Juni 08, 2008

TV: QUEER AS FOLK (2000)

"There’s nought so queer as folk": Fünf Freunde in Pittsburgh, Pennsylvania, und die wunderbare Leichtigkeit des schwulen Seins: Wie bleibt man fit und kräftig, jung und attraktiv, erfolgreich und beliebt in der Szene, wer hat was wo mit wem – und welchen Kerl wird man heute Nacht ins Bett bekommen? Zwischen Muckibude und Tanzclub, Drogen und One-Night-Stands versuchen der schöne Brian, liebens- würdige Michael, frustrierte Ted, aufgekratzte Emmett und frisch geoutete, hoffnungslos in Brian verliebte Justin der bedrohlichen 30er-Grenze entgegen zu leben. Die Höhen und Tiefen schwuler Befindlichkeit begleiten die schrille Debbie, Michaels Mutter und Diner-Besitzerin, sowie die beiden Lesben Lindsay und Melanie, denen Allesstecher Brian ein Kind geschenkt hat – natürlich ohne seinen väterlichen Pflichten nachkommen zu wollen:

"I don’t believe in love. I believe in fucking. It’s honest, it’s efficient. You get in and out with a maximum of pleasure and a minimum of bullshit. Love is something straight people tell themselves they’re in so they can’t get laid. Then they end up hurting each other because it was all based on lies."

"Queer as Folk" ist nicht neu, sondern nur amerikanisch. Davor war es britisch, ein relativer Skandal, und fürs Fern- sehen war es zudem ganz schön – schwul. Das US-CAN- Pendant adaptierte die Figuren weitgehend, verpasste ihnen jedoch neue Namen und Hintergründe. Weitere Charaktere wurden hinzugebastelt, der Schwerpunkt etwas verlagert, die Eckdaten ein wenig marktfreundlicher korrigiert und der Sex auf Pay-TV-Niveau befördert. Für Showtime bedeutete die TV-Serie einen soliden Erfolg, von höherem Interesse dürften sicher die Erschließung neuer Zuschauer und der Ausbau der Senderkultur gewesen sein, immerhin konnte der Channel ähnlich wie HBO mit einer weiteren verhältnismäßig freizügigen und vor allem freizüngigen Show beweisen, dass seine zahlenden Zuschauer auch etwas für ihr Geld geboten bekommen. Entsprechend kontrovers wurde "Queer as Folk" in den USA diskutiert, Werbepartner zogen sich zurück, während die erste explizit schwule Fernsehserie mit explizit schwulen Sexszenen jedem Moralhüter die Schamesröte ins Gesicht trieb. Denn es wurde ernst: Hollywoods schwule TV-Autoren – und in Hollywood gibt es bekanntlich keine nicht-schwulen Fernsehautoren – verhandelten nun auch unchiffriert schwules Material, das nichts auslassen sollte. Alles schwul also. Und im Gegensatz zur kurzlebigen Vorlage immerhin fünf Staffeln lang.

In der Serie geht es von Anfang an um szenenahe Komplexe, um Drogen, Clubnächte, Sex mit Minderjährigen, jedwede Fetische, ekstatische Orgien, Safer Sex, Bareback, und natürlich auch um die erste Liebe, das Outing, Freundschaft, Beziehungen, Familie, Gesellschaft. Und es geht um Sex, sehr viel Sex. Die Gleichgeschlechtlichkeit als solche wird kaum konkret thematisiert, sie ist selbstverständlich für den Inhalt und die einzelnen Geschichten, weshalb die Serie ein heterosexuelles Publikum mit ihrem recht groben Selbstver- ständnis, das Selbstverständlichkeit voraussetzt, durchaus verprellt, bei so wenig Einfühlungsvermögen gleichzeitig jedoch auch jungen schwulen Zuschauern den Weg zur Selbstfindung erschwert – ohne auf sporadische pädago- gische Effekte zu verzichten, die dadurch selbstredend sinnfällig werden. Aber zunächst zum Wesentlichen.

Alles beginnt im Babylon, dem Tanz- und Fickschuppen der Pittburgher Freunde. Die ersten Worte sind programmatisch, sie ertönen aus dem Off. Michael, der mit dem Hundeblick und der schrägen Mutti, eröffnet dem Zuschauer unmittelbar vermeintliche Szenewahrheiten: "The thing you need to know is – it’s all about sex. It’s true. In Fact, they say men think about sex every 28 seconds.". Und wer dann nicht schon gleich abgeschaltet hat: "Of Course, that’s straight men. With gay men, it’s every nine.". Natürlich, wer würde das je anzweifeln. Eine feine Exposition ist das, dazu viele nackte eingeölte Männer, kernige Technobeats und Luftschlangen, Konfetti, alles eben, was die Homofantasie so hergibt. Kein CSD, nicht einmal der in New York, sieht so aus wie diese ersten Minuten "Queer as Folk". Es gibt zwei Möglichkeiten, unbeschadet aus der Angelegenheit herauszukommen. Ent- weder man würdigt diese peinliche, behauptete, selbstgefällige Pose keines weiteren Blickes. Oder geht die Sache gleich ganz pragmatisch an, indem es als das rezipiert wird, was es letztlich auch ist: schwuler Kitsch, ein heiteres Gemisch aus Halbwahrheit und Klischee, kräftig mit der Wünschelrute bearbeitet und ausschließlich durch die rosarote Brille betrachtet. "Queer as Folk" ist munter, witzig, reali- tätsfern. Und es ist so mit sich beschäftigt, dass es völlig verstellt ist. Eine schwule Edel-Soap sozusagen.

Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen der Form und dem Inhalt. Die Form, die ist bei "Queer as Folk" ziemlich zweitrangig und auch ziemlich zweitklassig. Die Autoren arbeiten überaus auffällig und plump, stricken konventionelle Serienmuster und setzen auf bewährte Zuspitzungen und Verkürzungen. Wer sich mit Fernsehmonumenten wie "Six Feet Under" an einen neuen TV-Standard gewöhnt haben sollte, an ein Niveau also, das mit Weitsicht und Komplexität das Format so wesentlich erweitert hat, das es seinen Unter- schied zum Kino für jeden Vorteil genutzt hat, der wird sein Glück hier nicht finden. Diese Serie ist nur eine Serie, sie arbeitet mit konstruierten Staffel-Cliffhangern, konstruierten Konflikten, konstruierten Auflösungen, und sie bedient sich ungebrochen jener US-Seriengesetze, die "Denver Clan" und "Dallas" vorgeschrieben haben. Da gerät dann eine Figur in eine Heterosekte, die ihr das Schwulsein austreiben will, da taucht dann plötzlich eine Drag-Queen in der Stadt auf, die sich als Vater einer Hauptfigur entpuppt, die bislang davon ausging, einen gefallenen Vietnamveteranen zum Papa zu haben, und da lernt dann ein anderer der schwulen Clique einen greisen Millionär kennen, den er (natürlich) aufgrund seiner inneren Werte liebt, ehe das traute Glück bei einem Analfick über den Wolken schnell wieder beendet ist, weil der Mann einen Infarkt erleidet – freilich nicht ohne seinem Jüngelchen 10 Millionen Dollar vererbt zu haben. Und es kommt noch besser: Auf das Geld verzichtet der selbstredend aus Gründen bedingungsloser Liebe.

Auffällig ist, dass beinahe alle dramaturgischen Höhepunkte, alle Konflikte und Übersteigerungen stets in einer aufdring- lichen Harmonie aufgelöst werden. Meist lassen sich alle Probleme mit freundschaftlichem Zusammenhalt überwinden, oder man beruft sich auf eine intuitive Bescheidenheit, mit der es sich genügsam und zufrieden leben lässt. Zum Erhalt des Status Quo – auch das ist eine der Soap-Regeln, an die sich "Queer as Folk" sklavisch hält – wird jeder Klimax wieder auf sein Ausgangsniveau gebracht, das der bescheidenen, alltäglichen Gemeinschaft fünf schwuler Freunde entspricht. Alles hat eine Ursache, alles hat eine Wirkung. So fällt es leicht, verschiedenste Themen zu behandeln. Homophobie, Gewalt gegen Schwule, Verlustangst, AIDS, Tot, Trennung – oder ein Millionenerbe. Bis auf die Figur des Brian, und auch ihr werden im Serienverlauf Grautöne verpasst, weisen alle Charaktere ausnahmslos positive, gutmütige, vorbildliche und mitunter auch messianische Eigenschaften auf. So funktioniert die immer wieder selbst eingeforderte Harmonie wie ein dialektisches Prinzip: Die Community ist alles. Jedweder wirklicher Konflikt wird also zugunsten von Moral, Belehrung und Botschaft zweckentfremdet, es gibt – zumindest in den ersten Staffeln – keine echten existentiellen Gefahren und auch keine echte tiefe Auseinandersetzung mit allem. Der Sekte wird abgeschworen, der Vater verschwindet nach einer Folge, die Millionen werden verzichtbar.

Hand in Hand mit dieser Scheuklappenperspektive geht die Skizzierung eines sozialen Spielraums, der so schwul eingefärbt ist, dass er ein eigenes, mit der Realität nur verwandtes Universum bildet. In "Queer as Folk" ist eigentlich alles schwul konnotiert, jede Figur ist schwul, und auch jeder Hetero ist es irgendwo. Immer wieder wird das Bild vom verklemmten heterosexuellen Mann eingebracht, der nur darauf wartet, geknackt zu werden, und immer wieder entpuppt sich Pittsburgh als Stadt, in der es wohl keine Heteros zu geben scheint. Selbst wenn es um Figuren geht, die sich als homophob erweisen, sind sie entweder selbst schwul (ein aggressiver Mitschüler des Kückens Justin), oder werden bald zum Guten bekehrt (der Polizeichef, der mit Michaels Mutter anbandelt). Natürlich berichtet die Serie hier von Phänomenen, die jeder Schwule ohne zu Überlegen abnicken dürfte, und natürlich ist vieles davon wahr. Und ebenso natürlich erfordert es die Unterhaltung, dass sie sich hier überdehnt und maßlos zeigt, eben wie in einer kitschig-illusorischen Narrenfantasie, wo alles erlaubt ist. "Queer as Folk" formt sich seine eigene rosarote Realität, und weil die Serie das auf Grundlage der Wirklichkeit tut, erscheint sie so sympathisch-naiv und so heiter-amüsant, obwohl sie Klischees bedient und ihrerseits in heterophobe Muster verfällt. Weil sich die Wirklichkeit aber andersherum verhält, wir in einer schwulenfeindlichen Gesellschaft mit schwulen- feindlichen Gesetzen und einer schwulenfeindlichen Mentalität leben, ist diese Träumerei, diese Kiez- und Ghettofabel, die "Queer as Folk" erzählt, nur allzu nachvollziehbar und vor allem allzu legitim.


60%