Tm Burton und Alice im Wunderland, das gehört eigentlich zusammen. Ein prädestinierter Stoff für den Regisseur, dessen Filme seit jeher auch als Beschwörungen klassischer Märchengeschichten funktionierten. Da scheint es nahe liegend, dass Burton eine neue Kinoversion des Lewis-Carroll-Klassikers inszeniert hat, begann er seine Kariere doch als Zeichner bei Disney, deren Alice-Trickfilm von 1951 noch immer als beliebteste Adaption der Vorlage gilt. Grund genug für das Erfolgsstudio, sich selbst zu übertreffen und den einstigen Schützling zurück ins Boot zu hieven. Burtons Interpretation kombiniert eindrucksvoll Real- und Animationsfilm als bildgewaltiges Kino: durchaus mit Verstand, aber ohne Herz.
Nachdem er bei Disney eigenen Angaben zufolge keine "niedlichen Füchse" mehr sehen und seine beiden Kurzfilme Vincent und Frankenweenie lange Zeit nicht veröffentlichen konnte, wandte sich Burton Mitte der 1980er Jahre vom Animationsmajor ab. Alice im Wunderland nun ist der erste große Spielfilm, den er direkt für Disney in Szene setzt. Man darf davon ausgehen, dass Burton hierbei künstlerische Freiheiten zugestanden wurden, gilt er doch trotz seiner zum Teil radikalen Mainstream-Brüche als einer der einträglichsten Filmemacher Hollywoods. Nach der leidvollen Batman-Erfahrung gelang es Burton zudem, seine Autorenhandschrift auch im Blockbuster-Sektor auszubauen und sich als einer der wenigen souveränen Hollywoodregisseure zu etablieren.
Umso unverständlicher erscheint es deshalb, dass sich seine Alice-Version überraschend stark am Disney-Film orientiert bzw. diesen zumindest oft herbei zitiert, und darüber hinaus eine überaus gradlinige, übersichtliche Geschichte erzählt. Burton, der oft für seine dramaturgische Nachlässigkeit kritisiert wurde (obgleich er an erzählerischer Stringenz auch nie interessiert war, wie er schließlich in seinem persönlichsten Film Big Fish deutlich machte), adaptiert ausgerechnet jenen Stoff, der sich als Freifahrtsschein für abtrünnige Fantasien und wirres Fabulieren anbietet, mit sicherer Hand zu einem straighten Märchen-Blockbuster ohne Umwege.
Das ist nicht zwangsläufig schlecht. Doch liegen die Stärken des Films ausschließlich im handwerklichen Umgang mit der Vorlage. Als eine Mischform aus Carrolls 1865 erschienenem Buch "Alice im Wunderland" und dessen Fortsetzung "Alice hinter den Spiegeln" findet Burton einen interessanten Erzählansatz: Er lässt die nunmehr erwachsene Alice (Mia Wasikowska) ins Wunderland zurückkehren, in dem sie all die bekannten Tiere und Märchengestalten bereits zu erwarten scheinen. Die junge Frau kann sich allerdings nicht erinnern, jemals dort gewesen zu sein - und weiß demnach herzlich wenig mit der Teeparty des schrillen Mad Hatters (Johnny Depp) oder den Machenschaften der Red Queen (Helena Bonham-Carter) anzufangen.
Indem der Film die Geschichte also streng genommen am deutlich bekannteren Original entlang, aber aus der Perspektive des Sequels heraus entwickelt, bedient er sich der Elemente beider Bücher. Tim Burton hat vieles aus dem Original gestrichen – das Croquet-Spiel, die Gerichtsverhandlung oder das Meer aus Tränen – und stattdessen Platz für Figuren und Erzählstränge der Fortsetzung geschaffen. Die große Schachpartie hat er ebenso integriert wie den Jabberwocky-Kampf oder die Zwillinge Tweedledee und Tweedledum. Burtons Alice im Wunderland ist demnach der Film zum gesamten Alice-Mythos Carrolls mit einem eigenständigen dramaturgischen Konzept.
So clever er dabei auch gestrickt ist und so sauber und zielorientiert er sich an dieser Idee abarbeitet – Raum für Abweichungen lässt die klare Erzählstruktur nicht zu. Das gesamte (insbesondere frühe) Burton-Œuvre ist bestimmt von der Verweigerung und dem Verzicht auf Konventionen, narrative Geschlossenheit oder konsequente Handlungsführung. Seine Filme, von Pee-wee’s irre Abenteuer bis Charlie und die Schokoladenfabrik, folgten stets einer eher intuitiven oder auch träumerischen Erzähllogik, ausgehend von einer emotionalen Nähe Burtons zu seinen schrägen oder missverstandenen Figuren.
Dass ausgerechnet Alice im Wunderland mit seinen absonderlichen Entwürfen und den schrillen Figuren Burton zu einer erstaunlich braven, berechenbaren Literaturadaption inspiriert, die sich ästhetisch zudem an die Disney-Version anlehnt, wirkt allzu verwunderlich. Es scheint, als wolle es Burton bei aller Sorgfalt, die beiden Bücher zum Leben zu erwecken, nie gelingen, sich zum emotionalen Kern der Geschichte vorzuarbeiten. Der Film trägt zwar seine Handschrift, aber er vermittelt nie restlos das Gefühl einer eigenständigen Vision.
erschienen bei gamona
Nachdem er bei Disney eigenen Angaben zufolge keine "niedlichen Füchse" mehr sehen und seine beiden Kurzfilme Vincent und Frankenweenie lange Zeit nicht veröffentlichen konnte, wandte sich Burton Mitte der 1980er Jahre vom Animationsmajor ab. Alice im Wunderland nun ist der erste große Spielfilm, den er direkt für Disney in Szene setzt. Man darf davon ausgehen, dass Burton hierbei künstlerische Freiheiten zugestanden wurden, gilt er doch trotz seiner zum Teil radikalen Mainstream-Brüche als einer der einträglichsten Filmemacher Hollywoods. Nach der leidvollen Batman-Erfahrung gelang es Burton zudem, seine Autorenhandschrift auch im Blockbuster-Sektor auszubauen und sich als einer der wenigen souveränen Hollywoodregisseure zu etablieren.
Umso unverständlicher erscheint es deshalb, dass sich seine Alice-Version überraschend stark am Disney-Film orientiert bzw. diesen zumindest oft herbei zitiert, und darüber hinaus eine überaus gradlinige, übersichtliche Geschichte erzählt. Burton, der oft für seine dramaturgische Nachlässigkeit kritisiert wurde (obgleich er an erzählerischer Stringenz auch nie interessiert war, wie er schließlich in seinem persönlichsten Film Big Fish deutlich machte), adaptiert ausgerechnet jenen Stoff, der sich als Freifahrtsschein für abtrünnige Fantasien und wirres Fabulieren anbietet, mit sicherer Hand zu einem straighten Märchen-Blockbuster ohne Umwege.
Das ist nicht zwangsläufig schlecht. Doch liegen die Stärken des Films ausschließlich im handwerklichen Umgang mit der Vorlage. Als eine Mischform aus Carrolls 1865 erschienenem Buch "Alice im Wunderland" und dessen Fortsetzung "Alice hinter den Spiegeln" findet Burton einen interessanten Erzählansatz: Er lässt die nunmehr erwachsene Alice (Mia Wasikowska) ins Wunderland zurückkehren, in dem sie all die bekannten Tiere und Märchengestalten bereits zu erwarten scheinen. Die junge Frau kann sich allerdings nicht erinnern, jemals dort gewesen zu sein - und weiß demnach herzlich wenig mit der Teeparty des schrillen Mad Hatters (Johnny Depp) oder den Machenschaften der Red Queen (Helena Bonham-Carter) anzufangen.
Indem der Film die Geschichte also streng genommen am deutlich bekannteren Original entlang, aber aus der Perspektive des Sequels heraus entwickelt, bedient er sich der Elemente beider Bücher. Tim Burton hat vieles aus dem Original gestrichen – das Croquet-Spiel, die Gerichtsverhandlung oder das Meer aus Tränen – und stattdessen Platz für Figuren und Erzählstränge der Fortsetzung geschaffen. Die große Schachpartie hat er ebenso integriert wie den Jabberwocky-Kampf oder die Zwillinge Tweedledee und Tweedledum. Burtons Alice im Wunderland ist demnach der Film zum gesamten Alice-Mythos Carrolls mit einem eigenständigen dramaturgischen Konzept.
So clever er dabei auch gestrickt ist und so sauber und zielorientiert er sich an dieser Idee abarbeitet – Raum für Abweichungen lässt die klare Erzählstruktur nicht zu. Das gesamte (insbesondere frühe) Burton-Œuvre ist bestimmt von der Verweigerung und dem Verzicht auf Konventionen, narrative Geschlossenheit oder konsequente Handlungsführung. Seine Filme, von Pee-wee’s irre Abenteuer bis Charlie und die Schokoladenfabrik, folgten stets einer eher intuitiven oder auch träumerischen Erzähllogik, ausgehend von einer emotionalen Nähe Burtons zu seinen schrägen oder missverstandenen Figuren.
Dass ausgerechnet Alice im Wunderland mit seinen absonderlichen Entwürfen und den schrillen Figuren Burton zu einer erstaunlich braven, berechenbaren Literaturadaption inspiriert, die sich ästhetisch zudem an die Disney-Version anlehnt, wirkt allzu verwunderlich. Es scheint, als wolle es Burton bei aller Sorgfalt, die beiden Bücher zum Leben zu erwecken, nie gelingen, sich zum emotionalen Kern der Geschichte vorzuarbeiten. Der Film trägt zwar seine Handschrift, aber er vermittelt nie restlos das Gefühl einer eigenständigen Vision.
erschienen bei gamona