Diese analytische, scharfsinnige Reise beginnt mit dem Blick auf die Stummfilmzeit und endet in den 90er Jahren, in denen der Umbruch, sich von schwulen und lesbischen Klischees im modernen Film zu entfernen, voranschreitet. Schau- spielerinnen und Schauspieler wie Whoopi Goldberg, Susan Sarandon oder Shirley MacLaine, Tony Curtis, Antonio Fargas oder Tom Hanks, Regisseurinnen und Regisseure wie Jan Oxenberg, John Schlesinger oder Gregg Araki, sowie Drehbuchautoren und Filmkritiker berichten von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Kino, wie diese ihr Leben beeinflusst, geformt und bestimmt haben, wie sie selbst ein Teil davon wurden und Veränderungen in Gang setzten. Unaufgeregt und bemerkenswert sachlich, entlarvt der auf dem 1978 erschienenen gleichnamigen Buch von Vito Russo basierende Film die sublimierte Sexualität des US-Kinos und erweist sich als bewegend-komische, vor allem aber meisterlich inszenierte und ungeheuer wichtige Studie.
Eine Frau, die eine andere Frau küsst (Marlene Dietrich in „Morocco“), ein exaltierter Mann in Fummeln (Cary Grant in „Bringing Up Baby“) oder ein lesbischer Vampir („Dracula’s Daughter“) – Bilder, die ein bürgerliches Publikum erzürnten, die moralisch verwerflich und abstoßend seien, die den christlichen Glauben beleidigten und deshalb eine maßgebliche Instanz heraufbeschworen: Den Hays Code. Eine zunächst freiwillige, später verbindliche Kontrolle unsittlicher Inhalte, die einen jeden Filmemacher herausforderte. Fortan verschlüsselten all die Alfred Hitchcocks, Billy Wilders oder Howard Hawks’ ihre eindeutig uneindeutigen Themen, bündelten sie in einen Subtext, arbeiteten mit Konnotationen, Andeutungen, Doppelbödigkeiten – mal mehr, mal weniger erfolgreich. „Das waren keine Atomwissenschaftler, denen ist vieles entgangen. Wenn der Regisseur clever genug war, dann schaffte er es“, bemerkt Drehbuchautorin Jay Presson Allen.
Das veranschaulicht sich in ausgewählten Beispielen. So durfte John Huston im Film Noir-Meisterwerk „The Maltese Falcon“ seine von Peter Lorre gespielte, homosexuelle Figur nicht der Vorlage entsprechend in Szene setzen und ließ ihn dafür überaus zweideutig mit dem Krückstock hantieren, während im Hintergrund eine orientalische, feminine Musik ertönt. Hitchcock, der sich in nahezu jedem seiner Filme unterschiedlich explizit mit den sexuellen Komponenten seiner Figuren beschäftigt, bewies feinsinnige Raffinesse, als er die Haushälterin Mrs. Denvers in „Rebecca“ sanft die Schränke ihrer heimlichen Liebe durchforsten lässt – inklusive deren Unterwäsche. In „Rope“ ging er noch offener zur Sache: Die beiden Studenten, die einen Kommilitonen ermorden, führen ohne jeden Zweifel eine Beziehung, ihre Bewegungen und intimen Blicke lassen als Motiv sogar durchaus Eifersucht erahnen, ganz zu schweigen von der – durch den Drehbuchautor versicherten – schwulen Dreiecksbeziehung mit ihrem Professor (gespielt von James Stewart). Alles nur dezent verarbeitet und leise angedeutet, und doch würde es selbst ein Blinder sehen.
Oder wenn sich die beiden von John Ireland und Montgomery Clift gespielten Cowboys in Hawks’ „Red River“ stolz ihre Revolver präsentieren, damit lustvoll spielen und ihre Männlichkeit demonstrieren, dann muss man nicht nur angesichts der Dialoge schmunzeln: Das ist schwules Bändeln in einer abstrakten Form, obwohl das Sinnbild des Colts für das männliche Geschlechtsteil offensichtlicher nicht sein könnte. Im Klassiker „Rebel Without a Cause“ von Nicholas Ray mussten ebenfalls alle homosexuellen Bezüge eliminiert werden, die eine über Freundschaft hinausgehende Beziehung von Plato und Jim Stark vermuten ließen. Dennoch war Plato in der Geschichte nur aus dem Grund der Außenseiter, weil er schwul war. Und wie im Hollywoodfilm üblich, musste er dafür auch sein Leben lassen – die Aufsässigen, die ihre Sexualität frei ausleben, bestraft das Kino mit dem Tod. Das lehren auch die Verfilmungen der Tennessee Williams-Stoffe „Cat On A Hot Tin Roof“ oder ganz besonders „Suddenly, Last Summer“.
Spannend gerät auch der Blick hinter die Fassaden der Traumfabrik, beispielsweise bei Rock Hudson, dem strahlenden Helden und Sonnyboy; dem Mann, der die Frauen wie ein Magnet in die Kinos zog, um reihenweise deren Herzen zu erobern. Doch was man beim Kollegen Cary Grant bis zu seinem Lebensende vermutete, das erblickte durch die AIDS-Erkrankung Hudsons grelles Licht der Öffentlichkeit: Er liebte Männer. In Verbindung mit seinen heiteren Doris Day-Komödien, die vor Keuschheit fast unerträglich erschienen, wirkt das natürlich tragisch, entbehrt jedoch auch nicht einer gewissen Ironie: „Ein Schwuler spielte einen Nicht-Schwulen, der einen Schwulen spielte.“, stellt Autor Armistead Maupin bezüglich „Pillow Talk“ fest. Noch bissiger im verquerten Sinne wird es bei „Ben Hur“ (1959), in dessen Geschichte zweier Rivalen es sich um nichts anderes als sexuelle Spannungen dreht. Charlton Heston, bekannt als erzkonservativer US-Bürger, wusste davon freilich nichts, doch wie Autor Gore Vidal hier offenbart, haben er und Regisseur William Wyler seinem Kollegen Stephen Boyd entsprechende Instruktionen gegeben: Heraus kommt einer der homoerotischsten Filme aller Zeiten. Im Subtext, versteht sich.
Die Liste ließe sich immer weiter fortführen, „The Celluloid Closet“ (der Titel bezieht sich auf die Redwendung „to be in the closet“, die jemanden bezeichnet, der nicht geoutet ist) kann in seinen fesselnden 100 Minuten nur Auszüge präsentieren, sie in den Kontext einer filmgeschichtlichen Entwicklung stellen und dabei Klischees und Stereotypen aufdecken. So waren homosexuelle Männer im Stummfilm zumeist Witzfiguren, die albernem Klamauk dienten, später Außenseiter und Abtrünnige, die weder ernst genommen noch akzeptiert wurden. Allmählich entstanden dabei zwei Darstellungstypen des Schwulen im Film: Entweder ist er der tragische, bemitleidenswerte Mensch, den das sichere Unglück oder den schicksalhaften Tod heimsuchen wird. Oder er war der Bösewicht und Mörder, der Schurke als Ausdruck von Bedrohung, ein Katalysator für die heterosexuelle Angst vor der Liebe des gleichen Geschlechts – mit selbstredend ähnlichen Folgen. Die Schauspielerin Quentin Crisp erklärt das so: „Mainstream people dislike homosexuality because they can't help concentrating on what homosexual men do to one another. And when you contemplate what people do, you think of yourself doing it. And they don't like that. That's the famous joke: I don't like peas, and I'm glad I don't like them, because if I liked them I would eat them and I hate them.”
Diese Homophobie äußerte sich in einigen Filmen besonders drastisch und menschenverachtend. „Vanishing Point“ von Richard C. Sarafian denunziert Schwule zu Lachnummern, wenn ein tuntiger Highway-Räuber vom harten Roadie nur belächelt und anschließend verprügelt wird. Besonders erschreckend wirkt dieser Ausschnitt, wenn Tom Hanks gesteht, dass Szenen wie diese in seiner Jugend gefeiert wurden und maßgeblich zur Aversion gegen Homosexuelle beitrugen. Ein anderes Beispiel ist William Friedkins „Cruising“ mit Al Pacino in der Hauptrolle. Darin werden nicht nur jegliche Lack und Leder-Klischees erfüllt, sondern erscheint der Schwule auch als ausnahmslos Perverser, dem nur mit dem blutigen Tod Einhalt gewährt werden kann. Diese Entwicklung ging einher mit einer zunehmend selbstverständlichen, alltäglichen Ausdrucksform für Beleidigungen, was der Film mit einer Montage diverser Ausschnitte, in denen das Wort „faggot“ benutzt wird, veranschaulicht. Der Filmkritiker Richard Dyer bemerkt dazu treffend: „Man weiß, dass der Film heterosexuell ist, wenn man in einen Hollywoodfilm geht. Aber man ist einfach nicht bereit, sich beleidigen zu lassen“.
Mit Blick auf Jonathan Demmes „Philadelphia“ beendet „The Celluloid Closet“ seine Odyssee schließlich im Kino der 90er Jahre. Natürlich hat sich vieles verbessert, sind die Restriktionen vergolten, doch sollte diese Wende dennoch nicht mit Überbewertung und -Erwartung ausgefüllt werden. Schon gar nicht in einer Zeit, in der Filme wie „Brokeback Mountain“ oder „Capote“ mobilisierte, christlich- fundamentalistische Massenverbände auf die Barrikaden treiben, die neo-konservative Produktionen („The Chronicles of Narnia“) als „rettende“ Gegenstücke installieren. Wie Regisseurin Jan Oxenberg so bezeichnend festhält: „’Philadelphia’ war toll, aber das beweist nichts. Es ist die Geschichte eines schwulen Helden, der stirbt, eine tragische Figur. Bleibt abzuwarten, ob die Öffentlichkeit auch einen Film annehmen würde, in dem der schwule Held lebt.“
Diese Dokumentation geriet deshalb so einrucksvoll, weil es den Produzenten darum geht, das Kino nicht nur als Ort ausgeblendeter Sexualität anzuprangern, sondern darauf hinzuweisen, wie sehr es die Realität reflektiert und zu einem maßgeblichen Teil auch bestimmt. Wie unendlich tragisch die Wahrheit erscheint, dass Gleichberechtigung und Toleranz darin längst keine Selbstverständlichkeit sind; wie Unterdrückung, Duckhaltung und Isolation regelrecht produziert wurden und werden – selbst bei den großen, ruhmreichen und glanzvollen Stars. Was nicht sein darf, das darf eben nicht sein. Möge deshalb die Zeit kommen, in der das Kino sich nicht mehr selbst betrügen muss.