Dezember 03, 2012
Kino: ANNA KARENINA
Mai 25, 2011
Kino: HANNA
Es ist unmöglich, Joe Wrights "Hanna" angemessen zu vermarkten. Die Trailer suggerieren einen herkömmlichen Actionthriller im Luc-Besson-Chic, die Poster suchen eine gewisse ästhetische Nähe zu Hit-Girl aus "Kick-Ass". Dem Verleih kann man es nicht verübeln, er muss die amerikanisch-britisch-deutsche Koproduktion irgendwie ans Mainstream-Publikum tragen. Gerade das wird ihm andererseits nicht gelingen, weil "Hanna" ein durch und durch europäischer Film ist, zudem mit aller Eigenart, und weil er Genre vorgibt, ohne jemals Genreerwartungen erfüllen zu können. Wenn überhaupt, ist Wrights vierte Regiearbeit ein archetypisches Kindermärchen, erzählt mit der Unerbittlichkeit einer Geschichte des 21. Jahrhunderts.
Hanna zieht aus, um die Welt zu entdecken. Sie verlässt die Märchenhütte im verschneiten Nirgendwo, um sich auf eine traumähnliche Reise voller Gefahren und Unwirtlichkeiten zu begeben. Ihr Kampf gegen skrupellose Agenten markiert einen entscheidenden Übergangsritus in ihrem Leben, am Ende muss sie sich der bösen Hexe stellen, um zu einer Identität zu finden. Wright erzählt "Hanna" als Initiationsabenteuer eines Teenagers und als Geschichte der Zivilisation, vom anfänglichen Leben in steinzeitlichen Verhältnissen bis hin zur Plattenbausiedlung in Berlin. Zuletzt begegnet das Märchen seiner eigenen Illusion: In den vermoderten Überresten des Spreeparks im Plänterwald landet die böse Hexe im Wolfsmaul einer Wildwasserbahn!
Dies ist einer der verrücktesten Schlussakte der jüngeren Filmgeschichte. Konventionsloses Kino, das einen immer da hinführt, wo man es am Wenigsten erwartet. Joe Wright, zwischen gepflegter Jane-Austen-Adaption und bekömmlichem Oscarmaterial bisher nur schwer als Autorentalent zu fassen, empfiehlt sich schlagartig als einer der aufregendsten europäischen Regisseure der Gegenwart. Sein visueller Stil ist einer der aktuell außergewöhnlichsten im englischsprachigen Mainstream-Film, seine formale Experimentierfreude ein Hochgenuss für Freunde unprätentiöser Ultrakunst. Dass "Hanna" es vermutlich schwer haben wird ein Publikum zu finden, unterstreicht nur seine Einzigartigkeit. Laut Wright ist dieser Film immerhin von Ashbys "Being There", Herzogs "Kaspar Hauser" und Spielbergs "E.T." inspiriert – darauf muss man auch erst einmal kommen.
November 10, 2007
Kino: ATONEMENT
Nach "Pride and Prejudice" steht sie erneut unter der Regie von Wright vor der Kamera, wieder ein Kostümfilm, wieder nach einer Literaturvorlage. Doch nicht Jane Austen lieferte den Stoff für das dramatische, dreiaktige Kabinettstück aus Intrigen und Verzweiflung namens "Atonement" – Abbitte –, sondern der Brite Ian McEwan. Ein Engländer also, schon wieder.
Der Film erzählt zunächst ein fast klassisches Landhausdrama. Der englisches Adel steht im Mittelpunkt, 1935 das Jahr: Ein kleines Mädchen (Saoirse Ronan) hegt große Gefühle für den Sohn des Haushälters, den charmanten Robbie (McAvoy). Doch Briony hat abgesehen vom Offensichtlichen wenig Chancen bei ihrem Schwarm, der nicht nur mit ihrer Schwester Cecilia (Knightley) anbandelt, sondern im Eifer des Gefechts auch gern mal obszöne Liebeswünsche per Post verschickt: "In my dreams I kiss your cunt, your sweet wet cunt.". Der Unmut aus langsamer sexueller Reife und unerwiderter Liebe artet schließlich in einer fatalen Beschuldigung aus: Briony gibt gerichtlich zu Protokoll, dass Robbie die minderjährige Cousine vergewaltigt habe – wohl wissend, dass dem nicht so war.
Was folgt ist ein radikaler Szenenwechsel. Bis hierher erstrahlte "Atonement" in sanftmütigen, betörend weichen Bildern, wirkte unbeschwert und leicht in Szene gesetzt. Lange noch bleibt die Eingangssequenz in Erinnerung, in der Briony ganz erregt über ihr erstes geschriebenes Drama durchs Haus läuft, untermalt von einem mindestens so einfallsreichen wie wunderschönen Musikscore, der in seine Pianoklänge schnelle rhythmische Tipplaute einer Schreibmaschine einflechtet. Wright ist hier in seinem Element, die visuellen Ideen sind wagemutig, frisch und modern, ganz so verspielt also wie in seinem Vorgänger "Pride and Prejudice". Die Kamera gleitet fast schwerelos durch Räume und über Felder, und eine mehrere Minuten andauernde, ohne Schnitte vollzogene Fahrt am Strand von Dünkirchen gerät mit meisterlicher Präzision schlicht großartig.
Da befindet man sich dann schon im zweiten Drittel, das den lädierten Robbie als Kriegsgetriebenen zeigt, nachdem er vier Jahre unschuldig im Gefängnis saß. Spätestens hier jedoch – zuvor war "Atonement" zwar geschickt, aber auch recht belanglos – bricht der Film ein. Der große Krieg nach dem kleinen Liebesdrama überfordert Wright, das übersteigt die Fähigkeit des Films, wirkt fremd, nicht gekonnt und zusehends langatmig. Es fällt schwer der bis dato zweigeteilten Romanze zu folgen, weder wurde McAvoys Figur ausreichend Raum zugesprochen, als diese gleich die Hauptlast der Erzählung zu tragen vermag, noch können die parallel eingestreuten Herzschmerzblicke der Knightley für nachvollziehbare Herbstromantik sorgen. Ganz deutlich pendelt der Film hier im nirgendwo, weiß offenbar nicht wohin die Reise gehen soll und bleibt aufgrund seiner blassen Charaktere und dem kaum entwickelten Figurendreieck Briony-Cecilia-Robbie ohne Belang – trotz vielen hübschen inszenatorischen Einfällen, beispielsweise der immer wieder unterschiedlichen Variation des Schreibmaschinentippens, simuliert mal als Geräusch eines Zuges, dann wieder als anknipsende Lampen eines langen Flurs.
Schließlich kehrt "Atonement" erneut zur Briony-Figur zurück, die mittlerweile erwachsen geworden ist, als Krankenschwester arbeitet und mit den inneren Dämonen ihrer schrecklichen Kindstat zu kämpfen hat. Diese letzte Drittel ist schwungvoller in Szene gesetzt, indes aber auch interessanter, da diese Figur anfangs mit verhältnismäßig größerer Sorgfalt vorgestellt wurde – ihre weitere Entwicklung also von größerem Belang ist, als die sperrige Liebesgeschichte. Dass die Erzählung jedoch auch hier unschlüssig wirkt, zusammenhangslos und lückenhaft erscheint, ist nicht von der Hand zu weisen. "Atonement", das ist spätestens dann klar, mag sympathisch und annehmbar sein, aber wirklich gut ist er nicht.
Dieses Urteil wird erschüttert, ja radikal in Frage gestellt, wenn der Film zu einem Fernsehinterview mit der ergrauten Briony (Vanessa Redgrave) schwenkt, die erst hier nun endlich ihre Abbitte leistet: Die zuvor gezeigte Entschuldigung bei Cecilia und Robbie, die glückliche späte Fügung der Ereignisse war nur ein Konstrukt, eine Fantasie jener Frau, die es in Wahrheit nicht geschafft hat, ihre Lüge aufzuklären. Hier taucht es wieder auf, das Motiv des Films, das Klacken der Schreibmaschine: Prinzipiell also hat Briony nur einen weiteren, sicherlich den Roman ihres Lebens geschrieben, und der Zuschauer war mittendrin. Jeder Vorwurf, "Atonement" sei unglaubwürdig und kaum nachvollziehbar, wird hier fast reumütig abgewiesen. Fast wirkt es so, als entschuldige sich der Film für die Fiktion, die er zwei Stunden lang bedient hat, und die eigentlich nur der Verzweiflung und dem Eskapismus einer alten Frau zuzurechen ist. Macht es sich der Stoff hier zu leicht, oder sollte man diese Ode ans Geschichtenerzählen tatsächlich als nahezu grandios feiern?
60%
Juni 26, 2007
Retro: PRIDE & PREJUDICE (2005)

In Bezug auf die filmische Adaption dieses Werkes war es ein Glücksfall, dass sich 1995 der taiwanesische Regisseur Ang Lee ihrer annahm. "Sense and Sensibility" war die lebendige, meisterliche Entsprechung der Austenschen Ironie in Bildern; mit wunderbarer Sentimentalität und einer inszenatorischen Genauigkeit, die die ohnehin exakten Beschreibungen der Vorlage unterfüttert und gar noch übertrifft, sollte es die beste Verfilmung eines Austen-Romans werden. Daran kann auch Joe Wright nichts rütteln, wenngleich "Pride and Prejudice" ein unerwartet toller Film geworden ist. Und mit Mut zur künstlerischen Eigenständigkeit nach einer Reihe vieler mehr oder weniger gelungener Adaptionen Ende der 90er sogar die interessanteste.
Die Frische, mit der Wright einen der populärsten und beliebtesten Austen-Stoffe umsetzt, überrascht und entzückt zugleich: Spielerisch und überaus ausgelassen umkreist die Kamera ihre adrett gekleideten Figuren, durchfährt sie minutenlang ohne Schnitte opulente Räume und scheint sich an den bezaubernden Gesichtern von Keira Knightley oder Rosamund Pike gar nicht satt sehen zu können. In vielen Momenten, darunter einer Schaukelszene, bei der die Photographie rasanten 360°-Drehungen folgt, um den verwirrten Gefühlszustand seiner verzweifelten Figur zu bebildern, manifestieren sich hübsche visuelle Ideen, die dem Film einen modernen Anstrich geben, der sich angenehm vom klassischen Stil anderer Verfilmungen abhebt.
Die größte Überraschung von "Pride and Prejudice" aber heißt Keira Knightley. Hier regelrecht offenbart sich, wie unterfordert die junge Schauspielerin durch Kostümepen stolpern musste, um in die Rolle der klassischen Austen-Heldin schlüpfen zu dürfen. Ihr allein gehört dieser Film, und als Zuschauer kann man gar nicht genug bekommen von Knightleys traumhafter Präsenz, ihren geheimnisvollen Augen und ihrer selbst beherrschten Darstellung der törichten, aber unglücklichen Lizzie. Erst recht wenn sich die schnippischen Dialoge mit dem sprachlich so feinen englischen Mundwerk entfalten, reift Wrights Film zu einem lichten Moment des von seinem Ensemble getragenen Schauspielerkinos – nicht nur die hinreißende Brenda Blethyn oder der charmante Matthew MacFadyen begeistern, auch Donald Sutherland war schon lange Zeit nicht mehr so brillant wie als gutherziger, besorgter Vater Bennet.
"Pride and Prejudice" also ist eine verträumte, aber ebenso aufmerksam erzählte Reise ins 19. Jahrhundert, wo Titel alles und Individualität nichts bedeuten. Darin ist Knightley als selbstbewusstes Mädchen, das mit eigenem Willen zeittypischen Rollenmustern zuwiderläuft, eine wahre Entdeckung. Möge man ihr die weitere Entwicklung hin zu komplexen Rollen wünschen – und dem Film bzw. der Vorlage die Tatsache, dass jegliche Rebellion letztlich doch nur in der Fügung vorherrschender Systeme mündet, verzeihen. Manchmal, da kann das Schmachten dann eben doch so schön sein.
75%