Juli 21, 2011

Kino: INSIDIOUS

Die alte Mär verstorbener Menschen, deren ruhelose Seelen Kontakt zu den Lebenden suchen, hat den klassischen wie zeitgenössischen Horrorfilm zu zahllosen Geistergeschichten von verfluchten Häusern, übernatürlichen Kräften und Botschaften aus dem Jenseits inspiriert. Dutzendfach variierte sich das Haunted-House-Sujet zum eigenen Abguss, Gespenster und Entitäten belagerten alte Anwesen, ergriffen Besitz vom Menschen oder entführten gar unsere Kinder in ihr Zwischenreich aus Leben und Tod.

In der immer noch jüngsten Modifikation des Geistermythos’ vermengen sich japanische Horrortradition und westliche Urban Legends zum ästhetischen Klischee kleiner blasser Mädchen, deren lange schwarze Haare nicht nur Gesichter, sondern auch verborgene Schrecken verhüllen. Das Videoband als Medium übernatürlicher Aufnahme hat den Geisterhorror über kulturelle Grenzen hinaus erfolgreich in der Neuzeit installiert und doch nur wieder eine Schwemme an Old-School-Genrefilmen befördert, in denen Séancen gehalten und körperlose Mächte beschworen werden.

"Insidious", geschrieben uns inszeniert vom "Saw"-Team James Wan und Leigh Whannell, knüpft da an, wo sich die Geisterverwurstungskette zwischen Wiederholung ("Amityville Horror", 2005), Retro-Chic ("The Orphanage") und 2.0-Mockumentary ("Paranormal Activity") mittlerweile in sich selbst verheddert hat. Vom scheinbar verwunschenen Haus bis zur Besessenheit durch Dämonen zieht der Film sämtliche Register, und freilich darf es dabei immer noch etwas zackiger und lärmender zugehen als in den konkreten Vorbildern.

"Poltergeist" und "The Changeling" werden da ebenso bemüht wie "The Exorcist" oder "Entity" (mit der Besetzung von Barbara Hershey sogar als Zitat auf zwei Beinen), wobei zu vermuten ist, dass sich der Film einer Verortung seiner unoriginellen Horrorbilder angesichts bierernster Reproduktion aller erdenklichen Genreklischees und einer leicht befremdlichen Hartnäckigkeit in der Nachstellung sattsam bekannter Gruselstandards eher entziehen möchte. Aber "Saw" wiederum empfand sich selbst ja auch schon als erfinderisch und klug im Wiederkäuen abgestandener 90er-Jahre-Psychothriller.

"Insidious" (heimtückisch) beginnt, wie fast alle Spukhausfilme beginnen: Schönes Anwesen, entzückende Familie, blanker Terror. Mit merkwürdigen Geräuschen und unerklärlichen Erscheinungen kündigt sich Unheil an, ehe die Geister auch schon munter durchs Wohnzimmer spazieren. Das mit dem Traumhaus hatten sich Josh (Patrick Wilson) und seine Frau Renai (Rose Byrne) gewiss anders vorgestellt, und als dann noch ihr ältester Sohn ins Koma fällt, ziehen sie und ihre drei Kinder gleich schnurstracks wieder aus.

Doch auch im neuen Vororthäuschen wollen die paranormalen Aktivitäten nicht ablassen von der jungen Familie. Eine Teufelsfratze aus dem Jenseits hat es offenbar auf ihren komatösen Sohn abgesehen. Wie ein rasch bestelltes Medium (Lin Shaye, zu Ehren von Zelda Rubinstein) feststellt, trägt das Haus keine Schuld am Spuk, denn: "It's the boy who's haunted!" (das darf wohl als postmoderner Kniff verstanden werden). Ob nun verfluchtes Haus oder verfluchter Junge, an den Gesetzmäßigkeiten des Genres ändert sich freilich nichts. Also müssen sich zum Kontakt ins Jenseits doch wieder alle Händchen haltend um den Tisch herum versammeln, und dann geht’s ans Exorzieren.

Die bessere erste Hälfte fährt einige ausgespielte Gruselmomente auf. Wer anfällig ist für blitzschnelle Schocks, darf hier mehrmals heftig zusammen zucken. James Wan weiß, dass unzuverlässiges Erzählen effektivem Horror sehr zuträglich ist, genauso wie er auf schrille Soundeffekte und psychedelische Klangfetzen setzt, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Mit dem Schauplatzwechsel im zweiten Teil des Films muss sich das Mindestmaß formalen Könnens allerdings schnell einer lautstarken Überbietungsmethodik fügen, wie man sie von Wan leider schon gewohnt ist.

Der anfänglich subtile Horror wird gnadenlos breitgetreten. Generisches Grauen erlangt plötzlich eine konkrete Form, und unheilvoller Grusel wandelt sich zum überwindbaren Schrecken. Der Zwang zur Kohärenz, zum Ausbuchstabieren und vollständigen Erklären des Horrors zwingt den Zuschauer vom unbehaglichen Schaudern in langweilige Sicherheit. In der zweiten Hälfte haut Wan dann richtig auf die Kacke: Statt Akzente setzt er auf Geister im Überfluss, Ausflüge ins Zwischenreich und dröhnende In-Your-Face-Effekte.

So motiviert man den Zuschauer allerdings nicht für eine Gespenstergeschichte, wenn deren übernatürliches Grauen doch sowieso per se nicht (be-)greifbar ist, also bestenfalls skizziert, nicht ausgemalt werden kann. Spätestens im überfrachteten Finale, wo die zuvor noch grob umrissenen Geisterfratzen permanent ins Close-Up-Bild grinsen, während Papa auf Rettungsmission im Jenseits seinen Sohn sucht (die verbliebenen zwei Kinder kippen übrigens irgendwann einfach aus der Handlung), verspielt "Insidious" seine anfänglichen Stärken für den üblichen Larifari-, Wischiwaschi- und Quatschiquatschi-Murks des gegenwärtigen Mainstream-Horrorfilms.


40% - erschienen bei: gamona

Juli 19, 2011

Zuletzt gesehen: IL GATTO A NOVE CODE [The Cat o' Nine Tails / Die neunschwänzige Katze]

Zweite Regiearbeit und italienisch-deutsche Koproduktion Dario Argentos, die den Mittelteil einer lediglich durch ihre Titel verbundenen Giallo-Trilogie bildet. Bereits die ersten zwei, drei Einstellungen nehmen einen Großteil des Films vorweg, zumindest aber seines Handlungsverlaufes und seiner beunruhigenden, eigentümlichen Stimmung. Trotzdem sich der Plot aus zahlreichen Unwahrscheinlichkeiten zusammensetzt, vermittelt Argento, von einigen ins Leere laufenden Nebensträngen abgesehen, eine gradlinige Kriminalgeschichte, in der sich die amateurhafte Detektion zweier Journalisten gegen einen korrumpierten Wissenschaftsapparat durchsetzen muss. In nur wenigen Filmen bewies Argento, vielfach reduziert auf starke Bilder und schwache Handlungen, ein so sicheres Gespür für Drehbuchkonstruktion wie hier – nicht zuletzt, weil die leicht wirren Plotelemente schnell vergessen lassen, dass der Film von der Figur eines blinden Ex-Reporters gerahmt wird, der seine Zeit mit dem Lösen von Kreuzworträtseln (!) vertreibt. Dass "The Cat o' Nine Tails" zudem, ähnlich wie der Vorgänger, durch überragend inszenierte Suspense-Momente und Mordsequenzen besticht, die überraschenderweise auch noch mit viel Humor unterbunden werden, bedürfe womöglich schon gar keiner gesonderten Erwähnung mehr, wenn nicht das Schlussbild selbst diese noch einmal ausstechen würde.


70%

Juli 18, 2011

Zuletzt gesehen: L'UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO [The Bird with the Crystal Plumage]

Visuell prägnantes, anmutiges und stilsicheres Regiedebüt von Meister Dario, inszeniert als Reigen einzigartig filmischer und experimentierfreudiger Thrills. Offensichtliche Unstimmigkeiten im Handlungsgeflecht zeichnen sich bereits in diesem seinem ersten Film ab, an vordergründiger erzählerischer Kohärenz im gewöhnlichen Sinne aber ist Argento glücklicherweise genauso wenig interessiert wie an so genannten glaubhaften Figuren – die Logik des Giallos scheint erst einmal eine ästhetische zu sein. Doch bereits "The Bird with the Crystal Plumage" gibt als erster einer Fülle unterschiedlich interessanter, reizvoller und albtraumhafter Filme Einblick in die genuine Bilderwelt Argentos, die nur grobe Anknüpfungspunkte zu der unseren zulässt, nicht selten mit Spuren von Nihilismus, unmöglicher Liebe und menschlicher Abgründe angereichert ist, und eben vor allem einer ganz eigenen Anschauung entspringt. "This young Italian guy is starting to worry me.", musste dann auch prompt Alfred Hitchcock nach Sichtung dieses viel versprechenden Genreeinstands zugeben.


70%

Juli 15, 2011

Zuletzt gesehen: Sommerloch-Shorties Vol. 1

Kaboom

Eine Nachwehe von Gregg Arakis Teenage Apocalypse Trilogy, vollgepumpt mit adoleszentem Firlefanz und Richard-Kelly-verblödeten Lynch-Echos. Von Anfang bis Ende nervig, abgedroschen und peinlich, und in seiner abgehangenen Post-Grunge-90er-Positur nicht einmal rührig. Weiterhin bleibt
"Mysterious Skin" ein gesonderter Geistesblitz im Araki-Schaffen. - 20%


Don't Go Breaking My Heart

Rundum schöne und profane Dreiecksgeschichte von Johnnie To und Wai Ka-Fai, in der zwei von unterschiedlichen Karrieretiefpunkten geplagte Geschäftsmänner um die Gunst einer zuckersüßen Büroangestellten buhlen. Im übersteigerten Testosteronduell der Kontrahenten werden die womöglich unwahrscheinlichsten Liebesbeweise der Filmgeschichte aufgefahren - mit leichter Verspätung hat die Weltwirt- schaftskrise also auch die Romantic Comedy erreicht.
- 50%


Giallo

Ein Meta-Killerkonzept (Adrien Brody... Byron Deidra... hui!), an Taxis geheftete Kameras, grüngelbes Color Grading, Folterporno-Einlagen und Musik von Timo-Rose-Komponist Marco Werba - Dario Argento is back on track!
"Giallo" (Lüge) aber ist doppelt so gut wie "La Terza Madre", also gibt's 2 von 10 Fleischermesserchen für Argentos vorerst teuersten Film. - 25%


Confessions

"Rashōmon"
meets "Battle Royale". Überinszeniert in jedem Bild, mit ergreifender Hingabe zum schwülstigen Stil und durchsetzt von beachtlichem Zynismus. Leider ein wenig zugekleistert mit verschmierten Symbolen und abgeschabten Werbeclip-Bildern, nichtsdestotrotz einer der interessantesten Filme des Jahres. - 60%


Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2

Besser immerhin als der schnarchige Campingausflug des Vorgängers, aber Dank David Yates' ideenloser Buchseiten- verwurstung nach wie vor nur leidlich interessant. Ein unterm Strich eher spektakelfreier und wenig emotionaler Schlussakt streng nach Produzentenplan, mit dem die anfangs noch recht schönen, später hingegen nur noch brav-langweiligen Harry-Potter-Kinofilme ihr verdientes Ende finden.
- 40%

Juli 13, 2011

Zuletzt gesehen: LES AMOURS IMAGINAIRES

Herzensbrecher, oder: Wie drehe ich einen Nahaufnahmenfilm über das Verlangen nach Liebe. Ästhetizistisch schwul bis Anschlag, Dauerkniefälle vor der Nouvelle Vague, Song- Montagen noch und nöcher. Und im Leben im geht’s oft her wie in einem Film von Rohmer, zumindest wenn man den verlaberten Nichtproblemen aller Figuren Glauben schenken darf. In der Konstruktion einer Ménage à trois aus Eifersüchteleien, Sehnsüchten und Identitätsdurcheinander ähnlich Bernardo Bertoluccis "The Dreamers" oder Christophe Honorés "Les Chansons d'amour", deren Hauptdarsteller Louis Garrel hier einen Cameo als Spiegelbild des obskuren Objekts der Begierde absolviert. Da Xavier Dolan, der den Film geschrieben, inszeniert, produziert, geschnitten und teil- ausgestattet hat (die Hauptrolle übernahm er freilich auch noch), mit seinen gerade mal 21 Jahren so eine verdammt geile Sau ist, haben die Boys und Girls hier immer was zu gucken. Erträglich wird dieses unverhältnismäßig exponierte Slow-Mo-Klagelied übersättigter Hipster-Twentysomethings deshalb zwar noch nicht, mit Dolans zusammengeklaubter narzisstischer Bildsprache weht derzeit aber bezeichnen- derweise wohl trotzdem der frischste Wind durchs Queer Cinema.


30%

Juli 03, 2011

Zuletzt gesehen: FILME IM JUNI 2011


The Tree of Life

(USA 2010, Terrence Malick) (9/10)

Enigma [Nazo]
(J 1978, Toshio Matsumoto) (7/10)

White Hole
(J 1979, Toshio Matsumoto) (6/10)

Metastasis [Shinchin taisha]
(J 1971, Toshio Matsumoto) (6/10)

Mona Lisa
(J 1973, Toshio Matsumoto) (5/10)

Shift
(J 1982, Toshio Matsumoto) (9/10)

Siki Soku Ze Kū [Everything Visible is Empty]
(J 1975, Toshio Matsumoto) (5/10)

Relation
(J 1982, Toshio Matsumoto) (5/10)

Atomanu [Atman]
(J 1975, Toshio Matsumoto) (8/10)

Connection
(J 1981, Toshio Matsumoto) (3/10)

Notorious
(USA 1946, Alfred Hitchcock) (9/10)

Marnie
(USA 1964, Alfred Hitchcock) (7/10)

Torn Curtain
(USA 1966, Alfred Hitchcock) (7/10)

I Confess
(USA 1953, Alfred Hitchcock) (7/10)

The Paradine Case
(USA 1947, Alfred Hitchcock) (5/10)

The Way Back
(USA 2010, Peter Weir) (7/10)

A Colour Box
(GB 1935, Len Lye) (7/10)

Fantasmagorie
(F 1908, Émile Cohl) (8/10)

Au bord du lac [By the Lake]
(F 1994, Patrick Bokanowski) (8/10)

Super 8
(USA 2011, J.J. Abrams) (5/10)

Lara Croft: Tomb Raider
(USA/J/D/GB 2001, Simon West) (1/10)

Disclosure
(USA 1994, Barry Levinson) (3/10)

Garagouz [The Puppet Player]
(DZ 2010, Abdenour Zahzah) (4/10)

Natalie – Endstation Babystrich
(D 1994, Herrmann Zschoche) (6/10)

Natalie – Die Hölle nach dem Babystrich
(D 1997, Heidi Kranz) (6/10)

Natalie – Babystrich online
(D 1998, Dagmar Damek) (2/10)

Natalie – Das Leben nach dem Babystrich
(D 2001, Dagmar Damek) (5/10)

Natalie – Babystrich Ostblock
(D/CZ 2003, Franziska Meyer Price) (6/10)

The Torturer
(USA 2011, Rob Zombie) (7/10)

The Changeling
(CDN 1980, Peter Medak) (8/10)

Shortbus
(USA 2006, John Cameron Mitchell) (4/10)

Metropolis
(D 1927, Fritz Lang) (8/10)

Die Reise nach Metropolis
(D 2010, Artem Demenok) (5/10)

Transformers: Dark of the Moon
(USA 2011, Michael Bay) (2/10)

The Witches of Eastwick
(USA 1987, George Miller) (7/10)

Kokuhaku [Confessions]
(J 2010, Tetsuya Nakashima) (6/10)

Los Ojos de Julia [Julia’s Eyes]
(E 2010, Guillem Morales) (5/10)

Opera [Terror at the Opera]
(I 1987, Dario Argento) (8/10)

Kaboom
(USA/F 2010, Gregg Araki) (2/10)

Insidious
(USA 2010, James Wan) (4/10)

Juli 01, 2011

Kino: TRANSFORMERS - DARK OF THE MOON (Transformers 3 - Der Mond ist dunkel nun)

Auf eine sehr kuriose, aber lehrreiche Weise formt Michael Bay engst abgesteckte Filme passgenau zum Massenerfolg. Nur einmal, in einem wohl versehentlichen Anfall künstlerischer Ambition, drohte dem Multimillionendollarwerk des Kaliforniers leichter Seitenschlag, als ausgerechnet die zumindest partiell interessante Science-Fiction-Replik "The Island" lediglich mühsam schwarze Zahlen schrieb. Der Rest ist die makellose Erfolgsbilanz eines 1A-Strebers, der mit Zielgruppenwirtschaft von beträchtlicher Ökonomie Kohle scheffelt wie sonst nur die ganz großen Universalfilme eines James Cameron oder Steven Spielberg. Und die scharen sich ja längst um Moneymaker-Michael wie die Fliegen ums Scheißhaus: Der eine stellt sich mit ihm aufs Podium, um über die Vorzüge von 3D zu sinnieren (©Avatar), der andere nimmt ihn sogar direkt unter die Produktionsfittiche. Spielberg ist eben so klug, sein eigenes Erbe gleich selbst zu finanzieren (Transformation: Spielbay).

Beide aber bringen ihre Poperzen für den Bay-Stengel aus gutem Grund in Stellung. Nicht nur, weil die Elite der Megaseller schon aus reinen Prestigegründen auf gegenseitige Tuchfühlung gehen muss, sondern weil Michael Bay längst als royaler Nachfolger der ganz großen Hollywoodgiganten gehandelt wird. Wer so beständig am Box Office abräumt, kann sich auch kreuzüble Machwerke leisten (Cecil B. DeMille ist ja schließlich Filmgeschichte, too), das mag den Reiz am Schandfleck für postmoderne Exegeten sogar noch erhöhen. Da können sich Kritik und Fanschar dann um Kopf und Kragen winden, einen ultranerdigen Internetfight nach dem anderen konstruieren und selbst noch talentlosere Geldsammler aus Wermelskirchen zum Boxduell anstacheln – sie landen ja doch nur in der Bay-Bucht wie kleine Fische, die vom neuen weißen Hai verschlungen werden, vom einträglichsten aller Transformers ([ ] Autobot, [X] Decepticon).

Der nun dritte Roboterfilm nach Hasbro steht zwischen seinen Vorgängern. Er ist schwächer als der immerhin ansatzweise leidlich vergnügliche erste "Transformers", weil man die hässlichen Schrotthaufen nach drei überlangen Überwälti- gungsorgien einfach nicht mehr ertragen kann. Und er ist zugleich besser als der zweite Film, was aber auch wirklich nichts zu sagen hat, denn diese orale, anale und banale Penetration des menschlichen Geistes und systematische Zerstörungsmaschinerie aller Nervenzellen markiert wohl noch für lang den unrühmlichen Tiefstpunkt in Bays ohnehin eher höhenfreiem Schaffen. Die Anhänger des Regisseurs, so muss man es immer wieder in Internetforen, Blogs und anderen Filmplattformen lesen, verteidigen ihren Krawallzulieferer gern als Actiongaranten, Popcornkinogenie (was immer das ist) oder auch Blockbuster-Auteur. Nicht totzukriegen ist da die Phrase vom Unterhaltungsfilm, dem verständnislos eingeforderten Rezeptionsgestus, doch einfach mal ein wenig "sein Hirn abzuschalten". Das Außerkraftsetzen von Denken und Fühlen, so könnte man meinen, sei bedingungslose Voraussetzung für den Genuss eines Michael-Bay-Spektakels.

Untersucht man dessen Filme nach Anhaltspunkten für diese ja doch sehr bizarre, dem Mainstreamkino allerdings auch durchaus zuträgliche Domestizierung, stolpert man tatsächlich über einige Fragen die allgemeine Grundhaltung zum Kino betreffend (Näheres dazu in meiner Dissertation: "Nur ein toter Zuschauer ist ein guter Zuschauer – Die Filme von Michael Bay zwischen Hirneinsammelstelle und Dauer- beschall"). Wenn man "Transformers 3" ohne Gebrauchs- anweisung schaut, also gesundheitlich intakt, fällt schnell auf, dass er wie die beiden Vorgänger gestrickt – oder besser gesagt: nicht gestrickt – ist. Alle drei kennzeichnet ein Verzicht auf Filmdramaturgie, nicht unbedingt im konventionellen Sinn (Gott bewahre), sondern schlicht eine Absage an aufeinander aufbauende oder sich anderweitig bedingende Elemente. Der Film ist frei von Akzenten und sogar Teasing, er ist ein überlanger zweiter Konfrontationsakt (unter zweieinhalb Stunden macht’s der Bay einfach nicht), bei dem von Anfang an die Fetzen fliegen.

Jeder Schauplatz-, Szenen-, Sequenzwechsel wird mit Establishing Shots verkleistert – ganz egal, wie oft sich diese wiederholen – und kein Transformer-Roboter-Ding darf das Bild betreten, ohne sich vorher in ein Auto, Radio und was auch immer verwandelt oder wieder zurückgeformt zu haben. Und alles ist ununterbrochen auf Höhepunkt gebürstet, ganz so als wolle Bay das Publikum partout nicht an die Hand nehmen, es überraschen oder wenigstens für seinen Film motivieren. Diese Dauermonotonie hat offenbar tatsächlich einen Effekt zum Ziel, mit dem der Zuschauer so lange passiviert und teilnahmslos gemacht werden soll, bis er sich dem Giga-Gaga-Theater unweigerlich fügen muss (sofern er nicht vom Geschehen ausgeschlossen werden möchte). Das zu erkennen, ist nicht schwer. Es aber erklären oder gar verstehen zu können, relativ unmöglich. Im konkreten Fall von "Transformers 3" liegt die Vermutung nahe, dass der gesamten Crew vor jedem Drehtag Amphetamine in Überdosis verabreicht wurden. Das würde die planlose, sich auf eine fassungslos machende Art aber selbst gefallende Hysterie aller Beteiligten vor und hinter der Kamera zumindest begreifen lassen.

Zum besonderen Verdienst der "Transformers"-Filme zählt ja die Verpflichtung gestandener Schauspielgrößen, die das unkontrollierte Spiel eines Zappelphilipps wie Shia LaBeouf oder der austauschbaren Bikinimiezchen an seiner Seite einigermaßen nivellieren könnten. Allerdings scheint sich jedes Besetzungsmitglied an eine Vertragsklausel zu halten, gemäß derer es so hemmungslos aufzudrehen gilt, dass es in einigen Kinos vielleicht gelingen möge, einfach aus der Leinwand zu hüpfen. John Malkovich scheint zwar offensichtlich nicht wie der Rest der Belegschaft im Solarium eingepennt zu sein, dafür aber hat man ihm kiloweise Bräunungscreme ins Gesicht geschmiert, was sein zwanghaftes Comedy-Acting nicht nur schwer aushaltbar, sondern auch noch unsehnlich macht. Die Coen-Muse Frances McDormand wiederum bemüht sich in ihren wenigen Auftritten, die engärschige Fetischinszenierung ihres Regisseurs mit Ironie aufzulockern, bekommt dafür aber permanent eins auf den Deckel, weil das Drehbuch keine Gelegenheit zu abgestandenem Chauvi-Humor auslässt. Der lustige schwule Koreaner aus "The Hangover", Ken Jeong, verwandelt den Cast dann endgültig in ein Schreckens- kabinett ohnegleichen.

Wirklich und einzig neu ist, dass die Transformers nun alles dreidimensional in Schutt und Asche legen. Das zwingt Michael Bay dankenswerterweise (!), sein Konzept von Action endlich einmal überdenken zu müssen, da 3D eine gewisse Sorgfalt und Ausgewogenheit im Schnitt erfordert. Die (sowieso von der Second Unit inszenierte) Zerstörungswut des Regisseurs wird also nicht wie üblich in schludriger Montage kaschiert, und auch die Spezialeffekte sind detaillierter errechnet – um nicht zu sagen: Sie sind sensationell, brachial und verstörend gut. Leider aber bringen sie allein einen auch nicht durch dieses Infantilitätserzeugnis, das mit nur der Hälfte der Spielzeit vielleicht ja sogar auf eine sehr perverse Art Spaß machen könnte, so mit all dem exponierten Krawall und seinen gigantischen Tricks. Dazu aber müsste die 3D-Brille einen nicht nur vor Doppelbildern, sondern auch flimmernden Helis in Abendsonnen, entsetzlicher Rekrutierungspropaganda und insbesondere der blendenden Doofheit des Films schützen. Aber wahrscheinlich arbeitet James Cameron bereits an einer technischen Lösung des Problems. [/Hirn aus]


25% - erschienen bei: DAS MANIFEST