Juni 22, 2006

Retro: THE HILLS HAVE EYES (1977)

A nice American family. They didn't want to kill. But they didn't want to die.

In Regisseur Wes Cravens brillant geschriebenen Wüstenalptraum blutiger Hügelaugen liegt die Essenz des maßgeblich durch Tobe Hooper ("Texas Chainsaw Massacre", "Death Trap") geprägten Midnight-Kinos der 70er-Jahre, die Transformation schmuddeliger Exploitation zum intelligenten Undergroundfilm und die Umkehr zum pessimistischen Gesellschaftsbild als Abzug eines Zeitgeists der Unruhe, Unsicherheit und Verwirrung. "The Hills Have Eyes" ist ein weiterer grandioser Film im Schaffen Cravens, der die Linie brachial zerrüttelnder Familienstrukturen, wie sie in seinem Erstling "The Last House on the Left" (1972) ihren Anfang nahm, konsequent fortführt.

We're gonna be french fries! Human french fries!

Wenn in endloser Weite das Grauen unvermittelt über eine bürgerliche Familie hereinbricht, wenn aus ahnungsloser Unschuld instinktive Härte erwacht und sich vermeintlicher Frieden mit kriegerischer Gewalt konfrontiert sieht, dann lässt Wes Craven ("The People under the Stairs", "Shocker") der Radikalität seiner Drehbuchfantasien freien Lauf. Der aus einer zutiefst patriarchalischen Familie stammende ehemalige Baptist macht mit der Wirklichkeit, wie er sie im Kontrast zu bürgerlicher Theorie erlebt hat, kurzen Prozess: Wie kaum eine andere seiner Arbeiten ist "The Hills Have Eyes" von geradezu entlarvender Schonungslosigkeit gekennzeichnet und markiert gemeinsam mit einer Handvoll anderer Werke seiner Zeit eine filmische Zäsur, die der biederen Wertekonstanz abschwört. Wo durch atomare Verseuchung degenerierte Kannibalen als Produkte kapitalistischer Verschwendung und politischem Größenwahn eine die saubere Mittelstandsgesellschaft porträtierende Familie attackieren, ist kein Platz für den Glanz eines Amerikas, das zutiefst verunsichert und labil ist. In der Tradition von George Romero verweist Craven auf das Grauen direkt vor der eigenen Haustür: Nicht im fernen Vietnam, sondern inmitten der gesellschaftlichen Entwicklung manifestiert sich ein unüberwindbares Trauma. Die Phase des moralischen Wertezerfalls und dem gleichzeitig als Gegenbewegung zu verstehenden Ausbruchs der Jugend aus konventionellen Strukturen, wie sie radikal in "Last House on the Left" thematisiert wurde, wird hier um den vom individuellen zum gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel rückenden Fokus erweitert. Ob Craven seine barbarischen Individuen tatsächlich als Abziehbilder zurückgekehrter, nicht zu resozialisierender Soldaten zu zeichnen versuchte, sei hier dahingestellt – es ist jedoch dieser Subtext, der den Film modifizierbar durchzieht.

We are not lost, we're right here somewhere on this little blue line.

Dass "The Hills Have Eyes" auch jenseits solch einer Betrachtung im Kontext des Zeitgeistes als höllisch guter Genrefilm funktioniert, ist die Selbstverständlichkeit solch einer intelligenten Regiearbeit. Bedenkt man das Budget von um die 250 000 US-Dollar, ist es erstaunlich, wie technisch ausgereift der Film inszeniert wurde. Die naturalistische Kamera wechselt von statischen Momentaufnahmen zu unruhige Hektik ausstrahlenden Steadyshots und unterstützt stets das atmosphärische Spannungsfeld aus enger Isolierung und weiter Ferne. Im stilistischen Einklang mit dieser Backwoodillusion wird der Zuschauer mit bizarren akustischen Klängen konfrontiert, die das dreckige, nahezu staubig-körnige Ambiente des Films abrunden. Dabei arbeitet "The Hills Have Eyes" mit einer beklemmenden, leisen Spannung, die sich in der Mitte – der erste direkte Angriff im Wohnwagen als Klimax – entlädt. Von hier an funktioniert der Film nach den Run and Hyde-Mechanismen des Terrorgenres, was ihn jedoch nicht weniger intensiv macht, können die treffsicher eingestreuten Attacken der Kannibalen, die in der deutschen Synchronisation sinnentstellend zu Außerirdischen degradiert wurden, doch ebenso überzeugen wie die Darstellung jener durch Michael Berryman und Co., sowie die restlichen schauspielerischen Leistungen (insbesondere von Dee Wallace Stone, bekannt aus "The Howling" und "E.T."). Wenngleich der Einsatz überzogener graphischer Gewalt dabei ausbleibt (bzw. zugunsten des Ratings Federn lassen musste), ist die Wirkung keinesfalls zu unterschätzen, ist der Film mit seiner rohen und kompromisslosen Thematik sowie dem Ausbleiben eines Happy-Ends doch ohnehin schwer verdauliche Kost.


90%