Es spricht für Steven Spielberg und George Lucas, dass sie das Erfolgsrezept von "Raiders of the Lost Ark" nicht wiederholt haben, auch wenn dieses Sequel nach dem enormen Einspiel des Vorgängers ein Selbstläufer gewesen sein mag. Tatsächlich verpflanzten sie die Figur in einen zeitlich und räumlich veränderten Kontext: "Indiana Jones and the Temple of Doom" erweist sich nicht als Fortsetzung, die ihren Vorläufer weitererzählt, sondern zwei Jahre zurückspringt. Ein Prequel in der Tat, aber keines etwa wie "The Godfather: Part II", das als Mittelstück einer großen Trilogie so etwas wie einen epischen Bogen spannt. Der Film ergänzt den ersten Teil nicht, er hat fast etwas von einem Exkurs – für mich ist es mit Abstand der schönste Indiana Jones.
Nach einer umwerfenden Busby-Berkeley-Musicalnummer zu Cole Porters – in diesem Fall programmatischen – "Anything goes" beginnt dieser zweite bzw. erste Teil mit einer Folge mit einer Verkettung von Actionszenen, die Massenpanik, Schießereien, Verfolgungsjagden, einen Flugzeugabsturz sowie eine turbulente Schnee- und Flussfahrt auf einem Schlauchboot umfassen, und die in einer derart halsbrecherischen Rasanz montiert sind, dass jeder zweistündige Actionfilm mit ihnen schon ausgelastet wäre. Die erste halbe Stunde des Films löst jedes Versprechen nach abenteuerlicher Unterhaltung ein, das der Vorgänger machte. Spielberg inszeniert selbst die logistisch schwierigsten Elemente so stimmig, dass ihm eine rein visuelle Erzählung gelingt, von der sein Film bis zuletzt zehrt – ein Musterbeispiel für filmische Exposition, die buchstäblich aufs Parkett geschmettert wird.
Genauso buchstäblich folgt der Abstieg: Ein Großteil des Films spielt im titelgebenden Tempel des Todes, wo Menschenopfer gebracht und Kinder versklavt werden. Ähnlich wie sich "The Empire Strikes Back" zu "Star Wars" als düsteres Zwischenkapitel verhält, stimmt "Indiana Jones and the Temple of Doom" einen horrorartigen Ton an, der sich deutlich vom komödiantischen Stil des Vorgängers und besonders auch des Nachfolgers unterscheidet. Das gigantische Tempelset im knallrot ausgeleuchteten Studiodesign bildet mit John Williams' Trommel- und Chorklangteppichen einen schaurig-schönen Spielplatz. Sogar der gelegentlich alberne Humor kann dem brutalen und in einem Jugendfilm doch sehr ungewöhnlichen Tonfall kaum etwas anhaben. Gegen die Bilder von entrissenen Herzen, schreienden Kindern und teuflischen Verschwörungen setzen sie sich nicht durch.
"Indiana Jones and the Temple of Doom" ist von einer anmutigen, fast märchenhaften Schönheit. Vermutlich fällt es deshalb noch leichter, die Spielbergschen Idiosynkrasien zu umarmen. Indische Bauern als infantiles Klagevolk und Indiana Jones als edler White Savior sind nur zwei augenfällige Stereotype, mit denen der Film sich in die koloniale Hegemonie des Abenteuerklassikers "Gunga Din" zurückträumt. Auch deshalb gilt dieser zweite Indy-Film als schwächster Teil der Serie, Lucas und Spielberg scheint er nachgerade peinlich zu sein. Ich finde allerdings, dass man die Schwächen eines Films sowohl benennen als auch umarmen kann. Ohne Widersprüche wird es schnell langweilig im Kino. Und für Spielberg gilt das ganz besonders.
Im letzten Drittel erhöht sich die ohnehin enorme Geschwindigkeit dann ein weiteres Mal, die Lorenjagd vor allem gehört zu den spektakulärsten und aufwändigsten Szenen des Genres überhaupt. Es wirkt beinahe so, als würde sich Spielberg von jener Last befreien, die Lucas ihm mit den Tempelszenen auferlegt hat. Wenn der Film die Figuren auf eine waghalsige Tunnelverfolgung durchs Innere des Berges befördert, rennt er gewissermaßen auch seinen Schwächen davon (die hysterische, auf alles und jeden mit wildem Geschrei reagierende Kate Capshaw ist ein anderes Stereotyp, das dem Film bis heute negativ anheftet). Im Schlussdrittel fühlt sich "Indiana Jones and the Temple of Doom" wie eine Attraktion zum eigenen Film an: Ausgestellt doppelbödiges und doch in sich selbst verschlungenes Spektakelkino, das imposanter nicht sein könnte. Ein Meisterwerk, fürchte ich.