"Thank god for teenage pregnancy!", resümierte Oscar- moderator Jon Stewart scherzhaft beim Blick auf die nominierten Filme des Kinojahres 2007, die sich in ihrer Schwermütigkeit selbst zu übertreffen schienen. Dabei behandelt Jason Reitmans Independentkomödie "Juno", die in den USA zum Überraschungserfolg reifte, ein nicht nur in seinem etwas pikierten Heimatland strittiges Thema, nämlich eben die Schwangerschaft einer Minderjährigen, das dem durchschnittlichen US-Kinobesucher durchaus die ein oder andere Zornesfalte, zumindest aber Schamesröte ins Gesicht zaubern dürfte. Immerhin haben Jugendliche in Amerika offiziell ja ohnehin keinen Sex, aus vielen Perspektiven nicht einmal eine Sexualität. Die gedoppelte Moral eines Landes, das Sex im öffentlichen Leben tabuisiert, gleichzeitig jedoch über die einträglichste Pornoindustrie der Welt verfügt, sei an dieser Stelle nicht weiter vertieft, sie ist bekannt – und bildet gerade deshalb einen interessanten Hintergedanken, wenn man sich die 130 Mio. Dollar vor Augen führt, die der nur sieben Mio. Dollar teure Film allein in den USA eingespielt hat.
Zwei Erklärungsversuche bieten sich an: Der Film trifft einen Nerv, indem er mit der allgemeinen Verschwiegenheit bricht. Eine 16jährige schläft mit einem Jungen, ohne Reue, dafür Selbstbewusstsein und frechem Mundwerk. Dann hatten sie zu allem Übel auch noch ungeschützten Verkehr, das Mädchen, Juno heißt sie, wird kurze Zeit später schwanger. Ein Schreckensszenario, verpackt als leichte alternative Teenagerkomödie. Indem "Juno" seinen Figuren also ganz selbstverständlich eine Sexualität im adoleszenten Alter zuspricht, ignoriert er das Bild des asexuellen Jugendlichen und dürfte verlockend sein für ein Publikum, das sich zumindest noch im Kino auf die ein- oder andere Wahrheit einstellen darf. Gleichzeitig könnte der Erfolg des Films, der fast ausschließlich auf Mundpropaganda zurückzuführen ist, auch mit seiner moralischen Haltung zum Sujet erklärt werden – und hier bietet "Juno" Grauzonen für illustre Deutungs- versuche: Zu konservativ und verlogen, scheinheilig und getarnt sei er (sagen die einen), und ebenso erfreulich zurückhaltend wie wertfrei, unkonventionell und ehrlich (sagen die anderen).
Reitmans Film über derlei Muster abzugleichen, erweist sich jedoch als unnötig. Der Film ist zu sehr seiner individuellen, durchaus ungewöhnlichen Geschichte verschrieben, als ihm exakt berechnete ideologische Implikationen nachgesagt werden könnten. "Juno" nämlich widerspricht sich in dieser Hinsicht vielfach selbst: Zwar thematisiert er die erstaunlich gesetzte, um nicht zu sagen altmodische Lebensvorstellung einer 16jährigen, deren Wertvorstellungen sich nur schwer mit ihrer unangepassten Quirligkeit vereinbaren lassen, gleich- zeitig löst er die grundsätzlich sicherlich als biederen Entwurf lesbare Geschichte mit unherkömmlichen Methoden auf. So findet die – abgestrichen an der Realität – plausibelste ‚Problemlösung’ Abtreibung eher einen verächtlichen Ausdruck, gleichzeitig wird die Schwangerschaft der Titelfigur als völlig unproblematisch skizziert, was der Sichtweise eines Moralhüters durchaus zuwiderlaufen dürfte. Juno möchte ihr Kind bekommen, ohne großes Brimborium, ohne wirkliche Krise, denn sie hatte einfach Sex, und ebenso wie sie dies eigenmächtig entschied, wird sie auch mit den Folgen zurechtkommen.
Was als scheinheilig gedeutet werden kann – heiter und locker inszeniert, erzählt der Film die Geschichte eines minderjährigen Mädchens, das ihr Baby um jeden Preis an eine intakte Adoptivfamilie abgeben möchte – ist vielleicht doch nur das längst überfällige Zugeständnis an eine autarke, selbst bestimmte Jugendliche, die sich zurecht gegen ein autoritäres Umfeld zur Wehr setzt. Und auch wenn Juno ihr Kind nicht selbst aufziehen möchte – und warum sie dies nicht will oder überhaupt könne, ist sicher eine berechtigte Frage, die der Film nicht beantwortet! – differenziert spätestens das Bild der schlussendlich allein erziehenden Adoptivmutter das vermeintlich scheinheilige Konstrukt. Der Film ist hier viel zu ambivalent strukturiert, als dass diese Diskussion in dem Maße, wie sie derzeit geführt wird, eine ernsthafte Berechtigung haben würde.
Tatsächlich ist "Juno" aus ganz anderen Gründen kein guter Film. Leider. Denn Reitman hat die eigene Messlatte mit seinem Regiedebüt "Thank you for Smoking" hoch angesetzt. In der Komödie über spinning-Gesellschaften bewies er erstaunliches Durchhaltevermögen – von der der ersten bis zur letzten Minute verlor er nie den Biss, der Film war auffällig rund und stilsicher in Szene gesetzt, mit einem klaren Konzept und pointiertem Witz. Dass er zudem nicht der mittlerweile gängigen (und am inoffiziellen Tod der Filmkomödie maßgeblich beteiligten) allgemeinen Rührseligkeit verfiel, die alle Schärfe auf den letzten Metern für Kitsch und Konsens aufgibt, erinnerte ihn an klassische Hollywood- komödien, ja, manche ernannten Herrn Reitman sogar schon zum Mininachfolger von Billy Wilder (und die Schlusseinstellung in "Juno" erinnert vielleicht nicht von ungefähr an "The Apartment").
Der Film ist aber schlicht zu nichtig, das Drehbuch von Debütantin Diablo Cody (paradoxerweise mit dem Oscar prämiert) sogar eine mittelschwere Katastrophe. Es findet bis auf die Handlung steuernde Schwangerschaft keine Höhepunkte und verdichtet seine dramatischen Stränge nicht. Besonders im mittleren Teil des Films hängt das Geschehen im nirgendwo, weiß nicht wohin es steuern und was es bewirken soll. Viele Szenen wirken plump und nicht aufeinander abgestimmt, einen wirklichen Rhythmus findet "Juno" schon gar nicht. Cody stolpert hier streng genommen über nahezu jeden Anfängerfehler, was nur im Kontext von Reitmans ungemein souverän gehaltener, flotter und das Schlimmste bewältigender Regie übersehen werden kann. Die Schreibe bleibt dennoch die Krux des Films, und insbesondere die Heldin Juno wirkt so konstruiert und unglaubwürdig, dass man durch sie hindurch ständig die Autorin zu vernehmen meint. Wenn das hippe 16jährige Mädchen dann beständig aus Musik von vorgestern und Filmen von vorvorgestern zitiert, wird hier fast penetrant der persönliche Geschmack ihres Alter Egos Cody abgehakt. Die Dialoge sind dabei affektiert und wirken zu jeder Zeit überlegt, durchdekliniert und aufgeschrieben, werden von allen Figuren gleich aufgesagt und machen nur einen aufgesetzten, koketten Eindruck. Schlimmer noch ist der gesamte Film unglaublich erwachsen geschrieben und macht sich nicht einmal die Mühe, sich auf Augenhöhe seiner Figur zu begeben. Das führt letztlich zum enttäuschenden Resümee, dass die zuweilen nervige Altklugheit von Juno, der Figur, nur noch von der beständig nervigen Altklugheit von "Juno", dem Film, überboten wird.
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