November 28, 2007
TV: DURCH DIE NACHT MIT...
Die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Arte-Reihe ist ja längst kein Geheimtipp mehr. Und nachdem sich bereits allerlei illustre Gestalten aus den verschiedensten Kulturbereichen begegnet sind, sollen nun auch Asia Argento und Joe Coleman unter der Regie von unserem Jörg Buttgereit eine gemeinsame Nacht vor der Kamera verbringen. Beide sind zweifellos Multitalente: Während erstere kaum vorgestellt werden muss – als Tochter von Kinovirtuose Dario wurde Asia zunächst mit Filmen wie "Trauma" und später durch "XXX" oder "Land of the Dead" einem größeren Publikum bekannt –, sei zu Joe Coleman nur gesagt, dass er über ein ausgiebiges Archiv höchst eigenwilliger Ausstellungsstücke verfügt, und sich vor allem als "Outsider-Artist" versteht. Das umfasst im Genauerem u.a. obskure Bilder, inspiriert von bekannten Serienmördern, und kuriose Live-Shows, bei denen schon einmal diversen Kleintieren das Köpfchen abgebissen wurde. Kein Wunder also, dass der gemeinsame Nenner bei Marilyn Manson anfängt – und irgendwo mit "Scarlet Diva" aufhört. In diesem Film nämlich – ein Ausschnitt belegt es erinnernd – hatte Asia dem stattlich gekleideten Joe bereits eine Rolle verpasst, die beiden sind sich also keinesfalls fremd. Tatsächlich sogar könnte die Chemie kaum besser sein. Und das ist eine günstige Voraussetzung für 50 amüsante, bizarre, höchst unterhaltsame Minuten, auch wenn mitunter jegliches Konfliktpotential anderer Ausgaben der Reihe dem vorprogrammiert friedvollen Miteinander weichen muss. Die angepeilten Stationen reichen vom alten Jahrmarkt auf Coney Island samt Holzachterbahn und echter Freakshow bis zu einem Besuch beim Performance-Künstler David Blaine, angereichert mit zahlreichen wunderbaren Konversationen und Lebensweisheiten ("What’s much scarier than death is life."). In ihren Zwischentönen ist die Episode ebenso interessant wie lehrreich, während der Blick ins New Yorker Nachtleben wie immer ganz beiläufig zum ungemein nuancierten Stadtportrait gerät. Spätestens wenn beider Blick in den Trinkkelch so tief ausfällt, dass nur noch hemmungsloses Herumalbern möglich scheint, weiß der Zuschauer: Auch das ist eine weitere unverzichtbare Stunde TV-Kultur.
erschienen in: DEADLINE #6/07
November 24, 2007
TV: Fernsehtipps vom 24.11. - 30.11.2007 (inklusive Weihnachtstipps von Mr. Hankey)
Samstag, 24.11.
0:55 Uhr – Das Haus der Vergessenen (RTL2)
Intelligente und doppelbödige Schauermär von Wes Craven, deren aufgesetzter Sozio-Subtext nicht die clevere Einbettung und Umkehrung zahlreicher Märchenmotive überdecken sollte. Gekürzt.
1:00 Uhr – Conan – Der Barbar (ZDF)
Einst zu Recht als faschistoid und frauenfeindlich abgestraft, kann John Milius’ kleiner reaktionärer Kostümfilm heute bestenfalls als unfreiwillige Komödie bestehen. Campy.
Sonntag, 25.11.
20:15 Uhr – Fluch der Karibik (Pro7)
Unausgegoren und dramaturgisch überaus holprig, manches Mal auch dilettantisch in Szene gesetzt, aber weitestgehend dennoch gefällig, nicht zuletzt durch Johnny Depps Over-Acting.
20:15 Uhr – „Dirty Dancing“ (RTL)
Meist ungewollt komisch und staksig, aber liebenswert. Ein Kind seiner Zeit.
2:10 Uhr – Sein oder Nichtsein (ARD)
Der Lubitsch-Film aller Lubitsch-Filme. Zigfach kopiert, nie erreicht,
Montag, 26.11.
20:40 Uhr – Dem Himmel so fern (Arte)
Bewegende, herausragend in Szene gesetzte Douglas Sirk- Adaption. Julianne Moores absolute Meisterleistung.
Dienstag, 27.11,.
2:10 Uhr – Die Fürsten der Dunkelheit (Tele5)
Carpenter zitiert sich zwar nur noch selbst – unterhaltsam und stimmig ist dieses Kabinettstückchen aber dennoch.
Mittwoch, 28.11.
22:30 Uhr – Halloween H20 (K1)
Stilistisch überraschend ausgefeilter Film, dem Original sehr nahe. Aber ohne jede Bedeutung, die über Run and Hide-Spannung hinausginge.
Donnerstag, 29.11.
0:35 Uhr – Ninotschka (ARD)
Jede Dialogzeile ist Gold wert – eines der besten Drehbücher aller Zeiten.
Freitag, 30.11.
22:15 Uhr – 12 Monkeys (RTL2)
Gilliams Meisterwerk in der Endlosschleife.
Freitag, 30.11.2007
20:15 Uhr - Disneys wunderbare Weihnachtswelt (S-RTL)
Ein weiteres Highlight aus dem Disney-X-Mas-Schrank, dieses Mal aus dem Jahre 1981! Eine bunte Episodensammlung, die u.a. Kurzfilmklassiker wie "Ungebetene Weihnachtsgäste", bei denen Chip und Chap Donald ein unruhiges Fest beschehren, oder "Abenteuer auf dem Eis" enthält. Disneyliebhaber schalten ein.
November 21, 2007
News: SWEENEY TODD - Neue Poster / Clips
Johnny Depp und seine Gesangskünste + Tim Burton-Interview + TV-Clip
November 20, 2007
Retro: PECKER (1998)
Waters ist immer Waters geblieben. Und das mit aller Konsequenz. Seine zu skandalträchtigen Zelluloidentglei- sungen ausgestellten Fäkal- und Tiersexszenen aus "Pink Flamingos" werden immer einleitendes Element einer Waters-Filmkritik bleiben, das weiß der Mann selbst – ebenso wie diese Impertinenz seiner früheren Filme heute kaum noch jemanden zu schocken vermag. Aber ein Ausbleiben jener Attitüden, die ihm den recht missverständlichen Ruf eines ‚Pope of Trash’ eingebracht haben, bedeutet nicht, aus Waters’ Post-"Polyester"-Arbeiten eine Anbiederung beim gemäßigten Konsenskino mittelhoch budgierter Produktionen ableiten zu können.
Es ist doch ganz einfach: Von den Einflüssen im Independentbereich gar nicht erst zu sprechen (Christoph Schlingensief oder Todd Solondz beispielsweise), ist das Waters-Erbe nunmehr relativ unüberschaubar. Nahezu jede (post)moderne Komödie bedient sich herben Fäkalhumors, da wird gefurzt, gekackt und in Scheiße gebadet, unentwegt gerülpst, gefickt und mit zahllosen Körperflüssigkeiten hantiert, das alles zu bewussten Geschmacklosigkeiten forciert und mit Blockbuster-tauglichen Einspielergebnissen belohnt. "American Pie" und "Scary Movie", "Jackass" und "Borat", die Farrelly-Brüder und Todd Phillips – absolut undenkbar ohne Waters.
Was einst angewidert aufgenommen und mit NC-17-Ratings abgewiesen wurde, gehört gegenwärtig also fast zum guten Ton. Welchen Sinn würde und könnte es überhaupt ergeben, wenn Waters mit diesem ausgeprägten Groß an Bad Taste-Ergüssen, den Resultaten seines eigenen Schaffens, noch zu konkurrieren versuchen würde. Der Mann hat erreicht, wofür er mit subversivem Geist kämpfte: Das zuvor als pervers deklarierte, abwegige Verhalten all der Outcasts ist gesellschafts-, massen- und publikumskompatibel geworden. Und Waters ist ein überaus bescheidener Kinorevoluzzer – er ruht sich keinesfalls auf seinen Lorbeeren aus, sondern absolviert Cameos in Trashfilmen ("Blood Feast 2: All You Can Eat"), pusht die ‚Nachfahren’ mit über- schwänglicher Kritik ("Another Gay Movie") und – dreht weiterhin Filme.
Deshalb zurück zu den Menschen, um die es bei Waters immer schon ging. "Pecker" ist eine überschaubare Geschichte über einen jungen gleichnamigen Photographen aus – wo sonst – Baltimore, einem niedlich-schläfrigen und immer leicht neben der Spur wirkenden Edward Furlong sozusagen, der alles ablichtet, was ihm vor die Linse gerät. Als sich nach einer kleinen Bilder-Ausstellung im Sandwich-Shop (!) die große Kariere anbahnt, Pecker nämlich wird von einer süßlich-netten, hinreizenden Lili Taylor ("How can you be so kind and gentle and still have talent?") nach New York beordert, kriselt es erst beim Verhältnis mit Christina Ricci ("I beg of you, do not become an asshole, Pecker!") und später dann hängt auch der Haussegen schief ("We're all famous – just like the Jackson family!"). Doch ein Waters-Film wäre indes kein Waters-Film, würden nicht all die Nerds und schrägen Vögel aus katholischen Großmüttern, zucker- abhängigen Kleinkindern, kleptomanischen Freunden, verklemmten Designerhomos, verkleideten Lesben und Spießbürgervätern am Ende eine ausgelassene, im speziellen Sinne durchaus harmonisch-orgiastische Feier veranstalten.
"Pecker" ist eine Liebeserklärung an die Schönheit des Verschrobenen. Zunächst durch den Kamerasucher seines Helden, später auch mit freigelegtem Blick auf all seine Figuren. Es ist eine Kunst, von so derart schrulligen Gestalten zu erzählen, ohne sie jemals zu denunzieren oder vorzuführen. Die religiöse, beständig mit einer Mariastatue Bauchrednerkünste vorführende Großmutter wird genauso liebevoll gezeichnet wie die homophile, in einem Stripclub arbeitende Schwester ("Are you homosexual?" – "No, I’m not." – "You wouldn’t understand then."). Waters liebt sie alle, in ihrer ganzen unangepassten Art, ihren merkwürdigen Eigenheiten. Dass der Film sowohl als Ode ans einfache Kleinstädtische wie auch als Absage an die übersättigte Großstadtkultur scheitert, liegt genau darin begründet: Auf ihre ganz eigene Weise sind ja doch alle Figuren Freaks, warum also nicht einfach gemeinsam die Klamotten vom Leibe reißen und unenthemmt lostanzen. Wie in "Hairspray", "Cry Baby" oder "A Dirty Shame" machen die eigentlich rivalisierenden Parteien (hier: friedvolle Provinzler gegen die New Yorker-Modeszene) letztlich doch gemeinsame Sache, Waters löst alle Konflikte stets in eine große umfassende Lebensbejahung auf.
Natürlich liegt der Film dennoch seinem Handlungsort Baltimore zu Füßen. "Pecker" weist selbst für Waters-Verhältnisse überdurchschnittlich viele Außenaufnahmen auf, am Ende hat man als Zuschauer das Gefühl, jede Straßenecke und jede Abbiegung zu kennen. Auch das ist Teil der – in einem speziellen, nicht herkömmlichen Sinne – familiären Atmosphäre des Films, der eine Welt kreiert, in die man sich nur zu gern hineinbegeben würde, so wunderbar anders, liebevoll und nostalgisch wirkt sie. "Pecker" wirft ganz einfach einen wunderbar poetischen Blick auf Baltimore, dessen Bewohner und ihre kleinen Alltagsabsurditäten.
Selbstverständlich – dies ist ein John Waters-Film – sollte auch dem Lerneffekt Platz eingeräumt werden. Oder weiß der Leser dieser Zeilen etwa, was a) ‚trade’ bedeutet? Sollte dem nicht so sein: Hierbei handelt es sich per genauer Definition um einen Heterosexuellen, der gleichgeschlechtlichem Oral- verkehr nicht abgeneigt ist, allerdings mit der Einschränkung, nicht selbst aktiv zu werden. Etwas weiter gefasst also sind trades Männer, die sich schwulen Sex quasi "gefallen lassen", laut Waters sozusagen Klemmschwestern besonders aus südlichen Regionen, die ihr Mannsbild nicht überwinden können (alte Binsenweisheit: so lange du nicht gefickt wirst, bist du nicht schwul). Auf "Pecker" übertragen meint die Bezeichnung indes lediglich knackige Hetero-Männer, die in einer Homo-Bar tanzen. Was sie dort genau tun, nennt sich im Übrigen b) ‚tea-bagging’ und ist weitaus harmloser als es der Begriff vermuten lässt. Haarige Einsichten der Watersschen Art gibt im c) ‚The Pelt Room’, wo leicht aggressive, aber liebenswürdige Lesben für ein Dutzend alter Säcke strippen – was die örtlichen Baltimore-Bewohner schockiert: "Public hair causes crime.". Nur eine von vielen großartigen Dialogzeilen in "Pecker".
Furlongs Figur ist in mancher Hinsicht sicherlich auch ein Alter Ego Waters’, der mit seinem Buch "Director’s Cut" – dessen wirklicher Sinn sich mir erst nach erneuter Begutachtung des Films erschloss, zuvor fristete es ein armseliges Dasein in meinem Regal – ebenfalls kuriose Photos abbildete: Nichts weiter als von einem Fernsehgerät abgeknipste Bilder von "Peyton Place" bis zu "Written on the Wind" waren darin zu sehen, nicht zu vergessen haufenweise beharrte und gespreizte Hinterteile: "Life isn't anything if you're not obsessed", heißt es im Film. Und schließlich, nachdem Friede,. Freude, Eierkuchen dominiert – und in "Pecker" ist das ausnahmslos positiv zu verstehen – verkündet der Titelheld sein nächstes Anliegen. Was folgt ist eine grässlich abgedroschene Regisseurspose (die Hände zu einem rechteckigen Objektiv formend) und die Drohung, dass nun auch die Welt der bewegten Bilder nicht mehr sicher sein wird. "Cecil B. DeMented" lautet die konkretere Antwort.
85%
November 19, 2007
News: 5-25-77 - Trailer
News: VALKYRIE - Trailer
November 18, 2007
Radio: FILM-BLUE MOON 11/07
November 17, 2007
Kino: THE DARJEELING LIMITED
Macht sie diese Dialektik ganz klirre? Es ist die Dialektik des Wes Anderson. Sie besteht aus Gegensätzen, aus Wiederholungen und lakonischen Umwegen, aus Verkürzungen und auch aus dem Gefallen am Einfachen. Semantisch bedeutet das: Starre Blicke, starre Perspektiven, sanfte Popsongs, gar nicht sanfte Kameraschwenks. "I want to thank you for raising our children by the way.". Das sagt Gene Hackman einfach so beim Spaziergehen zu seiner Frau, in Andersons skurrilem Familiendiagramm "The Royal Tenenbaums". Ein kurzer Moment aus dem nichts, in der Tat irrsinnig komisch, weil so nebenher gesagt, so aus dem Kontext gerissen und – eben so lakonisch.
Dass sich darin auch eine wunderbare Tragik verbirgt, und diese sich nie ihren Weg zur seriösen Sentimentalität bahnt, macht Andersons Filme bei aller Leichtigkeit auch sehr warmherzig, sehr ehrlich. Und dennoch sei der Einwand erlaubt: Was bedeuten diese Konglomerate aus dysfunk- tionalen Familienverhältnissen, diese situativen Mosaike ohne wirklichen Zusammenhang? Steckt da jenseits des Offensichtlichen überhaupt etwas hinter? Und hat Anderson eigentlich auch ein Gespür für das größere Ganze, für einen Gesamtzusammenhang, das über viele kleine und ganz sicher auch sehr feine Kabinettstückchen hinausgeht?
Aber sei's drum. "The Darjeeling Limited" heißt der Zug, in dem ein beträchtlicher Teil des neuen und gleichnamigen Anderson-Films spielt. Dem ganzen geht ein kurzer Vorfilm voraus, zumindest tut er so. In Wahrheit treffen hier Jason Schwartzman, einer der besagten drei Brüder, und die bezaubernd burschikose Natalie Portman aufeinander, und später nimmt der Film mehrere Bezüge zu dieser kleinen Ouvertüre. So wirklich was passieren tut hier dennoch nicht, die Reise durch Indien ist mit vielen hübschen Einfällen garniert, visuell macht das ganze auch was her und unbedingt witzig ist "The Darjeeling Limited" sowieso. Die ungleichen Brüder erleben auf ihrem Selbstfindungstrip allerlei Merkwürdigkeiten, Läuterungen und Lebenserkenntnisse. Immer teilt der Film die Kuriosität des Erlebten mit ihnen, trockener Humor und sublimierte Tragik resultieren daraus.
Nahezu bedeutungslos und ohne jeden Belang das alles, aber sympathisch inszeniert, angenehm in seiner Unaufgeregtheit und seiner ganz eigenen Lethargie (ein Kritiker formulierte mal treffend, dass dies nicht mehr aber auch nicht weniger als "Studentenulk auf hohem Niveau" sei). Ein bisschen zu lang gerät "The Darjeeling Limited" zweifellos, ein Ende nämlich will er nicht finden, auch wenn's schon lange nichts mehr zu erzählen gibt – oder eigentlich auch nie gab. Auf Anderson ist aber weiterhin Verlass. Da tauchen neben Schwartzman, Owen Wilson und Adrien Brody natürlich auch Bill Murray und Anjelica Huston auf, die lassen es sich eben alle nicht nehmen. Und so ist die große Familie, wenn schon nicht unbedingt im Film, so doch zumindest vor und hinter der Kamera vereint. Wie immer.
65% - erschienen bei: DAS MANIFEST
TV: Fernsehtipps vom 17.11. - 23.11.2007 (inklusive Weihnachtstipps von Mr. Hankey)
20:15 Uhr – Hook (SAT.1)
Ironischerweise zeigt ausgerechnet dieser Film, dass Spielberg sein Peter-Pan-Syndrom nicht überwinden konnte: Eine überfrachtet in Szene gesetzte, steife und gleichzeitig quietschbunte Studionummer, deren grundsätzlicher Fehler nicht verzeihlich ist – Peter Pan erwachsen werden zu lassen.
20:15 Uhr – Schlaflos in Seattle (K1)
Sympathisches Dauergeplapper für Großstadtsingles. Nett.
20:15 Uhr – Der Himmel über Berlin (BR)
Wenders, der spirituelle Weltverbesserer. Nahezu unerträglich.
22:55 Uhr – James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte (ARD)
Der gelungenste Moore: Unglaubliche Stunts und feine Selbstironie.
2:40 Uhr – Cabin Fever (Pro7)
Wunderbar frisches, originelles Debüt Eli Roths, das eine hanebüchene Geschichte mit zahlreichen Augenzwinkertricks verziert. Sowohl als Hommage wie auch Virus-Horror überaus gelungen.
Sonntag, 18.11.
20:15 Uhr – Ein (un)möglicher Härtefall (RTL)
Der naive Versuch der Coen-Brüder, die Screwball-Comedy zu reanimieren. Clooney ist nicht Grant, Zeta-Jones nicht Hepburn. Ziemlich mittelmäßig.
22:15 Uhr – The Grudge (Pro7)
Nicht wirklich gut, aber peinlicherweise fand ich den doch sehr gruselig.
23:15 Uhr – Kap der Angst (BR)
Scorseses gut gemeintes Remake. Filmisch in einer eigenen Liga, aber mehr als Anschauungsunterricht ist das auch nicht.
Montag, 19.11.
22:15 Uhr – Insomnia (ZDF)
Atmosphärisches Remake, bei dem Robin Williams zurück- haltender denn je chargiert, während Pacino gewohnt over-acted. Nolan erweist sich weiterhin nur als solider Filmemacher.
Mittwoch, 21.11.
20:15 Uhr – Stadt der Engel (K1)
Das Remake zum Wenders-Kitsch. Immerhin besser als das Original – und das spricht nicht gerade für sich.
Mehr oder weniger gelungene Tragikomödie, die aber zu überladen ist, es allen recht machen will und irgendwann in Rührseligkeit untergeht.
22:30 Uhr – The Faculty (Pro7)
Mitunter treffsichere „Body Snatchers“-Variation, vom Herrn Williamson darf man aber dennoch mehr erwarten.
Donnerstag, 22.11.
20:40 Uhr – Eyes Wide Shut (Arte)
Kubricks Traumnovelle. Mochte ich im Kino, vermute hier mittlerweile aber eher eine Anhäufung von Oberflächenreizen hinter verklemmter Fassade. Zweitsichtung ungern.
Freitag, 23.11.
20:15 Uhr – To Die For (Das Vierte)
Leider doch ganz ordentliche Medien-Satire. Obwohl von Gus van Sant.
22:10 Uhr – Terminator 2 (Tele5)
In jeder Hinsicht herausragende Fortsetzung. Camerons virtuoser Meilenstein, besser geht’s nicht.
22:25 Uhr – Lost Highway (3SAT)
Zwischen Noir-Meditation und Story-Reflexion: Völlig überschätzter, aber nichtsdestotrotz faszinierender Seelen- strip David Lynchs. Weitaus simpel konstruierter als gemeinhin behauptet.
0:30 Uhr – Lethal Weapon 4 (RTL2)
Der amüsanteste Film der Reihe: Grandiose Actionszenen und Jet Li lauten die Vor-, Mel Gibson und das Ende die Nachteile.
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Jetzt, da die Adventszeit naht, möchte ich selbstverständlich auch Mr. Hankey - einen meiner geschätzten ofdb-Kollegen - zu Wort kommen lassen, seines Zeichens nämlich erklärter Weihnachtsfan und -spezialist:
Dienstag, 20.11.
20:15 Uhr - Jack Frost (K1)
Weihnachten kommt immer früher, so natürlich auch im Fernsehen. Jack Frost ist die diesjährige Einleutung der X-Mas-TV-Saison. Durchaus fantasievoll und charmant, aber auch überhöht kitischig, so wie man es halt von den Amis kennt. Und nein, dies ist nicht der Horrorfilm, sondern Michael Keaton als Schneemann.
Freitag, 23.11.
20:15 Uhr - Micky's Fröhliche Weihnachten (SRTL)
Der Heillig Abend-Klassiker, bei SRTL schon über einen Monat zu früh auf dem Schirm. Wer aber nicht mehr warten kann, der darf sich mit dem modernen Weihnachtsepisodenklassiker aus dem Hause Disney schon mal auf die Vorweihnachtszeit einstimmen. So herzensgut und erfreulich wurde Disneys Weihnacht danach nämlich nie wieder!
November 15, 2007
Kino: MR. MAGORIUM'S WONDER EMPORIUM
20%
November 12, 2007
News: SWEENEY TODD - Poster #3
November 10, 2007
Kino: ATONEMENT
Nach "Pride and Prejudice" steht sie erneut unter der Regie von Wright vor der Kamera, wieder ein Kostümfilm, wieder nach einer Literaturvorlage. Doch nicht Jane Austen lieferte den Stoff für das dramatische, dreiaktige Kabinettstück aus Intrigen und Verzweiflung namens "Atonement" – Abbitte –, sondern der Brite Ian McEwan. Ein Engländer also, schon wieder.
Der Film erzählt zunächst ein fast klassisches Landhausdrama. Der englisches Adel steht im Mittelpunkt, 1935 das Jahr: Ein kleines Mädchen (Saoirse Ronan) hegt große Gefühle für den Sohn des Haushälters, den charmanten Robbie (McAvoy). Doch Briony hat abgesehen vom Offensichtlichen wenig Chancen bei ihrem Schwarm, der nicht nur mit ihrer Schwester Cecilia (Knightley) anbandelt, sondern im Eifer des Gefechts auch gern mal obszöne Liebeswünsche per Post verschickt: "In my dreams I kiss your cunt, your sweet wet cunt.". Der Unmut aus langsamer sexueller Reife und unerwiderter Liebe artet schließlich in einer fatalen Beschuldigung aus: Briony gibt gerichtlich zu Protokoll, dass Robbie die minderjährige Cousine vergewaltigt habe – wohl wissend, dass dem nicht so war.
Was folgt ist ein radikaler Szenenwechsel. Bis hierher erstrahlte "Atonement" in sanftmütigen, betörend weichen Bildern, wirkte unbeschwert und leicht in Szene gesetzt. Lange noch bleibt die Eingangssequenz in Erinnerung, in der Briony ganz erregt über ihr erstes geschriebenes Drama durchs Haus läuft, untermalt von einem mindestens so einfallsreichen wie wunderschönen Musikscore, der in seine Pianoklänge schnelle rhythmische Tipplaute einer Schreibmaschine einflechtet. Wright ist hier in seinem Element, die visuellen Ideen sind wagemutig, frisch und modern, ganz so verspielt also wie in seinem Vorgänger "Pride and Prejudice". Die Kamera gleitet fast schwerelos durch Räume und über Felder, und eine mehrere Minuten andauernde, ohne Schnitte vollzogene Fahrt am Strand von Dünkirchen gerät mit meisterlicher Präzision schlicht großartig.
Da befindet man sich dann schon im zweiten Drittel, das den lädierten Robbie als Kriegsgetriebenen zeigt, nachdem er vier Jahre unschuldig im Gefängnis saß. Spätestens hier jedoch – zuvor war "Atonement" zwar geschickt, aber auch recht belanglos – bricht der Film ein. Der große Krieg nach dem kleinen Liebesdrama überfordert Wright, das übersteigt die Fähigkeit des Films, wirkt fremd, nicht gekonnt und zusehends langatmig. Es fällt schwer der bis dato zweigeteilten Romanze zu folgen, weder wurde McAvoys Figur ausreichend Raum zugesprochen, als diese gleich die Hauptlast der Erzählung zu tragen vermag, noch können die parallel eingestreuten Herzschmerzblicke der Knightley für nachvollziehbare Herbstromantik sorgen. Ganz deutlich pendelt der Film hier im nirgendwo, weiß offenbar nicht wohin die Reise gehen soll und bleibt aufgrund seiner blassen Charaktere und dem kaum entwickelten Figurendreieck Briony-Cecilia-Robbie ohne Belang – trotz vielen hübschen inszenatorischen Einfällen, beispielsweise der immer wieder unterschiedlichen Variation des Schreibmaschinentippens, simuliert mal als Geräusch eines Zuges, dann wieder als anknipsende Lampen eines langen Flurs.
Schließlich kehrt "Atonement" erneut zur Briony-Figur zurück, die mittlerweile erwachsen geworden ist, als Krankenschwester arbeitet und mit den inneren Dämonen ihrer schrecklichen Kindstat zu kämpfen hat. Diese letzte Drittel ist schwungvoller in Szene gesetzt, indes aber auch interessanter, da diese Figur anfangs mit verhältnismäßig größerer Sorgfalt vorgestellt wurde – ihre weitere Entwicklung also von größerem Belang ist, als die sperrige Liebesgeschichte. Dass die Erzählung jedoch auch hier unschlüssig wirkt, zusammenhangslos und lückenhaft erscheint, ist nicht von der Hand zu weisen. "Atonement", das ist spätestens dann klar, mag sympathisch und annehmbar sein, aber wirklich gut ist er nicht.
Dieses Urteil wird erschüttert, ja radikal in Frage gestellt, wenn der Film zu einem Fernsehinterview mit der ergrauten Briony (Vanessa Redgrave) schwenkt, die erst hier nun endlich ihre Abbitte leistet: Die zuvor gezeigte Entschuldigung bei Cecilia und Robbie, die glückliche späte Fügung der Ereignisse war nur ein Konstrukt, eine Fantasie jener Frau, die es in Wahrheit nicht geschafft hat, ihre Lüge aufzuklären. Hier taucht es wieder auf, das Motiv des Films, das Klacken der Schreibmaschine: Prinzipiell also hat Briony nur einen weiteren, sicherlich den Roman ihres Lebens geschrieben, und der Zuschauer war mittendrin. Jeder Vorwurf, "Atonement" sei unglaubwürdig und kaum nachvollziehbar, wird hier fast reumütig abgewiesen. Fast wirkt es so, als entschuldige sich der Film für die Fiktion, die er zwei Stunden lang bedient hat, und die eigentlich nur der Verzweiflung und dem Eskapismus einer alten Frau zuzurechen ist. Macht es sich der Stoff hier zu leicht, oder sollte man diese Ode ans Geschichtenerzählen tatsächlich als nahezu grandios feiern?
60%
TV: Fernsehtipps vom 10.11. - 16.11.07
Die digitale Inszenierung auf dem Höhepunkt ihrer Seelen- und Belanglosigkeit.
20:15 Uhr – „Space Cowboys“ (RTL)
Für Eastwood-Verhältnisse erschreckend flach und sinnfrei – Altherrenspaß.
22:10 Uhr – „James Bond – Lizenz zum Töten“ (ARD)
Die zweite und leider schon letzte Mission Timothy Daltons, harter und großartig inszenierter Bronson Bond. Cut.
22:40 Uhr – „Momentum“ (RTL)
Momentum mal: Louis Gossett jr. dreht noch Filme? Wo haben sie den denn raus gelassen?
0:10 Uhr – „Final Fantasy“ (Pro7)
Siehe 20:15 Uhr.
0:25 Uhr – „Copykill“ (ARD)
Solider, beklemmender Thriller mit großartigem Bösewicht und noch großartigerer Sigourney Weaver.
2:45 Uhr – „Blacula“ (K1)
Amüsanter Blacksploitation-Kracher.
Sonntag, 11.11.
20:45 Uhr – „Reds“ (Arte)
Leider bis heute nicht gesehen. Beatty als Regisseur schreckt mich aber nach wie vor eher ab.
0:00 Uhr – „Hotel Ruanda“ (ARD)
Annehmbar und immerhin besser als die anderen modischen Afrika-Betroffenheitskinofilme.
2:00 Uhr – „Die Nacht des Jägers“ (ARD)
Dass Charles Laughton nur einen Film inszenieren durfte, ist bedauerlich: Eine brillante, ungeheuer einflussreiche Stil- studie, die jeder Filmfreund gesehen haben muss.
Montag, 12.11.
20:40 Uhr – „2001“
Einflussreicher Klassiker, der Maßstäbe gesetzt und das Genre transzendiert hat. Inhaltlich kaum nachvollziehbar, prätentiös und intellektuell, ist das für mich dennoch nur ein interpretatorischer Zweikampf zwischen Zuschauer und Kubrick, schrecklich aufgeblasen und selbstverliebt.
22:15 Uhr – „Antikörper“ (ZDF)
Deutsches Kino jenseits aller Geschmacksgrenzen, mit einem Finale, das man gesehen haben muss, um es zu glauben. Schlecht in völlig neuen Dimensionen.
23.25 Uhr – „Nightmare On Elm Street 5: Das Trauma” (Das Vierte)
Stephen Hopkins interpretiert mit seinem Beitrag der Reihe den Mythos Freddy Krueger als teuflische Ausgeburt der Hölle, ohne sich allerdings in ähnlich christliche Albernheiten wie der (dennoch höchst vorbildliche) dritte Teil zu verlieren. Mit einer comicartigen, visuellen Brillanz kreiert er wahrhafte Traumwelten, die für eine ansprechende Geschichte aber nur bedingt Platz zulassen. Läuft gekürzt.
Dienstag, 13.11.
20:15 Uhr – „Besser geht’s nicht“ (K1)
Nicholson und Hunt sind die ganze Miete.
Mittwoch, 14.11.
20:15 Uhr – „Eine Frage der Ehre“ (K1)
Eine von Cruises besseren Rollen. Rob Reiners Handwerk hilft dem spannenden Courtroom-Drama über manch holprige Drehbuchstrecke.
22:50 Uhr – „Die Fliege 2“
Trash-Sequel zum Cronenberg-Hit, bei dem Chris Walas sich noch einmal richtig austoben darf.
23:10 Uhr – „Uhrwerk Orange“ (Arte)
Ein Film irgendwo zwischen Faschismusparabel, Gewalt- ästhetik und Mediensatire, undifferenziert, uneindeutig und immer nahe an der Verharmlosung – Kubrick bedient mitunter, was er anzuprangern gedenkt.
Donnerstag, 15.11.
20:40 Uhr – „Dr. Seltsam…“
…oder wie das mit mir und Kubrick nichts mehr wird.
0:20 Uhr – „Im tiefen Tal der Superhexen“ (Arte)
Titten meets Kleinstadt, Russ Meyer wie er leibt und lebt. Subversives Relikt.
Freitag, 16.11.
22:30 Uhr – „Fargo“ (3SAT)
Intelligente und dennoch verspielte Provinzsatire, schrullig bis Anschlag, toll geschrieben und überaus kokett.
22:30 Uhr – „Naked City“ (Tele5)
Bogdanovich auf den Spuren von Jules Dassin. Gewagt, aber ich kenne den Film nicht.
0:55 Uhr – „Tigerland“ (Pro7)
Ganz doll unüberlegter, völlig idiotischer Kriegsfilm von Ex-Schaufensterdekorateur Joel Schumacher.
November 06, 2007
Kino: AUF DER ANDEREN SEITE
Yeters Tod
Ein türkischstämmiger Mann läuft durch die Straßen Bremens. Er kommt an einem Bordell vorbei und hört eine Prostituierte in seiner Landessprache reden, dann nimmt er ihre Dienste in Anspruch. Kurze Zeit später bietet er der Frau schließlich an, sie ausreichend zu bezahlen, falls sie bei ihm leben, das Gewerbe aufgeben und nur für ihn verfügbar würde. Sie willigt ein. In der bescheidenen Wohnung versuchen sich beide zu arrangieren, bis der Sohn des Mannes, ein Germanistik- professor, seinen Vater ins Krankenhaus bringen muss: Diagnose Herzinfarkt. Yeter, die jetzt keine Prostituierte mehr ist, hat noch eine Tochter, die in der Türkei lebt. Eine Tochter, die im selben Moment auf der Suche nach ihrer Mutter ist, weil sie als politische Aktivistin aus ihrem Heimatland flüchten musste. Eine Tochter, der sie in losem Kontakt erzählte, sie arbeite als Schuhverkäuferin. Der alte Mann wird aus dem Krankenhaus entlassen. In der Wohnung daheim kommt es zu einem Streit, bei dem er Yeter schlägt. Sie bleibt regungslos auf dem Boden liegen.
Lottes Tod
Ayten irrt durch die Stadt. Sie hat kein Geld, keinen Wohnsitz, keine Perspektive. Sie musste die Türkei verlassen, weil sie Anhängerin einer Widerstandsbewegung ist. Die junge Frau sucht ihre Mutter, doch ohne Erfolg. Günstiges Essen bekomme sie in der Mensa der Universität, sagt man ihr. Dort trifft sie auf die Studentin Lotte, die sie mit zu sich nimmt, die ihr Anziehsachen schenkt und sie ausführt. Die sie zu lieben beginnt. Lottes Mutter ist skeptisch, macht sich Sorgen um die uneigennützige Tochter. Als Ayten von der Polizei aufgegriffen und nach einem Jahr gerichtlicher Auseinan- dersetzung abgeschoben wird, reist Lotte ihr in die Türkei nach. Besuche im Gefängnis und Besuche in Büchereien sind ihre Tagesbeschäftigung, um alles für die Freilassung der Freundin zu unternehmen. Es hängen Plakate in der Gegend, auf dem Yeters Foto zu sehen ist. Der Germanistikprofessor hat sie aufgehängt, er lebt jetzt in der Türkei, um die Tochter jener Frau zu finden, die sein Vater ermordet hat. Auch im Buchladen hängt so ein Plakat, dort arbeitet er. Und dort ist auch Lotte, die bald bei ihm zur Miete wohnt. Doch sie wissen nichts von ihrer schicksalhaften Verkettung. Kurz darauf bittet Ayten ihre Freundin beim Gefängnisbesuch, eine versteckte Waffe in Sicherheit zu bringen. Lotte nimmt sie an sich, doch Straßenkinder klauen ihr die Tasche. Die Studentin aus Deutschland wird erschossen.
Auf der anderen Seite
Es passiert viel in diesem Film. So viel, dass es einiges an Konzentration benötigt, um nicht den Überblick zu verlieren. Das liegt jedoch weniger an seiner Geschichte, die bis hierhin gerade einmal ihre Grundsteine setzt, aber dennoch nie unstrukturiert und unübersichtlich erscheint, sondern eher an der großen Themenvielfalt. Fatih Akin reißt in seinem fünften Spielfilm eine ganze Menge an: Es geht um das Suchen nach Liebe, ums Angenommenwerden, um Schutzbedürftigkeit, das Miteinander, um Migration, Immigration, Asylrechte, Globalisierung, Rechtssysteme und Homosexualität. Er handelt von Deutschland und der Türkei, von Beziehungen, Wechselbeziehungen, davon, wie Menschen aneinander vorbeigehen, aneinander vorbei leben. Und ganz besonders ist "Auf der anderen Seite" ein Film über den Tod. Über das Verlieren, das Loslassen, das Alleinlassen. Ganz so wie er es nach "Gegen die Wand" angekündigt hat, als Mittelteil einer Trilogie. Denn "Liebe, Tod und Teufel" hat Akin sie genannt.
Auf die emotionale Wucht dieses Films kann man dennoch nicht vorbereitet sein. Auf seine Unmittelbarkeit, auf seine unprätentiöse, nuancierte Inszenierung, auf seine verdichtete Erzählung. Und auf die Kraft der Bilder, die visuelle Schönheit, die komplexe Bildsprache mit all ihren kleinen Details, ihren feinen Informationen und ihren subtilen Umrandungen. "Auf der anderen Seite" ist Erzählkino, das sich von allen teutonischen, schwermütigen, sozialrealistischen Eigenschaf- ten gelöst hat. Akins Film ist Kino auf einem neuen Niveau, einem reifen, intelligenten, nicht intellektuellem, sondern überlegten neuen Niveau. Er erinnert in seiner Präzision, seiner Wirkungskraft und seiner subversiven, unforcierten Thematisierung gegenwärtiger Kulturgesellschaften an die Arbeiten Fassbinders. Und auch an Ang Lee, der sich vor dem Hintergrund einer individuellen Heimatlosigkeit, einer Suche nach Identität, Geborgenheit und Harmonie ebenfalls der genauen Beobachtung verschrieben hat.
Akins Film ist dennoch nicht das Werk eines Mannes, der nicht wüsste, wo seine Wurzeln liegen. Der kein klares Bewusstsein für die eigene Zugehörigkeit besäße. Vielmehr offenbart "Auf der anderen Seite" ein Gespür für den Schwebezustand, ein Gefühl für das Dazwischen, ohne dass Akin gleichzeitig eine Stimmung der Unzugehörigkeit evozieren würde. Seine Figuren sind ungeheuer komplex, sie alle wollen das individuelle Glück finden, in der Liebe, der Arbeit oder in der Familie. Sie sind Exilanten, im geographischen wie im emotionalen Sinne. Und wie der Film Bezüge schafft, ohne sie aufzulösen, ohne das große Konstrukt zum Einsturz zu bringen, wie er von all den schicksalhaften Verknüpfungen und Verbindungen erzählt, ohne sie zu befriedigenden, konventionellen Enden zu führen, das hat etwas so starkes, magnetisierendes, einzigartiges, dass es ihm keiner wird nachmachen können. Der Autorenfilmer Fatih Akin hat hier sein Meisterwerk geschaffen.
Und dabei hat er sich völlig neu erfunden. Er wollte lernen, er wollte sich nicht zufrieden geben mit dem, was ihm sämtliche Preise eingebracht hat. "Auf der anderen Seite" ist jede Sekunde anzumerken, dass sein Regisseur hungrig ist. Hungrig nach Wissen, nach Grenzerfahrung, nach dem, was das Kino für ihn bereithält, was es hergeben kann, zu was es imstande ist. Die enormen Bilder belegen das, Akin vermittelt alles über sie, die Bilder sprechen eine eigene Sprache, eine übermächtige Sprache. Ein Sarg bewegt sich auf der Rollbahn, von Deutschland in die Türkei wird er befördert. Später sehen wir wieder einen Sarg, in umgekehrter Richtung. In dem einen liegt Yeters Körper, im anderen Lottes. Beide Einstellungen machen nicht besonders auf sich aufmerksam. Sie sind ganz einfach da, sie passieren, und sie erzählen etwas. Über kulturelle Crossover, über symbolisierte Wechselbeziehungen, aber auch über die Dinge, die uns bei allen Unterschieden einen – das Leiden, der Schmerz, die unendliche Einsamkeit nach dem Tod eines geliebten oder aber auch eigentlich fremden Menschen. Der Film hat viele solcher Bilder, viele solcher Verweise. Sie sind mitunter so elegant in das gesamte visuelle und narrative Konzept eingebunden, dass keine erste und zweite Sichtung genügen wird, um sie auszumachen.
Dabei entwickelt Akin in feinen Zügen gleich mehrere systemische Designs. Die persönlichen Konflikte seiner Figuren – seiner lebendigen, glaubwürdigen Figuren, denen er viel zumutet – werden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und reflektiert. Das Drama des Germanistikprofessors, seine Suche nach einer gewissen Bestimmung, nach einem Sinn, vielleicht auch nach einer Spiritualität, ist gleichzeitig auch jenes der Mutter, die in die Türkei reist, um dort zu sein, wo ihre Tochter vor ihrem Tod war. Beide Schicksale wissen nicht, wie sehr ihre Geschehnisse zusammenhängen, doch aus ganz unterschiedlichen Positionen wird das identische Drama erzählt. Diese fortwährende doppelte Erzählgrundlage bedient sich jedoch nie unnötiger Spielereien, stellt sich nicht selbst aus, indem sie die Verknüpfungen immer wieder überbetonen würde. Der Vorwurf, den man "Auf der anderen Seite" machen kann, nämlich dass er letztlich reine Konstruktion ist, bleibt ungewichtig, vor allem da Akin die Strukturen auch Strukturen sein lässt und sie nicht auflöst. Wie viele unbewusste Bezüge zwischen den Menschen eigentlich bestehen, von denen man womöglich auch nie erfahren wird, das ist eine reizvolle, eine überaus realistische Grundhaltung. Und sie wird mir einer Ruhe dargeboten, die mittlerweile mindestens so selten wie notwenig ist, auch im deutschen Film.
Natürlich ist Akins Film ein Statement, ein Kino-Statement. Die Besetzung mit Hanna Schygulla, der großen Fassbinder-Zofe, der Frau mit der leisen, weisen Stimme, die sicher zu den wichtigsten deutschen Nachkriegs- schauspielerinnen gehört, die ist ganz bestimmt ein Statement. Vor allem, da Akin ihr wiederum einen der größten türkischen Schauspieler gegenüberstellt: Tuncel Kurtiz, einen Star der 70er-Jahre, berühmt vor allem durch Filme von Yilmaz Güney. Aber auch das ist nur eine Fußnote, eine bemerkenswerte zwar, eine überlegte, aber keine kokette, nichts, das irgendwie nach falscher Bedeutung suchen würde. Wie "Auf der anderen Seite" ganz generell einen eigenen Weg zu seinen Themen findet, einen situativen und dennoch zusammenhängenden, einen konstruierten und doch unaufgeregten. Alles an diesem Film ist groß, und alles an diesem Film ist klein. Die Plakatzettel, auf denen Yeters Bild zu sehen ist, hängen überall. Lotte geht an ihnen vorbei – und schaut erst dann auf die Pinnwand im Büchergeschäft, als sie von dort abgenommen wurden. Die Gegenwart des Nichtgegenwärtigen – ein kleiner Moment, in dem die ganze Kraft dieses Films liegt. "Trinken wir auf den Tod". Und auf die schönste Schlusseinstellung des Kinojahres noch dazu.
95%