Jerry Shaw (LaBeouf) ist der Junge von nebenan: Er arbeitet in einem Kopierladen, wohnt in einer sympathischen Bruchbude, hat genauso wenig Geld auf dem Konto wie du und ich. Er ist einer von der soliden Sorte, ein Typ, der als Kind in einem Steven-Spielberg-Film wohl in einer kleinen Vorortsiedlung muntere Abenteuer erlebt und zu sich selbst gefunden hätte.
"Eagle Eye" ist in gewisser Hinsicht sogar ein Spielberg-Film, allerdings einer der nächsten Generation. Ausgedacht und produziert vom DreamWorks-Mogul, aber inszeniert vom Nachwuchs D.J. Caruso. Deshalb ist Jerry auch nicht das Kind einer verrückt erwachsenen, sondern der männliche Held einer Web 2.0-Welt. Und die kann ihre Hilfsmittel bekanntlich auch gegen den Menschen richten: Carusos Cyber-Utopie entwirft das Bild einer totalen technischen Verschwörung (kurz gesagt: exakt so wie im letzten "Die Hard").
Jerry, der eben noch um seinen gefallenen Soldatenbruder trauerte und sich von Daddy nicht geliebt fühlt, gerät von einer Sekunde zur nächsten in ein Erpressungsmanöver samt halsbrecherischen Verfolgungsjagden. Unbekannte Terroristen versuchen ihn zu einem Attentat zu zwingen, während sie durch komplette Manipulation und Steuerung aller technischen Systeme sogar das FBI auf ihn jagen. Ohne jede Hilfe beginnt für den Kopierjungen gemeinsam mit der allein erziehenden Rachel (Michelle Monaghan), die ebenfalls Hals über Kopf in das Komplott verwickelt wurde, ein Wettlauf gegen die Zeit – zwischen Erpressern und Staatskräften.
Die vielen, vielen Vorbilder, bei denen sich dieser unsäglich anstrengende, lautstarke Film bedient, muss man gar nicht unbedingt kennen, um "Eagle Eye", diesen bemüht aufge- frischten Beitrag zu einer gewissen Tradition des Genrekinos, als durch und durch missglückt zu empfinden. Anders als das Hitchcock-Remake "Disturbia", Carusos letzte Zusammen- arbeit mit Spielberg und LaBeouf, funktioniert "Eagle Eye" weder als Teenie-Update bewährter Vorbilder, noch eigenständiger Thriller von sympathischer Frische und Inszenierungslust.
Viel mehr wirkt diese Kiddie-Variante der Jason Bourne- Abenteuer nur wie der verzweifelte Versuch, eine abgestandene Geschichte mit unheimlich platten Gegen- wartsbezügen aufzupeppen, ohne freilich allzu deutlich im Ton zu werden. Das reizvolle Potential des Stoffes – dass der Überwachungsstaat nämlich keine Kontrolle, sondern schlimmstenfalls Kontrollverlust bedeutet, weil Terroristen ihn als Waffe benutzen können – wird natürlich nur angekitzelt, vorwiegend geht es um PG-taugliche Mainstream-Action, die einen in ihrer Primitivität und Belanglosigkeit nur noch anödet.
Klar, "Eagle Eye" könnte wenigstens als straighter, launiger, ja zumindest unterhaltsamer Verschwörungs-Thriller mit viel Drive und guter Action funktionieren, aber der Film will letztlich ja doch mehr sein, will Bewusstsein schaffen, will Formelunterhaltungskino ein wenig aufbrechen, so wie zuletzt "The Dark Knight" vielleicht. Am Besten alles in einem: Zeitgemäße Zerstörungsorgien mit einem Gewissen, sozu- sagen.
Aber ihm gelingt weder das eine noch das andere. Die Ansätze sind selbstredend nur Aufhänger, die Geschichte selbst driftet irgendwann in Science-Fiction-Gefilde ab, und das dummdreist-patriotische Ende verrät den möchtegern- flippigen Film sogar als gewohnt gestrig. Dass Caruso, wenn es ihm letztlich schon nur um flinke Action geht, aber gerade dort so versagt, wo man die bloßen Maßstäbe von Unterhaltungskino ansetzt, besiegelt dann vielmehr das eigentliche Scheitern von "Eagle Eye".
Die Actionszenen nämlich sind so unübersichtlich inszeniert und konfus geschnitten, dass sie streng genommen gar nicht richtig stattfinden. Der ganze Film ist in einer Hektik erzählt, die wohl um jeden Preis Spannung zu garantieren versucht, aber eher den Wunsch hervorruft, Caruso noch mal auf die Filmhochschule zurückzuschicken. Ein rasanter Thriller wird nämlich nicht allein dadurch temporeich und spektakulär, wenn man ohne erkennbare Struktur wild mit der Kamera herumwackelt und das dann zu einem Schnittgewitter verarbeitet, dem irgendwann der Zusammenhang verloren geht.
Womöglich soll die wirre Inszenierung aber auch das ein oder andere Loch, oder eher: die Gräben, in der Logik kaschieren (sollte dies der Versuch gewesen sein – er ist auf jeden Fall gescheitert). So steht schon die ganze Plot-Konstellation grundsätzlich auf wackeligen Beinen, wo doch die Terroristen (bzw. das, was später dahinter steckt) alles elektronisch kontrollieren können, von Telefonen bis zu Überwachungs- kameras, von Ampeln bis zu Zügen, ihr Attentat also doch viel unproblematischer verrichten könnten, als zwei wehrhafte Zivilisten diverse Risiken eingehen zu lassen. Und letztlich ist "Eagle Eye" auch genau deshalb so einschläfernd: Weil die ganze Motivation der Geschichte absolut nicht nachvollziehbar – und die Heldentaten eines Kopierjungen völlig unglaubwürdig erscheinen.
Nach dem hübsch-atmosphärischen "Disturbia" wirkt die neueste Spielberg-Caruso-Zusammenarbeit wie der Versuch, nervöse Action-Kids an die Grenzen ihrer Aufmerksamkeits- störung zu bringen: Ein einziges nervöses, zielloses, anstrengendes Wildern bei Vorbildern, zwanghaft auf Teenie- Unterhaltung gedrückt und komplett einfallslos inszeniert. "Eagle Eye" empfiehlt sich besonders für Zuschauer, die Tony Scott-Filme langweilig und prätentiös finden.