Die Prophetien totalitärer Schreckensvisionen und anarchistischer Zustände bestimmen als düstere Dystopien das Science-Fiction-Genre in regelmäßigen Abständen immer mal wieder, hatten ihren Höhepunkt mit subversiven Zukunftsentwürfen wie "THX 1138", "A Clockwork Orange" oder "Soylent Green" jedoch in den 70er-Jahren. Im Kino der Gegenwart werden die negativen Utopien dagegen meist einer kühlen Stilisierung unterzogen – und verlieren in Filmen von Andrew Niccols "Gattaca" bis hin zu Steven Spielbergs "Minority Report" ihre kompromisslose Bedrohlichkeit, indem ein elegant-futuristischer Stil über die Subtanz der inneren Zerstörung gestellt wird. Der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón ("Y Tu Mamá También"), der zuvor die kindliche, verspielte Welt des Zauberers Harry Potter im dritten Film der Reihe, "Harry Potter and the Prisoner of Azkaban", in plastische Grautöne tränkte, entwirft mit der englisch-amerikanischen Produktion "Children of Men", auf Grundlage des gleichnamigen Romans von P. D. James (hierzulande unter den Titel „Im Land der leeren Häuser“ erschienen), das Bild einer Zukunft, wie es in so düsterer Konsequenz seit Ridley Scotts "Blade Runner" nicht mehr auf der Leinwand zu sehen war.
2027. Durch ein unerklärliches Phänomen wurde seit 18 Jahren kein Kind mehr geboren. Die Welt ist zu einem Schauplatz kriegerischen Terrors mutiert: Die Diaspora treibt die Menschen nach England, einem der wenigen verbliebenen Orte, wo mit staatlicher Gewalt noch annähernd Alltagszustände aufrechterhalten werden können. Dieser wird dennoch längst durch Kämpfe militanter Gruppen, Terroranschläge und Epidemien bestimmt, in einem Kampf gegen jeden, inmitten eines faschistischen Regimes, das Konzentrationslager und unüberwindbare Mauern erschaffen hat, und kostenfreie Suizidmittel verteilt. Als der jüngste Bewohner der Erde stirbt, ist das ein weiterer Tiefschlag für die Menschen.
Der ehemalige Freiheitsaktivist Theo Faron (Clive Owen, "Sin City") wird von seiner Exfrau, der Terroristin Julian (Julianne Moore, "Far from Heaven"), gebeten, eine junge Afrikanerin zu beschützen - aus unbekannten Gründen ist sie schwanger. Als er auf einer halsbrecherischen Reise durch das Land herausfindet, dass die Untergrundorganisation das ungeborene Kind für ihren Machtanspruch missbrauchen will, flüchtet er unter Mithilfe seines Freundes Jasper (Michael Caine, "Dressed to Kill") mit der jungen Frau, um sie dem mysteriösen „Human Project“ zu übergeben.
“I can't really remember when I last had any hope, and I certainly can't remember when anyone else did either. Because really, since women stopped being able to have babies, what's left to hope for?“
Die Vision in "Children of Men" ist radikal. Wie wilde Tiere fallen die Menschen übereinander her, wie gefühllose Killermaschinen liefern sich terroristische Gruppierungen einen Krieg um das Überleben - in einer Gesellschaft, der das Leben selbst schon lange abhanden gekommen ist, in einem antiexistenzialistischen Kampf ohne jede Zukunft. Gewalt ist in diesem alltäglichen Chaos ein geläufiges Kommunikationsmittel, Theos Heimweg von der Arbeit demonstriert diesen Schrecken einer Welt der Passivität: Die S-Bahn wird mit Steinen beworfen, beiläufig explodieren Cafés, werden Immigranten in Käfige gesperrt. Mit Alkohol schafft sich Theo einen vermeintlich inneren Freiraum, ein kräftiger Schluck alle halbe Stunde hält den Status Quo aufrecht, und lässt ein wenig vergessen, in welcher Desillusion er durch sein Leben schreitet. Clive Owen war noch nie so gut wie in dieser Rolle.
Die Sinnsuche ist eines der Leitmotive in Cuaróns Film. Seine Figuren kämpfen auf unterschiedliche Weise entschlossen gegen den Ist-Zustand ihrer Welt, doch die Selbstverständlichkeit des Mittels Gewalt, die sich längst auch verselbstständigt hat, kann zu keinem langfristigen Erfolg führen, auch wenn es Theo schwer fallen mag, nach dem schmerzvollen Hinrichtungsritual seines pazifistischen Freundes nicht die Mission aus den Augen zu verlieren. Jede Sekunde wird er wieder auf die Probe gestellt, einfach aufgeben möchte man, sich aus diesem Strudel des Terrors befreien. Der Zuschauer ist kein stiller Zeuge dieser Odyssee, zu beklemmend und schonungslos sind die Bilder, und von zu kurzer Dauer die Ruhemomente des Films. Es gibt keine Distanz zum Schreckensszenario auf der Leinwand, die Kamera löst mit entfesselnder Dynamik jegliche Barrieren zu den Figuren auf – Cuarón vertraut mit einer bis ins letzte Detail ultrarealistischen Atmosphäre auf eine unweigerliche Sogwirkung. Emmanuel Lubezkis ("Sleepy Hollow") Bilder sind von erschreckend authentischer Natur.
Trotz der latent christlichen Assoziationen, die Vesperbild ähnliche Einstellungen der Frau mit ihrem Kind aufweisen, durchbricht der Regisseur jeglichen Moment des Kitsches. Das vieldeutige Ende ist mit den in Nebel gehüllten Bildern zu ambivalent entworfen, um Cuarón die Auflösung seiner Geschichte mit einer einfachen Pietà-Symbolik vorwerfen zu können. Der Krieg ist zurückgelassen, das nahende Schiff heißt „Tomorrow“. Und doch weiß niemand wirklich, wie es nun weitergehen wird. "Children of Men" schließt so bedrückend und unangenehm, wie er auch seinen Anfang nahm. Der beste Science-Fiction-Film seit Jahren!
95%