Juni 14, 2011

Kino: THE TREE OF LIFE

Jeder neue Film von Terrence Malick ist ein Ereignis, allein weil es ein neuer Film von Terrence Malick ist. Fünf großartige Langspielfilme in vierzig Jahren, keine öffentlichen Auftritte und gerade mal eine Handvoll Photos seiner Person haben zu einer Legendenbildung beigetragen, die ihn als einen der herausragenden amerikanischen Regisseure unserer Zeit ausweist.

Nach
"Badlands" (1973), "Days of Heaven" (1978), "The Thin Red Line" (1998) und "The New World" (2005) nun der "Tree of Life", Malicks ganz eigenes Epos von Schöpfung und anderen überlebensgroßen Themen. In Cannes wurde dieses wahlweise ausgebuht und beklatscht, gewann aber trotzdem die Goldene Palme als bester Film. Das Gemüterspalten zwischen Empörung und Faszination ist eigentlich die beste Voraussetzung für "The Tree of Life", Malicks Magnum Opus.

Eine durchgehende Geschichte erzählt der Film nicht, seine Struktur ist labyrinthisch und streng assoziativ. Gerahmt wird er von Monologen, Rückblenden und Gedankenfetzen eines Geschäftsmannes (Sean Penn), der nach schwerer Kindheit und dem Verlust des Bruders in einer Sinnkrise aus Fragen nach Diesseits und Jenseits gefangen ist. Sein Vater (Brad Pitt) war ein strenger Patriarch, gescheitert an eigenen Lebenszielen, seine Mutter (Jessica Chastain) eine bedingungslos gutherzige Hausfrau.

Malicks Entwurf der archaischen Kernfamilie führt zunächst einmal zum Ursprung aller Existenz. In einer unklaren Mischung aus Kreationismus und Evolutionstheorie gebären seine Bilder den Kosmos, die Welt und das Leben aus dem Nichts, angereichert mit Zitaten Hiobs. Zyniker werden das als aufgeblasene Trash-Esoterik bezeichnen, Polemiker als hochnotpeinliches Schwimmen in der eigenen Ursuppe. Ich nenne es betörenden Größenwahn. Alles oder nichts: Ein audiovisueller Gedankenstrom, ausgetragen aus Bedeutungs- schwangerschaft im ganz großen Stil.

140 Minuten lang zelebriert Malick Bilder von Schöpfung, Entwicklung und vermutlich göttlichen Interventionen. Seine Schauspieler sind Statisten, die mit wenigen Dialogen auskommen und sich den fragmentarischen Zusammenhängen ihres Regisseurs fügen müssen. Zu den anbetungswürdigen Bildern des derzeit besten Kameramanns der Welt, Emmanuel Lubezki, lässt Malick vorzugsweise Musik sprechen und überlegt Urknall und spielende Kinder auf Wiesen mit Mahler, Brahms und Smetana, sowie gelegentlichen Original- kompositionen des wiederum derzeit besten Filmkomponisten der Welt, Alexandre Desplat.


"The Tree of Life"
geht einem quasi universellen Existentialismus auf den Grund. Er fragt, ob der Mensch biologisch oder göttlich ist, ob er sich nur im Erleben seiner selbst verstehen oder doch nur Teil einer allgemeinen Ordnung sein kann. Malicks Film aber ist keine Lehrstunde in Philosophie, viel zu unkonkret sind seine Sinneseindrücke, Gedanken und Ausschnitte, um sie zum Diskurs erklären zu können. Auf eine berauschende Art montiert er Bilder und Musik zu einer ständigen Bewegung, in der der Zuschauer angeregt ist, dem spirituellen Strom gedanklich zu folgen. Anders als bei Ingmar Bergman oder Andrei Tarkowski ist die Beschäftigung mit Gott dabei noch eine Option, keine Voraussetzung.

Filme, die sich an solch gewaltige Themen wagen, die über Ursprung, Sein und Vergänglichkeit sinnieren, um die passende Entstehungsgeschichte allen Lebens gleich noch mitzuliefern, laufen immer Gefahr, sich zu verheben an der eigenen Überambition. Einem Spät- bzw. Alterswerk wie "Tree of Life" kann und wird man genauso Senilität unterstellen, wie man dies bei Francis Ford Coppolas "Youth Without Youth" oder anderen GGFÜA-Filmen getan hat – den "ganz großen Filmen über alles", wie Ekkehard Knörer sie einst treffend bezeich- nete.

Gerecht wird man einem Meister wie Malick damit gewiss nicht. Sein Film ist persönlich und intim, nicht erhaben. Wenn man
"Tree of Life" mit Stanley Kubricks "2001" vergleichen möchte, so wie zahlreiche Cannes-Kritiker, weil er an dessen Bildgewalt und Auseinandersetzung mit der conditio humana anknüpfe, muss man auch hinzufügen, dass Malick nicht vom Dinosaurierbaby zum menschlichen Säugling wie Kubrick vom Knochen zum Raumschiff schneidet. Er verzichtet auf vordergründige Komplexität und kreiert auch keine Bilder einer bloßen Aussage wegen. Bei Malick geht es um Mensch und Natur, nicht Technik und Technizismus.

Es ist schwer, der Begeisterung für diesen Film sinnvoll Ausdruck zu geben. Das bloße Aufzählen von durchaus widersprüchlichen Eindrücken – ergreifend, metaphysisch, verrückt, transzendal, gigantisch, banal, meditativ, anstrengend, vollkommen – wird ihm nicht gerecht und führt doch nur zu plattitüdenhafter Unklarheit und Behauptung. Es ist ganz profan: Entweder man findet einen Zugang zu diesem Film oder man findet ihn nicht. Es mag eine Frage der Haltung sein, Sinnlichkeit erfahrbar werden zu lassen und anzunehmen, oder eben sich ihr zu verwehren.



95%
- erschienen bei: gamona