Doch es blieb das unbefriedigende Gefühl über, Eastwood habe noch eine Rechnung offen. Mit einem bestimmten ikonischen Kinohelden, den er noch nicht aus Sicht jenes in die Jahre gekommenen weisen Mannes reflektiert hat, als der sich der Regisseur spätestens seit seinem Genreabgesang "Erbarmungslos" präsentierte. Dort rollte er das Feld von hinten auf: Dem unwiderruflichen Heldenmythos des Spagetti- westerns, an dessen äußerer Konstruktion er erheblichen Anteil hatte, stand plötzlich eine bittere Welt gebrochener Seelen gegenüber.
Die Figur, die Eastwood wie fast keine andere im Bewusstsein des Publikums und der Fans verankert hat, ist natürlich Harry Calahan, der zynische Held aus den "Dirty Harry"-Filmen. Jener Cop, der sein misanthropisches Weltbild stets mit einem eigenen Verständnis von Recht und Unrecht gegen eine außer Kontrolle geratene und ihm gänzlich unverständliche Welt zu verteidigen wusste. In "Gran Torino" spielt Eastwood nun einen alten mürrischen Kriegsveteranen, der seine Nachbarn rassistisch beschimpft, den örtlichen Geistlichen abweist und seine erwachsenen Kinder als Last empfindet – einen Dirty Harry im Ruhestand.
Walt Kowalski hat einen überschaubaren Tagesablauf: Er sitzt auf seiner Veranda, trinkt Bier, raucht Zigaretten, und zwischendurch poliert er seinen ganzen Stolz, einen alten Ford Gran Torino. Dem Wunsch seiner kürzlich verstorbenen Frau, die Kirche zur Beichte aufzusuchen, mag er nicht nachkommen, und so bemüht sich der Pater vergeblich um den alten Mann. Walt scheint abgeschlossen zu haben, er versteht diese Welt nicht mehr: Seine Nichten tragen Piercings, seine Kinder behandeln ihn wie einen Pflege- bedürftigen – und in seiner Straße wohnen nur noch Migranten.
Als der schüchterne Nachbarsjunge Thao eines Nachts unfreiwillig ein Bandenritual bestehen und den Gran Torino von Walt stehlen soll, erwischt ihn der einstige Koreakriegssoldat dabei und schlägt die Gang-Mitglieder mit seinem M-1-Gewehr in die Flucht. Dadurch wird Walt widerwillig zum Helden seiner Nachbarschaft: Jeden Tag legen ihm die Angehörigen des Hmong-Volkes Geschenke vor die Tür. Doch nur Sue, der Schwester des unsicheren Thao, gelingt es zu dem ver- bitterten Mann durchzudringen und ihn in das Nachbarhaus einzuladen. Nach anfänglichem Misstrauen freundet sich Walt vorsichtig mit der Familie und der ihm fremden Kultur an.
Die Vehemenz, mit der Eastwood diesen Walt Kowalski mit seinen zusammengepressten dünnen Lippen, dem ständigen Stirnrunzeln und grimmigen Brummen zur Identifikationsfigur hochspielt, die man aller rassistischen Sprüche zum Trotz von Beginn an liebenswürdig finden möchte, lässt zunächst einmal keinerlei Bruch vermuten: Der Ton des Films, seine Haltung, hat eine ähnliche Ausrichtung wie die eigenen Vorbilder, auf die er sich bezieht. Eastwood ruft leichtfertig Verständnis für seine Figur hervor – dieses Umfeld aus Jugendgangs, gescheiterter Integration und Menschen, die einem Alteinge- sessenen die Welt erklären wollen, kann nur böswillig kommentiert werden.
Dass die Geschichte zunehmend jedoch den weichen Kern hinter der harten Schale freilegt, ist abzusehen. Allerdings bedeutet "Gran Torino" auch keine simple Abkehr vom zynischen One-Liner-Helden: Der Film spielt immer wieder mit seinem indifferenten Tonfall. Er ist mal seltsam komisch, befremdlich böse und politisch inkorrekt, und dann wieder sentimental und aufrichtig. Es scheint, als wolle Eastwood sich nicht allzu einfach von seinem Dirty-Harry-Image lösen und die Figur als geläutert vorführen. Der Film spielt mit Ernst und Unernst, er bildet zeitweise sogar einen neuen Heldenmythos – einen grimmigen Alleingänger, der jetzt erst recht richtig ‚dirty’ sein müsse – und dekonstruiert im selben Moment den vorangegangenen.
So wird Walts raubeinige Erscheinung vom Film als völlig gewöhnlicher Ausdruck eines amerikanischen Selbstver- ständnisses alter Männer, die das Land aufgebaut und verteidigt haben, erklärt und entschuldigt. Und wird vom Drehbuch ganz deutlich gemacht, dass junge Menschen doch alle Chancen ergreifen könnten, wenn sie denn nur wollten. Das ist manches Mal arg kurzsichtig, durch die vielen Widersprüche aber auch bestechend und reizvoll. Vor allem, weil Eastwood den offensichtlich konsequenten letzten Schritt bewusst nicht geht: Dirty Harry nimmt das Gesetz im Kampf gegen die Jugendgangs seines Viertels nicht selbst in die Hand. Am Ende braucht es ganz einfach keine Waffengewalt mehr.
So sehr man diesen nur um Eastwoods (Kino-)Person herumentwickelten Film auch eitel finden kann, es ist ein später und notwendiger Kommentar des Regisseurs zum eigenen Wirken. "Gran Torino" ist ganz spürbar eine Herzens- angelegenheit, ein persönliches Alterswerk, das bei seinem Publikum und den Fans zweifellos manch nostalgisches Gefühl hervorrufen wird. Und es ist dies womöglich Eastwoods letzter großer Auftritt vor der Kamera – wahrlich schwierig dabei nicht in Wehmut zu verfallen, wenn er zuletzt verwegen die ersten Worte des Schlusssongs haucht.