Oktober 31, 2008

Kino: OTTO; OR, UP WITH DEAD PEOPLE

Die Untoten von heute sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Zwar erhebt sich Otto (Jey Crisfar) zunächst aus seinem Grabe, um dann im verkriselten Schwarzweiß über einen Friedhof zu wanken, kurze Zeit später jedoch steht er schon an einer Brandenburger Landstraße, so ganz schnöde und gar in Farbe getaucht, um per Anhalter nach Berlin zu gelangen. Nun ist Otto immerhin ein schwuler Zombie, und schwule Zombies sind an und für sich durchaus eine Selten- heit, bedenkt man aber jedoch, welch Imagewandel der moderne Untote in den Zeiten der Globalisierung durchlaufen muss – er spaziert am Schlesischen Tor entlang, fährt mit der U-Bahn oder verspeist Getier auf Parkbänken am Hackeschen Markt – scheint es ja nicht gerade günstig, dass er sich auch noch mit der Homo-Szene herumschlagen soll.

Denn wie Bruce La Bruce ein ums andere Mal verdeutlicht hat, habe sich auch der queere Geist dem Wandel der Zeit gefügt. Deshalb beklagt der kanadische Filmemacher in Hardcore- und Kunstfilmmelangen auch immer wieder den Verlust des revolutionären Potentials am bürgerlichen Schwulen, der mit Skin und Punk und Queercore nichts mehr gemein haben will. So gesehen, scheint der Bruch in der Genrekodierung des Zombies nur folgerichtig. Und gerät der muffige Otto während seines Berlin-Trips in eine Low-Budget-Produktion der Regis- seurin Maya Deren, ähm, Medea Yarn (Katharina "Science of Horror" Klewinghaus), die mit Bruder und Louise Brooks- Freundin – natürlich – einen Film über eine subversive Untergrundbewegung schwuler Untoter inszeniert: Ausgehend von den Altbauwohnungen der, vermutlich, Schöneberger Homo-Bourgeoisie, wo erst blutig gestorben werden muss, um sich dann würdevoll von den Toten erheben und gegenseitig in die Bauchhöhle ficken zu können, vereinen sich darin alle schwulen Zombies gegen die Diktatur des Konsums und Kapitalismus, um den Ausbruch aus der Heteronormativität schließlich mit einer finalen Orgie zu begießen. In diesen Film namens "Up With Dead People" passt Otto ja gut hinein, denn die Kamera sei ein Schutz für ihn, sagt er im Off-Kommentar, damit man glauben könne, er spiele nur einen Zombie – und sei gewiss keiner.

Gleichwohl sich die Frage stellt, ist "Otto; or, Up With Dead People" nicht interessiert daran, ob unser schicker Emo- Zombie tatsächlich ein lebender Toter, oder nicht doch eher ein melancholisch verbitterter Schlafwandler ist – womit sich La Bruce sehr deutlich an George Romeros "Martin" orientiert, der es ebenfalls offen ließ, ob sein Titelheld ein Vampir war. Vielmehr entwirft La Bruce neben seinem mit allerlei Kinoulk verspielten Film im Film-Zombiehorror in erster Linie ein überraschend nachdenkliches Liebesdrama vor romantischen Berliner Kulissen: Ich muss zugeben, völlig davon einge- nommen zu sein, wenn Otto in den verwilderten Resten des Plänterwaldes am Spreepark, neben umgekippten Dinosauriern und verrosteten Achterbahnwaggons, nach Rast sucht, und ich mich dadurch mit Wehmut an meine dortigen Kindheitstage zurückerinnere. Es mag sein, dass manche Bilder blutigen Gedärms und wilder Zombiefantastereien die zarte Seele dieses Films zu verstellen drohen, doch Otto, der irgendwie andere, absonderliche, queere Held, ist eine tolle, tolle Figur für einen ganz wunderbar liebenswürdigen und traurig- schönen Film.

Und das ist ja nun irgendwie das Letzte, was man von La Bruce oder einem schwulen Zombiefilm erwarten durfte. Vor allem, weil "Otto; or, Up With Dead People" die illustre Metaphorik des untoten Schwulen nur selten bemüht: Wenn Otto, in Gedanken an seinen Ex-Freund verloren, unter einer U-Bahn-Brücke von einer Bande Schlägern übel zugerichtet wird, dann klingt der Film mit Antony and the Johnsons leise und poetisch an, dass nichts und niemand die Wieder- auferstehung des Antihelden verhindern kann: Ein schwuler Zombie ist eben gar nicht so leicht totzukriegen. In diesem Film voller hässlich zugerichteter Untoter liegt so viel unerwartete Schönheit.


85% - erschienen bei den FÜNF FILMFREUNDEN

Der Film läuft in ausgewählten Kinos.