Oktober 27, 2006

Kino: BORAT

„Jagshemash!“ grüßt Borat Sagdiyev, ein Dokumentarfilmer aus dem idyllischen Kasachstan, wo Frauen verkauft, Schwule gehängt und Juden verfolgt werden. „Mein Beruf: Fernsehreporter. Ich zweit meist erfolgreich in ganz Kasachstan. Ich auch habe Arbeit in Vergangenheit als Zigeunerfänger, Eismacher und in Computerwartung. Ich strich die Außenseiten und entfernte tote Vögel aus den Röhren.“ – In seiner Heimat ein gefeierter TV-Star, möchte Borat deshalb nun durch die USA, nein, die US of A, reisen, um ein wenig die amerikanische Kultur, die Lebensart, die Einwohner kennen zu lernen. Die von Rassismus, Antisemitismus und Misogynie bestimmten Ansichten des Moderators stoßen bei den US-Landsleuten, denen er auf seiner Reise begegnet, allerdings auf weniger Widerstand als erwartet: Auf Anfragen, welche Waffen besonders geeignet seien, um Juden zu erschießen, oder wo es Autos zu erwerben gäbe, mit denen man am besten unbeschadet Zigeuner überfahren könne, erhält er ebenso hilfreiche wie ehrlich gemeinte Antworten. Sein Ziel ist jedoch ein ganz anderes: Borat hat sich in Pamela Anderson verguckt – und diese soll in Kalifornien seine Frau werden.

Mittlerweile ist Sascha Baron Cohen kein Geheimtipp mehr. Als englische Comedy-Galionsfigur Ali G. feierte er seinen Durchbruch, bewies als Schauspieler zunächst im Madonna-Clip "Music" und später in Box Office-Hits wie "Talladega Nights: The Ballad of Ricky Bobby" sowie als Moderator verschiedener Awards sein vielseitiges, stets berstend komisches Talent. Die "Ali G. Show" war es auch, in der die Figur Borat regelmäßig auftauchte: Ein kasachischer Journalist, der auszog, um die westliche Welt zu erforschen. Gemeinsam mit dem "Seinfeld" und "Curb Your Enthusiasm"-Produzenten Larry Charles und Jay Roach ("Meet the Parents") bringt Cohen das Konzept unter dem Namen "Borat - Kulturelle Lehrung von Amerika um Benefiz zu machen für glorreiche Nation von Kasachstan" nun unverändert auf die große Leinwand – in einer Real-Satire, die weit über den komödiantischen Duktus, nichts ahnende Passanten zu verschaukeln, hinaus geht: Die Kameras sind hier unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Dokumentation sichtbar, dokumentieren als Ironie des Prinzips das Geschehen aber dennoch. Ein durch und durch subversives Unterfangen, das nicht nur blankes Entblößen bereithält, sondern dem bei allem Humor als Zeugnis von Zwischenmenschlichkeit der tiefe Wille nach dem kulturellen Dialog inhärent ist.

Denn zumeist tut Borat nichts anderes als reden. Er ist hyperkommunikativ, exaltiert, zappelig. Wie er da als unbeholfener, lang gewachsener und schnurrbärtiger Moderator durch das Geschehen hüpft, bescheiden, aber auch neugierig, das allein ist schon mindestens so urkomisch wie liebenswert zugleich. Die zynischen Fragen, die er Waffenhändlern, Studenten oder auch Politikern stellt, sind überraschenderweise nichts gegen die Antworten, die er bekommt. Hier ist freilich nicht alles ernst gemeint. Und doch einiges, das hat wohl schon einen gewissen Hintergrund: Wenn Borat als Zeichen freundschaftlicher Begrüßung gegenüber einem texanischen Rodeoreiter zum Wangenkuss ausholt, dann wird ihm mit überzeugter Mine entgegnet, dass ohnehin alle Schwulen an den Galgen gehörten. Diesem Abschnitt folgt auch der bissigste Teil des Films, der Cohen auch ernsthaft in Gefahr brachte: Vor dem Rodeo-Publikum verunglimpft Borat die US-Nationalhymne und singt von Kasachstan, dem schönsten Land der Welt, und George W. Bush, der das Blut der Kinder und Frauen im Irak trinke. Die anfänglichen Jubelschreie wandeln sich zu heftigen Buh-Rufen – diese Sequenz ist exemplarisch für die forcierte und doch unerwartete Reaktion der Beteiligten. Hier stellt sich nur das bloß, was auch bloßgestellt gehört.

„Ich hoffe ihr Amerikaner seht meine Film, aber bitte sein gewarnt, da es enthält schmutzige Flüche, sinnlose Gewalt und eine Nahaufnahme des Bishkek von einem Mann, es hat bekommen sehr strenge Beschränkung in Kasachstan, heißt niemand unter 3 Jahre wird es sehen können.“


Das alles schreit natürlich förmlich nach Skandal. Die Regierung des Staates Kasachstan fühlt sich diskriminiert, das Europäische Antiziganismuszentrum hat bereits rechtliche Schritte eingeleitet. Die Aufregung ist unnötig, Cohen bedient zwar jedes nur erdenkliche Klischee, er lässt diese aber auch konsequent als solche erkennbar. Da ist es auch eher unwesentlich, dass der Brite selbst jüdisch ist, denn "Borat" macht Gesetz seiner satirischeren Equilibristik weder Halt vor überzogenen Verunglimpfungen von Sinti, Roma oder Juden, noch vor Kasachen, Russen oder Amerikanern. Tatsächlich beruht ein Großteil der aberwitzigen Wirkung des Films auf den Reaktionen der konfrontierten Interviewpartner – und diese gehen nur sekundär auf Cohens Konto. Letztlich sorgt nicht der naive Hinterwäldler Borat für den Kulturschock beim Zuschauer, sondern vielmehr Bilder wie die einer ferngesteuerten Menge, die im Zuge eines zur Event-Show umfunktionierten Gottesdienstes wild gestikulierend ihren Superstar Jesus feiert. Borat kann da nur noch entsetzt dreinschauen, hier wird wohl selbst sein Brachialhumor keine Abhilfe mehr schaffen können: Ein Umfeld, das sich selbst denunziert.

Und so ist "Borat" zwar unglaublich komisch (in der Originalfassung!), aber doch auch ein bisschen ernst. Die Geschmacklosigkeiten, in die sich Cohen gern einmal verliert, können nicht den Dienst dieses Films mildern. Seine Figur ist erschreckend liebenswürdig und hilflos auf der Suche nach Verständnis, nach zwischenmenschlichem Austausch. Dass Borat seinem Gegenüber mitunter so unverhüllt die Masken abnimmt, das hat nicht nur etwas von Michael Moore – dessen Dokumentationsstil bekanntlich ähnlich diskutiert wird – das hat vor allem etwas Dankenswertes. Bei all dem Zweifel eifriger Kulturverfechter ist es genau diese Form der vermeintlichen Polemik, die die Filmlandschaft benötigt. Vielleicht muss einem da auch erst das Lachen im Halse stecken bleiben.

80%


Review erschienen bei: Wicked-Vision.de