November 10, 2006

Kino: THE DEPARTED

Mittlerweile scheinen sie fester Bestandteil der Filmkultur: Offizielle Remakes. Schon immer gab es zwar einen bestimmten Teil an Neuverfilmungen, doch mit derart hoher Dichte, und alle Genres betreffend, verläuft diese Entwicklung erst seit einigen Jahren. Filmstoffe aus Fernost eignen sich besonders deshalb so gut, da die entsprechenden Originale in den USA kaum einer gesehen haben dürfte – Untertitel oder Synchronisationen sind dort zudem allgemein eher unerwünscht. Den brillanten Hongkong-Thriller „Infernal Affairs“ haben allerdings zumindest diejenigen gesehen, die für die amerikanische Umsetzung des Stoffes verantwortlich zeichnen, vorrangig Drehbuchautor William Monahan („Kingdom of Heaven“). Der Regisseur Martin Scorsese („Good Fellas“) empfahl sich mit Geschichten von Intrigen, Mafiastrukturen und Korruption – und nicht zuletzt wohl mit der glanzvollen Neuauflage des „Cape Fear“ – vorbildlich für diesen Job.

Nicht-Kenner: Dürfen einem streng durchkomponierten, erstklassig inszenierten Polizei-Krimi beiwohnen. Das Ensemble harmoniert beachtlich, Leonardo DiCaprio (zuletzt großartig in „The Aviator“) und Matt Damon („Syriana“) übernehmen die Rollen der ungleichen Gegenspieler, deren Schicksal aber letztlich viel identischer scheint, als ihnen selbst bewusst ist, und brillieren mit ausdrucksstarkem Spiel, konzentrierter Energie auf Bewegungen und Sprache. Sie verinnerlichen ihre Figuren, die des korrupten Polizisten, der mit der Mafia arbeitet, und die des Undercover-Agenten inmitten dieser, so spürbar ernst, dass es eine Freude sein müsste, ihnen dabei zuzusehen. Gestärkt werden deren Leistungen durch Mark Wahlberg („Four Brothers“) und Ray Winstone („The Proposition“), die jedoch ungleich angestrengter die Härte ihrer Figuren verdeutlichen wollen. Nur Jack Nicholson darf gewohnt frei drehen bei seiner Interpretation des Mafiachefs, einer Beinahe-Parodie Marlon Brandos.

Der sichere Stil, mit dem „Infernal Affairs“ zu „The Departed“ umgestaltet wird, ist die wesentliche Stärke des Films. Der ruppige Schnitt lässt kaum Zeit zum Luft holen, die Kamera bewegt sich unaufhaltsam, Ausstattung und Kostüme sind trist und eintönig, gleichen sich unauffällig den braunen und grauen Gebäuden des verlegten Spielorts Boston an. Um den Kriminalthriller-Tenor stärker herauszuarbeiten, sind die Sets offenbar dahingehend ausgeleuchtet, alle Charaktere in zwielichtige Schatten zu hüllen – das hat zweifelsohne den Effekt eines modernen Noirs, wirkt unbemüht und suggestiv, und verdeutlicht vor allem die Ambivalenz dieser Figuren, ihre Undurchsichtigkeit, ihr unberechenbares Verhalten. Mit zahleichen symbolhaften Ambiguitäten erreicht Scorsese dabei auch das Unterbewusstsein seiner Zuschauer: So durchbricht unter anderem die Farbe Rot immer wieder leise und unbemerkt das Geschehen, um sich am Ende in Form blutigster Shoot-Outs zu entladen, während der Tod durch das wiederkehrende, in unterschiedlicher Darstellung in die Szenerie integrierte X-Motiv (äquivalent zu „Scarface“) allgegenwärtig scheint.

Kenner: Haben ein unweigerliches Problem. Zwar braucht Scorsese merkwürdigerweise gleich zwei volle und eine halbe Stunde obendrein, um die ehemals 90minütige Geschichte nachzuerzählen, viel Neues kommt dabei allerdings nicht herum. Im Gegenteil: Der Film hält sich nahezu akribisch an die Vorlage und kopiert ganze Szenenabläufe daraus, um an anderen Stellen Dehnungen vorzunehmen, die nicht wirklich etwas Sinnvolles zu bezwecken haben. Das alles kommt einem also mächtig bekannt vor, mehr sogar als man sich wünschte. Denn der vorbelastete Zuschauer, Gourmet oder Connaisseur, der dürfte sich bei „The Departed“ trotz jeglicher technischer Brillanz ganz vorzüglich langweilen respektive ärgern: Hier wurde sich nicht einmal die Mühe gemacht, die pessimistisch-philosophische Essenz des Originals neu zuinterpretieren, sondern stilistisches Austoben über die Notwendigkeit eigener Ansätze gestellt.

Prinzipiell schneidet Scorseses Neudichtung in nahezu allen Punkten schwächer ab. Zwar geht Michael Ballhaus eigene Wege und setzt die Schauspieler wie erwähnt in künstlich beleuchtete Gegensätze, doch die visuelle Schönheit, mit der Christopher Doyle die „Infernal Affairs“ einfing, erreicht er bei weitem nicht. Weder gelingt ihm die Zeichnung des Umfeldes, der Stadt mit ihren Straßen und Schluchten, noch der betreffenden Milieus in der Form, wie Doyle sein Metropolenbild in Beziehung zu den Figuren setzte. Wenn Martin Sheen („Catch Me If You Can“) und DiCaprio auf den Dächern Bostons einen Zufluchtsort suchen, dann hat das nichts von den erdrückenden Ruhemomenten des Originals: Als sich dort Polizeichef und Undercover-Cop über Hongkong zusammenfanden, war das nichts weiter als der bittere Ausdruck einer unmöglichen Freiheit, eine tragische Dimension, die die Erkenntnis brachte, dass es kein Zurück in das Leben mit der eigenen Identität geben kann.

Genau da setzten die Regisseure Andrew Lau und Alan Mak in ihrem Film an. Die Frage, wie viel verdecktes Leben das subjektive Ich aushält, wann sich die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge aufzulösen drohen, die stellt Scorsese nicht einmal, sondern übernimmt grundlos deren Antwort: Es führt zum Tod. Seinen Antihelden fehlt jedoch die selbstreflexive Tiefe, um das spürbar umzusetzen. Das Aufeinandertreffen der Gegenspieler war in der Vorlage nur ein Gänsehautmoment von vielen, die Spannung zwischen ihnen, die Enttäuschung der einstigen Freunde, der Selbsthass, all das kann im Remake nicht wiederholt werden, ohne jede Magie verkommt der Showdown in „The Departed“ zur ultrabrutalen Nummernrevue, ganz ohne emotionale Teilhabe. Tatsächlich ignoriert das Drehbuch ausgerechnet die gemeinsame Vergangenheit der beiden und verspielt vorschnell die Chance, die Gemeinsamkeiten dieser Männer „unter Feinden“ – so der treffende deutsche Untertitel – herauszuarbeiten.

Den größten Fehler aber begeht Monahan mit der Entscheidung, die beiden Frauenfiguren der Vorlage – die Psychologin, die der ruhelose Maulwurf Yan (Tony Leung) aufsucht, und die Buchautorin, mit der der Mafiaspitzel Ming (Andy Lau) liiert ist – zusammenzufassen. Das Remake sieht ausschließlich die Rolle der Therapeutin Madolyn (Vera Farmiga, „Running Scared“) vor, die natürlich sowohl mit DiCaprio, als auch Damon eine sexuelle Beziehung eingeht. Daraus entwickelt sich aber weniger das forcierte Spannungsverhältnis zwischen Jäger und Gejagtem, sondern vielmehr das unsinnige Zugeständnis an etwas Leinwanderotik: Auf die Dreierkonstellation und die damit einhergehenden Konfliktsituationen wird in der Tat gar nicht eingegangen. Und damit opfert der Film jene Ruhepausen, die in „Infernal Affairs“ das Innenleben der Charaktere offen legten. Dort besuchte Leung die junge Ärztin nur dann, wenn er ein wenig Schlaf suchte – die vertraute Psychologin kümmerte sich freundschaftlich um ihn – während Lau immer wieder mit der Frage seiner Verlobten konfrontiert wird, ob ihr Romanheld am Ende ein guter oder böse Mensch sei. Auf individuelle Weise zwingt ihr Umfeld beide, sich den unterdrückten Gefühlen zu stellen. All das wird man in Scorseses Version leider vergeblich suchen.

45%

Review erschienen bei: Wicked-Vision.de