April 22, 2009

Kino: L'INSTINCT DE MORT

Ist es nun clever oder schlicht als vorzeitiges Bekenntnis zum Scheitern zu verstehen, wenn ein Biopic, das immer nur eine filmische Interpretation anführen kann, sich mit den einleitenden Worten vorstellt: "Kein Film kann die Komplexität eines Menschenlebens abbilden"? Immerhin beansprucht "Mesrine: L'instinct de Mort" bzw. "Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt", die erste von zwei umfassenden Kinonach- stellungen des berühmten französischen Gangsters Jacques Mesrine (1936 – 1979) von Jean-François Richet, somit gleich vorweg eine Narrenfreiheit, die dem Genre nicht zusteht: Dessen Aufgabe ist es doch, die besagte Komplexität zu verdichten, umzuwandeln und sinnlich erfahrbar zu machen, je nachdem – auch mit einer eigenen Haltung.

Mesrine, der vom Algerienlegionär zum kleinkriminellen Aushilfsgangster und später meistgesuchten Verbrecher Frankreichs avanciert, als Bankräuber und Ausbrecherkönig verehrt, gefeiert und Dank seiner steten Selbstinszenierung zum Medienstar stilisiert wird, ist in diesem ersten Teil zunächst noch eine sehr passive Figur. Richet platziert den gewalttätigen, unberechenbaren und von Vincent Cassel beängstigend unnahbar verkörperten Schwerverbrecher, der sich in seiner 1977 verfassten Autobiographie (Deutsch: "Der Todestrieb") zu 39 Straftaten bekannte, in eine konven- tionelle Ereignischronik: Mesrine ist kein psychologisch tiefsinniger Charakter mit deutlichen Eigenschaften, sondern das Produkt einer sehr mechanischen, Station für Station abgrasenden Erzählung.

Zumindest der erste von zwei Mesrine-Filmen möchte offenbar genau das, die Figur als Gegenstand klassischen Erzählkinos begreifen. Dass genau das Ende des ersten Abschnitts erstmals wirkliches Interesse für den fragwürdigen Helden und das Gefühl einer verselbstständigten Figur, die die Handlung bestimmt und nicht durch sie bestimmt wird, aufkeimen lässt, darf dabei wohl nicht zuletzt als Teaser-Konzept für den mit erwartungsgemäßen Höhepunkten angereicherten zweiten Film verstanden werden. Bleibt abzuwarten, ob Richet auch weiterhin darauf verzichtet, Mesrine im Film als jenen edelmütigen Quasi-Robin-Hood zu bebildern, als den das kollektive Bewusstsein der französischen Geschichte ihn in der romantischen Rückschau wohl abgespeichert haben dürfte.

Denn immerhin ist Mesrine so etwas wie die reale Verkörperung archetypsicher französischer Kinohelden, den Räubern und Berufskillern aus Filmen von Jean-Pierre Melville oder Alain Corneau. Und Richet scheint darum bemüht, durch "L'instinct de Mort" zumindest einen Hauch klassischer Gangsterfilme wehen lassen – ohne allerdings in dieser ersten Hälfte des insgesamt über vierstündigen Großprojekts klare Trennlinien zwischen wirklichem und fiktiven Verbrecher, also zwischen den zweifelhaften Helden des Lebens und denen des Kinos ziehen zu wollen. Es ist, zunächst einmal, ein höchst spannender Appetitanreger mit einer ambivalenten Figur im Mittelpunkt. Für "Public Enemy No. 1 – Todestrieb" (Mesrine: L'Ennemi public n°1), der hierzulande einen Monat später startet, wird sich Richet aber für eine Richtung entscheiden – und Cassel einiges an Sensibilität bei der Darstellung abverlangen müssen.


70% - erschienen bei den: FÜNF FILMFREUNDEN