Juni 17, 2008

Kino: THE INCREDIBLE HULK

Nachdem er bei einem biochemischen Experiment so stark verstrahlt wurde, dass er sich, wann immer er gereizt oder wütend wird, in das grüne Monstrum Hulk verwandelt, lebt der Wissenschaftler Bruce Banner (Edward Norton) ein zurückgezogenes Leben im brasilianischen Exil. Dorthin hat es ihn auf der Flucht vor dem Militärgeneral Ross (William Hurt) verschlagen, der – noch immer auf der Jagd nach Banner – alles unternimmt, um den ehemaligen Freund seiner Tochter Betty (Liv Tyler) für seine Zwecke zu missbrauchen. Während sich für Banner die Uhr rückwärts dreht, er nach einem Gegenmittel für die Mutation forscht und seine Wut unter Kontrolle zu bringen versucht, unterläuft ihm ein Missge- schick: General Ross gelingt es, Banner ausfindig zu machen. Auf der Flucht vor dem Militär und dem ehrgeizigen Soldaten Blonsky (Tim Roth) sucht er Zuflucht bei Betty, die ihm dabei hilft, die unfreiwilligen Superkräfte zu kontrollieren. Doch er ahnt nicht, dass er diese noch einmal gebrauchen kann – denn Blonsky hat sich Banners einstige Formel zueigen gemacht und ist zur Kampfbestie Abomination mutiert.

Wie man diesen wenigen Sätzen zum Inhalt bereits vernehmen kann, ist Louis Leterriers
"The Incredible Hulk" nicht jene Neuinterpretation des Stoffes, jener Ang Lees Film negierender Neubeginn der Monster-Saga, den Marvel-Chef Kevin Feige nach der ersten Eigenproduktion "Iron-Man" auf der Comic-Con ankündigte. Sondern es ist nur ein ziemlich frech getarntes Sequel, das offenbar jede äußere Verbindung zu seinem Vorgänger, der 2003 bei Publikum und zu weiten Teilen auch der Kritik durchfiel, zu vermeiden sucht. Der Film liefert sogar während seines Vorspanns noch ein hübsch montiertes Erinnerungsarsenal all der Ereignisse, die Lee zuvor ausformulierte, und die hier nun zu einer Vorgeschichte verkürzt werden, an die Leterrier unmittelbar anknüpft. Würde "The Incredible Hulk" zumindest darum bemüht sein, das Versprechen eines neuen ersten Films zum grünen Wüterich einzulösen, so dürfte er gewiss nicht davon ausgehen, sein Publikum habe Lees Versuch einer Hulk-Transformation gesehen und abgespeichert. Nichts anderes jedoch offenbart der Film bereits eingangs – und nur weil er darauf spekuliert, dass sein brillanter Vorgänger der Geschichte und all ihren Figuren einen ausreichend tiefsinnigen Unterbau spendierte, kann er sich eine derartige Koketterie wohl auch leisten.


Müdes Marketing: Fälschung vs. Original*

Der Film hat sich damit sein eigenes Grab geschaufelt, weil er einen Vergleich zum 2003er "Hulk" mit der Entscheidung, die Geschichte nicht neu-, sondern weiterzuerzählen, ganz von selbst forciert. Und wo Ang Lee die Comic-Vorlage nutzte, um einen einerseits stark dem Mythos verpflichteten Film, eine um elterliche Schuld und dem Widerspruch zwischen Körper und Geist rangierende Familientragödie zu erzählen, und sich dem Vorhaben andererseits auf einem formal höchst kom- plexen Niveau näherte, indem er seinen Film in bewegte Storyboards übersetzte, die mithilfe ausgeklügelter multi- screen-Einstellungen und organisch geschnittener Übergänge eine künstlerisch nahezu kongeniale, streng komponierte Adaption bildeten, da ist die visuelle Schlicht-, um nicht zu sagen: Einfallslosigkeit, dieses "Incredible Hulk" wahrlich ernüchternd. Denn Leterrier verzichtet zugunsten eines konventionell gefilmten Actionabenteuers gänzlich auf comicartige Effekte, auf eine originelle formale Entsprechung der Serie oder auf ein eigenständiges visuelles Prinzip, die comicüblichen Bildreduktionen in einen kinogerechten Stil zu übertragen. Der Film erstrahlt in jener biederen Schlichtheit, die Ang Lee für seine Adaption wohl am wenigsten adäquat gefunden hätte.

Teaser/Trailer: Immer wieder mäkelte Norton am Hulk-Design herum**

Aber schließlich ist dies ja auch Louis Leterriers Hulk-Film. Doch: Dessen eigener Ansatz, dessen Idee, die Comic-Saga zu interpretieren, verrät "The Incredible Hulk" auch über zwei Stunden Laufzeit nicht. Vielleicht liegt das daran, weil sein Regisseur nur wenig zum Film beitragen durfte, ehe sein Hauptdarsteller wie gewöhnlich das Zepter und damit die Drehbuch- und Schnittgewalt an sich riss, um seinem übergroßen, ja, vielleicht dem des Hulk nicht unähnlichen, Ego Rechnung zu tragen. Vielleicht ist dieser Film deshalb so unmotiviert erzählt, so lückenhaft in der Dramaturgie und so inkonsequent mit seinen Nebenfiguren, ja in der Gesamtheit so holprig, ziellos und beliebig, weil er nämlich eine merklich bewegte Produktionsgeschichte hinter sich hat. Aber vielleicht, ganz vielleicht fehlte "The Incredible Hulk" auch von Anfang an das eigene Konzept: Irgendwie, nur Hauptsache nicht wie Ang Lee. Änderungen am Hulk-Design und der völlige Verzicht auf komplexe Figuren, Zusam- menhänge oder doppelbödige Motive, dafür ein wenig mehr Krawall hier und etwas weniger Tiefgang da – die Ambition dieses Films ist so berechenbar wie billig. Sein fast sklavischer Versuch, nicht die vermeintlichen Fehler des Vorgängers zu wiederholen, sein Irrtum, eine von ausgearbeiteten Charak- teren bestimmte Handlung durch unsinnige, nur auf den größtmöglichen Effekt ausgerichtete Action ersetzen zu müssen, das alles beweist nur, dass ein vielleicht etwas zu kopflastiger Autorenfilm wie "Hulk" sein Publikum stark überfordert haben muss, und es nun offenbar dieser Materialschlacht voller unlebendiger Figuren, sinnfreier Dialoge, grässlicher Musik und chargierender Ersatzdarsteller bedurfte, um es zufrieden zu stellen.


30%


* Dank an Hasko Baumann, der hat den Plan / ** Quelle