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April 26, 2017

US-Remakes sind eine Bereicherung

Gegen Remakes im Allgemeinen und US-Remakes im Besonderen gibt es viele Vorbehalte, der häufigste ist zugleich der unplausibelste. Hollywood, heißt es üblicherweise, habe keine Ideen mehr. Im Rückgriff auf fremdes Material komme die Mutlosigkeit von Produzenten zum Ausdruck, eigene Stoffe zu entwickeln. Dieser Einwand will Befund sein. US-Remakes (gemeint sind amerikanische Neuverfilmungen aus nicht-amerikanischen Bezugsquellen) werden oft zum modischen Phänomen stilisiert, das den jeweils schlimmsten Stand der Hollywood-Kreativkrise diagnostizieren soll. Filmhistorisch haben solche Einschätzungen keinen argumentativen Boden, die Praxis lässt sich bis zum Beginn der amerikanischen Kinematographie zurückdatieren: Aus unterschiedlichsten Gründen (Distributionsbeschränkungen, Lizenzstreitigkeiten, der Wille zur künstlerischen Replik) gaben US-Produzenten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eigene Versionen ausländischer Filme in Auftrag, die Edison Studios beispielsweise adaptierten Arbeiten von Georges Méliès für den heimischen Kinomarkt. Wenn US-Remakes ausgehende Ideen verkünden, hat es in Hollywood nie Ideen gegeben. [...]  

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März 14, 2013

Kino: HITCHCOCK

Im berühmtesten Filmgespräch aller Zeiten stellte François Truffaut dem Master of Suspense die alles entscheidende Frage: "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" Wenn man nun diesem Film glauben darf, dann würde die Antwort darauf wohl lauten: Nun ja, irgendwie halt. Was offenbar als heitere Filmkomödie gedacht war, ist vor allem die Denunzierung eines Großmeisters – und eine Ansammlung von Unwahrheiten. [...]

Juni 11, 2011

Zuletzt gesehen: TORN CURTAIN

"Glaubt man den Exegeten, dann zählt die Angst, unschuldig eingesperrt zu werden, zu Hitchs favorisierten Ängsten. Zwei seiner, wie ich finde, schlimmsten Machwerke, I CONFESS (1952) und THE WRONG MAN (1956), legen davon Zeugnis ab. Man quält sich in diesen schier endlosen Filmen, die sämtliche Rituale menschlicher Schuldverstrickung wiederkäuen, über die Runden und stellt nur schulterzuckend fest: Solche Jammergestalten (die von Montgomery Clift und Henry Fonda gespielten Hauptfiguren), die als permanente Entschuldigung der eigenen Existenz umherschleichen, gehören aus dem Verkehr gezogen, weil sie ihren Mitmenschen ganz furchtbar auf die Nerven gehen. […]

TORN CURTAIN war der erste Hitchcock-Film meines Lebens und wurde, weil ich ihn als 14jähriger auf durchaus unterhaltsame Art total bescheuert fand, das Fundament meiner in Zement gegossenen Überzeugung, daß Hitchcock nicht ganz dicht sein mußte. […]

Doch mit inhaltlichen Ungereimtheiten (um es sehr dezent zu formulieren) darf man den beinharten Hitchianer nicht konfrontieren, denn ihn interessieren nicht glaubwürdige Geschichten, sondern technische Kabinettstückchen und die unzähligen Neuerungen, um die sein Idol angeblich den Kanon der kinematographischen Ausdrucksformen erweitert hat. Die härtesten Brecher unter Hitchcocks formalen Mankos, geradezu seine Markenzeichen, sind schlampige Deko- rationen, infantile Miniaturen und miese Rückprojektionen. In TORN CURTAIN läuft er diesbezüglich zu ganz großer Form auf. Traumwandlerischer Höhepunkt ist die Sequenz, die in einem Bus von Leipzig nach Ost-Berlin spielt. […]

Doch all das ficht die Fangemeinde nicht im geringsten an. Sie hat sich längst eine Theorie zurechtgeschustert, nach der das haargenau so sein muß, beim großen Hitch. Diesem windigen Erklärungsmodell nach sollen die intendiert unwirklichen, kulissenhaften Bildhintergründe und Exterieurs auf das gestörte Verhältnis aufmerksam machen, das viele Protagonisten Hitchcocks zu ihrer Umwelt haben. Fragt sich nur, wer da gestört ist."

Ulrich von Berg: Torn Curtain. In: Alfred Hitchcock. Lars-Olav Beier / Georg Seeßlen (Hg.)


1. - "Torn Curtain" gilt meines Erachtens zu Unrecht als (verhältnismäßig) schlechter Hitchcock-Film.
2. - Er zeichnet das wahrscheinlich groteskeste DDR-Bild der Filmgeschichte.
3. - Ist er dabei unnachahmlich vergnüglich bis trashig, besonders wenn russische Banditen Leipziger Landstraßen unsicher machen.
4. - Hat der Film einige der besten, wenn auch ganz und gar sinnlosesten Suspense-Momente im gesamten Hitchcock-Werk.
5. - Ist obiger Text eine Freudenlektüre vom Feinsten, nicht weil ich ihm inhaltlich sonderlich zustimmen würde, aber weil er pointiert diffuse Rezeptionsmuster ("traumwandlerisch", "unwirklich" und andere aussagelose Adjektive zur Filmbeschreibung) aufs Korn nimmt.


(70%)

April 23, 2011

Zuletzt gesehen: PSYCHO II, III & IV

Psycho II (1983, Richard Franklin)

Wagemutige Fortsetzung des legendären Modernitäts- manifests von Alfred Hitchcock, die die Handlung 23 Jahre später munter weiterspinnt. Statt einer eigenständigen Exposition lässt der Film einfach noch einmal den Duschmord des Originals durchlaufen und wiegelt damit gleich jede Impertinenz ehrwürdig ab, indem er Komplexität gegen Genreelemente eintauscht. Die Geschichte von Richard Franklins Sequel konzentriert sich auf Norman Bates’ Rehabilitationsversuche nach jahrelanger psychiatrischer Behandlung, die jedoch von Störenfrieden aus der Vergangenheit mühevoll sabotiert werden. Da das Drehbuch offenbar zu viele dramatische Akzente setzt, wurden dem Film einige Horrorkonventionen beigemengt, weshalb sich
"Psycho II" neben seiner eigentlich zentralen Charakterstudie auch noch auf einen spannenden Whodunit-Plot konzentrieren muss. Die letztlich recht verschnörkelte Handlung gleicht einer unkontrollierten Geisterbahnfahrt, die sogar einmal in Richtung des zeitgenössischen Teenie-Slashers ausschert (was sich im nächsten Teil der Serie schließlich verselbständigen wird). Anthony Perkins hat folglich einiges zu tun und changiert kräftig zwischen Unschuldslamm und Psychopath, während sein Counterpart Meg Tilly hilflos an ihm vorbeispielt. Formal besticht "Psycho II" durch ausgeklügelte Kamerapositionen und Jerry Goldsmiths wohldosierte Musik über seine augenscheinlichen Schwächen hinaus, ehe er in einem hanebüchen-genialen Epilog zu später Hochform aufläuft.


70%

Psycho III (1986, Anthony Perkins)

Während Richard Franklins "Psycho II" noch als ambitionierter Versuch verstanden werden kann, Hitchcocks Meisterwerk zumindest inhaltlich fortzusetzen, gerinnt die Figur Norman Bates im dritten Film der Serie zum klischeehaften Prototyp und bewegt sich nur noch in den Pfaden zeitgenössischer Franchise-Killer, die schuldigen Teenagern nach dem Leben trachten. Anthony Perkins steuert sein offenbar zum Fluch verkommenes Alter Ego nunmehr auch hinter der Kamera mächtig über, um jede Abgründigkeit als Witz auszuweisen: Permanent zitiert "Psycho III" das Original und wiederholt dessen berühmte Dialoge, die als One-Liner und fast schon parodistische Einlagen nur noch zur Comedy taugen. Am Rande der Selbstvertrashung bedient der Film mit einer vollkommen abstrusen Slasher-Handlung und blödsinnigen Knallchargenfiguren nur noch Standards des Genres und gibt jeden Versuch seines Vorgängers, die grobschlächtigen Motive des Originals weiterzuspinnen, zum Abschuss frei. Der ganze Quatsch wird zusätzlich mit viel nackter Haut und der hässlichen Diana Scarwid als dahergelaufene Nonne garniert. Obwohl Perkins seinen Norman hiermit ins verdiente Aus befördert, sollte der Stoff mit einem vierten Film von Mick Garris noch einmal weiter trivialisiert werden. R.I.P., Mr. Bates.


30%

Psycho IV: The Beginning (1990, Mick Garris)

Unsägliches TV-Prequel zum Hitchcock-Klassiker, das die beiden offiziellen Fortsetzungen ignoriert und sich aus fragmentarischen Ereignissen zusammensetzt, die zeitlich vor dem ersten "Psycho"-Film liegen. Joseph Stefano, der Drehbuchautor des Originals, schildert Norman Bates jr. als entwicklungsgestörten Teenager zwischen Ödipuskomplex und Transvestitismus, der schon früh zu Mutters Perücke und dem scharfen Küchenmesser griff. So zumindest erinnert sich der mittlerweile verheiratete und in Kürze Vater werdende (!) Bates an die Geschehnisse seiner Jugend, während er in einer Radioshow seine Lebensgeschichte ausbreitet. Das selten dämliche Framing des Films, die schulbuchartigen Flashbacks und psychologisch hanebüchene Fortschreibung der Bates-Figur bezwingen den Mythos, so es denn überhaupt je einer war, formal und inhaltlich endgültig auf Soap-Opera-Niveau. Am Ende setzt Norman, den Perkins hier nur noch auf Autopilot schaltet, sein altes Mutterhaus in Brand, treibt sich die Dämonen der Vergangenheit aus und fällt seiner Ehefrau und Mutter in spe erleichtert in die Arme. Dass dieser infantile Schlusspunkt der Serie sich auch noch durchgehend der Originalmusik Bernard Herrmanns bemächtigen darf, setzt der Unverschämtheit nur die Krone auf.


10%

Januar 31, 2009

Kino: CASTING A SHADOW - Hitchcocks Werkstatt

Das Arsenal-Kino wagt sich im Februar und März mit einem Hitchcock-Special an eine vorsichtige Dekonstruktion des Auteur-Begriffs. Nun ja, sagen wir eher einer Relativierung: Ausgehend vom Vorzeigebesiepiel der Cahiers du Cinéma- Sippschaft für Autorenschaft werden acht ausgewählte Filme gezeigt, die jeweils besonders prägnant eines der Departments der Hitchcock-Filme repräsentieren und somit die starke Teamarbeit seiner Werke hervorheben sollen:

1. Production Design

(Mi 18.2., 20 Uhr, Einführung: Ralph Eue)
SABOTEUR USA 1942 OF 108’

2. Sounddesign

(Sa 21.2., 20 Uhr, Einführung: Nils Warnecke)
THE BIRDS USA 1963 OF 112’

3. Kostümbild

(Mi 25.2., 20 Uhr, Einführung: Barbara Schröter)
STAGE FRIGHT USA 1950 OF 110’

4. Hitchcock und Berlin

(Sa 28.2., 20 Uhr, Einführung: Kristina Jaspers)
TORN CURTAIN USA 1966 OF 128’

5. Kamera und Licht

(Mi 4.3., 21.30 Uhr, Einführung: Peter Mänz)
PSYCHO USA 1960 OmU 109’

6. Studio Produktion

(Mi 11.3., 21.30 Uhr, Einführung: Anja Göbel)
LIFE BOAT USA 1944 OF 96’

7. Spannung und Verführung: Alfred Hitchcocks Filmvorspanne (Sonderveranstaltung)

(Do 12.3., 18.30 Uhr)
Die Filmwissenschaftler Britta Hartmann und Gerhard Midding stellen unter anderem Hitchcocks Zusammenarbeit mit Saul Bass vor, der mit seinen animierten grafischen Filmvorspannen neue Maßstäbe setzte. Im Anschluss um 20 Uhr:
NORTH BY NORTHWEST USA 1959 OmU 131’

Die Ausstellung „Vorspannkino“ in den KW Institute for Contemporary Art (8.2. – 19.4.) vertieft das Thema.

8. Drehbuch

(Mi 18.3., 21.30 Uhr, Einführung: Vera Thomas)
SHADOW OF A DOUBT USA 1943 OF 108’


Ausführliches zum Programm und mehr hier.

Ganz großartig, was die Jungs und Mädels da immer wieder zusammentragen. Einzig zum Thema Vorspanndesign hätte ich mir eher "Vertigo" gewünscht.

September 23, 2008

Retro: STRANGERS ON A TRAIN (1951)

Die Fremden im Zug: Das impliziert zunächst einmal eine Begegnung. Und so wie die amerikanische Filmgeschichte es unzählige Male vorgeführt hat, handelt es sich dabei meist um romantische Begegnungen. Um ein Irrlaufen und Zusammen- prallen wie in der Screwball Comedy (allein in den Filmen von Preston Sturges spielen sich zahlreiche prägnante Situationen zwischen Frau und Mann in Zügen ab), oder gar um den sexuellen Höhe- und filmischen Schlusspunkt, so wie es Alfred Hitchcock zum wunderbar unverschämten Ende von "North by Northwest" hin demonstrierte. Ein Aneinanderstoßen im Zug nun leitet auch die Begegnung von Bruno und Guy ein, den beiden Hauptfiguren in "Strangers on a Train". Nicht zum Schluss, sondern schon zu Beginn des Films also muss der Zug bereits seine symbolische Stärke unter Beweis stellen: Zwei getrennte Schienen laufen zusammen, zwei unbekannte Männer berühren sich mit den Füßen. Es ist der Beginn einer Vereinigung – oder, vielleicht, auch ein früher visueller Beleg für zwei Gegensätze, die nichtsdestotrotz ein Ganzes bilden.
Doch was soll diese Begegnung einem sagen, sofern sie einer Tradition von Bildern und Zeichen folgt, und nicht zuletzt der ihres eigenen Erzeugers? Immerhin handelt es sich bei den beiden Personen, die in den ersten Minuten zusammentreffen (und nicht voneinander loskommen werden), um zwei Männer, einem berühmten Tennisspieler und einem offenkundigen Bewunderer, der dem sophisticated Objekt seiner Begierde einen Tauschmord vorschlägt – da dürften erotische Implikationen zunächst keine große Rolle spielen. Nur wird der Film auch weiterhin nicht darum verlegen sein, sich jede Anspielung für diesen Verdacht zu eigen zu machen, jedes Bild hinreichend zu phrasieren: Bruno, der sich von seiner Mutter die Fingernägel zurechtmachen lässt; Guy, der zwischen zwei Frauen steht – die eine lästig und bald schon mausetot, die andere mütterlich, besorgt und nicht würdig, in die moralische Krise ihres Gatten in spe eingeweiht zu werden. Schließlich landet der good Guy des Nachts im Schlafzimmer des aufdringlichen Bösewichts, um ihm seine Pistole zurück- zugeben – und vorher hat der Hund des Hausherren dem Besucher noch in Slow-Motion das Händchen abgeleckt: Nie wieder hat Hitchcock so hübsch und kreativ zum Aufspüren homosexueller Konnotationen eingeladen!
In gewisser Hinsicht fühlt sich der Film deshalb wie eine Fortsetzung von "Rope" an: Beide funktionieren täter- motivisch nur über einen aufgeprägten schwulen Subtext, während sie mit einer kriminalistischen Handlung kokettieren, die ein weiteres Mal um die Idee vom ‚perfekten Mord’ kreist, und beide scheinen dabei so sehr plot driven konstruiert, dass ihre gradlinige, geschlossen wirkende Erzählstruktur keine Zwischenstellen mehr zulassen dürfte. Dabei ist gerade "Strangers on a Train" mit einigen offenkundigen Unge- reimtheiten, um nicht zu sagen: eklatanten logischen Unwahrscheinlichkeiten, behaftet, die Hitchcocks sonst so undurchlässiges Erzählkonzept mehr als einmal in Frage stellen. Das Suspense-Prinzip also, die Technik, sich weg von einer "normativen" und hin zu einer inneren – oder filmischen – Logik zu bewegen, entfaltet hier nur selten seine Wirkung: Guy, der sich statt zur Polizei lieber in undurchsichtige Verstrickungen begibt; Bruno, der einen Vater loswerden will, der eigentlich gar nicht anwesend ist.
Aus dieser, zumindest für Hitchcock-Verhältnisse, didaktisch gescheiterten Erzählsituation allerdings ergibt sich ein besonderer Reiz: Die Lücken der Logik und letztlich des Drehbuchs (das aufgrund von Streitereien mehrmals umge- schrieben und bearbeitet wurde) haben einige Leerstellen zur Folge, um die erfinderisch auszufüllen Hitchcock sichtlich bemüht ist. Da nämlich, wo sein für gewöhnlich mit so vielen sichtbaren Informationen aufgeladenes Bild ein striktes Befolgen der, nun ja, Rezeptionsanweisung erfordert, scheint "Strangers on a Train" im Bewusstsein um seine unschlüssige Dramaturgie und letztlich unglaubwürdige Figurenkonstellation gleich von vornherein alle Aufmerksamkeit auf das lenken zu wollen, was sich unterhalb des Bildes abspielt: Das Eingangsmotiv der verschränkten Schienen ("criss-cross" bezeichnet Bruno seinen Vorschlag vom Doppelmord), die sich in Bildübergängen ergänzenden Alltagssituationen der beiden Männer, die zunehmend aufgelösten Raumbarrieren zwischen Guy und Bruno – Hitchcock löst die Distanz immer mehr auf, lässt die beiden widersprüchlichen Figuren so lange miteinander verschmelzen, bis kein Zweifel mehr daran besteht, dass Täter und Opfer nur zwei Seiten ein- und derselben Figur bilden.
Wenn Bruno und Guy durch filmische Verweise letztlich als Modell einer gespaltenen Persönlichkeit, zwischen Mordlust und Schuld hin und her gerissen, funktionieren, lassen die homoerotischen Bezugnahmen den Schluss zu, dass hier ein Mann unentschlossen mit seiner Sexualität ringt. Insofern wirken die aufdringlichen Begegnungen des Stalkers Bruno, des bösen Zwillings, fast wie der komödiantische Versuch eines ungebändigten Charmeurs, den braven Tennisspieler Guy off the closet zu nötigen. Hitchcock betreibt dieses quasi-subversive Metaspiel mit umgekehrten Vorzeichen sogar auf Produktionsebene der Besetzung: Die Rolle des wilden Bruno gab er einem heterosexuellen, die des scheinfrommen Gegenspielers Guy einem homosexuellen Schauspieler (Farley Granger spielte auch bereits in "Rope" einen eher repressiven schwulen Charakter). Vor diesem Hintergrund wirken letztlich auch die permanenten zweideutigen Annäherungen und Bildübergänge der beiden Männer amüsant: Der finale Gewaltakt auf dem Karussell etwa, oder die Parallelmontage vom sich über ein Gullyloch bückenden Bruno und dem mit heftigen Vor- und Zurückstoßbewegungen Tennis spielenden Guy.

70%

Literatur:
  • Dotzauer, Gregor (1999): Strangers on a Train. In: Beier, Lars-Olav / Seeßlen, Georg (Hrsg.): Alfred Hitchcock. Berlin: Bertz, S. 350ff.
  • Nicholson, Mervyn (2007): Stranger and Stranger. Hitchcock and Male Envy – Beyond the queer readings of Strangers on a Train. In: Bright Lights Film Journal, Ausgabe 55
  • Truffaut, Francois: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, 2. Auflage. München: Heyne

August 20, 2006

Retro: SABOTEUR (1942)

Man muss sich die Ausgangssituation dieses Films ja erst einmal genauer vor Augen führen. Es ist ein Arbeitstag wie jeder andere für den Flugzeugmechaniker Barry Kane, sofern das „wie jeder andere“ für einen Tag anstrengender Arbeit in einer Flugzeugfabrik steht, in Zeiten des Krieges, wirtschaftlichen Schwankungen und – Sabotageakten. Kane wird von Robert Cummings ("Dial M for Murder") entsprechend solide interpretiert, er ist ein Mensch wie du und ich und durch einen Brandanschlag auf seine Fabrik daher umso drastischer aus seinem Alltag herauskatapultiert: Als vermeintlicher Saboteur wird er zum Jäger der eigentlichen Täter und zum Gejagten der eigenen Staatsangehörigen. Er ist als Semi-Spion die Inkarnation einer Identifikationsfigur, der man auf die halsbrecherische Reise dieses unglaublich temporeichen Hitchcockfilms ohne Umschweife zu folgen bereit ist.

Worauf die Einleitung abzielen soll, ist die doch stets gegenwärtige Angst, eine Bedrohung politischer und somit wahrlich erschreckender Natur, mit der sich die Figuren von "Saboteur" konfrontiert sehen. So subtil und streng genommen auch der Unterhaltung untergeordnet Hitchcock diese Stimmung in seinen Anfangs- und Schlussmomenten evoziert, sie führen unweigerlich zu der Auseinandersetzung mit dem Thema Sabotage, abstrahiert zu Fragen über Zustände im Zweiten Weltkrieg, sowie weiterführende Gedanken über die vom Regisseur latent angeschnittenen „american firsters“. Abgesehen von mitunter etwas ärgerlichen, weil zu schablonenhaft skizzierten politischen Typen und einer zunächst unfreiwilligen Nähe zum Propagandafilm (die jedoch spätestens mit der einst skandalösen Andeutung, auch auf die S.S. Normandie sei ein Sabotageakt verübt worden, relativiert wird), gehört "Saboteur" zu den eindringlichsten Werken, die Hitchcock in den USA inszenierte.

Prinzipiell gleicht der Film dabei der Grundstruktur des englischen "The Thirty-Nine Steps", in dem sich ein zu Unrecht des Mordes bezichtigter auf der Flucht vor Spionen befindet. Hitchcock variierte den Plot erneut in "North by Northwest" aus dem Jahre 1959 und orientierte sich deutlich an "Saboteur", der mit seinem hohen Tempo, der Vielzahl an Schauplätzen und Einstellungen und insbesondere ähnlich spektakulärem Finale wesentliche Elemente der filmischen Thematik eines unschuldigen Fugitive ausbaute. Neben den wie üblich beeindruckenden Schnitten, die die ganze Bandbreite der Montage abdecken, fasziniert die Kameraarbeit aus der Hand von Joseph A. Valentine, der den vielfältigen Orten der Handlung eine erstaunliche Weiträumigkeit verleiht und so stets die Grenzen der Studiosettings vergessen lässt (wobei der Film dennoch mit merklich vielen Außeraufnahmen arbeitet). Hitchcock inszeniert derart rasant, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers gar nicht verloren gehen kann, so spannend und mit seinen Actionszenen beinahe schon halsbrecherisch schreitet "Saboteur" voran, ohne jedoch – zumindest für moderne Verhältnisse – zu überladen zu sein, wie es der Regisseur später gegenüber Truffaut anmerkte.

Doch unterschätzt wird der Film ferner auch in Bezug auf sein Ensemble. Der für die Rolle des Flugzeugmechanikers ursprünglich vorgesehene Gary Cooper ("Sergeant York") hätte der Figur als Hollywoodstar nicht die nötige Glaubwürdigkeit verliehen, zudem sich das dramatische Potential angesichts eines erwartungsgemäßen Happy Ends doch vermutlich eher in Grenzen gehalten hätte. Mag Cummings an manchen Stellen etwas überfordert wirken, so ist seine naive Darstellung der Figur letztlich doch wirkungsvoller. Ähnlich verhält es sich mit der viel gerügten Priscilla Lane ("Arsenic and Old Lace"), mit der sich Hitchcock wenig zufrieden zeigte, die aber genau die stoische Art besitzt, die ihr etwas zu deutlich mondän angelegter Charakter benötigt. Barbara Stanwyck ("The Lady Eve") wäre vermutlich trotzdem die Idealbesetzung gewesen. Die beste Leistung aber bietet Norman Lloyd als Saboteur, der als besonders schwarz/weiß gezeichnete Figur mit allen erdenklichen Klischees eines Bösewichts arbeiten darf.

"Saboteur" steht doch ein wenig unberechtigt im Schatten der ähnlichen Spionage-Thriller Hitchcocks. Der Altmeister erfindet sich hier zwar nicht neu, mit herausragendem Gespür für Tempo, Dialoge und brechender Ironie gehört der Film nichtsdestotrotz zu den gelungensten Werken des Regisseurs. Tatsächlich besteht ein gewisser Reiz im Unvollkommenen, in der Ungeschliffenheit, dem nicht gänzlich Perfekten. Hitchcock mag unzufrieden sein mit einigen Details dieser Arbeit, mit dramaturgischen Patzern oder unzureichenden Leistungen seiner Akteure, doch gerade deshalb ist "Saboteur" auch eine Lehrstunde für Filmfreunde. Und spannend sowieso.


80%

Juni 15, 2006