Die mürrische Hausfrau Sylvia Stickles (Tracey Ullman) weiß gar nicht, was sie bei der Fahrt durch ihre Nachbarschaft schlimmer finden soll – die frisch nebenan eingezogene Homobären-Gemeinschaft oder die pensionierten Liebenden, die ihre Sexualität frei zur Schau stellen. Kein Wunder, dass sich Tochter Caprice (Selma Blair) bei derartigen Verhältnissen exhibitionistisch verausgabt und deshalb auf der Dachstube weggesperrt wird. In einer Umwelt aus Nudisten und Perversen muss man sich als Neutrum also stets aufs Neue beweisen, wobei Sylvias fromme Mutter Big Ethel (Suzanne Shepherd) und Ehemann Vaughn (Chris Isaak) ihr tatkräftig zur Seite stehen. Doch als sie durch einen Unfall eine Gehirnerschütterung erleidet, hat das enthaltsame Leben ein jähes Ende: Der Automechaniker Ray Ray Perkins (Johnny Knoxville) sieht in ihr den zwölften Apostel zur Erfindung eines neuen Sexualaktes und besorgt ihr den Orgasmus ihres Lebens. Fortan ist Sylvia getrieben von unbändiger Lust, was ihr immer mehr Bewohner der Stadt als Folge der schicksalhaften Kopfschläge nachmachen.
Nach Waters’ provokanten, ausgefallenen und irrsinnigen Erstlingswerken folgten angefangen mit "Hairspray" (1988) einige kommerziellere Arbeiten, die zwar nicht minder subversiv, aber in ihrem offensichtlichen Ton doch gemäßigter waren. Die freizügigen Obszönitäten eines "Female Trouble" vermischen sich nun jedoch mit der vermeintlichen Kleinstadtidylle aus "Serial Mom" – der anarchische "A Dirty Shame" schlägt eine groteske Brücke zwischen dem filmischen Früh- und Spätschaffen des Baltimore-Regisseurs und ist damit so etwas wie die Quintessenz im Waters-Oeuvre. Selbst aufgeklärten Zuschauern wird hier mit radikaler Offenheit die Schamesröte ins Gesicht getrieben, ohne dass der enorme Happening-Charakter dieser feierlichen Travestieshow jemals penetrante Züge annehmen würde: Der Spaß an der Freude könnte kaum dominanter sein.
Die von Waters als „Cunnilingus-Gehirnerschütterungs- Kömodie“ umschriebene Farce begeistert durch unglaublich absurde Entgleisungen und derben Humor. "A Dirty Shame" ist die vielleicht rigoroseste Abrechnung mit Bigotterie, die je von einem großen Studio (New Line) in Auftrag gegeben wurde. Nahezu jedes Ausstattungsdetail ist sexualisiert, da wedeln Penissträucher neben Muschibäumen oder bekommen Benzinkanister eine ganz neue phallische Bedeutung. Um die eingangs erwähnten Fachtermini nicht unerläutert zu lassen, sei natürlich noch darauf eingegangen: Der Ausdruck „Sploshing“ bezeichnet den sexuellen Trieb, sich lustvoll am ganzen Körper mit Nahrungsmitteln einzuschmieren, während „Blossom“ eine Art Vergleichsritual darstellt, bei dem festgestellt wird, wer nach dem Fist Fucking den größten Blumenkohl vorzuzeigen hat. Geschmacklos und widerwärtig? Aber natürlich doch! Das ist ein John Waters-Film. Nirgends sonst macht Geschmacklosigkeit so viel Spaß.
Obwohl er seinen schrägen Witz auch in den als zahm bezeichneten Komödien der letzten Jahre nie wirklich abgelegt hatte, ist es doch diese rüde Exploitation, mit der sich Waters erst so wirklich wohl zu fühlen scheint. "A Dirty Shame" ist zudem mit zahlreichen Referenzen angehäuft, von "Night of the Living Dead" bis zu "Ilsa, She Wolf of the SS" wird die B-Movie-Geschichte ausgiebig zitiert – nicht zuletzt lässt sich der ganze Film auch als Hommage an Schmuddellegende Russ Meyer lesen. Wenn sich die durch ihre Triebe gesteuerte Meute im Finale schließlich vereint und der lüsterne Mob in einer orgiastischen Levitation gipfelt, dann spätestens sind auch die Fans der ersten Stunde zurück gewonnen (sofern sie denn jemals wirklich weg waren). Ohne Zweifel: Daran hätte Divine ihre helle Freude gehabt. Und wenn Sie das alles nicht lustig finden sollten, dann leiden Sie wahrscheinlich an „schwedischen Kopfschmerzen“. Was das ist? Finden Sie es doch heraus, besorgen Sie sich "A Dirty Shame"!