Juni 29, 2009

Retro: MARS ATTACKS! (1996)

Es ist wohl wirklich ein Alleinstellungsmerkmal, wenn die einzigen überlebenden Helden am Ende eines großen Science-Fiction-Katastrophenfilms aus Hollywood – zwei ehemalige Blackspoitation-Stars, ein schüchterner Junge vom Land, dessen etwas verrücktes Großmütterchen im Rollstuhl sowie die rebellische Tochter des US-Präsidenten – sich zum Schlussakkord des Tom Jones-Klassikers "It’s Not Unusual" vereinigen. Und das, obwohl all diese weniger bekannten Schauspieler (Lukas Haas und die damals noch milchgesichtige Natalie Portman) oder auch die in Vergessenheit geratenen Größen (Jim Brown, Pam Grier und Sylvia Sidney) in der Titelsequenz erst weit hinter namhaften Superstars genannt werden. Aber Tim Burtons Dekonstruktion der production values der Studios und ihrer Big Budget-Philosophie findet bereits auf Ebene des Castings und Umgangs mit den Figurenstereotypen des Genres statt. So finden die von A-Stars wie Jack Nicholson, Glenn Close, Michael J. Fox, Sarah Jessica Parker oder Pierce Brosnan mit großer Spielfreude, nein, Spielrage verkörperten eigentlichen Klischeetypen ein jähes Ende: Ob quotengeile TV-Reporter, wichtigtuerische Wissenschaftler oder die First Lady persönlich – sie alle werden vorzeitig aus dem auf einer Kaugummi-Sammelkartenserie der 60er Jahre basierenden Film verabschiedet und von den grünen Marsianern wahlweise mit Laserkanonen pulverisiert, oder auch in Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetzt. Selbst der amerikanische Präsident, jene unantastbare Personifizierung von Rettung und Freiheit im Genre, wird nach einer rührend-dämlichen Ansprache vor den Invasoren mit einem symbolträchtigen "Dolchstoß" hinterrücks exekutiert.
 
Dieser spöttische Konventionsbruch folgt klar der subversiven Linie Burtons, die Spielregeln des Hollywoodkinos nur so lange zu befolgen, bis er sie mit seinem eigenen Verständnis von Ordnung zersetzen kann. Dass "Mars Attacks!", so amüsant und heiter er auch sein mag, als bitterböser Anti- Hollywoodfilm wirklich noch das 70 Millionen US-Dollar teure Produkt eines Major Studios sein soll, erscheint dabei fast absurd. Der Film belustigt sich mit überhöhter und dadurch vermutlich verschleiert erscheinender Absicht über die Klischees, Unarten und Absurditäten des Blockbusters und seiner Mainstream-Voraussetzungen, und zwar so scharfzüngig, unverhohlen und irrsinnig komisch, dass letztlich nur der kommerzielle Misserfolg die Möglichkeit einer solchen Chuzpe in eine nachvollziehbare Relation ordnen kann. Denn womöglich ist Burtons spielerische Abrechnung in ihrer eigentlichen Boshaftigkeit, anders als seine "Batman"-Filme beispielsweise, doch nicht mit einem Erfolg an den Kinokassen zu vereinbaren. "Mars Attacks!" wirkt wie eine konsequente Fortsetzung von "Ed Wood": Es scheint zumindest in Bezug auf die cheesy wirkenden spielzeugartigen Spezialeffekte ein wenig der Film, bei dem Burton sein Idol nicht mehr nur nachvollziehen, sondern selbst zu ihm werden möchte. Und bezeichnenderweise bilden genau diese beiden Regiearbeiten dessen einzige kommerzielle Flops.

Ein hingegen nur zu verständliches Verlustgeschäft, bedenkt man, zu welchem Zeitpunkt dieser Film produziert und zwischen welch ähnliche Produktionen er platziert wurde. Denn neben den anderen Hollywood-Hits von außerirdischen Invasionen, Naturkatastrophen und Weltuntergangsszenarien der sich Mitte der 90er Jahre neuer Beleibtheit erfreuenden Katastropheneventfilme – nun schließlich mit Hilfe beeindruckend realistischer Computertricks umgesetzt – muss ein so radikal gängige Schablonen umschiffender Grenzgänger wie "Mars Attacks!" zwangsläufig ins Abseits geraten. Nicht zuletzt selbstverständlich deshalb, weil sich all diese Filme noch stärker an die Gesetze ihrer Vorbilder aus den 50ern und 60ern halten, als diese selbst. Die nur augenscheinlich modifizierten Rassenklischees oder ideologischen Implikationen etwa, verortet in patriotischen Allmachtsfantasien, wurden in formelhaften Genre-Filmen wie "Independence Day", "Deep Impact" oder "Armageddon", aber irrtümlicherweise selbst in ausgestellten Parodien wie "Starship Troopers", fleißig reproduziert. Da mutet es seltsam prophetisch an, dass "Mars Attacks!" den Opfern seiner Seitenhiebe zeitlich einen Schritt voraus war: Burtons Sci-Fi-Satire erinnert heute an oben genannte Filme, die zu seiner Entstehungszeit mitunter jedoch noch gar nicht gedreht waren.

Insbesondere gegenüber Roland Emmerichs naiv-illusio- nistischem Patriotismusheuler "Independence Day" verhält sich "Mars Attacks!" wie ein bissig-böser Gegenentwurf. Ungefähr zeitgleich produziert, kam Burtons Film ein knappes halbes Jahr später in die US-Kinos. Ein Zeitraum, der denkbar eventuelle Detailkorrekturen, aber wohl kaum die Quasi-Nachstellung solch grundsätzlich identischer Set-Ups abdecken würde. Vielmehr scheint die Ähnlichkeit zwischen den Filmen hinsichtlich bestimmter Klischees Burtons Akribie geschuldet, gezielt Standardsituationen und entsprechende zugehörige Figurentypen getreu der Tradition des Genres so zu entwerfen, wie das wohl auch ein konventioneller, bekannten Mustern folgender Hollywood-Blockbuster der Marke "Independence Day" tun würde. Man darf also mutmaßen, dass Burton mit der zunächst frappierenden Ähnlichkeit ganz genau ins Schwarze getroffen und den hurrapatriotischen Emmerich-Eventfilm damit still und leise der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Denn natürlich verlässt sich dieser bis zum reaktionären Schluss auf die Standard-Topoi, während "Mars Attacks!" ebendiese konsequent gegen den Strich bürstet.

So ist das Militär bei Burtons Alien-Apokalypse nicht rettende Instanz, sondern ein Hort größenwahnsinniger Kriegs- wüteriche, die sich groß und mächtig fühlen, von den Marsianern aber einfach nur geschrumpft und platt getreten werden. Die Medien werden nicht von Figuren repräsentiert, die als Identifikation stiftende Vermittler zwischen Filmgeschehen und Publikum agieren (in "Independence Day" spielt Jeff Goldblum einen sympathischen agilen Techniker), sondern eher von egozentrischen und weltfremden Spießern dominiert, mit denen es Burton besonders schlecht meint. Der US-Präsident, bei Emmerich Initiator einer neuen humanistischen Kraft und nicht darum verlegen, sich im Kampf gegen die aggressiven Außerirdischen sogar persönlich ans Steuer des Düsenjets zu begeben, wird hier von Jack Nicholson als verwirrter, dummer Taugenichts gespielt und, wie bereits beschrieben, besonders geistreich aus dem Weg geräumt. Zum großen Finale schließlich feiert Burton erneut den Sieg der (Genre-)Außenseiter über die Machtmenschen und Strahlehelden, wenn ein unscheinbarer Farmerjunge und seine etwas verrückte Großmutter die Marsianer mit uramerikanischer Countrymusik besiegen. Indem Burton mit "Mars Attacks!" ganz einfach alles vermeidet, was in dieser Genre-Größenordnung wohl als eigentlich unvermeidlich gilt, nimmt er ein weiteres Mal die Mechanismen seines eigenen Funktionssystems auseinander. Die daraus gefertigte Neuzusammensetzung ist nicht nur konsequent und köstlich und klug, sondern auch wichtig: Burtons Erneuerungsversuche am amerikanischen Hollywood-Mainstream scheinen ganz einfach unabdingbar. Und von großem Wert.


80%

  • Breskin, David (1992): Tim Burton. In: Inner Views. Filmmakers in Conversation, New York: Da Capo Press 1997, S. 321-364
  • Merschmann, Helmut (2000): Tim Burton, Berlin: Bertz
  • Rauscher, Andreas (2000): Die dunkle Seite von Disneyland. Die Filme von Tim Burton. In: Stiglegger, Marcus (Hrsg.): Splitter im Gewebe. Filmemacher zwischen Autorenfilm und Mainstreamkino, Mainz: Bender 2000, S. 264-285

News: ALICE IN WONDERLAND - Erstes Poster

Alt.

Juni 26, 2009

News: ALICE IN WONDERLAND - Update

Ein paar Neuigkeiten. Zum einen wurde das Filmlogo veröffentlicht, außerdem ging die offizielle Website online und wurden die Bilder noch einmal in High-Res zur Verfügung gestellt.

Juni 24, 2009

Kino: TRANSFORMERS - REVENGE OF THE FALLEN

Ein zweites Mal werden die einst in den weltweiten Kinderzimmern vieler Millionen Jungs und vielleicht auch einiger Hundert Mädels beheimateten Transformers aus ihrem Spielzeugkontext entlassen und zur gigantischen Welt- bedrohung für das Kino aufgeblasen. Ein zweites Mal also lässt Michael Bay die guten Autobots gegen die weniger guten Decepticons kämpfen, lässt schnittige Wagen, Brücken und gar Pyramiden im fernen Ägypten in die Luft gehen. Und ein weiteres Mal hat dieses gewaltige Krawallspektakel bei alldem nicht die Spur jenes Charmes, jenes ironischen Augenzwinkerns oder aufrichtigen Willens zum Unernst, das die Giga-Adaption eines Gaga-Spielzeuges vor dem totalen Missverständnis bewahren mag: Doch es ist ein solches, es ist eine Infantilitätsgroteske von höchster Unfreiwilligkeit und eine anschauliche Beweisführung grandioser Selbstüber- schätzung und mittelschweren Größenwahns.
 
Die Größe, die glaubt Michael Bay in allen logistischen, finanziellen und materiellen Belangen seiner Produktionen nachweisen zu können – formal und ästhetisch ist das Klotzkino in seiner größtmöglich ausgestellten Form: In ständiger Bewegung schwenkt und umkreist die Kamera ehrfürchtig die unzähligen Spezialeffekte, fügt sie sich der Überwältigungsstrategie der Bilder, die in permanenter Untersicht eine kuriose Poesie von sengenden Abendsonnen, majestätischen Armeehubschraubern und –Flugzeugen sowie lasziven Bikinimiezchen, die sich mit ihren solariumsgebräunten Traummaßen zumeist sinnigerweise über schmutzige Auto- oder Motorradhauben beugen, zu bilden meinen. Und trotz gigantischen Budgets sieht ein "Transformers II" immer noch teurer aus als er es eigentlich sein dürfte oder müsste oder sollte, was nicht zuletzt einer effektiven Kostenminimierung durch ausgiebiges Product Placement und der großzügigen Unterstützung US-amerikanischer Abwehrdienste zu, nun ja, verdanken ist. Michael Bay wird nimmer müde das alles nachhaltig zu betonen.

Das Platzieren von Kommerzprodukten und wenig subtile Werben für militärische Rekrutierung ist hier ebenso wie im ersten "Transformers"-Bewegte-Bilder-Bogen insofern konse- quent (wie gleichwohl gefährlich), als Michael Bays zweieinhalbstündige Spielzeugschlachtpalette selbst nur als ein einziges Produkt wahrgenommen werden darf. Es bildet sich aus der exakten Berechnung eines optimalen Zielgruppenfilmes, der nach bestimmten Regeln gestrickt und dabei möglichst profitabel vermarktbar werden soll. Bay hält sich folgerichtig nicht mit Nebensächlichkeiten wie einer dramaturgisch schlüssigen Struktur auf, sondern vertraut ganz auf die Kraft seiner ewig gleichen und in ihrer Primitivität und Peinlichkeit von hoher Fremdscham gekennzeichneten Werbebilder, die postkartengetreu mal riesige aufeinander einkloppende Roboter, mal sexy Skihäschen, mal die neusten Superflitzer und ganz besonders freilich die aktuellste protzige Militärtechnik ins rechte (braun-sonnige) Licht rücken. Der manche Verbindungslücke zu füllen bemühte Humor speist sich dabei zumeist aus Minirobotern, die der Protagonistin ans Bein ficken, einem Dick- und einem Doof-Transformer, sowie den heraushängenden Metallklöten eines Riesen-Decepticons.

Die erschreckend einfallslose Montage dieser ohnehin fragwürdig dümmlichen Elemente ist noch weniger Furcht einflößend als das mangelhafte Gespür für Timing, Dialoge und – vor allem – zentrale Action-Pieces, die wie so oft bei Michael Bay nur durch den Schnitt zu einer Choreographie gebracht und im Vergleich zum Vorgänger durch schlampige, unkenntliche und kaum nachvollziehbare Effekte mit andauernder, aber austauschbarer Live-Action verknüpft werden. Zu keiner Zeit möchte sich bei dem lautstarken und rasch immens nervtötendem Donnerwetter so etwas wie Charme, Schmunzeln oder Beherztheit einstellen, immer aber wollen sich die Fetischentwürfe – und es sind letztlich solche, reine kalkulierte Bildkonzepte von Werbung und Militär- propaganda – in ihrer Verweigerung von Ernsthaftigkeit (im gleichen Moment, wie sie Joe Dante oder Steven Spielberg zu huldigen gedenken!) als bierernst verstanden wissen. Das funktioniert nicht eine Sekunde, und es macht Michael Bay noch lange nicht zu so etwas wie einem Regisseur – oder "Transformers II" überhaupt zu einem… Film.


0% - erschienen bei den: FÜNF FILMFREUNDEN

Juni 22, 2009

News: ALICE IN WONDERLAND - First Look

Und hier in High-Res. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Das übertrifft meine Erwartungen...

Juni 19, 2009

Zuletzt gesehen: SHALLOW GRAVE

Kleine Morde unter Freunden. Der Titel fasst nicht nur den fatalistischen Plotverlauf zusammen, er kommentiert auch ironisch, was Danny Boyles bemerkenswertes Spielfilmdebüt genüsslich vor- und später richtig schon nachbereitet, nämlich die Selbstzerstörung dreier junger Studentenyuppies, deren Selbstgefällig- und Überheblichkeit und nicht zuletzt grandiose Selbstüberschätzung ihnen in dieser makabren Komödie teuer zu stehen kommt. Der Film kann dabei schnell als schottische Neuauflage von Hitchcocks "Trouble with Harry" für die neobürgerlichen Mitzwanziger verstanden werden, die sich in dekadenten Wohngemeinschaften zusammenfinden und selbst dann noch abfällig-locker die Leichtigkeit des Seins auskosten, wenn ihr neuer Mitbewohner unerwartet auf dem Bett vor sich hinverwest. Die enorm einfallsreichen Ideen und außergewöhnlich sorgfältige Licht- setzung, mit der Boyle den konzentrierten Stoff als theaterartiges Ein-Raum-Stück inszeniert, verschleiern den eigentlich ungeheuerlich bösen, negativen, bitteren Tonfall des Films, der nur durch die wunderbare Schlusseinstellung noch einmal eine augenzwinkernde Kurve einschlägt.
70%
Dank gilt meinem Blogger-Kollegen Tumulder, der mir nicht nur die DVD ins Haus flattern ließ, sondern damit auch erwirkte, dass ich nach Monaten mal wieder einen Film in den heimeligen Player einwarf.