Die drohende Kommerzialisierung schuldigen Schunds für das Hollywoodkino ließ Waters-Anhänger zweifeln, ob die zerstörerischen Tage der einstigen Underground-Legende nicht gezählt seien. Dabei gilt "Cry Baby" als heiter verzerrte Parodie auf die Elvis Presley-Filme noch heute als eines der meistunterschätzten Waters-Werke, unterläuft es doch mit feierlicher Süffisanz die Albernheiten der Traumfabrik und gewährt scheinbar unbemerkt all den absurden Entgleisungen darin Einzug. Ganz ungeachtet auch der Tatsache, dass das Motto „Kino ohne Grenzen“ mit einschließt, sich nicht vom Independentfilm einengen oder zwangsläufig daran binden zu lassen – immerhin bedeutet der Ausflug nach Hollywood alles, nur nicht dass „Black Sheep“ Waters seinen aufbrüchigen Geist verlieren würde.
Auslöser für die Idee einer Komödie über Gesellschafts- schichten war der gleichnamige Song von den Bonnie Sisters auf der ersten Platte, die sich Waters als kleiner Junge besorgte. Schnell war klar, dass er "Cry Baby" als Musical inszenieren würde, "Hairspray" war als Tanzfilm bereits ein erster Schritt in diese Richtung. Da er sich mit jeder Produktion einem neuen Genre widmet und dieses dann entsprechend konsequent bedient, wartet der Film mit einigen sensationellen Musiksequenzen auf, smarte Choreographien und clevere Kameratricks inbegriffen. Die Geschichte einer unmöglichen Liebe zwischen Junge und Mädchen, Zugehörige zweier rivalisierender Gruppen, den wilden Drapes und spießigen Squares, ist herkömmlich und bedient jegliches Musical-Klischee, erscheint aber gleichzeitig auch prädestiniert für Waters’ überzogene Sicht der Dinge.
Den Kampf von Sitte und Etikette gegen jugendlichen Ungehorsam erfuhr der in Baltimore geborene Regisseur schließlich am eigenen Leib, da ist natürlich ebenso schnell klar, welcher der Gruppen hier die Sympathien gelten. Mit herrlichem Unernst und deutlicher Verklärung (die Drapettes selbst waren mitunter rassistisch) stimmt er ein sich weitestgehend gewohnt über Erzählkonventionen hinweg setzendes Loblied auf die unzweifelhafte Übermacht der Anarchie ein. Seine rebellischen, in jeder Hinsicht unkonformen Typen gestalten ihr freiheitliches Leben mit Sex, manchmal auch Drugs und vor allem viel Rock’n’roll aus, ohne ihre schrille Liebenswürdigkeit jemals Karikatur ähnlicher Aushöhlung opfern zu müssen. Dabei verschlüsselt Waters seine ausfälligen Eigenschaften zugunsten der Jugendfeigabe auf bizarre Weise, was deren extremen Charakter keinesfalls tilgt.
Wenn die von Liebenskummer geplagte Allison ihre Tränen in einem Wasserglas auffängt und anschließend genüsslich trinkt (Waters: „Autofellatio“), die Drapes eine regelrechte Zungenkussorgie veranstalten oder sich die Liebenden an Gefängnisfenstern reiben wie in einem Glory Hole-Porno, dann ist sie auch im Hollywoodfilm angekommen, die derbe Leidenschaft des Kultregisseurs, die das Genre des Teenfilms so maßgeblich beeinflussen sollte. Und wenn dann Drapes und Squares am Ende vereint scheinen, ist das weniger Widerspruch oder biederes Zugeständnis an das kommerzielle Kino, denn eine pure orgiastische Party, bei der das Spießbürgertum samt Amtsrichter und Gesellschaftsdame zum beswingten Takt der Revolution tanzt. Es war übrigens nebenbei bemerkt nicht nur der erste, sondern auch der letzte wirkliche Hollywoodstudiofilm des John Waters.