschwinden. Da gönnt man dem unbeholfenen Hunter doch jedwede sichere Positionierung, immerhin gelingt ihm diese im Rahmen von Tashlins parodistischer Aufsteigergeschichte nicht getreu dem üblichen Werdegang des Genres: Weder Glück noch eine Aneinanderreihung unglücklicher Missverständnisse (man denke an Preston Sturges’ „Chistmas in July“) begünstigen den Aufstieg des Verlierertypen.
Nein, es ist die Welt der Werbung selbst, eine Branche mit ihren eigenen hanebüchenen Gesetzen, die den Erfolg Hunters initiiert. Ihre undichten Stellen, ihre Konstruktionsfehler lassen das Unverhoffte wahrhaftig werden – mit Hollywoodstar Marlowe (ob die Ähnlichkeiten in Jayne Mansfields Spiel mit Marilyn Monroe Zufall sind? Oder beschwört ihr Name etwa ganz bewusst Verweise zu Rita Hayworth und Jean Harlow herauf?) im Petto für eine lüsterne Werbekampagne tanzt der Junggeselle fröhlich seinem Erfolg entgegen. Mit den Spitzen auf die alles andere als integere Medienlandschaft rund um Fernsehen und Werbung geht der visuelle Appell an das Erlebnis Kino einher. Nach rund zwei Dritteln des Films unterbricht Tashlin und leitet einen kurzen Dialog zwischen Hunter und dem Zuschauer ein, der in Bezug auf die allmähliche Übermacht und Bedrohung des heimischen Fernsehers für die große Leinwand augenzwinkernd dessen Vorteile erläutert:
„Of course, the great thing about television is that it lets you see events live as they happen, like old movies from thirty years ago.“ – Bezeichnend, dass sich die Broadwayproduktion, auf der „Will Success Spoil Rock Hunter?“ basiert, auf der Bühne noch satirisch der Filmbranche verschrieb. Aber trotz Starkult und Showbiz-Attitüden ist die Werbung als symbiotisches Element des Fernsehens dann doch das ungleich reizvollere Opfer. Schließlich sind derart träumerische Geschichten nirgends sonst als im Kino möglich, wo noch der Regisseur die Fäden zur ironischen Distanz in den Händen halten darf.
65%
Januar 26, 2007
TV: Fernsehtipps 27.01. - 02.02.07
23:10 Uhr – „Sag niemals nie“ (ARD)
Kein offizieller Bond, aber dafür um einiges charismatischer als manch regulärer Film der Serie.
23:15 Uhr – „Monster’s Ball“ (HR)
Oberflächliches, komplett verkitschtes Rassismus-Drama, das ebenso unglaubwürdig wie ärgerlich naiv geriet. „Finding Neverland“ war offenbar Marc Forsters einziger Höhenflug.
Mäßig unterhaltsam und der Humor kocht auf Sparflamme – wäre da nicht der ziemlich heftige Schlussgag.
0:45 Uhr – „Eins, zwei, drei“ (WDR)
Nahezu unerreichte Komödie von Billy Wilder, brillant inszeniert und unübertroffen pointiert.
4:25 Uhr – „Tucker“ (Pro7)
Mitreißend gespieltes Bio-Pic, ein Geheimtipp.
Sonntag, 28.01.
17:40 Uhr – „American Graffiti“ (Das Vierte)
George Lucas’ lebendige Jugendstudie der 50er-Jahre.
20:15 Uhr – „Die Mumie kehrt zurück“ (RTL)
Ziemlich anstrengendes und recht schlecht getrickstes Sequel, bei dem weniger mehr gewesen wäre. Nur die Musik von Jerry Goldsmith lohnt.
22:00 Uhr – „Con Air“ (Pro7)
Spaßige Actionnummer, deren parodistische Elemente jedoch wohl eher unfreiwilliger Natur sind.
22:20 Uhr – „Poltergeist 2“ (RTL2)
Lässt die Klasse des Vorgängers vermissen und kopiert diesen insgesamt nur recht müde.
Montag, 29.01.
22:50 Uhr – „Harley Davidson and the Marlboro Man“ (Das Vierte)
Ohne Zweifel ein wüstes Trashwerk, das mich als Kind aber besonders im Finale schwer beeindruckt hat. Mit Nostalgiebonus.
0:00 Uhr – „Lady Snowblood“ (VOX)
Elegische und sensibel gefilmte Racheodyssee mit großartiger Musik. Offizielle Inspirationsquelle für Tarantinos „Kill Bill“.
Dienstag, 30.01.
20:15 Uhr – „Dangerous Minds“ (K1)
Klischeebeladenes Gutmenschendrama, das niemanden jenseits des Grundschulalters begeistern dürfte.
Mittwoch, 31.01.
20:15 Uhr – „Caprice“ (Das Vierte)
Amüsante und gewohnt heiter inszenierte Frank Tashlin-Komödie.
22:25 Uhr – „The Fog – Nebel des Grauens“ (K1)
Unnachahmlich photographierter, höchst atmosphärischer Gruselklassiker, der durch Carpenters Gespür für subtilen Horror zeitlos erscheint.
23:15 Uhr – „Obsession“ (Das Vierte)
Erachte ich noch immer als einen der fürchterlichsten Versuche, Hitchcock Tribut zollen zu wollen. Hat nichts von der Raffinesse des Altmeisters, sondern wirkt nur plump und unbeholfen. Lieber zum 100. Mal „Vertigo“ schauen. (Hab Nachsehen mit mir, Jochen!)
Donnerstag, 01.02.
20:40 Uhr – „Was nützt die Liebe in Gedanken?“ (Arte)
Bemühtes, schwerfälliges Drama, das sich sehr ernst nimmt und dabei an seinem bedeutungschwangeren Kitsch erstickt.
23:10 Uhr – „A Nightmare on Elm Street 4“ (Das Vierte)
Renny Harlins Interpretation des Stoffes folgt strammen Genrelinien und wird zu sehr von seinen Effekten bestimmt. Mit Alice erhält jedoch die vielschichtigste Figur seit Nancy aus Cravens Original Einzug in die Serie. Läuft gekürzt.
Freitag, 02.02.
20:15 Uhr – „Tiger & Dragon“ (Pro7)
Hochkomplexes Meisterwerk von Ang Lee, das in analytischer Genauigkeit konfuzianische Traditionen untersucht.
22:15 Uhr – „Das Relikt“ (Tele5)
Konventioneller Monsterhorror in stimmigem Ambiente, aber spannungsarm inszeniert.
News: DEADLINE #01
- Breitwand - Jetzt im Kino
- Frischfleisch – Neuigkeiten und Gerüchte
- Festival Report – Cinénygma
- Animeskop
- Horror, privat – mit Bela B. Felsenheimer
- Worldwild – internationale Filme
- Preview – Dard Divorce
- Hirntot – die freundliche Rätselecke
- Underdogs – Independentfilme und andere Auswüchse
- Nachschlag – Literatur vom Fach
- Heimservice – Neu auf DVD
- Auf der Bühne – Post-Mortale Lebensformen
- Zeichentrix – Comics am Rand
- Im Gespräch mit Jess Franco
- American Film Market
Januar 25, 2007
Kino: DREAMGIRLS
Dass diese in grundlegenden Zügen auf der Erfolgsstory der Motown-Band The Supremes um Frontdame Diana Ross basiert und in der Filmversion mit Kassenmagneten wie Destiny’s Child-Star Beyoncé Knowles ("Austin Powers in Goldmember"), Jamie Foxx ("Miami Vice") und Eddie Murphy (erste Assoziation noch immer mit dem "Beverly Hills Cop") besetzt wurde, ist weniger ein sonderbar mutiges Unterfangen, als die sichere Hit-Formel mit Gelinggarantie. "Chigaco", ebenfalls aus der Feder Henry Kriegers, hat es vorgemacht, auf dem Weg vom erfolgreichen Broadway-Stück zur Kinosensation regnete es zahlreiche Academy Awards, darunter für den "Besten Film". Doch dass man sich dabei auch hervorragend verkalkulieren und die Nerven des Zuschauers mächtig überstrapazieren kann, bewiesen die "from stage to screen"-Debakel "The Phantom of the Opera" von Joel Schumacher oder Susan Stromans "The Producers".
Da mögen die Zweifel beständig sein – würde man "Dreamgirls" nicht als Sensation feiern müssen. Condon erzählt nicht nur die Geschichte einer Musikband mit ihren Höhen und Tiefen, die etwaige banale Aufsteigerparabel mit all ihren Konventionen und berechenbaren Eckpunkten in der Narration, sondern vermittelt auf unnachahmliche Weise den Zeitgeist der 60er und 70er-Jahre mit seinen kulturellen und politischen Akzenten: Über die Musik. Mit feiner Genauigkeit gelingt ihm das eindrucksvolle Portrait afroamerikanischer Musiker auf dem langen Weg in die hart umkämpften und vor allem von weißhäutigen Interpreten definierten Charts. Das umfangreiche Figurenspektrum mit seinen korrupten Managern, Plattenbossen und Geldmachern untersteht stets der sicheren Hand Condons, nie verliert er den roten Faden, der die Schicksale zusammenhält, nie bewegt er sich an der Oberfläche, weil der stille Zauber des Films allgegenwärtig ist: Musik als Lebensgefühl und Status Quo zugleich übersteht selbst die schwersten Lebenskrisen.
Aus diesem Grund muss man sich vom Überschuss der Energie freimachen, in dem man all den Schmerz und all das Verlangen einfach geradewegs hinausschreit. Das darf im Film vor allem die übergewichtige Effie White (das grobe Kinopendant zu Florence Ballard), gespielt von der "American Idol"-Finalistin Jennifer Hudson, die auch die eigentliche Hauptdarstellerin in "Dreamgirls" ist. Als Leadsängerin der Dreamettes wird sie durch ihre Kollegin Deena Jones (Knowles) in den Background ausgewechselt und später sogar gänzlich aus der Band sortiert, was zu einem handfesten Streit auf der Bühne führt. Dieser wird in seiner ganzen emotionalen Breite durch expressive Gesangseinlagen aller Beteiligten ausgefochten und durch ein energetisches Solo der verzweifelten Effie beendet – eine Szene voller Leidenschaft und Theatralik, die den Zuschauer durch eine ausgeklügelte Kamerachoreographie tief in das Geschehen zieht und lang anhaltende Gänsehaut garantiert.
Spätestens in Momenten wie diesen sind alle Dialoge unnötig, so viel mitreißender Einblick in das Herz des Kinos ist einem nur selten vergönnt. Hudsons Performance ist schlicht atemberaubend, so ungezwungen und natürlich, so voller Kraft und Gefühl, dass ihr alle erdenklichen Preise überreicht gehören. Die im Film bebilderte Verschmelzung vom ursprünglichen Rhythm'n'Blues mit dem gelackten Pop des weißen Publikums mag den wahren Soul verraten haben, im Kino jedoch erlebt das Musicalgenre derweil eine neue Sternstunde: Das lässt zwar nicht vergessen, wie glanzlos die Black Music später verkommerzialisiert wurde (und entbehrt angesichts der Hauptdarsteller, die mit ihren eigenen Chartbeiträgen daran durchaus entfernt beteiligt sind, nicht einer gewissen Ironie), darf aber Anlass sein, ihre Seele zumindest noch einmal auf der Leinwand in aller Pracht und Fülle zu feiern. Wen kümmert es da, wenn durch die Kinoreihen jenes leise Runzeln geht?!
75%Januar 23, 2007
News: ACADEMY AWARDS 2007
Kino: PARIS, JE T'AIME
Die Antwort fiele nicht allzu schwer, wäre die Idee, 21 internationale Starregisseure ihr ganz individuelles Leinwandgemälde der Stadt zu erschaffen, gebündelt in 18 kleine Episoden und geschnürt in ein lebendiges Korsett, das trotz der vielfältigen Eindrücke ein großes Ganzes ergeben könnte, nicht so simpel wie dennoch überaus reizvoll. Ernüchternd muss man zwar konstatieren, dass "Paris, je t’aime" an seinem eigenen Anspruch scheitert und als Gesamtwerk zu beliebig und verwechselbar formuliert scheint. Das gelingt dem auf einer Idee des Regisseurs Tristan Carné basierenden Film aber auf recht hohem Niveau: Die überwiegende Mehrheit der kurzen Geschichten liefert mal skurrile, mal charmante Einsichten in banale, aber liebenswürdige Alltagsmomente und trägt dabei dennoch die ganz individuelle Handschrift ihrer Macher.
Das ist nicht selbstverständlich, immerhin verträgt sich die Intention der französischen Produzenten um Claudie Ossard ("Delicatessen"), die selbst bekennend einräumen, ein neues altes Bild ihrer Stadt entwerfen zu wollen, nicht zwingend mit den ganz eigenen Statements der Regisseure, denen bis auf den gemeinsam vorgegebenen Nenner – natürlich: Liebe – keine künstlerischen Einschränkungen auferlegt wurden. Da der Film jedoch mit einem europäischen Team inszeniert ist, sich von Alfonso Cuarón ("Children of Men") bis Walter Salles ("The Motorcycle Diaries") also jeder ohne seine sonstigen Mitarbeiter zurechtfinden musste, wird diesem Wunsch formal nachgekommen: "Paris, je t’aime" erstrahlt trotz seiner unterschiedlichen Regiestile in einem eleganten, stimmigen Bild.
Den Rahmen ihrer Möglichkeiten haben dabei besonders Joel & Ethan Coen ("Fargo"), Wes Craven ("The Hills Have Eyes") und Vincenzo Natali ("Cube") eindrucksvoll genutzt. Erstere dekonstruieren in ihrem scharfzüngigen Beitrag „Tuileries“ das ewige Klischee vom Paris der Verliebten und Glücklichen, indem sie einen unschuldigen Touristen (Steve Buscemi) in der Pariser Metro auf ein erst schmusendes, später jedoch hemmungslos cholerisches Pärchen treffen lassen. In „Père Lachaise“ darf Horroraltmeister Craven zwei Verlobte über ihre Beziehung schwadronieren lassen – auf einem alten Friedhof! Und Natali verneigt sich im kühlen Gotikambiente vor den großen Universal-Klassikern, wenn er den ängstlichen Elijah Wood im nächtlichen Paris auf einen blutdurstigen Vampir treffen lässt. Sicherlich die originellste Version der Liebe: Ein schmerzhaft-lustvoller Biss für die Ewigkeit.
Nach zwei munteren Stunden ist der Vortrag dann auch wieder beendet. Die betonte Leichtigkeit und französische Mentalität erfüllt ein sinnliches Intermezzo, das in seiner selbstgefälligen und oberflächlichen Erscheinung nicht verwundert. Wie könnte es anders sein, dass "Paris, je t’aime" seinen Hauptdarsteller hoffnungslos romantisiert und den kritischen Blick insgesamt vehement verwehrt. Das mildert die frische Unschuld, die viele dieser Kurzfilme auszeichnet, alles andere als erheblich, doch in der Summe möchte mit dieser Anthologie niemand neue Erkenntnisse gewinnen: Denn dass der Blick von außen keine Erneuerung des Paris-Bildes bedeutet und auch nicht mit der Postkartenidylle der Stadt bricht, ist keine Überraschung: Paris liebt in erster Linie sich selbst. Besonders im modernen französischen Film.
60%
Januar 22, 2007
Kino: SAW III
Da muss also was dran sein, an diesem Stoff. Zugegeben: Der erste Film war derart übersteigert und stellte seine Trivialität fast schon so ostentativ aus, dass man damit durchaus seinen Spaß haben und die Liste der großzügig inspirierten Vorbilder fast vergessen konnte. Obwohl James Wans Independentmär nicht im Entferntesten auch nur einen Ansatz von der Originalität aufwies, die ihm angedichtet wird, war er schlicht, wesentlich und nicht ganz unclever inszeniert. Dass aus dieser Ballung von einem Plagiat allerdings mehrere Sequels geschöpft werden, erscheint dann doch verwunderlich, krankte bereits der kurze Zeit später nachgeschobene "Saw II" an seiner hanebüchenen Überkonstruktion und völligen Beliebigkeit. Anders als sein Vorgänger vernachlässigte dieser die Thriller-Elemente fast gänzlich und stellte seinem infantilen Plot brutal-bizarre Perversion gegenüber – eine Entwicklung, die nun fortgesetzt wird.
Doch was der Film mit seinen genüsslichen Bildern gequälter Menschen, die in rostigem Ambiente bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden, bezwecken möchte, außer dass er die primitive Gier seiner Zuschauerschar insgeheim oder auch ganz offensichtlich befriedigt, das bleibt völlig unklar. Denn die großen Idole, die es in den 70er-Jahren vorgemacht haben – und in deren Tradition jene "Saw"-Filme selbst bekennend ebenso stehen wie ein "Hostel" oder "Texas Chainsaw Massacre: The Beginning" – hatten dann eben doch noch etwas mehr mitzuteilen: Dort wurde zwar mitunter ebenso unangenehm gefoltert, mit filmischen Mitteln allerdings stets die Grenze abgesteckt. Denn die Hoopers und Cravens, die das (Sub)Genre zumindest im amerikanischen Kino festigten, verstanden es zumeist effektvoll, ihre rohen Bilder in den Dienst subtiler Urängste zu stellen – der Einsatz graphischer Gewalt war weniger Mittel zum Selbstzweck, sondern diente der robusten Festigung ihrer subversiv durchtränkten Visionen.
"Saw III" ist als postmoderner Torture Porn eng an seine Vorbilder angelehnt, doch worum es denjenigen, die es einst vormachten, wirklich ging – die Auslotung nicht simpel goriger, sondern gesellschaftlicher und dadurch auch zeitreflexiv gefärbter Extreme – hat Darren Lynn Bousman keinen blassen Schimmer. Er klammert sich wie so viele nur an die Oberfläche dieser potenten Ära und erliegt dem Reiz des Genres: Hauptsache es wird ordentlich gematscht. So erzählt er ein weiteres Mal vom Tumor zersetzten Mörder, der mit seinen archaischen Wertevorstellungen – die sich wie gewohnt in pseudophilosophischen und reichlich albernen Dialogen äußern – unschuldige Opfer in illustre Experimente befördert und sie dadurch zu besseren Menschen zu domestizieren versucht. Das verschont den Zuschauer dieses Mal auch nicht von einer mehrere Minuten langen Operationsszene, bei der in nahen und detaillierten Einstellungen Kopf und Schädel aufgeschnitten und –gebohrt werden. Zu guter Letzt wartet das dann wie gewöhnlich mit einem Schlusstwist auf, der so vorbereitet und gelangweilt daherkommt, dass er die Vorgänger noch bei weitem unterbietet, und ist nicht viel mehr als die reine Redundanz menschenverachtender Brutalität. Selbst das begierigste Splatter-Kiddie hat so viel grundlose Dummheit einfach nicht verdient.
35% - erschienen bei: Blairwitch.de
Januar 20, 2007
Kino: ALPHA DOG
So rennen seine brutalen Vorortkids und Junkies ins unaufhaltsame Verderben – Partys und exzessivem Alkoholmissbrauch folgen gewaltsame Übergriffe rivalisierender Banden und bald auch organisierter Mord. Bedenkt man, dass die tatsächliche Schuld Jesse James Hollywoods noch gar nicht bewiesen wurde, erscheint "Alpha Dog" in seiner vorgegaukelten Authentizität wie eine geschmacklose Frechheit. Nicht nur verhalten sich die Teens und Möchtegern-Haudegen unter Führung Cassavetes’ wie ihre filmischen Vorbilder aus dem Universum eines Brian De Palma (natürlich hängt im Zimmer des Äquivalents Hollywoods, Johnny Truelove, ein "Scarface"-Poster) oder Quentin Tarantino (und fluchen und bewegen sich entsprechend selbst verliebt), sondern wird auch deren soziales Milieu ähnlich überraschungslos präsentiert.
Es sind die Eltern, die ihre Kinder nicht zu verstehen scheinen, vernachlässigen und ihrer selbst überlassen. Im günstigsten Fall versorgen sie sie mit Geld, um deren Drogen- und Schuldenprobleme zu finanzieren, im schlechtesten rauchen auch sie Joints und schniefen Kokain bei feierlichen Hauspartys. Cassavetes’ Sicht auf die Dinge würde in ihrer dümmlichen Banalität weniger ärgerlich erscheinen, zöge er die differenzierte Möglichkeit einer etwaigen Unschuld seiner Figuren in Betracht. Doch verantwortungslose Eltern ziehen Verliertypen heran, die ihrem Schicksal kaltblütig ausgeliefert sind und dieses auch genüsslich auskosten. Das ist nicht fatalistisch, das ist in erster Linie eindimensional und bedauerlich.
Die tatsächlichen Hintergründe dieser authentischen Personen erforderten selbstredend Recherche, deren Ergebnisse jedoch würden sich wenig mit der intendierten Darstellung von Ursache und Wirkung vereinbaren lassen, wie man sie sich im Kino des Nick Cassavetes gern vorstellt: Ganz sicher ohne einen Justin Timberlake, der sich und seine Coolness mit Freude selbst inszeniert. Und wohl auch ohne schicke Bildfilter in Videoclipästhetik, die so ganz vorbildlich die Realität verzerren können. Im Griff hat der Film seine Darsteller ohnehin nicht: Die Newcomer (darunter Ben Foster, "11:14") zelebrieren mit großer Spiellaune eine ausufernde Party auf der Leinwand, haben jedoch keinen blassen Schimmer von der Verantwortung, die ihre Figuren aufweisen. Jedoch fallen insbesondere die etablierten Namen aus dem Rahmen, diffamieren sich Bruce Willis (demnächst in "Live Free or Die Hard") als Vater des Drahtziehers Truelove und Sharon Stone (nach "Basic Instinct 2" geht es weiter bergab) als verzweifelte Mutter des Opfers durch regelrecht grotesk schlechte Leistungen selbst – das ist Over-Acting in penetrantester Erscheinung.
Besonders unangenehm entwickelt sich der Film dann, wenn für die folgeschweren Taten dieser Kids auch noch Motive in den Raum geworfen werden. Hier verhält es sich ganz wie bei der Frage um Schuld und Unschuld; Cassavetes bietet nicht an, er zwingt auf: In platten Dialogen („Hattest du auch schon mal diesen Traum? Den, in dem du etwas gemacht hast… und nicht weißt warum, aber du kannst nie wieder zurück?“) wird aus den Figuren das herausgekitzelt, was das Drehbuch nicht fähig in Subtilitäten chiffrieren konnte. Dem Zuschauer werden keine Vorschläge angeboten, die mithilfe einer Tiefgründigkeit der Protagonisten das „warum“ und „wieso“ diskutierten, sondern pseudophilosophische Antworten an den Kopf geknallt. "Alpha Dog" verharmlost ein reales Verbrechen – und ist höchst bedenklich und gründlich misslungen.
20%
Review erschienen bei: Wicked-Vision.de
Januar 19, 2007
TV: Fernsehtipps 20.01. - 26.01.07
20:15 Uhr – „Jurassic Park 3“ (RTL)
Funktioniert als reines Actionkino mehr als passabel, die inszenatorische Finesse Spielbergs fehlt dem Film aber ganz gehörig.
20:15 Uhr – „Bang Boom Bang“ (Das 4.)
Haftet etwas zu sehr an den US-Vorbildern, aber für deutsche Verhältnisse ist diese Gangsterkomödie durchaus gelungen.
22:00 Uhr – „Spider Attack“ (K1)
Bei den Nu Image-Geschichten weiß man zumindest immer, was man bekommt – und „Spiders“ ist immerhin recht kurzweilig und durchschaubar.
23:35 Uhr – „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“ (RBB)
Peter Lorres Paraderolle in einem meisterhaften, stilistisch außergewöhnlichen Thriller.
23:45 Uhr – „Manche mögen’s heiß“ (WDR)
Der absolut beste Film seines Genres – in jeder Hinsicht eine Referenzkomödie.
5:35 Uhr – „Blondinen bevorzugt“ (SAT.1)
Diamonds Are A Girl's Best Friend…
Sonntag, 21.01.
14:50 Uhr – “Jenseits von Eden” (K1)
Aus der Riege der James Dean-Filme nicht unbedingt das Glanzlicht, aber ungeheuerlich intensiv ist diese Familiengeschichte dennoch.
Ein nicht ganz so mutiger Film, wie gern unterstellt wird, aber ein bemerkenswert einfühlsam inszeniertes, unheimlich bewegendes und natürlich auch großartig gespieltes Drama allemal.
20:40 Uhr – „Zwei auf gleichem Weg“ (Arte)
Der junge Albert Finney ist fantastisch in dieser munteren Liebeskomödie von Stanley Donen.
Nahezu völlig misslungenes Sequel zum geschickten ersten Teil der Serienadaption. Cruise Controll ist hier das Motto – hölzern und komplett Over the Top. Davon abgesehen, dass das mit der Serie nichts mehr zu tun hat.
Montag, 22.01.
20:15 Uhr – „Kalender Girls“ (SAT.1)
Wird wegen Helen Mirren mal vorgemerkt.
22:15 Uhr – „The Cooler“ (ZDF)
Soll ja auch ziemlich gut sein, jemand gesehen?
Dienstag, 23.01
23:30 Uhr – „Die Ehe der Maria Braun“ (HR)
In den Fußstapfen Douglas Sirks fühlt sich Fassbinder überaus wohl – sein Film ist ganz nebenbei eine der bemerkenswertesten Studien zum Nachkriegsdeutschland.
23:45 Uhr – „Der Fall Paradin“ (NDR)
Bis auf einige Momente und originelle Einfälle kein besonders nennenswerter Hitchcock.
Mittwoch, 24.01.
22:10 Uhr – „Flatliners“ (k1)
Interessante Idee, deren philosophische Ebene Schumacher aber gar nicht erst betreten möchte.
0:35 Uhr – „Maria voll der Gnade“ (ARD)
Hatte sehr gute Kritiken. Wird vorgemerkt.
Donnerstag, 25.01.
20:15 Uhr – „Erin Brokovich“ (VOX)
Ganz auf seine Oscarprämierte Hauptdarstellerin zugeschnitten.
20:40 Uhr – „Short Cuts“ (Arte)
Herausragender Episodenfilm, an dessen satirischen, bittersüßen Witz erst P.T. Anderson anknüpfen konnte.
Freitag, 26.01.
23:40 Uhr – „Cube“ (RTL 2)
Vielleicht werde ich ja irgendwann noch einmal begreifen, was an diesem simplen und ebenso ineffektiven Kammerspielchen so gelungen sein soll. Ich habe mich seinerzeit vorzüglich gelangweilt.
2:10 Uhr – „Vanilla Sky“ (Pro 7)
Gelungen, aber das Original ist um Klassen besser.
Januar 18, 2007
Retro: THE CELLULOID CLOSET (1995)
Diese analytische, scharfsinnige Reise beginnt mit dem Blick auf die Stummfilmzeit und endet in den 90er Jahren, in denen der Umbruch, sich von schwulen und lesbischen Klischees im modernen Film zu entfernen, voranschreitet. Schau- spielerinnen und Schauspieler wie Whoopi Goldberg, Susan Sarandon oder Shirley MacLaine, Tony Curtis, Antonio Fargas oder Tom Hanks, Regisseurinnen und Regisseure wie Jan Oxenberg, John Schlesinger oder Gregg Araki, sowie Drehbuchautoren und Filmkritiker berichten von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Kino, wie diese ihr Leben beeinflusst, geformt und bestimmt haben, wie sie selbst ein Teil davon wurden und Veränderungen in Gang setzten. Unaufgeregt und bemerkenswert sachlich, entlarvt der auf dem 1978 erschienenen gleichnamigen Buch von Vito Russo basierende Film die sublimierte Sexualität des US-Kinos und erweist sich als bewegend-komische, vor allem aber meisterlich inszenierte und ungeheuer wichtige Studie.
Eine Frau, die eine andere Frau küsst (Marlene Dietrich in „Morocco“), ein exaltierter Mann in Fummeln (Cary Grant in „Bringing Up Baby“) oder ein lesbischer Vampir („Dracula’s Daughter“) – Bilder, die ein bürgerliches Publikum erzürnten, die moralisch verwerflich und abstoßend seien, die den christlichen Glauben beleidigten und deshalb eine maßgebliche Instanz heraufbeschworen: Den Hays Code. Eine zunächst freiwillige, später verbindliche Kontrolle unsittlicher Inhalte, die einen jeden Filmemacher herausforderte. Fortan verschlüsselten all die Alfred Hitchcocks, Billy Wilders oder Howard Hawks’ ihre eindeutig uneindeutigen Themen, bündelten sie in einen Subtext, arbeiteten mit Konnotationen, Andeutungen, Doppelbödigkeiten – mal mehr, mal weniger erfolgreich. „Das waren keine Atomwissenschaftler, denen ist vieles entgangen. Wenn der Regisseur clever genug war, dann schaffte er es“, bemerkt Drehbuchautorin Jay Presson Allen.
Das veranschaulicht sich in ausgewählten Beispielen. So durfte John Huston im Film Noir-Meisterwerk „The Maltese Falcon“ seine von Peter Lorre gespielte, homosexuelle Figur nicht der Vorlage entsprechend in Szene setzen und ließ ihn dafür überaus zweideutig mit dem Krückstock hantieren, während im Hintergrund eine orientalische, feminine Musik ertönt. Hitchcock, der sich in nahezu jedem seiner Filme unterschiedlich explizit mit den sexuellen Komponenten seiner Figuren beschäftigt, bewies feinsinnige Raffinesse, als er die Haushälterin Mrs. Denvers in „Rebecca“ sanft die Schränke ihrer heimlichen Liebe durchforsten lässt – inklusive deren Unterwäsche. In „Rope“ ging er noch offener zur Sache: Die beiden Studenten, die einen Kommilitonen ermorden, führen ohne jeden Zweifel eine Beziehung, ihre Bewegungen und intimen Blicke lassen als Motiv sogar durchaus Eifersucht erahnen, ganz zu schweigen von der – durch den Drehbuchautor versicherten – schwulen Dreiecksbeziehung mit ihrem Professor (gespielt von James Stewart). Alles nur dezent verarbeitet und leise angedeutet, und doch würde es selbst ein Blinder sehen.
Oder wenn sich die beiden von John Ireland und Montgomery Clift gespielten Cowboys in Hawks’ „Red River“ stolz ihre Revolver präsentieren, damit lustvoll spielen und ihre Männlichkeit demonstrieren, dann muss man nicht nur angesichts der Dialoge schmunzeln: Das ist schwules Bändeln in einer abstrakten Form, obwohl das Sinnbild des Colts für das männliche Geschlechtsteil offensichtlicher nicht sein könnte. Im Klassiker „Rebel Without a Cause“ von Nicholas Ray mussten ebenfalls alle homosexuellen Bezüge eliminiert werden, die eine über Freundschaft hinausgehende Beziehung von Plato und Jim Stark vermuten ließen. Dennoch war Plato in der Geschichte nur aus dem Grund der Außenseiter, weil er schwul war. Und wie im Hollywoodfilm üblich, musste er dafür auch sein Leben lassen – die Aufsässigen, die ihre Sexualität frei ausleben, bestraft das Kino mit dem Tod. Das lehren auch die Verfilmungen der Tennessee Williams-Stoffe „Cat On A Hot Tin Roof“ oder ganz besonders „Suddenly, Last Summer“.
Spannend gerät auch der Blick hinter die Fassaden der Traumfabrik, beispielsweise bei Rock Hudson, dem strahlenden Helden und Sonnyboy; dem Mann, der die Frauen wie ein Magnet in die Kinos zog, um reihenweise deren Herzen zu erobern. Doch was man beim Kollegen Cary Grant bis zu seinem Lebensende vermutete, das erblickte durch die AIDS-Erkrankung Hudsons grelles Licht der Öffentlichkeit: Er liebte Männer. In Verbindung mit seinen heiteren Doris Day-Komödien, die vor Keuschheit fast unerträglich erschienen, wirkt das natürlich tragisch, entbehrt jedoch auch nicht einer gewissen Ironie: „Ein Schwuler spielte einen Nicht-Schwulen, der einen Schwulen spielte.“, stellt Autor Armistead Maupin bezüglich „Pillow Talk“ fest. Noch bissiger im verquerten Sinne wird es bei „Ben Hur“ (1959), in dessen Geschichte zweier Rivalen es sich um nichts anderes als sexuelle Spannungen dreht. Charlton Heston, bekannt als erzkonservativer US-Bürger, wusste davon freilich nichts, doch wie Autor Gore Vidal hier offenbart, haben er und Regisseur William Wyler seinem Kollegen Stephen Boyd entsprechende Instruktionen gegeben: Heraus kommt einer der homoerotischsten Filme aller Zeiten. Im Subtext, versteht sich.
Die Liste ließe sich immer weiter fortführen, „The Celluloid Closet“ (der Titel bezieht sich auf die Redwendung „to be in the closet“, die jemanden bezeichnet, der nicht geoutet ist) kann in seinen fesselnden 100 Minuten nur Auszüge präsentieren, sie in den Kontext einer filmgeschichtlichen Entwicklung stellen und dabei Klischees und Stereotypen aufdecken. So waren homosexuelle Männer im Stummfilm zumeist Witzfiguren, die albernem Klamauk dienten, später Außenseiter und Abtrünnige, die weder ernst genommen noch akzeptiert wurden. Allmählich entstanden dabei zwei Darstellungstypen des Schwulen im Film: Entweder ist er der tragische, bemitleidenswerte Mensch, den das sichere Unglück oder den schicksalhaften Tod heimsuchen wird. Oder er war der Bösewicht und Mörder, der Schurke als Ausdruck von Bedrohung, ein Katalysator für die heterosexuelle Angst vor der Liebe des gleichen Geschlechts – mit selbstredend ähnlichen Folgen. Die Schauspielerin Quentin Crisp erklärt das so: „Mainstream people dislike homosexuality because they can't help concentrating on what homosexual men do to one another. And when you contemplate what people do, you think of yourself doing it. And they don't like that. That's the famous joke: I don't like peas, and I'm glad I don't like them, because if I liked them I would eat them and I hate them.”
Diese Homophobie äußerte sich in einigen Filmen besonders drastisch und menschenverachtend. „Vanishing Point“ von Richard C. Sarafian denunziert Schwule zu Lachnummern, wenn ein tuntiger Highway-Räuber vom harten Roadie nur belächelt und anschließend verprügelt wird. Besonders erschreckend wirkt dieser Ausschnitt, wenn Tom Hanks gesteht, dass Szenen wie diese in seiner Jugend gefeiert wurden und maßgeblich zur Aversion gegen Homosexuelle beitrugen. Ein anderes Beispiel ist William Friedkins „Cruising“ mit Al Pacino in der Hauptrolle. Darin werden nicht nur jegliche Lack und Leder-Klischees erfüllt, sondern erscheint der Schwule auch als ausnahmslos Perverser, dem nur mit dem blutigen Tod Einhalt gewährt werden kann. Diese Entwicklung ging einher mit einer zunehmend selbstverständlichen, alltäglichen Ausdrucksform für Beleidigungen, was der Film mit einer Montage diverser Ausschnitte, in denen das Wort „faggot“ benutzt wird, veranschaulicht. Der Filmkritiker Richard Dyer bemerkt dazu treffend: „Man weiß, dass der Film heterosexuell ist, wenn man in einen Hollywoodfilm geht. Aber man ist einfach nicht bereit, sich beleidigen zu lassen“.
Mit Blick auf Jonathan Demmes „Philadelphia“ beendet „The Celluloid Closet“ seine Odyssee schließlich im Kino der 90er Jahre. Natürlich hat sich vieles verbessert, sind die Restriktionen vergolten, doch sollte diese Wende dennoch nicht mit Überbewertung und -Erwartung ausgefüllt werden. Schon gar nicht in einer Zeit, in der Filme wie „Brokeback Mountain“ oder „Capote“ mobilisierte, christlich- fundamentalistische Massenverbände auf die Barrikaden treiben, die neo-konservative Produktionen („The Chronicles of Narnia“) als „rettende“ Gegenstücke installieren. Wie Regisseurin Jan Oxenberg so bezeichnend festhält: „’Philadelphia’ war toll, aber das beweist nichts. Es ist die Geschichte eines schwulen Helden, der stirbt, eine tragische Figur. Bleibt abzuwarten, ob die Öffentlichkeit auch einen Film annehmen würde, in dem der schwule Held lebt.“
Diese Dokumentation geriet deshalb so einrucksvoll, weil es den Produzenten darum geht, das Kino nicht nur als Ort ausgeblendeter Sexualität anzuprangern, sondern darauf hinzuweisen, wie sehr es die Realität reflektiert und zu einem maßgeblichen Teil auch bestimmt. Wie unendlich tragisch die Wahrheit erscheint, dass Gleichberechtigung und Toleranz darin längst keine Selbstverständlichkeit sind; wie Unterdrückung, Duckhaltung und Isolation regelrecht produziert wurden und werden – selbst bei den großen, ruhmreichen und glanzvollen Stars. Was nicht sein darf, das darf eben nicht sein. Möge deshalb die Zeit kommen, in der das Kino sich nicht mehr selbst betrügen muss.
Januar 16, 2007
Kino: BLOOD DIAMOND
Kein bedenkenloser Stoff für einen Hollywoodfilm, der selbst erklärt, seine anspruchsvolle Thematik in möglichst unterhaltsamer Verpackung präsentieren zu wollen. Oder umgekehrt. Zweifel sind auch berechtigt, wenn ausgerechnet der Regisseur solch erzkonservativer Machwerke wie "Glory" oder "The Siege" sich diesem Komplex widmet – doch „Blood Diamond“ gelingt es zunächst erstaunlich fesselnd, sein Anliegen zu vertreten. Die ersten Minuten sind beklemmend intensiv, Zwick zeigt das Grauen des Bürgerkrieges in schonungslosen Bildern amputierter Zivilisten, erschossener Frauen und Kinder und niedergebrannter Dörfer. Er vermittelt stilistisch sicher und distanziert die Atmosphäre seines Schauplatzes, führt all seine Figuren geschickt ein und bebildert ohne Umschweife den groben politischen Kontext des Films.
Sind die narrativen Stränge erst einmal geschnürt, entfernt sich der sicherlich ambitionierte "Blood Diamond" allerdings schnell von seiner strengen Nüchternheit. Zwick ist zunehmend weniger an problemorientierten Kernpunkten, denn kantenloser Abenteueraction interessiert. Über die reine Darstellung grausiger, Gänsehaut erzeugender Aufnahmen von Kindern mit Maschinengewehren geht das nicht hinaus – weder Ursachen noch Auswirkungen in ihrer eigentlichen Komplexität werden im Film behandelt (die Rebellen erscheinen als dumpfe Meuchelmörder und die Figuren im politischen Kabinett, beispielsweise Präsident Joseph Saidu Momohs, spielen überhaupt keine Rolle!). Stattdessen mimt Leonardo DiCaprio in einer Mischung aus den Bogart-Charakteren eines "The Treasure of the Sierra Madre" und dem Typus des Indiana Jones den egoistischen Schmuggler, trägt dabei jedoch nicht nur einige Zentimeter zu dick auf, sondern verdrängt vor allem den eigentlichen Mittelpunkt des Films: Die Geschichte eines Ex-Söldners, dessen Sohn entführt und zum Kindersoldaten ausgebildet wird.
Diese Schwerpunktverlagerung zugunsten einer unterhaltsamen Diamantenjagd ist nachvollziehbar, aber höchst bedauerlich. Zumal "Blood Diamond" trotz seines Verzichts auf konkrete Problematisierungen gern Antworten auf all seine tangierten Themenbereiche erteilt. Das hat spätestens im großen Finale fatale Auswirkungen, wenn der um jegliche Unschuld beraubte Junge die Handfeuerwaffe gegen die Arme seines Vaters eintauscht – so einfach und herzergreifend lassen ich komplexe Wahrheiten in kinogerechte Lösungen umdichten. Man könnte es deshalb ganz einfach böse formulieren: Der Film missbraucht seinen Gegenstand für eine mit konventioneller Spannungs- dramaturgie erzählte Schatzsuche, die im dösigen Ethno-Ambiente naiv und bisweilen überaus ärgerlich geriet. Letztlich werden in diesen belehrenden zwei Stunden nur Schauwerte und das gute Gewissen bedient.
40%
Januar 15, 2007
News: GOLDEN GLOBE AWARDS 2007
edit: Ich lag ja im Großen und Ganzen ordentlich daneben! (kursiv = Gewinner) Freue mich aber über die ein oder andere Wahl.
Bester Film Drama:
Babel
Bobby
Departed - Unter Feinden
Little Children
Die Queen
Bester Film Musical/Komödie:
Borat
Der Teufel trägt Prada
Dreamgirls
Little Miss Sunshine
Thank You for Smoking
Bester Hauptdarsteller Drama:
Leonardo DiCaprio (Blood Diamond)
Leonardo DiCaprio (Departed)
Peter O'Toole (Venus)
Will Smith (Das Streben nach Glück)
Forest Whitaker (Der letzte König von Schottland)
Beste Hauptdarstellerin Drama:
Penelope Cruz (Volver)
Judi Dench (Tagebuch eines Skandals)
Maggie Gyllenhaal (Sherry Baby)
Helen Mirren (Die Queen)
Kate Winslet (Little Children)
Bester Hauptdarsteller Musical/Komödie:
Sasha Baron Cohen (Borat)
Johnny Depp (Fluch der Karibik 2)
Aaron Eckhart (Thank You for Smoking)
Chiwetel Ejiofor (Kinky Boots)
Will Ferrell (Schräger als Fiktion)
Beste Hauptdarstellerin Musical/Komödie:
Annette Bening (Running with Scissors)
Toni Collette (Little Miss Sunshine)
Beyonce Knowles (Dreamgirls)
Meryl Streep (Der Teufel trägt Prada)
Renée Zellweger (Miss Potter)
Bester Nebendarsteller:
Ben Affleck (Die Hollywood-Verschwörung)
Eddie Murphy (Dreamgirls)
Jack Nicholson (Departed)
Brad Pitt (Babel)
Mark Wahlberg (Departed)
Beste Nebendarstellerin:
Adriana Barraza (Babel)
Cate Blanchett (Tagebuch eines Skandals)
Emily Blunt (Der Teufel trägt Prada)
Jennifer Hudson (Dreamgirls)
Kikuchi Rinko (Babel)
Beste Regie:
Clint Eastwood (Flags of Our Fathers)
Clint Eastwood (Letters from Iwo Jima)
Stephen Frears (Die Queen)
Alejandro Gonzalez Inarritu (Babel)
Martin Scorsese (Departed)
Bestes Drehbuch:
Babel
Little Children
Tagebuch eines Skandals
Departed - Unter Feinden
Die Queen
Bester fremdsprachiger Film:
Apocalypto
Letters from Iwo Jima
Das Leben der Anderen
Pans Labyrinth
Volver
Bester Animationsfilm:
Happy Feet
Cars
Monster House
Bester Song:
A Father's Way (Das Streben nach Glück)
Listen (Dreamgirls)
Never Gonna Break My Faith (Bobby)
The Song of the Heart (Happy Feet)
Try Not to Remember (Home of the Brave)
Beste Musik:
Alexandre Desplat (The Painted Veil)
Clint Mansell (The Fountain)
Gustavo Santaolalla (Babel)
Carlo Siliotto (Nomad)
Hans Zimmer (The Da Vinci Code)