Juni 29, 2009

Retro: MARS ATTACKS! (1996)

Es ist wohl wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, wenn die einzigen überlebenden Helden am Ende eines großen Science-Fiction-Katastrophenfilms aus Hollywood – zwei ehemalige Blackspoitation-Stars, ein schüchterner Junge vom Land, dessen etwas verrücktes Großmütterchen im Rollstuhl sowie die rebellische Tochter des US-Präsidenten – sich zum Schlussakkord des Tom Jones-Klassikers "It’s Not Unusual" vereinigen. Und das, obwohl all diese weniger bekannten Schauspieler (Lukas Haas und die damals noch milchgesichtige Natalie Portman) oder auch die in Vergessenheit geratenen Größen (Jim Brown, Pam Grier und Sylvia Sidney) in der Titelsequenz erst weit hinter namhaften Superstars genannt werden. Aber Tim Burtons Dekonstruktion der production values der Studios und ihrer Big Budget-Philosophie findet bereits auf Ebene des Castings und Umgangs mit den Figurenstereotypen des Genres statt. So finden die von A-Stars wie Jack Nicholson, Glenn Close, Michael J. Fox, Sarah Jessica Parker oder Pierce Brosnan mit großer Spielfreude, nein, Spielrage verkörperten eigentlichen Klischeetypen ein jähes Ende: Ob quotengeile TV-Reporter, wichtigtuerische Wissenschaftler oder die First Lady persönlich – sie alle werden vorzeitig aus dem auf einer Kaugummi-Sammelkartenserie der 60er Jahre basierenden Film verabschiedet und von den grünen Marsianern wahlweise mit Laserkanonen pulverisiert, oder auch in Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetzt. Selbst der amerikanische Präsident, jene unantastbare Personifizierung von Rettung und Freiheit im Genre, wird nach einer rührend-dämlichen Ansprache vor den Invasoren mit einem symbolträchtigen "Dolchstoß" hinterrücks exekutiert.
 
Dieser spöttische Konventionsbruch folgt klar der subversiven Linie Burtons, die Spielregeln des Hollywoodkinos nur so lange zu befolgen, bis er sie mit seinem eigenen Verständnis von Ordnung zersetzen kann. Dass "Mars Attacks!", so amüsant und heiter er auch sein mag, als bitterböser Anti- Hollywoodfilm wirklich noch das 70 Millionen US-Dollar teure Produkt eines Major Studios sein soll, erscheint dabei fast absurd. Der Film belustigt sich mit überhöhter und dadurch vermutlich verschleiert erscheinender Absicht über die Klischees, Unarten und Absurditäten des Blockbusters und seiner Mainstream-Voraussetzungen, und zwar so scharfzüngig, unverhohlen und irrsinnig komisch, dass letztlich nur der kommerzielle Misserfolg die Möglichkeit einer solchen Chuzpe in eine nachvollziehbare Relation ordnen kann. Denn womöglich ist Burtons spielerische Abrechnung in ihrer eigentlichen Boshaftigkeit, anders als seine "Batman"-Filme beispielsweise, doch nicht mit einem Erfolg an den Kinokassen zu vereinbaren. "Mars Attacks!" wirkt wie eine konsequente Fortsetzung von "Ed Wood": Es scheint zumindest in Bezug auf die cheesy wirkenden spielzeugartigen Spezialeffekte ein wenig der Film, bei dem Burton sein Idol nicht mehr nur nachvollziehen, sondern selbst zu ihm werden möchte. Und bezeichnenderweise bilden genau diese beiden Regiearbeiten dessen einzige kommerzielle Flops.

Ein hingegen nur zu verständliches Verlustgeschäft, bedenkt man, zu welchem Zeitpunkt dieser Film produziert und zwischen welch ähnliche Produktionen er platziert wurde. Denn neben den anderen Hollywood-Hits von außerirdischen Invasionen, Naturkatastrophen und Weltuntergangsszenarien der sich Mitte der 90er Jahre neuer Beleibtheit erfreuenden Katastropheneventfilme – nun schließlich mit Hilfe beeindruckend realistischer Computertricks umgesetzt – muss ein so radikal gängige Schablonen umschiffender Grenzgänger wie "Mars Attacks!" zwangsläufig ins Abseits geraten. Nicht zuletzt selbstverständlich deshalb, weil sich all diese Filme noch stärker an die Gesetze ihrer Vorbilder aus den 50ern und 60ern halten, als diese selbst. Die nur augenscheinlich modifizierten Rassenklischees oder ideologischen Implikationen etwa, verortet in patriotischen Allmachtsfantasien, wurden in formelhaften Genre-Filmen wie "Independence Day", "Deep Impact" oder "Armageddon", aber irrtümlicherweise selbst in ausgestellten Parodien wie "Starship Troopers", fleißig reproduziert. Da mutet es seltsam prophetisch an, dass "Mars Attacks!" den Opfern seiner Seitenhiebe zeitlich einen Schritt voraus war: Burtons Sci-Fi-Satire erinnert heute an oben genannte Filme, die zu seiner Entstehungszeit mitunter jedoch noch gar nicht gedreht waren.

Insbesondere gegenüber Roland Emmerichs naiv-illusio- nistischem Patriotismusheuler "Independence Day" verhält sich "Mars Attacks!" wie ein bissig-böser Gegenentwurf. Ungefähr zeitgleich produziert, kam Burtons Film ein knappes halbes Jahr später in die US-Kinos. Ein Zeitraum, der denkbar eventuelle Detailkorrekturen, aber wohl kaum die Quasi-Nachstellung solch grundsätzlich identischer Set-Ups abdecken würde. Vielmehr scheint die Ähnlichkeit zwischen den Filmen hinsichtlich bestimmter Klischees Burtons Akribie geschuldet, gezielt Standardsituationen und entsprechende zugehörige Figurentypen getreu der Tradition des Genres so zu entwerfen, wie das wohl auch ein konventioneller, bekannten Mustern folgender Hollywood-Blockbuster der Marke "Independence Day" tun würde. Man darf also mutmaßen, dass Burton mit der zunächst frappierenden Ähnlichkeit ganz genau ins Schwarze getroffen und den hurrapatriotischen Emmerich-Eventfilm damit still und leise der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Denn natürlich verlässt sich dieser bis zum reaktionären Schluss auf die Standard-Topoi, während "Mars Attacks!" ebendiese konsequent gegen den Strich bürstet.

So ist das Militär bei Burtons Alien-Apokalypse nicht rettende Instanz, sondern ein Hort größenwahnsinniger Kriegs- wüteriche, die sich groß und mächtig fühlen, von den Marsianern aber einfach nur geschrumpft und platt getreten werden. Die Medien werden nicht von Figuren repräsentiert, die als Identifikation stiftende Vermittler zwischen Filmgeschehen und Publikum agieren (in "Independence Day" spielt Jeff Goldblum einen sympathischen agilen Techniker), sondern eher von egozentrischen und weltfremden Spießern dominiert, mit denen es Burton besonders schlecht meint. Der US-Präsident, bei Emmerich Initiator einer neuen humanistischen Kraft und nicht darum verlegen, sich im Kampf gegen die aggressiven Außerirdischen sogar persönlich ans Steuer des Düsenjets zu begeben, wird hier von Jack Nicholson als verwirrter, dummer Taugenichts gespielt und, wie bereits beschrieben, besonders geistreich aus dem Weg geräumt. Zum großen Finale schließlich feiert Burton erneut den Sieg der (Genre-)Außenseiter über die Machtmenschen und Strahlehelden, wenn ein unscheinbarer Farmerjunge und seine etwas verrückte Großmutter die Marsianer mit uramerikanischer Countrymusik besiegen. Indem Burton mit "Mars Attacks!" ganz einfach alles vermeidet, was in dieser Genre-Größenordnung wohl als eigentlich unvermeidlich gilt, nimmt er ein weiteres Mal die Mechanismen seines eigenen Funktionssystems auseinander. Die daraus gefertigte Neuzusammensetzung ist nicht nur konsequent und köstlich und klug, sondern auch wichtig: Burtons Erneuerungsversuche am amerikanischen Hollywood-Mainstream scheinen ganz einfach unabdingbar. Und von großem Wert.


80%

  • Breskin, David (1992): Tim Burton. In: Inner Views. Filmmakers in Conversation, New York: Da Capo Press 1997, S. 321-364
  • Merschmann, Helmut (2000): Tim Burton, Berlin: Bertz
  • Rauscher, Andreas (2000): Die dunkle Seite von Disneyland. Die Filme von Tim Burton. In: Stiglegger, Marcus (Hrsg.): Splitter im Gewebe. Filmemacher zwischen Autorenfilm und Mainstreamkino, Mainz: Bender 2000, S. 264-285

News: ALICE IN WONDERLAND - Erstes Poster

Alt.

Juni 26, 2009

News: ALICE IN WONDERLAND - Update

Ein paar Neuigkeiten. Zum einen wurde das Filmlogo veröffentlicht, außerdem ging die offizielle Website online und wurden die Bilder noch einmal in High-Res zur Verfügung gestellt.

Juni 24, 2009

Kino: TRANSFORMERS - REVENGE OF THE FALLEN

Ein zweites Mal werden die einst in den weltweiten Kinderzimmern vieler Millionen Jungs und vielleicht auch einiger Hundert Mädels beheimateten Transformers aus ihrem Spielzeugkontext entlassen und zur gigantischen Welt- bedrohung für das Kino aufgeblasen. Ein zweites Mal also lässt Michael Bay die guten Autobots gegen die weniger guten Decepticons kämpfen, lässt schnittige Wagen, Brücken und gar Pyramiden im fernen Ägypten in die Luft gehen. Und ein weiteres Mal hat dieses gewaltige Krawallspektakel bei alldem nicht die Spur jenes Charmes, jenes ironischen Augenzwinkerns oder aufrichtigen Willens zum Unernst, das die Giga-Adaption eines Gaga-Spielzeuges vor dem totalen Missverständnis bewahren mag: Doch es ist ein solches, es ist eine Infantilitätsgroteske von höchster Unfreiwilligkeit und eine anschauliche Beweisführung grandioser Selbstüber- schätzung und mittelschweren Größenwahns.
 
Die Größe, die glaubt Michael Bay in allen logistischen, finanziellen und materiellen Belangen seiner Produktionen nachweisen zu können – formal und ästhetisch ist das Klotzkino in seiner größtmöglich ausgestellten Form: In ständiger Bewegung schwenkt und umkreist die Kamera ehrfürchtig die unzähligen Spezialeffekte, fügt sie sich der Überwältigungsstrategie der Bilder, die in permanenter Untersicht eine kuriose Poesie von sengenden Abendsonnen, majestätischen Armeehubschraubern und –Flugzeugen sowie lasziven Bikinimiezchen, die sich mit ihren solariumsgebräunten Traummaßen zumeist sinnigerweise über schmutzige Auto- oder Motorradhauben beugen, zu bilden meinen. Und trotz gigantischen Budgets sieht ein "Transformers II" immer noch teurer aus als er es eigentlich sein dürfte oder müsste oder sollte, was nicht zuletzt einer effektiven Kostenminimierung durch ausgiebiges Product Placement und der großzügigen Unterstützung US-amerikanischer Abwehrdienste zu, nun ja, verdanken ist. Michael Bay wird nimmer müde das alles nachhaltig zu betonen.

Das Platzieren von Kommerzprodukten und wenig subtile Werben für militärische Rekrutierung ist hier ebenso wie im ersten "Transformers"-Bewegte-Bilder-Bogen insofern konse- quent (wie gleichwohl gefährlich), als Michael Bays zweieinhalbstündige Spielzeugschlachtpalette selbst nur als ein einziges Produkt wahrgenommen werden darf. Es bildet sich aus der exakten Berechnung eines optimalen Zielgruppenfilmes, der nach bestimmten Regeln gestrickt und dabei möglichst profitabel vermarktbar werden soll. Bay hält sich folgerichtig nicht mit Nebensächlichkeiten wie einer dramaturgisch schlüssigen Struktur auf, sondern vertraut ganz auf die Kraft seiner ewig gleichen und in ihrer Primitivität und Peinlichkeit von hoher Fremdscham gekennzeichneten Werbebilder, die postkartengetreu mal riesige aufeinander einkloppende Roboter, mal sexy Skihäschen, mal die neusten Superflitzer und ganz besonders freilich die aktuellste protzige Militärtechnik ins rechte (braun-sonnige) Licht rücken. Der manche Verbindungslücke zu füllen bemühte Humor speist sich dabei zumeist aus Minirobotern, die der Protagonistin ans Bein ficken, einem Dick- und einem Doof-Transformer, sowie den heraushängenden Metallklöten eines Riesen-Decepticons.

Die erschreckend einfallslose Montage dieser ohnehin fragwürdig dümmlichen Elemente ist noch weniger Furcht einflößend als das mangelhafte Gespür für Timing, Dialoge und – vor allem – zentrale Action-Pieces, die wie so oft bei Michael Bay nur durch den Schnitt zu einer Choreographie gebracht und im Vergleich zum Vorgänger durch schlampige, unkenntliche und kaum nachvollziehbare Effekte mit andauernder, aber austauschbarer Live-Action verknüpft werden. Zu keiner Zeit möchte sich bei dem lautstarken und rasch immens nervtötendem Donnerwetter so etwas wie Charme, Schmunzeln oder Beherztheit einstellen, immer aber wollen sich die Fetischentwürfe – und es sind letztlich solche, reine kalkulierte Bildkonzepte von Werbung und Militär- propaganda – in ihrer Verweigerung von Ernsthaftigkeit (im gleichen Moment, wie sie Joe Dante oder Steven Spielberg zu huldigen gedenken!) als bierernst verstanden wissen. Das funktioniert nicht eine Sekunde, und es macht Michael Bay noch lange nicht zu so etwas wie einem Regisseur – oder "Transformers II" überhaupt zu einem… Film.


0% - erschienen bei den: FÜNF FILMFREUNDEN

Juni 22, 2009

News: ALICE IN WONDERLAND - First Look

Und hier in High-Res. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Das übertrifft meine Erwartungen...

Juni 19, 2009

Zuletzt gesehen: SHALLOW GRAVE

Kleine Morde unter Freunden. Der Titel fasst nicht nur den fatalistischen Plotverlauf zusammen, er kommentiert auch ironisch, was Danny Boyles bemerkenswertes Spielfilmdebüt genüsslich vor- und später richtig schon nachbereitet, nämlich die Selbstzerstörung dreier junger Studentenyuppies, deren Selbstgefällig- und Überheblichkeit und nicht zuletzt grandiose Selbstüberschätzung ihnen in dieser makabren Komödie teuer zu stehen kommt. Der Film kann dabei schnell als schottische Neuauflage von Hitchcocks "Trouble with Harry" für die neobürgerlichen Mitzwanziger verstanden werden, die sich in dekadenten Wohngemeinschaften zusammenfinden und selbst dann noch abfällig-locker die Leichtigkeit des Seins auskosten, wenn ihr neuer Mitbewohner unerwartet auf dem Bett vor sich hinverwest. Die enorm einfallsreichen Ideen und außergewöhnlich sorgfältige Licht- setzung, mit der Boyle den konzentrierten Stoff als theaterartiges Ein-Raum-Stück inszeniert, verschleiern den eigentlich ungeheuerlich bösen, negativen, bitteren Tonfall des Films, der nur durch die wunderbare Schlusseinstellung noch einmal eine augenzwinkernde Kurve einschlägt.
70%
Dank gilt meinem Blogger-Kollegen Tumulder, der mir nicht nur die DVD ins Haus flattern ließ, sondern damit auch erwirkte, dass ich nach Monaten mal wieder einen Film in den heimeligen Player einwarf.

Kino: KINOSTARTS 18.06.2009

  • State of Play (Thriller, USA 2009)
  • Rohtenburg (Horrordrama, D 2006)
  • Shopping-Center King (Komödie, USA 2009)
  • Contact High (Slacker-Komödie, A 2009)
  • Miss March (Komödie, USA 2009)
  • Global City Beats (Experimentalkurzfilm, D 2009)
  • Alle Anderen (Drama, D 2009)
  • Die Stimme des Adlers (Abenteuer, D/S 2009)
  • No Time to Die (Komödie, D 2009)
  • I Dreamt Under the Water (Liebesdrama, USA 2008)

Sehr bizarr, dass "Rohtenburg" jetzt ganz plötzlich nach langem Rechtsstreit hierzulande doch noch in die Kinos gelangt. Das war damals meine erste Pressevorführung, und ich habe seinerzeit auch eine Kritik dazu verfasst, die ich jetzt aber nicht verlinke, weil sie mindestens so grausig ist wie der Film, der mit Dialogen wie "hallo, ich bin dein Fleisch, gegen wir zu mir oder zu dir?" bestenfalls als unfreiwillig komischer Exploitation-Trash funktioniert.

Juni 13, 2009

News: Upcoming Reviews

Demnächst Filmbesprechungen zu: "Fanboys" (Kyle Newman), "Transformers II" (Michael Bay) und "Oben" (Pete Docter, Bob Peterson).

Juni 11, 2009

Kino: KINOSTARTS - 11.06.2009

  • Obsessed (90'-Bitchfight-Thriller, USA 2009)
  • Dragonball Evolution (Kinder-Sci-Fi, USA 2009)
  • Drag Me To Hell (Retro-Horror, USA 2009) [Kritik]
  • Kleine Verbrechen (Liebeskomödie, GR 2008)
  • Che - Revolucion (Bio-Pic, USA/E 2008) [Kritik folgt]
  • Spielverderber (Doku, D 2007)
  • Drifter (Doku, D 2007) [Kritik]
  • Der Entsorgte Vater (Doku, D 2008)
  • Königin im Ring (Doku, D 2009)

Juni 10, 2009

Radio: FILM-BLUE MOON 08/09

Heute wieder Film Blue Moon. 22Uhr. Zwei Stunden lang. Mit Ronald Bluhm und Tom Ehrhardt. Auf Radio Fritz. So geht's: Anrufen, mitdiskutieren, dann in die Geschenkekiste greifen. Per Livestream oder direkt im Radio. Wer die Sendung verpasst, kann auf den Podcast zurückgreifen, der am nächsten Tag abrufbar ist. Wie es aussieht kann ich schon wieder nicht dabei sein... ja, ja, der Blog verwildert und selbst beim Blue Moon rufe ich nicht mehr an, i know. Beschwerden nehme ich per Mail entgegen. :)

Das hab ich doch irgendwie schon mal genau so gesehen. Das ist der Eindruck, den Ihr ziemlich easy gerade im Kino bekommt. Kaum ein originaler Stoff findet in der Blockbuster Saison den Weg auf die Leinwand. Ob Tom Hanks "Da Vinci Code" - Sequel, Ben Stillers Security-Travestie "Nachts im Museum 2", der 4. Terminator oder die 4000. romantische Komödie mit Matthew McConaughey - alles schon mal da gewesen. Wer konnte euch unter diesen Bedingungen vom Hocker reißen? Talkt mit Filmfritz Ronald Bluhm und Tom Ehrhardt und greift Goodies aus der Fritz Film Kiste ab!

Juni 09, 2009

Kino: DRAG ME TO HELL

In großer Sorge gibt ein verzweifeltes Elternpaar ihren Jungen in die Obhut einer Frau, die das geschwächte Kind mit vereinten Heilkräften von einem teuflischen Fluch zu befreien versucht. Ehe sie die Mächte des Guten beschwören kann, knallen Fenster und Türen auf, zieht ein fürchterlicher Sturm durch die alte Villa – und krallen sich urplötzlich die Hände des Teufels das hilflose Kind, um es vor den entsetzten Augen der Eltern in den Höllenschlund zu zerren. "Drag Me To Hell" steht dort geschrieben, als Christopher Youngs dämonische Choräle in ohrenbetäubender Lautstärke ertönen.
 
Es ist eine schlicht grandiose Pre-Title-Sequenz, die da den Auftakt für Sam Raimis glorreiche Rückkehr zum traditionellen Geisterbahnhorrorfilm bildet. In diesen ersten Minuten bereits stellt der "Spider-Man"-Regisseur sein Handwerk demonstrativ aus: Es ist ein Bekenntnis zum Genrekino des visuellen Ideenreichtums und der lautstarken Schockeffekte, die nach dem nostalgischen Universal-Logo ohne Umschweife über den Zuschauer hereinbrechen. "Drag Me To Hell" darf als verspielte, rückbesinnliche Nummernrevue verstanden werden, in der sich Raimi mit größtmöglicher Freude durch seine "Evil Dead"-Trilogie hindurchzitiert.

Man ahnt nach der spektakulären Exposition, was auf die bezaubernde Christine Brown (Alison Lohman) zukommen mag, als die Bankangestellte eines Tages den Unmut einer alten schrulligen Zigeunerdame heraufbeschwört, der sie aus berufstaktischen Gründen ein Darlehen verweigert. Die greise Frau belegt Christine mit einem folgenschweren Fluch: Ein Dämon wird sie drei Tage lang heimsuchen, ehe sich die Pforten zur Hölle öffnen und die junge Frau verschlingen werden. Rosige Aussichten.

Als sich die ersten übernatürlichen Zeichen ankündigen, sucht Christine Rat bei dem Hellseher Rham Jas (Dileep Rao), der ihr allerdings ebenso wenig einen Weg aus der Verdammnis aufzeigen kann wie ihr hilfloser Freund Clay (Justin Long). Unglücklicherweise verstarb die alte Zigeunerin zu alledem kurz nach Ausspruch des Fluchs, sodass Christine nur eine moralisch problematische Möglichkeit bleibt, um den Händen des Teufels zu entkommen: Den Fluch an einen unschuldigen Menschen weiterzugeben.

Raimi fährt ein illustres Sammelsurium an Horrorklischees auf, um die gute Christine über die gesamte Laufzeit anständig zu matern: Klirrende Fenster und knirschende Türen, Geisterseancen mit Ziegenböcken und schließlich gar ausgehobene Gräber im besten Poeschen Sinne. Selten wurden klassische Gruselstimmungsbilder so liebevoll entworfen und in Folge ausschlachtend inszeniert wie in dieser munteren Fingerübung.

Doch der tiefe Griff in die Effektmottenkiste dient bei allem Vorführcharakter nie dem bloßen Abspulen gängiger Genrereferenzen, sondern verbindet sich zum einen mit einer schlüssigen, wenn auch arg simplen Gothic-Horror- Geschichte, und ist zudem deutlich als Geschenk des Regisseurs an seine langjährigen Fans zu verstehen. Nach seinen Ausflügen in die Blockbuster-A-Liga Hollywoods bedeutet "Drag Me To Hell" für Raimi schließlich die Rückkehr zum Affektkino, das einen Regieeinfall nach dem anderen aufbietet.

Der Film ist dabei ästhetisch stark an die knalligfarbene Comicsprache der drei "Evil Dead"-Abenteuer angelehnt, die er mit herumfliegenden Augäpfeln und kryptische Verse stammelnden Dämonen auch überdeutlich bemüht. Die vielen Selbstzitate werden hingegen stets mit neuen, originellen und beeindruckend inszenierten Horrorsequenzen kombiniert, in denen Raimi seine technische Vorliebe für gesenkte Kameraeinstellungen, raffinierte Schnitte und zahlreiche schleimig-eklige Spezialeffekte voll ausspielen darf.

Insbesondere bei der Verknüpfung effektvoller Gruselbilder mit einem schrillen und teils dissonanten Score von Christopher Young – dessen ewige Bezüge zu seiner eigenen stilbildenden "Hellraiser"-Musik selten passender erschienen – erweist sich Raimi als brillanter Vermittler wirkungsvoller Genrezutaten. Er hat es dabei wie schon in seinem "Tanz der Teufel" verstanden, dass dem Slapstick der Horror-Comedy zu allererst einmal auch wirklicher Horror vorangestellt werden muss. So ist der fast expressionistische Einsatz des Teufelschattens, der Christine in ihrem Haus heimsucht, in der Tat ebenso unheimlich wie gleichzeitig absurd-komisch.

Es wirkt nun selbstredend so, als hätte Raimi sich dringend einmal von seinen gigantischen Prestige-Produktionen der letzten Jahre emanzipieren müssen, um wieder ein Stück der flexiblen Inszenierungslust seiner früheren Filme zurück zu gewinnen. Mit knalligem Retro-Horror wie "Drag Me To Hell" hat der Regisseur gewiss seine Wurzeln wieder gefunden, darf sich nach diesem Quasi-Initiationsritual aber nichtsdestotrotz dennoch guten Gewissens an die Vorbereitungen für "Spider-Man 4" machen. Und dann auch gern mit einem Cameo von Bruce Campbell, den Raimi uns hier seltsamerweise schuldig bleibt.


75% - erschienen bei: gamona

Juni 02, 2009

Kino: TERMINATOR SALVATION

Nachdem der dritte Film von Jonathan Mostow die lange Zeit so heilige Terminator-Kuh vor einigen Jahren schamlos leer gemolken und damit offiziell den Weg für einen kompletten Franchise-Ausverkauf, u.a. in Form einer selten blödsinnigen und schlecht produzierten Fernsehserie, geebnet hat, ist der Stoff nun endgültig freigegeben für die totale Verwurstung durch Studio und Produzenten. Mit Werbe- und Musikclipfilmer McG sitzt für den vierten "Terminator" deshalb jetzt auch folgerichtig ein Mann an den Hebeln, der den einst so faszinierenden Kinomythos ganz erfolgreich zu Grabe trägt.
 
Vermutlich hätte James Cameron sein Baby nie aus der Hand geben dürfen, oder vielleicht auch er der Versuchung widerstehen sollen, das stilprägende Original zur großen Saga auszudehnen. Andererseits ist "Terminator 2" nicht nur eine beispielhafte Demonstration dessen, wie man ein Sequel gemäß des Prinzips der Wiederholung – und letztlich sind Fortsetzungen per se Wiederkäuer – in jeder Hinsicht maximiert, also als noch größeres Spektakel inszeniert. Sondern auch ein bemerkenswertes Positivbeispiel für die Strategie der Postmoderne: Die Umkehrung, der ironische Bruch, der nicht mehr böswillige Arnie.

Das war zu Beginn der 90er. Heute, möchte man meinen, gibt es keine solch bewussten Beispiele mehr. Das ist kein Klagelied über die Innovationsleere des Kinos, es ist die einfache Feststellung, dass sich im Mainstream und insbesondere im Genrefilm ein ultimativer Stillstand abgezeichnet hat. Das, was da seit Jahren Kasse macht, ist nichts anderes als die Wiederholung des ewig gleichen. Wenn man sich "Terminator: Die Erlösung" anschaut, wundert es einen vermutlich schon gar nicht mehr, dass man diesen Film eigentlich bereits kennt.

Es ist eine einzige große Wiederverwertung von bereits Bekanntem, ein Pool aus Referenzen, Zitaten und Bezügen, nicht nur auf den eigenen Filmmythos (was ja legitim ist), also die Idee Camerons, sondern auch auf "Mad Max", auf "Transformers" oder vielleicht auch die Power Rangers. Die Auswahl ist willkürlich, weil der Film zu keiner Sekunde originär wirkt. Selbst wenn McG, der "3 Engel für Charlie"-Regisseur, diese Geschichte ganz frei von jedweden Vorbildern auf uns Zuschauer losgelassen wissen möchte, so erinnert doch alles an schon Dagewesenes: Bewusst oder unbewusst, konkret oder unbenannt – es ist der Fluch einer unsäglichen Entwicklung, die sich aus Reboots, Remakes, Reimaginations, Relaunches und anderen Synonymen für den großen Ideenverlust speist.

Folgerichtig erschließt dieser neue "Terminator" keinerlei neuen Raum, bedeutet keinen Neuanfang der Serie und ist überhaupt in jeder Beziehung nicht neu. Er spinnt auch Camerons Geschichte nicht weiter, sondern spinnt ganz generell ein wenig. McG bebildert jene postnukleare Zukunft, von der Kyle Reese alias Michael Biehn schon im 1984er-Original mit großem Schrecken berichtet – und die uns Cameron in einigen Zeitsprüngen auch zu vermitteln versuchte. Ein erwachsener John Connor (Christian Bale) kämpft hier also noch immer gegen Skynet, noch immer gegen die Maschinen, und irgendwie auch gegen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich.

Die innere Logik, die Cameron bereits mit seiner eigenen Fortsetzung überwunden hatte, wird in diesem vierten Film nicht ad absurdum, sondern in ungeahnte Grenzbereiche geführt. Es stellen sich dabei illustre Fragen nach dem "Was wäre wenn"-Prinzip, etwa: Was wäre, wenn Kyle Reese (Anton Yelchin), bekanntlich John Connors Vater, im Laufe der Handlung ums Leben käme – würde sich sein Sohn dann auf der Stelle in Luft auflösen, weil er nie gezeugt worden wäre?

Es spielt natürlich keine Rolle, dass sich der Film mit den genretypischen Zeitparadoxien herumschlagen muss, es wäre nur schön gewesen, wenn er dabei noch etwas zu erzählen gehabt hätte. Stattdessen reiht sich Actioneinlage an Actioneinlage, geht immer, wenn wieder einmal drei (der zugegeben stets bemerkenswert blöden) Dialogsätze abgehakt wurden, das große Rambazamba los. Unter dem lauten Getöse verschwindet dann der ganze Rest, was zumindest im Falle des schnarchigen Ensembles keinen Verlust bedeutet – allen voran Schlaftablette Christian Bale, dessen verbale Set-Ausraster einem nun immerhin nachvollziehbar erscheinen.

Der "Dark Knight"-Star ist in gewisser Hinsicht auch das eigentliche Problem des Films: Das ursprüngliche Script sah für John Connor nur eine Nebenrolle am Schluss vor. Als Bale zu dem Projekt stieß, stellte er aber mal wieder alles ein wenig auf den Kopf: Gedacht war, dass er die Rolle Sam Worthingtons übernehmen würde, stattdessen wollte Bale um jeden Preis Connor spielen und ließ das Drehbuch so lange umschreiben, bis seine Figur genügend zu tun haben und die Geschichte keinen wirklichen Sinn mehr ergeben würde. Diese eitle Praxis übermütiger Schauspieler steht zum Beispiel auch bei Edward Norton auf der Tagesordnung: Und fast immer endet das in einer künstlerischen Katastrophe.

"Terminator: Die Erlösung" stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Ein Regisseur, der drei Viertel des Films mit permanenten Nah- und Großaufnahmen herunterinszeniert. Ein Hauptdarsteller, der sich lieber in Angelegenheiten jenseits seines Kompetenzbereiches einmischt, statt seine bedauerlichen Egoprobleme in den Griff zu bekommen. Und ein Franchise, der schon im Vorgänger nur noch als Joke über sich selbst taugte. Es ist ein Trauerspiel frei von jeder Tiefsinnigkeit, das nur noch auf die niedrigen Ansprüche eines zahlungswilligen Popcorn-Publikums hoffen darf.


20% - erschienen bei: gamona