Oktober 18, 2007

Kino: HALLOWEEN (2007)

Dieser Film ist eine Mogelpackung. Es steht zwar Rob Zombie drauf, aber drin scheint irgendetwas anderes zu sein. Das ist kein Film von jenem Mann, der mit "House of 100 Corpses" und "The Devil’s Rejects" eine neue alte Note ins Genre brachte, sich angenehm vom selbstgefälligen Tarantino- Rodriguez-Roth-Tümpel absetzte und ganz eigenen, keinesfalls nachvollziehbaren, aber doch erstaunlich verstörenden Regeln folgte. Als Zuschauer war man diesen Filmen auf eine unangenehme Art ausgeliefert, ebenso wie ihre geheime Faszination am konkreten Grauen, am Verfall alles Sozialen und alles Humanen direkt am nächstgelegenen Highway einen Teil ihres relativen Erfolges ausgemacht haben dürfte. Maniacs on the Loose als Sympathiefiguren unter sengender Sonne und Lynyrd Skynyrd-Klangteppich – das waren zwei bemerkenswerte Einstände, mit denen Zombie da ganz unvermittelt auf der Bildfläche erschien.

Das wirre Spiel mit Farben, Formaten und Filtern, das ungeordnete Bild- und Tongewitter dieser beiden Filme vermisst man bei "Halloween" schmerzlich. Dabei versprach die Nachricht, dass ausgerechnet Zombie die Neuverfilmung des John Carpenter-Thrillers inszenieren würde, einen kleinen Aufbruch am Remake-Himmel – wie würde es wohl aussehen, wenn die formale Strenge der Vorlage einer psychedelischen Freakshow weichen müsste? Das schrie fast nach Ehrenrettung, nicht nur der kläglichen Remakemode, sondern auch der durch einige mehr oder weniger gute und viele eher schlechte Sequels bekannten "Halloween"-Serie, die ihren eigens kreierten Mythos Michael Myers Stück für Stück zersetzt hat. Eine Neuinterpretation mit Prequel-Anleihen, ein Zurückkehren zu den Wurzeln, gefiltert durch die sonderbaren Obsessionen des Herrn Rob Zombie – ja, das hätte was werden können. Das hätte was werden müssen!

"Halloween" nun ist leider nur ein Kompromiss. Ein schäbiger zugegeben, aber ein Kompromiss. Er schwebt in einem luftleeren Raum, scheint nicht zu wissen, ob er die Zombieeske Sicko-Version des Stoffes oder doch nur eine bemühte Carpenter-like Neuauflage sein will. Zu wenig Psychotheater, zu viel angestrebte Qualität. Der Film geht den völlig falschen weg: Der Musiker Zombie ist nicht der Regisseur Carpenter, er kann nicht so inszenieren, keine Bilder so komponieren und hat wenig bis gar kein Gespür für konventionelle Filmsprache. Gott sei Dank, wohlgemerkt, dieses wüste Austoben mit Zelluloid hat immerhin entschiedenen Anteil am fragwürdigen Spaß seiner beiden Vorgänger. Doch warum nur versucht sich der Mann dann an Scope-Bildern, die er mitunter 1:1 aus dem Original zu kopieren gedenkt, wieso setzt er nach einer stilistisch wenig aufregenden, aber inhaltlich annehmbaren ersten Hälfte unvermittelt auf Suspense? Das kann doch nur schief gehen, Herr Zombie!

Es muss natürlich geklärt werden, wie anders, wie viel besser oder schlechter die eigentliche Fassung des Regisseurs ausgesehen hätte, aber herumärgern muss man sich schlussendlich ja doch mit dieser (geänderten) Version, über der nach wie vor Zombies Name prangt. Etikettenschwindel ist das obendrein, sein "Halloween" hätte anders aussehen müssen, das hier ist nur der oftmals klägliche Versuch eines musischen Horrorfreaks, an die visuelle Komplexität eines Genremeisters heranreichen zu wollen. Der Film setzt diesbezüglich viele falsche Schwerpunkte, seine Musik beispielsweise wäre ein wesentlicher. Das Thema ertönt erstmals schon nach wenigen Minuten, ohne rechten Bezug zum Gezeigten und ohne dass es für irgendeinen Schauer sorgen würde. Immer wieder ertönen die nur wenig veränderten Motive des Originals, und abgesehen vom Einsatz des "The Shape"-Themas bei der Ermordung von Michaels Schwester verfehlen sie ihre Wirkung. Das liegt vor allem daran, dass Zombie dem Film keinerlei Ruhemomente gönnt und heute vielleicht auch nicht mehr gönnen kann, die Musik sich also immer nur abwechselt, während Carpenters Tonspur sich meist aus langen stillen Szenen und plötzlichem Scoreeinsatz zusammensetzte.

Die Besetzung ist Zombie noch am ehesten gelungen. Die nämlich ist sein einziges Statement. Da scharen sich Genregrößen neben vielen altbekannten, lang nicht mehr auf der Leinwand gesehenen Gesichtern, von Brad Dourif bis Danielle Harris, über Dee Wallace und Ken Foree bis hin zu Adrienne Barbeau und Udo Kier, und die Weggefährten seiner ersten Filme sind ohnehin dabei. Anders als seinen Kollegen (man denke nur jüngst an "Planet Terror") gelingt es Zombie allerdings, die vielen Kollegen nicht nur als Augenzwinkereffekt innerhalb des Films zu positionieren, als auf sich selbst aufmerksam machende postmoderne Geste, sondern sie tatsächlich zu besetzen. Danny Trejo beispielsweise wäre jemand, den man mittlerweile eigentlich nur noch engagiert, um ihn irgendwo hinzustellen, weil schon seine reine Präsenz genügsam scheint, doch indem er hier eine wirkliche Rolle spielt, fügt er sich ein in einen wenig selbstverliebten und aufs Wesentliche ausgerichteten Film. Problematisch allerdings ist wahrlich die Besetzung der Laurie Strode – oder vielmehr die Konzeption der gesamten Rolle. Warum uns Zombie nämlich zwei Drittel lang die Geschichte von Michael Myers erzählt und mühevoll entmystifiziert, der Blickwinkel dann aber plötzlich auf Strode gerichtet wird, weiß wohl auch er selbst nicht so recht. Für diese Figur interessiert sich auf den letzten Drücker dann nämlich kein Mensch mehr (ein ähnliches Problem bildet die Dr. Loomis-Figur, die in der Vorlage als Kommunikator zwischen Myers und dem Publikum fungierte und um seinen Patienten eine mythische Aura spann, die in Zombies ausgewalzter Erklärung des Mörders selbstredend verloren geht).

Der Film konzentriert sich stark auf Aktion und Bewegung, wirkt nie gesetzt und fokussiert. Er schwankt meist zwischen Slasher-, Terror- und Splatterfilm, zwischen brutaler Grobschlächtigkeit und atmosphärischer Subtilität, findet aber nie zu einem Taktgefühl. Man könnte seine formalen Unzulänglichkeiten sicherlich entschuldigen, dass er also langweilig bebildert und einfallslos erzählt, dass er gewollt und nicht gekonnt ist, wenn Zombie zumindest ein Gespür für den Mythos seiner Figur aufbringen würde. Und hier versagt der Film erst wirklich: Was um alles in der Welt hat Zombie geritten, aus der Myers-Familie eine heruntergekommene Hippiebande zu machen? Den kleinen Sprössling Michael gleichsam als Opfer häuslicher und schulischer Gewalt erklären zu wollen? Hat sich da eigentlich überhaupt irgendjemand die Vorlage angesehen? Es ist ja nicht so, dass Carpenter ein bemerkenswert kluger Kopf sei, seinem Film bewusst die ideologischen Implikationen einpflanzte oder überhaupt mehr als einen formal nahezu perfekten Genrefilm im Sinn gehabt haben könnte, aber dennoch: Michael Myers ist ein Produkt des Bürgertums, der vorstädtischen Bourgeoisie, nicht das Kind einer sozialen Unterschicht. Wenn die heimgekehrten Eltern dem kleinen Jungen im Original die Maske vom Gesicht stülpen und die Kamera sich erhebt über das Antlitz des Vorortes, dann macht dies aufmerksam auf ein Grauen, das nicht einfach über eine Mittelstandsfamilie hereinbricht, sondern inmitten dieser geboren wird.

Wie sehr Zombie den Stoff also ganz einfach nicht versteht, wird schon nach wenigen Minuten deutlich. An den Haaren herbeigezogen auch der erste Mord des kleinen Michael an einem bösen Mitschüler auf dem Heimweg. Ist Zombie tatsächlich entgangen, dass Carpenter seine Figur ganz bewusst erst in jenem Moment zum Messer greifen lässt, als diese Zeuge einer sexuellen Handlung wird? Dass Michael Myers erst in jener Nacht zum Mörder in Kinderschuhen wird, als seine Schwester sich mit ihrem Freund vergnügt und dies eindeutig ein (konservativ deutbarer) Ausdruck sexueller Sublimation ist? Der Mord an Judith kann in Zombies Version schon allein deshalb trotz der deutlich gesteigerten Brutalität keine Wirkung mehr erzielen, da Michael von Anfang an nur als wahllos mordendes, falsch erzogenes und missverstandenes Kind erscheint. Es wäre deshalb wohl auch müßig, die Frage nach dem Sinn der exakten Wiederholung sämtlicher Teenagermorde des Originals zu stellen – warum uns Herr Zombie also im Jahre 2007 immer noch erklären will, dass Sex und Drogen unweigerlich den Tod bringen und Frigidität weiterhin als Schutz dienlich ist. Und das, obwohl sein Remake vor Titten geradezu überquirlt: Zombies "Halloween" ist nichts weiter als ein einziger unüberlegter Widerspruch.


35% - erscheint bei: Wicked-Vision