Dezember 02, 2006

Kino: FLAGS OF OUR FATHERS

Sie erleben nur einen Bruchteil dieses Pazifikkrieges, es sind Tage, die wie Wochen, fast Jahre erscheinen mögen, doch sie prägen sie bis weit in den Lebensabend hinein. Die drei Marine-Soldaten, die kurz nach der Schlacht an der Küste Iwo Jimas abgezogen werden, sind erzwungene Hoffnungsträger einer Nation, eine fleischgewordene Legitimierung für Krieg, dieses organisierte Töten von Menschen, und das nur, weil sie auf einem Bild zu sehen sind, das sechs Männer zeigt, die die Flagge der Vereinigten Staaten hoch oben auf dem Mount Suribachi hissen. Die Hälfte von ihnen wird die Folgetage nicht überleben, die blutjungen John, Ira und Rene aber werden dem Schlachtgetümmel entrissen, als sich das zufällig geknipste Bild in der weit entfernten Heimat zum symbolischen Aushängeschild manifestiert.

"F
lags of our Fathers" ist eine akribische Untersuchung dieses historischen Phänomens, ein Versuch, diese Stimmung sowohl bei den Menschen daheim, die für den Krieg sensibilisiert werden sollen, als auch den kämpferischen Soldaten direkt vor Ort durch das symbolhafte Bild der „Fahnenhisser“ zu verbinden. Und diese Geschichte von der Entstehung und Auswirkung eines einzigen Photos, das ist auch gleichzeitig die Geschichte des ganzen Krieges in komprimierter, vereinfachter Form, als transzendierte Darstellung des eigentlich Unvorstellbaren. Dafür wählt Regisseur Clint Eastwood weniger einen Hyperrealismus, der die Schlachten als blutig-lautes Splattergetümmel erscheinen lässt, sondern erzählt den Film nicht ausschließlich über die Sicht seiner Protagonisten – die Momente des Krieges erscheinen zwar roh und dreckig, dunkel verfärbt und kühl, aber es sind mitunter Bilder einer Schlacht, wie sie sich ein Unbeteiligter vorstellen könnte.

Demgegenüber stehen die vielfältigen Eindrücke, der Überschwall an Emotionen, den die drei Soldaten unmittelbar erfahren, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Hier blickt Eastwood durch die Augen der ehemals Unschuldigen, die jetzt zu Stars umgeschrieben werden, die Touren durch das ganze Land absolvieren. Ein einziger Moment, auf Film festgehalten, wird zum Ausdruck siegreichen Heldentums. Nicht wenige Regisseure hätten die Gelegenheit so genutzt, wie sie sich auch leichtfertig ergäbe, als unkritisch-feierliche Zelebrierung von Nationalstolz, als symbolisches Hohelied auf den unwiderruflichen Erfolg im Krieg. Das wäre dann in blutige, alptraumhafte Bilder getränkt, vielleicht würde die Kamera auch fliegenden Kanonenkugeln bis zum Einschlag folgen, aber es stünde ganz im Zeichen glorreicher Notwendigkeit, an deren Ende nur der Sieg stehen könnte.

Weder erliegt Eastwood dieser Verlockung, noch ist er überhaupt an Derartigem interessiert. Seine Vorstellung von diesem Krieg ist eine subtile, stellenweise etwas zu ehrgeizige Abstraktion. Er feiert keine Helden, sondern er zeichnet deren Bloßstellung in doppelter Hinsicht: Wie sie hineingedrängt werden in eine Schlacht um Leben und Tod, die in ihrer Willkürlichkeit Verlierer oder Gewinner gar nicht kennen kann, und wie sie zu Werbefiguren einer durchorganisierten Kampagne für Kriegsanleihen degradiert werden. Das Blitzlichtgewitter der Photographen, das fast perverse Nachspielen elementarer Kriegsmomente auf Pappmache vor einem Massenpublikum, all das ist nicht weit entfernt von der Auslieferung nach Iwo Jima, und die drei jungen Männer erleben genau diese Zeit auf individuelle Weise als absurde Farce.

"Flags of our Fathers"
überzeugt mit unaufgeregtem, distanziertem Blick, er stellt Ruhe- und Aktionsmomente gegenüber, um die Geschehnisse weitsichtiger zu betrachten. Damit gelingt ihm einer der sensibelsten Filme zum Thema, dem oftmals nur der rechte Rhythmus fehlt. Nicht immer sind die Ebenen glücklich verknüpft, und auch einige der Schauspieler, vor allem Ryan Phillippe, sind der Ausdrucksstärke ihrer gebrochenen, unsicheren Figuren nicht gewachsen. Hier meint man zu glauben, dass die Vorstellungen der Produzenten um Steven Spielberg nicht immer den intendierten Absichten Eastwoods entsprochen haben mögen, was die latente, aber auch nicht maßgebliche Instabilität des Films erklärte. Interessant dürfte sich jedoch der Seitenwechsel gestalten – der in Japanisch gedrehte "Letters From Iwo Jima" widmet sich dem anderen Blick auf den Pazifikkrieg. Das allein verdient noch keine Liebesbekundungen, aber es ist von Notwendigkeit: „In den Kriegsfilmen meiner Jugend war die Welt klar in die Guten und die Bösen aufgeteilt. Das hat aber mit dem wirklichen Leben, mit dem wahren Krieg nichts zu tun. In meinen Filmen geht es nicht um Sieg oder Niederlage. Es geht um das, was der Krieg in den Menschen anrichtet, es geht um jene, die viel zu früh sterben müssen.“. Eastwood hat das begriffen. Vielleicht werden es ihm andere nachmachen.


75%