Einen Film der Coen-Brüder zu gucken ist wie zwei Stunden in einem Filmwissenschaftsseminar zu sitzen. Da bekommt man mächtig viel um die Ohren gehauen, viel kompetentes Wissen und viel tadelloses Handwerk vorgesetzt, ganz wunderbarer Anschauungsunterricht ist das. Und wie es sich für schludrige Dozenten gehört, machen die beiden das nie staubtrocken oder ätzend theoretisch, sondern immer mit einer augenzwinkernden Pointe zwischen den Lippen, einem Gag hier und einem Insider da, damit bei all dem Lernstoff immer auch der Spaß gesichert ist – denn letztlich geht es ja doch nur um den großen Witz, um alles, nur nicht um Ernsthaftigkeit.
Wenn man nach zwei Stunden "No Country for Old Men" zu Schmunzeln beginnt, weil all das, was man hier gesehen hat, doch nur reinster Absurdität entspringen kann, dann wird das besonders deutlich. Dieser Film hat keine größeren Ambitionen, nicht wirklich etwas mitzuteilen und auch keine Position zu vertreten, die den filmischen Tellerrand überschreitet. Er ist wie letztlich nahezu jeder Coen-Film ein Ausstellungsstück, das Ergebnis eines langen und intensiven Filmstudiums seiner Macher, ein in bewegte Bilder verpacktes Analysebuch über die Beschaffenheit des Kinos. Keine Reflektion etwa, denn Reflektion heißt Stellung beziehen, sondern nur ein einfaches Vorführen, ein dezent intellektuelles Demonstrieren. "No Country for Old Men" ist kein Theorem, untersucht keine Genremuster, paraphrasiert keine Methoden des Kinos, stellt sie nicht in einen Zusammenhang. Er bedient sie lediglich so offensichtlich, dass er zeigt, sie verstanden zu haben, ohne daraus einen Mehrwert oder eine Absicht zu bilden.
Der Film bleibt deshalb zumindest gefühlsmäßig eine distanzierte, kühle und weitestgehend unmenschliche Spielerei auf beachtlichem Niveau. Wie die Coens mit Zuschauererwartungen umgehen, sie bedienen oder mit ihnen brechen, wie sie eine ungemein verkürzte, knappe und dennoch völlig mit filmischem Raum ausgefüllte Geschichte erzählen, wie sie auf Details achten, die an anderen Filmemachern völlig vorbeigehen – seien es Schleifspuren von Gummischuhen auf dem Boden, nachdem ein Polizist dort qualvoll erwürgt wurde, oder eine so sorgfältige Ausstattung, dass man meint den modrigen Geruch der Holzwohnwägen riechen zu können (Roger Deakins sei Dank) –, das alles ist ziemlich brillant und auch ziemlich einmalig. Und während die Regisseure eine Geschichte über Zufall und Schicksal, über Raum und Zeit erzählen, führen sie vor allem die Berechenbarkeit des Kinos vor, die Standards, die Typisierungen, die Konventionen. Oder wäre das nicht bereits eine Deutung, die dem postmodernen Filmverständnis der beiden widerspräche?
Ein wirkliches Problem muss man daraus nicht zwangsläufig ableiten, immerhin funktionieren die Filme der Coens immer auch als stinknormales Erzählkino, wenngleich sie mehr als das sein wollen. Dass die inszenatorische Brillanz der beiden jedoch in letzter Konsequenz so ungenutzt bleibt, weil sie zu nichts, das außerhalb ihres Kinoradius' liegt, Stellung beziehen, bleibt ein wenig bedauernswert. Denn all die Figuren sind letztlich leblos, bleiben reine Filmkonstrukte, wie einem "No Country for Old Men" nichts über Menschen oder über das Leben erzählt, sondern lediglich über das Kino. Wenn Filme ein Makrouniversum widerspiegeln, so beschwören die Coens alles nur auf Mikroniveau. Ohne wahre Leidenschaft für die Inhalte, sondern einer pragmatischen Verpflichtung fürs Formelle.
Wenn die Regisseure dabei hinter der Leinwand sitzen und durch sie hindurch kommentieren, ist das amüsant wie gleichermaßen störend. So wird der der Geschichte folgende Zuschauer spätestens nach zwei (unglaublich spannenden) Dritteln aus dem Film geworfen, wenn ihre Erzähler das Zepter endgültig in die Hand nehmen und mit aufgesetzten Ellipsen die Handlung zerbröseln. Es geht also gar nicht darum, was erzählt wird, sondern nur wie es erzählt wird, ohne doppelten Boden und ohne Ausweichmöglichkeit für ein Publikum, das an kokettem Filmschwall nicht interessiert ist. "No Country for Old Men" kann man deshalb als formal perfekte Beschwörung ans Kino, an seine Funktionsweise und seine Mechanismen lesen – oder ihn einfach als zwölften Coen-Film betrachten, bei dem es wieder einmal um nichts anderes als reine Technokratie geht.