Februar 02, 2011

Kino: MY SOUL TO TAKE

Vor rund 16 Jahren wurde das Provinznest Riverton von einem Serienmörder heimgesucht, ehe der schizophrene, sich seiner Taten unbewusste Ehemann und Vater Abel Plankov eines Nachts gestellt und zur Strecke gebracht werden konnte. Seither glauben die Einwohner der verschlafenen Kleinstadt, dass der Geist des Riverton Rippers dort noch immer sein Unwesen treibt. Der Aberglaube um düstere Flüche und schicksalhafte Reinkarnationen beschäftigt auch die – huch – 16jährigen Teenager des Orts, weshalb diese in jährlichen Ritualen die Seele des Mörders zu vertreiben versuchen. Gleich sieben Kinder wurden in der damaligen Todesnacht geboren, unter ihnen der schüchterne Bug. Als der Ripper tatsächlich zurückzukehren und sein Werk zu vollenden scheint, muss sich der Junge dem schrecklichen Erbe stellen: Er könnte der Sohn des Serienmörders sein.

"My Soul To Take" ist Wes Cravens erster Film seit über 15 Jahren, den er nicht nur inszeniert, sondern auch selbst geschrieben hat. Es ist ein recht kurioser und teils auch überaus trashiger, vor allem aber ist es hochinteressanter Film, der in den USA  bei Publikum und Kritik gnadenlos durchfiel. Wes Craven stellt allerdings eines von Anfang an klar: Dies ist nicht nur ein sehr persönlicher Film, sondern auch eine Art durchgeknalltes Best-of seines Regisseurs. Gleich in der hysterisch überdrehten, geradezu karikaturesk geschnittenen Exposition feiert Craven die Quasi-Wiederauferstehung seiner mediensatirischen Horrorpersiflage "Shocker", ehe der fatalistische Plot um einen gesichtslosen Teenagerkiller aus der Vergangenheit – über den die Eltern wieder mehr zu wissen scheinen als ihre Kinder – noch einmal sein bizarres Meisterwerk "A Nightmare On Em Street" Revue passieren lässt.

Da dieses reinste Sammelsurium aus Selbstzitaten und Verweisen aufs eigene Schaffen jede Mühe scheut, eine halbwegs logische Geschichte zu erzählen oder sich zumindest vordergründig als Teen-Horror zu behaupten, zielt es geradewegs am breiten Publikum vorbei. Die Handlung von "My Soul To Take" erweist sich vielmehr als elliptische Assoziationskette, in der Craven mit einer traumähnlichen Stimmung Motivkonstanten seiner bisherigen Filme verknüpft. Das kann man aufgrund der vielen Auslassungen, des meist völlig zusammenhanglosen Drehbuchs und der konfusen Inszenierung, die gern auch mal ins Religiöse oder Esoterische driftet, als schlecht erzählt empfinden, so wie offenbar die normative (normierte) Filmkritik in den USA. Man kann hinter dem augenscheinlichen Gewirr des Films aber auch ein Konzept vermuten: Immerhin spielte Craven schon in "Shocker", "New Nightmare" und "Scream" mit Erzählebenen, Klischees und der Belastungsfähigkeit des Genres.

Die sinnliche Grobschlächtigkeit des Films ist viel zu reizvoll, um das zumindest narrative Durcheinander als bloßen Dilettantismus abtun zu können. Allein in den Dialogen, die eigenartig zu nennen noch untertrieben wäre ("It’s not okay for everybody to kill each other all the time."), lässt "My Soul To Take" einen gewissen Unernst erkennen. Auf mal infantile, dann wieder höchst faszinierende Weise variiert Craven zudem Bilder seiner vorherigen Filme, interpretiert sie neu oder führt sie ad absurdum. Die Genreklischees, die in "Scream" benannt, beackert und natürlich auch bedient wurden, multiplizieren sich hier so unverblümt selbst, dass man manchmal tatsächlich nicht weiß, ob man kichern oder mit dem Kopf schütteln soll. Das kuriose Antiklimax-Finale setzt dieser zwischen bekloppt und genial schwankenden Strategie (?) schließlich die Krone auf: Sorgfältig reiht Wes Craven im Abspann seine Storyboards auf, um allem vermeintlich planlosen Quatsch rückwirkend Struktur zu verleihen.

Und dann muss man eben doch noch einmal genau hinschauen, wie sich hinter all dem scheinbaren Nonsens Themen und Motive verbergen, die Cravens gesamte Karriere durchziehen. Aus einer adoleszenten Figurenperspektive visualisiert er auch hier Fragen nach elterlicher Autorität und jugendlicher Selbstverwirklichung, und wie zuletzt in der Teen-Werwolfsgroteske "Cursed" kodiert er dabei die hinreichenden Probleme des Erwachsenwerdens: Hilflos ist der junge Protagonist seinem mörderischen Erbe ausgeliefert und bekämpft den allmählichen Realitätsverlust so vehement wie andere Teenager höchstens ihre Pickel. Den genreüblichen Hokus-Pokus einmal abgezogen, erweist sich der Film im Kern – wie auch "A Nightmare On Elm Street" – als Coming-of-Age-Geschichte, die überdeutlich Cravens Handschrift trägt und wie so oft inmitten des Kleinstadtvorhofs zur Hölle angesiedelt ist.

Auf den ersten ungenauen Blick mag das als handelsüblicher, ungekonnter Slasher mit übernatürlichem Einschlag durchgehen, doch "My Soul To Take" ist eben vor allem ein Film über seinen Regisseur. Suburbia-Teen-Horror, der die Unter-, Ober- oder was auch immer für Töne aller bisherigen Craven-Arbeiten hemmungslos ausstellt, verdreht und zugegeben auch irgendwie banalisiert. Zwischen kalkuliert-naiv und unbedacht-frivol, zutiefst rätselhaft, aber auch von besonderem Reiz. Subtext wird zum Text und das bereits Umgeschriebene doch noch einmal anders gedeutet – "Scream" als "Scream"-"Scream", Meta als Überhöhung. "My Soul To Take" ist vielleicht das, was Craven sich selbst unter seinem Schaffenswerk vorstellt, die eigene intuitive Rezeption als Nochmal-Film oder auch ausgestellter Jux. Dass er damit die Aufhebung seiner stärksten Filme riskiert, ist ihm womöglich egal. Nach der Postmoderne folgt schließlich die Rückkehr zu den Affekten.



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