Wenn man im Alter von 76 Jahren zwei filmische Kriegsmonumente erbaut, eines die US-amerikanische, das andere die japanische Seite des Pazifikkrieges 1945 schildernd, dann ist man entweder von besonders eifrigen Altersdämonen beseelt, die am Zahn der Zeit nagen und sich selbst beweisen müssen. Oder man heißt Clint Eastwood und setzt mit unaufgeregter Beharrlichkeit daran, die eine oder andere filmgeschichtliche Lücke zu schließen: Medaillen werden im Krieg so manche verliehen, doch ihre Kehrseiten geraten nur selten in den Fokus einer Kamera. "Letters from Iwo Jima" erzählt von derselben 40tägigen Schlacht auf der "Schwefel-Insel" wie auch das Vorgängerepos "Flags of our Fathers". Dieses Mal allerdings besetzen die Amerikaner die Posten der Feinde - der vollständig in Japanisch gedrehte Film schildert den Feldzug am Pazifik aus Sicht des einstigen Gegners.
Die Jahrzehnte später angesiedelte Rahmenhandlung erzählt vom Fund Hunderter Briefe mehrerer Soldaten und ihres Generalleutnants Tadamichi Kuribayashi (Ken Watanabe) in den alten Tunnelsystemen auf Iwo Jima. Diese beschreiben nicht nur die schicksalhaften Kriegserlebnisse, sondern liefern auch Einblicke in die individuellen Vorgeschichten der jungen Kämpfer. Bis auf einige ausgewählte Rückblicke in genau dieses Leben vor der Einberufung verlässt der Film den Kriegsschauplatz - anders als „Flags of our Fathers“ - nicht. Im Mittelpunkt steht dabei der Bäcker Saigo (Kazunari Ninomiya), der kurz vor der Geburt seiner Tochter eingezogen wird. Täglich schreibt er seiner Frau Briefe aus den dunklen Höhlen, ehe die Invasion auch den letzten Stützpunkt der kaiserlichen Armee einnimmt. Am Schluss stehen den fast 7000 US-Soldaten, die an der Küste ihr Leben ließen, mehr als 20.000 Japaner gegenüber.
"Letters from Iwo Jima" ist strukturierter und konventioneller als sein Vorgänger, mindestens so eindrucksvoll und episch, aber ungleich bewegender. Umgab ein passiver Schleier die Kriegsszenen in "Flags of our Fathers", die eher den Charakter distanzierter Erinnerungen hatten, wirken sie als Panorama des Films hier direkter inszeniert. Die ausgewaschenen, fahlen Bilder erhalten eine noch düsterere Note, wenn der schwarze Staub des Krieges die Kamera eingenommen hat. Der Blick in die Stollen und Gewehrnester zeigt die Vorbereitungen auf den Angriff der US-Truppen, der versteckte Feind aus dem Vorgänger erhält nun ein Gesicht - in den verwinkelten Gebirgsbunkern lauern keine Monster, sondern ebenso junge Soldaten. Der Regisseur bebildert diesen Krieg sensibel, aber nicht sentimental, mit kurzer Distanz, aber nicht aufdringlich. Keine Spur vom ätzenden Narzissmus, mit dem Steven Spielberg seinen Männern in "Saving Private Ryan" auf den Leib rückte.
Während Eastwood zuvor mit akribischer Genauigkeit und bemerkenswertem Feingefühl das Schicksal dreier US-Soldaten beleuchtete, deren verzerrte Selbstwahr- nehmung im Kontrast zur öffentlichen Heldenikonisierung stand, widmet er sich nun den zwischen Vaterlandsstolz und Lebenswunsch hin- und her gerissenen Japanern. Die offensichtlichen Unterschiede von Mentalität und Kultur vereint er vorsichtig zu einem Nenner. "Flags of our Fathers" beschäftigte sich mit der Ausbeutung von patriotischen Symbolen, wenn das Bild der Fahnenhisser zum ideologischen Siegerstatement umfunktioniert wurde, obwohl es auf namentlichen Irrtümern basiert - die verklärten Helden werden entweder ihrer individuellen Verwahrlosung übergeben oder leben mit einer glorreichen Lüge.
Demgegenüber sehen sich die japanischen Soldaten mit dem Widerspruch konfrontiert, für ihr Leben zwar kämpfen, es andererseits jedoch auch aufgeben zu müssen. Der Befehl Kuribayashis, jeder müsse mindestens 10 der Feinde erledigen, ehe er selbst sterben dürfe, verleiht diesem Fatalismus Ausdruck: Dem übersteigerten Siegeswillen der US-Gegner steht die bewusste Unterlegenheit der Japaner gegenüber. Wenn einer der Stützpunkte zu fallen droht, dann führt nur noch der Weg des Selbstmords zur Erlösung - auf Befehl sprengt sich einer nach dem anderen selbst in die Luft. Die brutalen Bilder jener zersetzten Leiber sahen wir bereits im Pendant, die direkten Parallelen zwischen beiden Filmen sind indes allerdings nicht so offensichtlich, als dass sie sich selbst ausstellten.
Durch die Gegensätze, die sich bei beiden Seiten aus Pflichtgefühl gegenüber der eigenen Nation und einer natürlichen Hinterfragung dieses Schreckens vom organisierten Töten ergeben, kommt Eastwood zu ähnlichen Ergebnissen. In "Letters from Iwo Jima" zweifelt er den verordneten Heldentod im gleichen Maße an, wie er in "Flags of our Fathers" die fadenscheinige Kriegsanleihenkampagne auf Kosten der Soldaten vorführte. Hier wie dort verlieren die jungen Kämpfer nicht nur ihre Unschuld, sondern auch den Glauben an sich selbst. Die Bedeutung dieses imposanten Projekts kann man nur schwer unterschätzen: Eastwoods größter Verdienst ist die unaufgeregte Dekonstruktion kriegsmythischer Verklärung.
85% - erschienen bei: DAS MANIFEST
Die Jahrzehnte später angesiedelte Rahmenhandlung erzählt vom Fund Hunderter Briefe mehrerer Soldaten und ihres Generalleutnants Tadamichi Kuribayashi (Ken Watanabe) in den alten Tunnelsystemen auf Iwo Jima. Diese beschreiben nicht nur die schicksalhaften Kriegserlebnisse, sondern liefern auch Einblicke in die individuellen Vorgeschichten der jungen Kämpfer. Bis auf einige ausgewählte Rückblicke in genau dieses Leben vor der Einberufung verlässt der Film den Kriegsschauplatz - anders als „Flags of our Fathers“ - nicht. Im Mittelpunkt steht dabei der Bäcker Saigo (Kazunari Ninomiya), der kurz vor der Geburt seiner Tochter eingezogen wird. Täglich schreibt er seiner Frau Briefe aus den dunklen Höhlen, ehe die Invasion auch den letzten Stützpunkt der kaiserlichen Armee einnimmt. Am Schluss stehen den fast 7000 US-Soldaten, die an der Küste ihr Leben ließen, mehr als 20.000 Japaner gegenüber.
"Letters from Iwo Jima" ist strukturierter und konventioneller als sein Vorgänger, mindestens so eindrucksvoll und episch, aber ungleich bewegender. Umgab ein passiver Schleier die Kriegsszenen in "Flags of our Fathers", die eher den Charakter distanzierter Erinnerungen hatten, wirken sie als Panorama des Films hier direkter inszeniert. Die ausgewaschenen, fahlen Bilder erhalten eine noch düsterere Note, wenn der schwarze Staub des Krieges die Kamera eingenommen hat. Der Blick in die Stollen und Gewehrnester zeigt die Vorbereitungen auf den Angriff der US-Truppen, der versteckte Feind aus dem Vorgänger erhält nun ein Gesicht - in den verwinkelten Gebirgsbunkern lauern keine Monster, sondern ebenso junge Soldaten. Der Regisseur bebildert diesen Krieg sensibel, aber nicht sentimental, mit kurzer Distanz, aber nicht aufdringlich. Keine Spur vom ätzenden Narzissmus, mit dem Steven Spielberg seinen Männern in "Saving Private Ryan" auf den Leib rückte.
Während Eastwood zuvor mit akribischer Genauigkeit und bemerkenswertem Feingefühl das Schicksal dreier US-Soldaten beleuchtete, deren verzerrte Selbstwahr- nehmung im Kontrast zur öffentlichen Heldenikonisierung stand, widmet er sich nun den zwischen Vaterlandsstolz und Lebenswunsch hin- und her gerissenen Japanern. Die offensichtlichen Unterschiede von Mentalität und Kultur vereint er vorsichtig zu einem Nenner. "Flags of our Fathers" beschäftigte sich mit der Ausbeutung von patriotischen Symbolen, wenn das Bild der Fahnenhisser zum ideologischen Siegerstatement umfunktioniert wurde, obwohl es auf namentlichen Irrtümern basiert - die verklärten Helden werden entweder ihrer individuellen Verwahrlosung übergeben oder leben mit einer glorreichen Lüge.
Demgegenüber sehen sich die japanischen Soldaten mit dem Widerspruch konfrontiert, für ihr Leben zwar kämpfen, es andererseits jedoch auch aufgeben zu müssen. Der Befehl Kuribayashis, jeder müsse mindestens 10 der Feinde erledigen, ehe er selbst sterben dürfe, verleiht diesem Fatalismus Ausdruck: Dem übersteigerten Siegeswillen der US-Gegner steht die bewusste Unterlegenheit der Japaner gegenüber. Wenn einer der Stützpunkte zu fallen droht, dann führt nur noch der Weg des Selbstmords zur Erlösung - auf Befehl sprengt sich einer nach dem anderen selbst in die Luft. Die brutalen Bilder jener zersetzten Leiber sahen wir bereits im Pendant, die direkten Parallelen zwischen beiden Filmen sind indes allerdings nicht so offensichtlich, als dass sie sich selbst ausstellten.
Durch die Gegensätze, die sich bei beiden Seiten aus Pflichtgefühl gegenüber der eigenen Nation und einer natürlichen Hinterfragung dieses Schreckens vom organisierten Töten ergeben, kommt Eastwood zu ähnlichen Ergebnissen. In "Letters from Iwo Jima" zweifelt er den verordneten Heldentod im gleichen Maße an, wie er in "Flags of our Fathers" die fadenscheinige Kriegsanleihenkampagne auf Kosten der Soldaten vorführte. Hier wie dort verlieren die jungen Kämpfer nicht nur ihre Unschuld, sondern auch den Glauben an sich selbst. Die Bedeutung dieses imposanten Projekts kann man nur schwer unterschätzen: Eastwoods größter Verdienst ist die unaufgeregte Dekonstruktion kriegsmythischer Verklärung.
85% - erschienen bei: DAS MANIFEST