Januar 14, 2007

Retro: HSI YEN (1993)

"Hsi yen" oder "The Wedding Banquet" ist nach "Pushing Hands" die zweite Arbeit des taiwanesischen Regisseurs Ang Lee, der auch das Drehbuch für die Geschichte eines schwulen Chinesen aus traditioneller Familie im New York der 90er-Jahre schrieb, und bildet den Mittelteil der „Fathers knows best“-Trilogie, die mit "Eat Drink Man Woman" ihren Abschluss erfährt. Der bilingual gedrehte Film leitete die internationale Karriere Lees ein, wurde in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, sowie als „Bester nicht englischsprachiger Film“ für den Golden Globe und Academy Award nominiert. Er vereint mit bemerkenswerter Leichtigkeit zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und zeichnet sich bereits durch jenen feinen, sensiblen Ton aus, der auch die folgenden Werke des Kinopoeten bestimmen sollte, für die dieser schließlich den Grundstein legte.

Den Film durchzieht eine innere Spannung, die sich aus dem Widerspruch zwischen fernöstlicher Mentalität und westlichen US-Sitten ableiten lässt. Vom Leben des jungen Wei-Tung und seinem Freund Simon im modernen, aufgeklärten New York wissen die Eltern nichts, sie erhoffen sich daheim, dass ihr Sprössling eine wohl gesonnene Frau finden und alsbald für Nachwuchs sorgen wird. Der angekündigte Besuch kompliziert einiges, sodass sich das Paar gezwungen sieht, ein umfangreiches Lügenkonstrukt zu entwerfen: Eine Freundin Wei-Tungs soll als Ehefrau in spe fungieren, so lange bis die Eltern wieder ihre Heimreise antreten werden. Das sorgt für einige Probleme und droht im totalen Familienchaos zu kulminieren, doch Ang Lee ist nicht der Mann für turbulente, überdrehte Geschichten, sondern porträtiert leise und überaus sorgfältig, mit sanftem Humor und feinfühliger Tragik die Eigenheiten des chinesischen Kulturverständnisses.

Es ist der persönlichste Film des Regisseurs, der sich selbst zwischen zwei Welten zurechtfinden musste und stets mit der Aufgabe zu kämpfen hatte, Traditionen mit Neuerschaffungen zu vereinbaren. Dieser ständige Dialog des Lebens als Hintergrund verhilft "The Wedding Banquet" zu seiner warmherzigen Lebendigkeit. Die westlichen Klischees, die in Zusammenhang mit der chinesischen Kultur geäußert werden, sind zumeist Essen und Familie – als Element und Thema bestimmen sie auch diesen Film, doch nicht ohne gründlich untersucht zu werden. Denn das Kochen erscheint bei Lee als Motiv für eine Art Ersatz-Kommunikation zwischen den Figuren. Entweder verständigen sie sich über die Zubereitung des Essens wie im Falle von Simon und Wei-Tungs Mutter, reden zu Tisch über Nahrung und Nichtigkeiten, oder ziehen sich einfach stillschweigend zurück – und kochen, in sich gekehrt.

Dadurch wird, ganz nebenbei, mit kleinen Nuancen in alltäglichen Situationen das Bild dieser Familie gezeichnet. In dem chinesischen Emigranten Wei-Tung mag sich Ang Lee gewiss wieder finden: Das Leben in den USA wird durch die eigene Identität eingeholt, und das entnervte Auftreten des Mannes ist Ausdruck einer schweren Erkenntnis – dem schleichenden Verlust kultureller und familiärer Wurzeln, dem unauflösbaren Widerspruch zwischen individuellem und familiärem Glück. Der innere und äußere Druck, dass alles der chinesischen Ordnung und Harmonie entsprechen muss, droht den jungen Mann zu zerreißen. Als jemand, der seine Sexualität frei ausleben und dennoch nicht mit den kulturellen konfuzianischen Traditionen brechen möchte, ist Wei-Tung die typische Lee-Figur, die den Kampf des Individuums gegen normative Regeln und Strukturen und auferlegte Kodexe ausfechten muss.

Dabei ergibt der Blick unter die harmonische Oberfläche ein ernüchterndes Bild. Zuletzt ist es der Vater, das patriarchalische Oberhaupt, das seinen Führungsverlust längst eingestanden hat, der das Geheimnis seines Sohnes bereits kannte, und die Ehefrau (die ihn vor der Wahrheit wiederum „schützen“ will) in dem Glauben lässt, er wüsste es nicht. Das erwünschte Enkelkind wird Wei-Tung seinen Eltern durch einen unverhofften Zwischenfall – die vorgetäuschte Liebesnacht mit der Scheingattin hat einen unerwarteten, versehentlichen Ausgang – schenken können, das ist alles, was für sie zählt. Sie wissen, ihr Sohn lebt nach einem anderen Modell als dem ihrigen, doch sie sprechen nicht darüber – sie kochen. Am Ende von "The Wedding Banquet" steht die bittere Erkenntnis über die Beschaffenheit der Ideologie von Familie: Sie kann intakt und harmonisch sein, doch ausschließlich deshalb, weil sie auf Lebenslügen basiert.


80%