Ein Schlüsselfilm in der langen kinogeschichtlichen Auffassung und Darstellung von Homosexualität, den Veit Harlan ursprünglich zur Differenzierung des im Nationalsozialismus noch einmal verschärften § 175 drehen wollte, weil nämlich Schwule, "an denen die Natur etwas verbrochen" habe, "unser ganzes Mitgefühl" verdienten. Das Ergebnis wurde 1957 von der FSK als unsittlich (sprich: zu "schwulenfreundlich") empfunden und nicht freigegeben, erst in einer veränderten Fassung kam "Das Dritte Geschlecht" unter dem Titel "Anders als du und ich" in die bundesdeutschen Kinos. Der Film ist, typisch für seinen Regisseur, ebenso raffiniert erzählt, kurzweilig und schnörkellos wie auch grobschlächtig, menschenverachtend und durch und durch ideologisch (vermutlich postfaschistisch).Selbst noch in der vermeintlich milderen Ursprungsversion gerinnt die schmähliche "Unterscheidung" bzw. Kate- gorisierung schwuler Typen in bekehrbare Junge und gemeingefährliche (pädophile) Alte zur grotesken Scheinkritik am berüchtigten Paragraphen. Harlan inszeniert Homosexuelle vielmehr exakt so, wie er auch ("den") Juden in seinem bekanntesten Film, "Jud Süß" (1940), inszenierte: Fratzenhaft, durchtrieben und hinterlistig. Nicht ohne noch einmal alle Klischees vom Homosexuellen als künstlerischem Freigeist zu unterstreichen, verurteilt der Film in bemerkenswert verrückter Weise auch gleich noch experimentelle Kunst sowie Lyrik und Prosa im Allgemeinen. "Das Dritte Geschlecht" funktioniert, um ehrlich zu sein, großteils vorzüglich als unmessbarer Trash, aber ob und wie man darüber lachen kann, bleibt eine Ermessensfrage. Noch unglaublicher als dieser Film ist eigentlich nur die Tatsache, dass der § 175 erst 1994 abgeschafft wurde.30%
Irgendwo in einer verschneiten finnischen Landschaft lebt das junge Mädchen Hanna (Saoirse Ronan) mit ihrem Vater Erik (Eric Bana). Sie heizen die Waldhütte mit Holz und ernähren sich von erlegtem Wild, wenn Erik seine Tochter nicht gerade in verschiedenen Sprachen unterrichtet, bildet er sie zur mörderischen Nahkämpferin aus. Eines Tages kommt der Moment, an dem Hanna wissen möchte, warum sie und ihr Vater so leben und was denn eigentlich mit ihrer Mutter geschehen sei. Darauf hatte der ehemalige CIA-Agent Erik sie und sich selbst lange vorbereitet. Auf einer unausweichlichen Mission quer durch Europa muss sich Hanna gegen die gefährliche Geheimdienstlerin Marissa (Cate Blanchett) und deren eigenwillige Killerbande zur Wehr setzen, während sie neue Erfahrungen in einer ihr vollkommen unbekannten Welt macht.
Es ist unmöglich, Joe Wrights "Hanna" angemessen zu vermarkten. Die Trailer suggerieren einen herkömmlichen Actionthriller im Luc-Besson-Chic, die Poster suchen eine gewisse ästhetische Nähe zu Hit-Girl aus "Kick-Ass". Dem Verleih kann man es nicht verübeln, er muss die amerikanisch-britisch-deutsche Koproduktion irgendwie ans Mainstream-Publikum tragen. Gerade das wird ihm andererseits nicht gelingen, weil "Hanna" ein durch und durch europäischer Film ist, zudem mit aller Eigenart, und weil er Genre vorgibt, ohne jemals Genreerwartungen erfüllen zu können. Wenn überhaupt, ist Wrights vierte Regiearbeit ein archetypisches Kindermärchen, erzählt mit der Unerbittlichkeit einer Geschichte des 21. Jahrhunderts.
Hanna zieht aus, um die Welt zu entdecken. Sie verlässt die Märchenhütte im verschneiten Nirgendwo, um sich auf eine traumähnliche Reise voller Gefahren und Unwirtlichkeiten zu begeben. Ihr Kampf gegen skrupellose Agenten markiert einen entscheidenden Übergangsritus in ihrem Leben, am Ende muss sie sich der bösen Hexe stellen, um zu einer Identität zu finden. Wright erzählt "Hanna" als Initiationsabenteuer eines Teenagers und als Geschichte der Zivilisation, vom anfänglichen Leben in steinzeitlichen Verhältnissen bis hin zur Plattenbausiedlung in Berlin. Zuletzt begegnet das Märchen seiner eigenen Illusion: In den vermoderten Überresten des Spreeparks im Plänterwald landet die böse Hexe im Wolfsmaul einer Wildwasserbahn!
Dies ist einer der verrücktesten Schlussakte der jüngeren Filmgeschichte. Konventionsloses Kino, das einen immer da hinführt, wo man es am Wenigsten erwartet. Joe Wright, zwischen gepflegter Jane-Austen-Adaption und bekömmlichem Oscarmaterial bisher nur schwer als Autorentalent zu fassen, empfiehlt sich schlagartig als einer der aufregendsten europäischen Regisseure der Gegenwart. Sein visueller Stil ist einer der aktuell außergewöhnlichsten im englischsprachigen Mainstream-Film, seine formale Experimentierfreude ein Hochgenuss für Freunde unprätentiöser Ultrakunst. Dass "Hanna" es vermutlich schwer haben wird ein Publikum zu finden, unterstreicht nur seine Einzigartigkeit. Laut Wright ist dieser Film immerhin von Ashbys "Being There", Herzogs "Kaspar Hauser" und Spielbergs "E.T." inspiriert – darauf muss man auch erst einmal kommen.
Aus der vielleicht irgendwann einmal halbwegs reizvollen Idee, eine Disneyland-Attraktion zum digitalen Piratenfilm mit milden Fantasy- und Horroreinlagen aufzublasen, ist längst ein süffiger Familien-Franchise mutiert. Alle Versuche, aberwitzige Abenteuer auf See als epische Bombasttrilogie mit losem "Star Wars"-Mittelteil aufzuziehen, verlaufen sich in "Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides" nunmehr im verkrampften Vorhaben, Jack Sparrow nach Entledigung bisheriger Nebenfiguren endgültig die One-Man-Show überlassen und ihn als tapsigen Seemann zur Piratenversion eines Indiana Jones hochstilisieren zu können.
Ein grotesk überbezahlter Johnny Depp schultert den Film in gewohnt exaltiert tuntigen Posen und ungekonnter Komik im Over-Acting-Überbietungsduell mit Geoffrey Rush, der als Captain Barbossa noch einmal mehr aufdreht als in den Vorgängern. Neuzugang Penélope Cruz wiederum gibt ganz die geheimnisvolle Exotin – in der Tradition eines der langbärtigsten (vormals rassistischsten) Hollywoodklischees sind ihr größter Vorzug fremdartige Unnahbarkeit und eine große Klappe. Der Rest ist Schweigen.
Dem dramaturgischen Kauderwelsch der bisherigen "Pirates"- Episoden hält dieser vierte Film eine verhältnismäßig gradlinige Geschichte vor, die um die Suche verschiedener Parteien nach einem magischen Jungbrunnen kreist. Der Regiewechsel verleiht der Serie allerdings keine neuen Impulse. Ob sich nun ein facettenloser Gore Verbinski oder ein mit leicht missglückten Musicals erprobter Rob Marshall an den strikten Auflagen Jerry Bruckheimers orientiert, ist letztlich unentscheidend – "Pirates of the Caribbean" ist zielstrebiges Produzentenkino in Reinkultur, Knöpfe drücken kann jeder.
Trotz einer etwas überschaubareren Handlungskonstruktion bleiben die teils parallel gezogenen Plotstränge episodisch und zerfahren wie eh und je. Von Schauplatz A wird munter zu Situation B gehopst (Schauplätzchensituatiönchen), und am Ende wird sowieso alles wieder auf Null, also Neutrilogie, gesetzt. Umso unverständlicher, dass auch der vierte Teil erneut nahezu zweieinhalb Stunden veranschlagt, um seine popelige Schrumpfmodellausgabe eines großen Abenteuerfilms zu basteln.
Restliche Unerträglichkeiten garantiert abermals Hans Zimmer, der die bekannten Themen seines Joint-Venture-Zöglings Klaus Badelt weiterhin unverändert über jede noch so kleine Regung donnert und mit dieser Gebrauchsmusik ein neues Kapitel im persönlichen Manifest der Vordinglichkeit aufschlägt. Die Penetranz seines "Pirates"-Getöses hat mich jedenfalls zum ersten Mal in vielen Jahren Kinogängerei dazu veranlasst, meine Ohren mit kleinen, aus Taschentuch geformten, Kügelchen zu schonen, was eigentlich einer Praxis spießiger Konzertgänger entspricht, hier aber zum Wohle meiner Sinnesorgane unablässig war. Lautstarke Soundeffekte, die beharrliche Aufdringlichkeit mit epischer Größe verwechseln, verleihen der akustisch gefährlichen Zimmer-Primitivität zusätzliche (Ir)Relevanz.
"Pirates of the Caribbean 4" ist eigentlich nichts weiter als maximale Anstrengung. Der Film ist so frei von Spaß, Innovation und Handwerk, dass man weinen möchte ob der ungenutzten Fähigkeiten, dem ja nur allzu sehr gebeutelten Piratenfilm neues Leben einzuhauchen. Selbst noch Blockbuster-Freunde werden Dank geschrumpften Budgets um jedes Spektakel gebracht, weil Action durch endlose Quasseleien und aufregende Spezialeffekte durch nichts weiter als eine Handvoll jugendfrei zugeknöpfter CGI- Meerjungfrauen ersetzt wurden.
Schauwerte gibt es auch keine, die wenigen Momente mit touristischem Karibikflair werden ausgiebig von einem Aschenbecher-3D der besonders unansehnlichen Sorte sabotiert. Unterm Strich ist dieser Film glanz- und niveaulose Sommerunterhaltung, die vor gedankenlosen Zügellosigkeiten nur so strotzt. Nervpotenzial: 10/10 mögliche Flaschen- schiffchen.
20% - erschienen bei den: 5 Filmfreunden
Neues Jahrzehnt, neue Regeln. So einfach ist das mit der Franchise-Wiederbelebung. Geschlagene 11 Jahre, nachdem "Scream 3" der erfolgreichsten Horrortrilogie aller Zeiten einen parodistischen und eben von allen angeblichen Regeln befreiten Meta-Schlusspunkt setzte, wollen es Regisseur Wes Craven und Autor Kevin Williamson noch einmal wissen: Zurück nach Woodsboro, zurück zum Stammpersonal und Erfolgsrezept des Originals, und alles wieder auf Anfang. Ein heiteres und doch enttäuschendes "Scream"-Comeback.
Mit einer fröhlich ausgestellten Selbstwiederholung scheint die Serie nun ihren rechtmäßigen Anteil am langjährigen Remake-, Reboot- und Reimagining-Wahnsinn einfordern zu wollen, zu dem nicht zuletzt sie selbst entscheidend beigetragen hat. Getreu seiner Vorgänger folgt und verweigert sich "Scream 4" der so genannten Genregesetze und parodiert gnadenlos das, was er selbst ist: Eine Neuverfilmung. Trotz Hyperironie und bewährter Zutaten hat die reflexive und mittlerweile auch ein wenig selbstgefällige Mixtur aus bedienten und gebrochenen Konventionen einiges an Geschmack eingebüßt.
Im kleinen Städtchen Woodsboro nimmt erneut eine grausame Mordserie ihren Lauf. Sidney (Neve Campbell) wollte ihrem Heimatort eigentlich nur einen kurzen Besuch abstatten, um ihr Buch über die schicksalhaften Ereignisse der vergangenen Jahre vorzustellen, da wird sie abermals mit der totgeglaubten Stimme aus der Vergangenheit konfrontiert: "Was ist dein Lieblingshorrorfilm?", "Heute Nacht wirst du sterben!" und die üblichen Avancen des Ghostface-Killers eben. Auch Dewey (David Arquette) und Gale (Courteney Cox), die Hollywood für eine schnarchige Ehe den Rücken gekehrt haben, müssen wieder einmal um ihr Leben fürchten.
Zur alten "Scream"-Garde gesellen sich freilich einige schnieke Newcomer, die sich wie schon in den Vorgängern vor allem aus viel versprechenden TV-Gesichtern rekrutieren. Sidneys Cousine Jill (Emma Roberts) wird von Ghostface ebenso attackiert wie deren Freunde Kirby (Hayden Panettiere) und Charlie (Rory Culkin), diverse Cameo-Auftritte besonders im mittlerweile legendären Opening eines jeden "Scream"-Films inklusive. Dieses hinterlässt einen gewohnt bleibenden Eindruck, weil Williamson und Craven das Intro des Originals geschickt variieren und erneut Standardsituationen des Genres durch den postmodernen Kakao ziehen.
Williamson, der mit "Scream" 1996 über Nacht zu einem der meistgefragten Drehbuchautoren Hollywoods avancierte, lässt Sidney und Co. wieder in ein normales Leben zurückkehren. Er scheint den dritten Film weitgehend zu ignorieren, dessen Script nicht er, sondern Ehren Kruger verantwortete, umgeht dessen überdrehten Tonfall und legt Figuren und Geschichte nahe am Original an. Wo "Scream 3" sich und die eigene Trilogie in einer beispiellosen Meta-Parodie selbst aufhob und damit auch gleich jeglichen Spoof-Filmen wie "Scary Movie" die Show stahl, schaltet Williamson im vierten Film der Serie wieder ein paar Gänge zurück.
Tatsächlich ist "Scream 4" in einer dramaturgischen und von Craven wiederum entsprechend inszenierten Überschaubarkeit konzipiert, die alle Versprechen der beiden Vorgänger, das Ironisierungsspiel mit sich selbst immer noch weiter zu steigern, nicht einzulösen bereit ist. Stattdessen: Drei klare Akte, geradlinige Erzählung, ein sanfter doppelter Boden. Sidney kehrt zurück als verletzliche Jungfer, Gale übernimmt wieder den Part der knallharten Journalistin mit weichem Kern, und Dewey ist der leicht tollpatschige Polizist wie vor 15 Jahren. Für die irrsinnigen Verschnörkelungen und Film-im-Film-Spielereien der beiden vorherigen Sequels gibt es in "Scream 4" keinen Platz.
Die gemütliche Rückbesinnung auf den ersten Teil bekommt dem Film jedoch nicht allzu gut. Bodenständigkeit kann es für die drei Helden nicht mehr geben, zu viel ist passiert in den Vorgängern und zu sehr haben sie sich verändert, um wieder in ihre ursprünglichen Rollen schlüpfen zu können. "Scream 3" funktionierte deshalb als schöner Abschluss der Trilogie, weil man seine Absurditäten auch gar nicht mehr hätte fortführen können. Eine überschaubare und Komplexität vermeidende Whodunit-Geschichte, die lediglich noch einmal das Original nachahmt, ist nun allerdings nicht unbedingt das, was man der Serie nach 11 Jahren Ruhestand gegönnt hat.
Bei aller Verzichtbarkeit dieses Nachklapps sei zur Ehrenrettung von "Scream 4" jedoch gesagt: Einen besonderen Charme versprüht der irgendwie in den 90ern fest hängende Humor Williamsons noch immer. Craven und er harmonieren nach wie vor gut, beide wissen, wie man Spaß und Schocks vergnüglich vereinbaren kann. Beide wissen auch, aus welchen Gründen ihre Zusammenarbeit zu einer der erfolgreichsten des Genres wurde. Der Film ist definitiv unterhaltsam und schwer okay, er funktioniert, besonders am Anfang und am Ende. Wahrscheinlich sogar ist "Scream 4" nicht mehr und nicht weniger eine wilde Achterbahnfahrt als seine Vorgänger – nur eben mit deutlichen Verschleißspuren an den hinteren Wägen.
60% - erschienen bei: gamona
(Zweitsichtung: 50%, Drittsichtung: 40%. Auf ein viertes Mal verzichte ich!)
Manufraktur(A 1985, Peter Tscherkassky) (6/10)Outer Space(A 1999, Peter Tscherkassky) (8/10)Instructions for a Light and Sound Machine(A 2005, Peter Tscherkassky) (8/10)Matinee(USA 1993, Joe Dante) (7/10)Poltergeist(USA 1982, Tobe Hooper) (9/10)Poltergeist II: The Other Side(USA 1986, Brian Gibson) (3/10)The Entity(USA 1981, Sidney J. Furie) (7/10)True Grit(USA 2010, Joel & Ethan Coen) (5/10)De Lift(NL 1983, Dick Maas) (3/10)El Laberinto del Fauno [Pan's Labyrinth](S/MEX/USA 2006, Guillermo del Toro) (7/10)Paul(GB/F 2011, Greg Mottola) (4/10)Waxwork(USA 1988, Anthony Hickox) (5/10)Star Trek VI: The Undiscovered Country(USA 1991, Nicholas Meyer) (4/10)8 Uhr 28(D 2010, Christian Alvart) (5/10)Angela, the Fireworks Woman(USA 1975, Wes Craven) (7/10)Shocker(USA 1989, Wes Craven) (6/10)Scream(USA 1996, Wes Craven) (10/10)Scream 2(USA 1997, Wes Craven) (7/10)Scream 3(USA 2000, Wes Craven) (9/10)Scream 4(USA 2010, Wes Craven) (6/10)Hanna(GB/D 2011, Joe Wright) (8/10)Somos lo que hay [We Are What We Are](MEX 2010, Jorge Michel Grau) (6/10)Serial Mom(USA 1993, John Waters) (8/10)Thor(USA 2011, Kenneth Branagh) (6/10)The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring(NZ/USA 2001, Peter Jackson) (8/10)The Lord of the Rings: The Two Towers(NZ/USA 2002, Peter Jackson) (7/10)The Lord of the Rings: The Return of the King(NZ/USA 2003, Peter Jackson) (9/10)The Illusionist(USA 2006, Neil Burger) (6/10)Il Rosso segno della follia [Hatchet for a Honeymoon](I/S 1969, Mario Bava) (5/10)Psycho II(USA 1983, Richard Franklin) (7/10)Psycho III(USA 1986, Anthony Perkins) (3/10)Psycho IV: The Beginning(USA 1990, Mick Garris) (1/10)Incendiary(GB 2008, Sharon Maguire) (1/10)