Oktober 20, 2010

Kino: SCOTT PILGRIM VS. THE WORLD

Über "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" schrieb das amerikanische Filmmagazin Empire treffend, dass es ja offenbar doch ganz einfach sei, eine gute Videospielverfilmung zu machen, so lange sie nur nicht auf einem Videospiel basiere. Präziser lässt sich nicht auf den Punkt bringen, warum dieser Film im Duell mit unzähligen Videogame-Debakeln schon mal eine lockere 1:0-Führung einnimmt. Und das ist längst nicht alles. Edgar Wrights Kinoadaption der kanadischen Comicreihe von Bryan Lee O’Malley ist nur ganz nebenbei eine brillante Visualisierung von Videospielästhetik, sie ist vor allem warmherzige Coming-of-Age-Geschichte, skurrile Liebeskomödie, vergnügliches Comic-Relief und eine wundervolle Hommage an die nicht mehr ganz so frühe Jugend.

Der 22jährige Scott Pilgrim (treudoof wie eh und je: Michael Cera) hat keinen Job, keine Wohnung, kein eigenes Bett. Er kann ellenlange Monologe über Pac-Man halten und spielt Bass in einer Indie-Band namens Sex Bob-omb. Wenn er sich nicht gerade die Zeit im Proberaum oder Plattenladen um die Ohren schlägt, nistet er sich bei seinem schwulen besten Freund (Kieran Culkin) ein – natürlich zu dessen Leidwesen. Scott Pilgrim ist sozusagen der personifizierte Super-Nerd: Ziel- und anspruchslos, selbstzufrieden, sozial nicht wirklich kompatibel. Aber in seiner eigenen Welt irgendwie glücklich.

Diese eigene Welt bildet das Zentrum des Films. Alles, was der Zuschauer sieht, trägt sich in dieser Form lediglich im Kopf des Helden zu. Wenn Scott Pilgrim mit seiner Band einen Contest bestreitet, passiert das womöglich tatsächlich. Wenn die Bühne dann jedoch zum Kampfschauplatz eines Videospiels mutiert, bereist der Film die Gedankenwelt seines Protagonisten und vereinbart ganz plötzlich Realität und Surreales, objektive Wahrnehmung und verzerrte Metaphorik. Scott Pilgrim gegen den Rest der Wirklichkeit. Jenen Rest, der viel spannender sein könnte, würde er sich so zutragen, wie sein Held ihn sich vorstellt.

Folglich arbeitet der Film mit einer Fülle an unterschiedlichen visuellen Darstellungen, um die eigenwillige Wahrnehmung der Titelfigur entsprechend bebildern und in einen sinnvollen Zusammenhang bringen zu können. Unvermittelt wird von einer zur nächsten Szene gesprungen, verändert sich der Bildausschnitt oder erscheinen Schrifttafeln und comicartige Hinweise. Oder es fliegen gezeichnete Miniherzchen über die Leinwand, als Scott Pilgrim ganz unvermittelt auf die sonderbare Ramona (Mary Elizabeth Winstead) trifft. Nur: Er muss zunächst einmal ihre sieben Ex-Lover in bester Tekken-Manier besiegen, um das Herz der quirligen Eigenbrötlerin erobern zu können.

Im Grunde erzählt "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" eine ganz einfache Liebesgeschichte unter jungen Erwachsenen, die irgendwie noch in ihrer Jugend fest hängen, ihr Leben mehr schlecht als recht auf die Reihe bekommen und sich dabei auf dem Weg zur Selbstverwirklichung den normalsten aller Gefühlen stellen müssen – von Eifersucht bis zur Unsicherheit. Selten jedoch gelang es einem Film, die ständigen Ups and Downs der Adoleszenz so erfrischend, charmant und irrwitzig einzufangen. Es bereitet großen Spaß, Scott Pilgrim die imaginären Action-Fights mit akrobatischen Martial-Arts-Einlagen gegen die angeblichen Ex-Lover seiner Freundin in spe austragen zu sehen, die vielen liebevoll skizzierten Nebenfiguren (besonders erinnerungswürdig: die Drummerin seiner Band) ins Herz zu schließen oder schlicht und einfach Schritt zu halten mit dem atemberaubenden Tempo des Films.

Der Brite Edgar Wright erweist sich hierbei als idealer Regisseur für den Stoff. Er hat mit seiner grandiosen Britcom "Spaced", der Zombiekomödie "Shaun of the Dead" und der Actionpersiflage "Hot Fuzz" bewiesen, was für ein kenntnisreicher, talentierter und vor allem ungemein versierter Filmemacher er ist. Seine Figuren haben stets Herz und Seele, sie sind urkomische originäre Gestalten, die immer auf irgendeine Art überfordert sind von den ganz alltäglichen Dingen des Lebens. Jemand wie Wright, der auch den Griff zum Sentimentalen nicht scheut, schafft es problemlos, den Ton der Vorlage zu treffen und sie in einer unvergleichlich einfallsreichen, spielerischen Form auf die Leinwand zu bringen.

Wright nämlich gelingt es mit leichter Hand, die bereits erwähnten unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen elegant zu vereinbaren, ohne sie jemals gegeneinander auszuspielen, also allzu deutlich voneinander abzugrenzen. Wie in seinen bisherigen Arbeiten setzt er dabei ganz auf die Wirkung eines komplexen Schnittkonzepts, das schon festzustehen scheint, noch bevor er eine einzige Szene zu drehen beginnt. "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" funktioniert fast gänzlich über seinen Schnitt: Der Witz, das Timing, die Figurengestaltung – alles entwickelt Wright erst über seine großartige und ideenreiche Montage. Und einer nicht enden wollenden Fülle an Regieeinfällen.

Man kann die Inszenierung des Films als aufdringlich empfinden, auf Dauer auch als ermüdend und redundant, aber Wrights visueller Erzählstil und spürbarer Wille, die Abenteuer Scott Pilgrims mit unerschöpflichem Ideenreichtum vom Panel ins Kino zu übersetzen, sind in erster Linie höchst eindrucksvoll und inspirierend. Was umso bemerkenswerter ist, wenn sich die Geschichte letztlich aus infantilen Beziehungsproblemchen eines postpubertären und gar nicht mal sonderlich sympathischen Helden zusammensetzt und dabei kaum Potenzial für eine tiefsinnigere Metaebene zulässt. Edgar Wright hat hier definitiv den kompetenten Nerd-Film schlechthin gedreht. Und ist damit, zumindest im direkten Jahresduell, dem ebenfalls starken, aber vergleichsweise unbeholfenen Kollegen "Kick-Ass" eine ganze Nasenlänge voraus.


75% - erschienen bei: gamona