November 05, 2008

DVD: DEAD MAN'S SHOES

Es geht direkt zur Sache: Ein Mann rächt seinen Bruder, der einst Opfer einer Gruppe drogenabhängiger Provinzgauner wurde, die ihn abfüllten, mit Drogen zupumpten und quälten. Jahre später nun ist Richard in das englische Nest zurück- gekehrt, das er einst für die Armee verließ. Nach und nach zieht er die Peiniger seines Bruders zur Rechenschaft: Sein stiller Rachefeldzug beginnt mit gezielten Drohungen und Attacken, und endet in blutigen Ritualen.

"This is England"-Regisseur Shane Meadows inszeniert seine Variation eines Selbstjustiz-Dramas als beklemmendes moralisches Kammerspiel. Der Film ist leise und direkt, bitter und erschütternd radikal. Er ist effektiv ohne effektvoll, zermürbend ohne pathetisch zu sein. Und er verweigert sich einer simplen Aufspaltung in Opfer- und Tätermuster, sondern stellt die Grausamkeit der Vergangenheit gegen die Grausam- keit der Gegenwart. Über die Rechtschaffenheit der Sühne nach der Schuld urteilt "Dead Man’s Shoes" nur implizit oder schlimmstenfalls, der Natur des Selbstjustizfilms inbegriffen, tendenziös. Meadows scheint - sich der verfänglichen Position des moralischen Fürsprechers bewusst - die Aufmerksamkeit deshalb auf die Gruppe jener zu lenken, die Richards Bruder einst misshandelten. Es sind keine mafiösen Gangster oder Schwerstkriminelle, sondern vielmehr, den publikums- orientierten Katharsiseffekten abträglich, heruntergekommene Kleinstadtkiffer, etwas beschränkte und ein wenig irre Gauner, aber nicht einmal unsympathisch. Es sind Figuren, deren Film-Tod man nicht selbstverständlich als keinen wirklichen Verlust empfinden würde.

Meadows Verzicht auf leichtfertige Identifikationsangebote intensiviert die allgemeine Brutalität des Films nur noch: So wie die exakt getimten Flashbacks, in denen Meadows Stück für Stück und damit analog zu Richards Feldzug Bilder der einstigen Schändung seines Bruders offen legt, den eigent- lichen Plot zu rechtfertigen scheinen, so wirken Richards an klassische Horrorfilme erinnernden Racheattacken in ihrer drastischen Bitterkeit nicht weniger verstörend. Die meisten Regisseure scheitern in der Regel an dem Druck, ein unbefriedigendes Gleichgewicht zu halten, und verleiten das Publikum mehr oder minder geschickt in die sichere Position des Beistands, meist im Rahmen eines überdeutlich auf Genreformeln verweisenden Schutzvakuums. Wie erst jüngst zu sehen war, bleibt da dann zuletzt nur entweder die bewusste Rückbesinnung auf ideologische Vorbilder wie in "Death Sentence", oder der klägliche Versuch einer Differenzierung wie bei "The Brave One", der umso alberner scheint, wenn die Hauptrolle mit jemandem wie Jodie Foster besetzt ist, mit der gemeinsam selbst noch der moralisch integerste Zuschauer einen blutigen Racheplan schmieden würde.

So erscheint die motivierte Gewalt in "Dead Man’s Shoes" nie befreiend, nie so überhöht wie in anderen Selbstjustizheulern. Der Film lässt sich schwer konsumieren und kaum auf Unterhaltung reduzieren. Er erinnert gerade dadurch eher an die Glanzlichter des Subgenres, vor allem "Taxi Driver". Schade nur, dass Meadows nicht gänzlich auf die Kraft seiner zwielichtigen Bilder vertraut und in letzter Minute doch noch auf entspannende Effekte zurückgreift, wenn befreiende religiöse Choräle den Abspann einleiten.

Die deutsche DVD von Ascot geht völlig in Ordnung. Das Bild entspricht dem visuellen Stil des Films, wirkt sehr nüchtern und dokumentarisch, aber ohne gravierende Schwächen. Der deutsche und englische 5.1-Ton ist gut, aber sehr frontlastig. Glücklicherweise gibt es deutsche Untertitel (die UK-Scheibe hatte nicht einmal englische), die für die Originalfassung auch dringend notwendig sind. Zu den gegenüber der britischen Veröffentlichung abgespeckten Extras zählen ein Audio- kommentar und geschnittene sowieso erweiterte Szenen, ein alternatives Ende und der Kinotrailer. Das entfernte Material ist übrigens durchweg zu Recht aus dem Film verbannt worden.


70% - erschienen bei: DAS MANIFEST